Die Schweizer im Bild einer politischen Zeitschrift des XV. Jahrhunderts
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Die Schweizer im Bild einer politischen Zeitschrift des XV. Jahrhunderts

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Prof. G. Meyer v. Knonau ( Section Uto ).

Von Zu den am meisten von wilden Aeußerungen der Leidenschaft gegenseitigen Hasses erfüllten Abschnitten unserer heimischen Geschichte zählt der große innere Krieg, welcher vor der Mitte des XV. Jahrhunderts die Glieder der schweizerischen Eidgenossenschaft unter Einmischung der ausländischen Mächte entzweite. Besonders sind die beiden Jahre 1443 und 1444, in welche die hauptsächlichsten kriegerischen Entscheidungen sich zusammendrängten, von solchen Handlungen der Parteiwuth erfüllt. Da fällt in einer blutigen Schlacht vor den Thoren Zürichs in tapferem Kampfe der Bürgermeister der Stadt, allerdings einer der Hauptanstifter des ganzen Krieges, und nach seinem Tode gefallen sich die Sieger in der scheußlichsten Verunehrung des Leichnams des getödteten Gegners. Im folgenden Jahre wird auf dem freien Felde unweit Greifensee die kriegsgefangene Besatzung der zur Uebergabe gezwungenen zürcherischen Feste auf den grausamen Befehl des schwyzerischen Anführers enthauptet; aber nachdem ein Vierteljahr später in dem belagerten Zürich die Nachricht eingetroffen war, daß die kleine Schaar der eidgenössischen Kämpfer an der Birs von der Uebermacht des Dauphins nach ruhmreichem Streite erdrückt worden sei, erschallt Freudengeläute von den Thürmen der bedrängten Stadt darüber, daß der Bundesgenosse diesen Sieg gewonnen habe.

Eine Vorstellung von der Heftigkeit dieser Gesinnung, wie sie von beiden Seiten gehegt wurde und eine Versöhnung zwischen Zürich und den Eidgenossen, vorzüglich der innern Orte, völlig auszuschließen schien, bieten Lieder, welche in den beiden Lagern damals gegen einander Anm. Der Verfasser hielt über dieses Thema in dem vom Lesezirkel Hottingen veranstalteten Cyclus am 12. Januar 1891 einen öffentlichen Vortrag.

G. Meyer v. Knonau.

gesungen wurden, aber vielleicht in noch ausgesprochenerer Weise ein in der Sprache der Gelehrsamkeit verfaßtes weitschichtiges Werk, welches kurz vor und bis 1450 entstand. Denn dort ist es der Ausdruck der Stimmung von Leuten aus dem Volke, welche wohl vielfach selbst in den beiden Reihen die Waffen trugen; hier spricht einer der bedeutendsten Vertreter der damaligen Wissenschaft, ein Geistlicher, der dem Kriegs-handwerke ferne stand.

Es ist sehr wenig gerathen, ja im höchsten Grade Mißverständniß erweckend, wenn aus der Gegenwart Vorstellungen über eine enge Zusammengehörigkeit in frühere Jahrhunderte des schweizerischen Staats-lebens zurückgetragen werden. Die Eidgenossenschaft des XV. Jahrhunderts war eine Gruppe neben einander stehender Staatswesen, welche durch zum Theil sehr von einander abweichende Verbindungen verknüpft waren; vorzüglich bestand zwischen den Ländern im Gebirge und den Städten in der äußern Schweiz nicht nur eine Reihe sehr verschiedenartiger Interessen, sondern geradezu vielfach ein nicht zu leugnender Gegensatz in der Entwicklung und dem Ziele des Staatswesens. Die gegenseitige Zugehörigkeit zu einander war eine ungleich enge und bindende, und so war es für Zürich geradezu durch den Bundesvertrag gestattet, daß die Reichsstadt auch noch anderweitige Verbindungen mit Herren oder Städten schließe. Allerdings gab es in Zürich auch während des Krieges eine entschieden eidgenössisch gesinnte Partei; aber die Stadt als solche war völlig an das entgegengesetzte Lager gebunden. Manche Erwägungen für diesen Anschluß an die Gegner der Eidgenossenschaft mochten auf Beobachtungen zurückgehen, welche schon seit dem XIV. Jahrhundert sich hatten aufdrängen müssen. Denn blühende Gewerbe, die noch zur Zeit der Staatsumwälzung Brun's für Zürich große Bedeutung gehabt hatten, das Seidenhandwerk, die Wollen- und die Leinenweberei, waren dadurch, daß durch den Anschluß Zürichs an die V Orte die früheren Verbindungen mit den süddeutschen Reichsstädten sich lockerten, geschmälert und endlich völlig abgestorben, und auch sonst mochte sich vielfach der Städter näher mit dem Städter als mit dem Bauern des Hochgebirges verbunden fühlen. Dazu war dann jener peinliche Streithandel über das Erbe des letzten Toggenburger Grafen, die schmerzliche Enttäuschung hinsichtlich einer Besitzergreifung der Gebiete an der Linth und vom Walensee aufwärts für Zürich eingetreten; übereilte Schritte auf der einen Seite, rücksichtsloses Vorgehen des schwyzerischen Gegners auf der andern vermehrten den Haß, und so war der Anschluß an die Sache des Hauses Oesterreich und an die eng damit verbundene Stellung des ritterlichen Adels erfolgt, welcher die Mauern Zürichs den Trägern des österreichischen Partei-zeichens völlig aufschloß.

Aber überhaupt lag eben in dieser Gruppirung der Parteien — mochten zwar allerdings in dem Kriege Luzern und Bern, die Städte, auch gegen Die Schweizer im Bild eine politischen Streitschrift.

Zürich stehen — ein Gegensatz ausgesprochen, welcher durch das XIV. bis über das ganze XV. Jahrhundert das Leben in der Eidgenossenschaft stets wieder bestimmter Die Lebensweise in den Ländern des Hochgebirges, die immer allgemeinere Betonung der Alpenwirthschaft und der Viehzucht, das ungebundenere staatliche Treiben in der Form der ächt demokratischen Berathung in der Landsgemeinde, die freiere Betreibung des lockenden Kriegshandwerkes oft ohne schärfere Aufsicht der Obrigkeit, bildete einen natürlichen Widerspruch zu den mehr auf Handel und Gewerbe angewiesenen städtischen Gemeinwesen der schweizerischen Hochebene oder vollends den erst nachher noch sich annähernden Städten am Rheine oder an und um den Bodensee, zu deren geordneteren und immer mehr gebundenen Verfassungen. Es waren verschiedenartige Entwicklungen, die ja trotz aller durch die Jahrhunderte bedingten größeren Ausgleichungen hier und dort, in der Urschweiz und ihren Nachbargebieten, den größeren Kantonen außerhalb, noch heute fortdauern. Mehr oder weniger bewußt schnitten alle diese Unterschiede in jenen großen wilden Krieg erkennbar ein.

Eine Kundgebung aus den reichsstädtisch gesinnten Kreisen der zürcherischen Bürgerschaft liegt nun eben in dem Werke des Zürcher Chorherrn, Cantors am Großmünsterstifte, Felix Hemmerlin, vor, so recht ein Zeugniß ausgebreitetster Gelehrsamkeit des späten Mittelalters. Auf verschiedenen auswärtigen hohen Schulen — mit der Veröffentlichung des 1424 aus Bologna ertheilten Doctordiploms des kanonischen Rechtes beglückwünschte unsere Zürcher Universität 1888 die Universität Bologna — hatte Hemmerlin Jahre zugebracht; dann widmete er in regster Weise seine Aufmerksamkeit den Verhandlungen der großen Kirchenversammlungen von Constanz und von Basel; als Propst am St. Ursusstifte zu Solothurn, als Chorherr am zürcherischen Großmünster und am Zofinger St; Mauritiusstifte war er muthig vielfach für eine Hebung des geistlichen und des sittlichen Lebens eingetreten. Aber daneben hatte er sich durch seine Reizbarkeit viele Feinde bereitet, und auch gewisse Wandlungen in seinem Wesen und seinen Auffassungen waren Ursache einer Vereinzelung für ihn geworden. So hatte er sich vom Basler Concil und dem aus demselben erhobenen Gegenpapst Felix V. abgewandt, und daß die mit Zürich im Kriege lebenden schweizerischen Eidgenossen Anhänger des Concils und des Concilpapstes waren, vermehrte nicht zum geringsten Hemmerlin's Haß gegen diese politischen Gegner seiner Vaterstadt. So sah er sich in jeder Hinsicht mit dem deutschen Könige Friedrich III. und dessen Bruder Herzog Albrecht VI. von Oesterreich, mit dem Hause Oesterreich überhaupt, mit dem Friedrichs III. und Zürichs Sache verfechtenden Adel auf das allerengste verknüpft, und aus dieser Gesinnung heraus verfaßte er eben sein Werk: De Nobilitate et Rusticitate Dialogus, dessen zweitletztes Capitel ( XXXIII ) uns hier im Besondern beschäftigt. Es ist ja keine Frage, daß, wie das ganze Buch, so auch dieser besondere Abschnitt, von G. Meyer v. Knonau.

Abneigung gegen Schwyz im Besondern und die Eidgenossen im Allgemeinen erfüllt, ein sehr einseitiges und schiefes Bild der Dinge vorführt. Aber Einzelnes ist doch zutreffend, und bei aller Grellheit des Parteistandpunktes hat es immerhin seinen Werth, zu vernehmen, wie ein zu seiner Zeit hochbedeutender Mann, obschon offen feindselig, über sein Verhältniß zu dem Kernlande der Eidgenossenschaft sich aussprach.

Das mehr als 150 Blätter im Drucke anfüllende Werk beginnt mit der Widmung an den Herzog Albrecht VI. und führt dann eine Unterredung eines Edelmanns mit einem Bauersmann vor, in der alle mögliche Gelehrsamkeit aus der heiligen Schrift, den Classikern und der alten Geschichte, der Jurisprudenz, der Kirchengeschichte vorgebracht wird, oft mit den sonderbarsten Abschweifungen, wobei es besonders auch überraschend ist, daß beide Theilnehmer am Gespräche, der Bauer ganz so wie der Edelmann, über die gleiche Fülle von Wissen gebieten. Der Zweck des Ganzen ist, den Adel zu verherrlichen, den bürgerlichen und noch mehr den bäuerlichen Stand, vorzüglich aber die verhaßten Schweizer, herabzusetzen.

Die Einkleidung des Gespräches ist, daß der Edelmann, der sich im Walde verirrte, auf den Bauern stieß, welcher eben mit Holzspalten beschäftigt war; der Edelmann will zurechtgewiesen werden, wird aber vom Bauern gesprächsweise festgehalten, wobei dann alsbald der Bauer heftig gegen den Adelsstand loszieht. Nach des Bauern Ansicht ist Adam der Menschen Stammvater und, da Adam Bauer war, dessen Stand der erste auf der Welt. Die uralten Vorrechte des Bauern werden gepriesen; denn Gott kannte nichts Edleres, als den Bauern, und so hat er Adam eben für diesen Stand geschaffen. Aber der Edelmann ficht nun für seinen Stand: dieser sei der erste, da er von den alten Römern abstamme. Der Bauer will das nicht gelten lassen, besonders auch wegen der Laster der alten Römer, und er erhebt seinerseits den Anspruch, daß es nur einen einzigen Adel gebe, nämlich den Seelenadel: jeder ist adelig, den seine Tugend adelt, und die Lasterhaftigkeit allein bedingt das nichtadelige Wesen. Der Edelmann kann das nicht gelten lassen. Er erörtert, Adam habe den wahren Adel verloren, und erst der Sohn Noahs, Sem, sei der neue Stammvater eines wahren Adels, welcher sich dann von ihm an vererbt habe, während von seinen minderwerthigen Brüdern, Harn und Japhet, Bürger und Bauern sich herschrieben. Der Edelmann behauptet, daß der von Bauern aufgestellte Tugendadel durch die fortgesetzte Verpflanzung von Geschlecht zu Geschlecht zum Geschlechtsadel geworden sei. Der Bauer läßt sich nun nach und nach einschüchtern; er geräth außer Fassung und läßt es zu, daß sein Gegner immer ungemessenere Behauptungen vorbringt. Zwar bricht der Bauer dann noch einmal in die heftigsten Anschuldigungen und Beschimpfungen gegen den Adel aus; aber sein Gegner weist ihn zurück und bringt nun eben jenes schon erwähnte Die Schweizer im Bild einer politischen Streitschrift.

Capitel: De gentibus illis, qui Switzer sive Switenses dicuntur et rusticorum vocabulo non comprehenduntur — auf welches wir nachher zurückkommen. Der Bauer erklärt sich besiegt, nachdem er aus den Frevelthaten dieses schweizerischen Bauernvolkes die Erkenntniß gewonnen hat, wie verderbt sein ganzer Stand sei, und reumüthig verabschiedet er sich von dem Edelmann.

Allein noch folgt ein Anhang, auf welchen Hemmerlin augenscheinlich besonderes Gewicht legte. Das ist der sogenannte Processus judiciarius, in welchem eine Rechtsverhandlung im Himmel vor dem Throne des Allmächtigen zwischen den Adeligen und den Zürchern auf der einen, den Schwyzern auf der andern Seite zur Darstellung gelangt. In ganz ergötzlicher Weise treten da Kaiser Karl der Große, Heilige des Himmels, deren Kirchen im Zürcher Gebiete durch die Schwyzer verbrannt und geschändet worden sind, für Zürich auf. An einer Stelle redet Gott Vater selbst von dem peinlichen Schisma zwischen den beiden Päpsten und daß der feierlich an die Basler Kirchenversammlung abgeordnete heilige Geist dort gar nichts habe ausrichten können, so daß der Allmächtige sich eben mit dem Senat der Apostel darüber beräth, ob nicht der heilige Geist von Basel zurückberufen werden sollte. Den Eidgenossen wird in genau vorgeschriebener Weise vor dem göttlichen Richter der Proceß gemacht und das Urtheil gesprochen. Sie sollen für ihren frühern Greuel Strafe finden, und als solche wird die Schlacht bei St. Jakob an der Birs bezeichnet. Das ist die Hinrichtung der Verbrecher, für welche Kaiser Karl der Große den Königssohn von Frankreich waffnete und schmückte, damit er des Himmels Strafe vollziehe. Endlich schließen noch Briefe Karls des Großen aus dem Himmel an König Friedrich III. über die Nothwendigkeit, die Schweizer zu treffen und zu vernichten, den Inhalt des Buches.

Das Capitel über die Schwyzer beginnt mit einer verwunderten Frage des Bauern, wie es denn komme, daß die in aller Welt wegen ihrer Macht vielgenannten gewissen oberdeutschen Plebejer, welche in so anmaßender Weise Schweizer genannt werden wollen und auch bei Anderen so heißen, nicht in den allgemeinen Bauernstand einbegriffen seien. Zunächst gibt der Edelmann zu, daß es begreiflich sei, daß alle Welt über diese Leute sich in Verwunderung gesetzt fühle. Denn sie sind vor den übrigen Menschenkindern körperlich stark, von großer Gestalt, wilden Antlitzes; sie sind tüchtige Krieger, in den Treffen muthig, wohlbewaffnet und im Felde unerschrocken; zu Hause zeigen sie sich vorsichtig, reif in ihren Rathschlägen, umsichtig beim Vertragsschlusse; entweder leben sie mit ihren Nachbarn im Frieden oder sie zeigen sich als unerträgliche Empörer. Allein obschon sie gewöhnliche Landleute zu sein scheinen, sind sie nicht als Bauern zu erachten, soweit eben der Name Bauer vom Landbau herrührt; wohl aber verdienen sie den Namen wegen ihrer bäurischen G. Meyer v. Knonau.

Grobheit im vollsten Umfang. Mit dieser Antwort ist aber der Bauer nicht zufrieden. Er will genau wissen, weswegen die Schweizer von den Bauern ausgeschieden werden.

Der Edelmann verweist nun den Frager auf dessen eigene, früher eingeschaltete Schilderung des bäuerlichen Lebens. Die Schweizer haben nämlich ganz andere Sitten, als die gewöhnlichen Bauern. Sie treiben gewissermaßen Weibergeschäfte. Da blicken sie sich weichlich zur Weiber- arbeit und melken die Euter der Kühe, der Schafe und Ziegen; sie pressen die Milch mit den Fingern heraus, lassen sie zu Käse gerinnen und zu Butter werden. So treiben sie Weiberwerk zur Entwürdigung des männlichen Geschlechtes und schließen die Frauen von solcher Arbeit aus; sie prahlen geradezu vor der Welt mit ihrem Namen Kuhmelker. Das wird dann noch weiter ausgeführt. Die Schweizer stecken, während die Adeligen Pfauen- oder Straußenfedern auf die Helme setzen, Kuhschwänze als Feldzeichen auf Hüte und Kappen. Dann werden allerlei Geschichten erzählt, daß einmal zu Constanz, als die Schweizer in gedrängter Schaar vom Rathhause zurückkamen, eine Kuh sich zwischen sie gedrängt habe und nicht habe zurückgestoßen werden können, sondern erst am Hause, wo sie wohnten, vor der hohen Treppe umgekehrt sei. Das Thier sei offenbar dem Geruche nachgelaufen. Ferner meint der Sprecher, einige dieser Kuhmelker seien doch noch von so viel Scham erfüllt, daß sie sagten, sie müßten das Geschäft selbst treiben und ihren Weibern abnehmen, weil es bei der Menge des Viehs in ihrem Lande für dieselben zu anstrengend wäre. Doch das sei nicht wahr, da in einem an Vieh so reichen Lande, wie Frisland sei, doch die Frauen diesem Geschäfte oblägen. Daran hängt der Edelmann noch eine Anspielung an die schändliche Anklage eines unnatürlichen Lasters, welches getrieben werde, jene Anschuldigung, welche auch später wieder nicht zum geringsten als Ausdruck wüthenden politischen Hasses, voran der schwäbischen Ritter gegen die Schweizer, hervortrat. Allerdings wird hier die Anklage abgemildert, da der Edelmann sich äußert, das sei vielleicht erlogen, was er gerne glauben wolle.

Nun aber legt der Bauer die Frage vor, woher denn die Leute ursprünglich stammten und von wo ihre besondern Gebräuche herrührten. Hemmerlin antwortet durch den Edelmann mit einer Geschichte, der die lustige Erfindung auf die Stirne geprägt erscheint. Er sagt, daß, als Karl der Große 806 die Sachsen bezwang, er die wildesten derselben von jenseits der Elbe aus ihren Gebirgen — solche setzt er also nach Holstein hinein — mit Weib und Kind in die Verbannung geführt habe, so nach Ungarn in das Land Siebenbürgen, dann nach Wallis, nach Uri und nach andern Orten. Einige aber setzte er in ein Thal, an dessen Eingang das Dorf Arth liegt, mitten zwischen hohe Berge und Seen, so daß sie hier die Pässe bewachten, so oft Karl nach Italien zöge oder zurückkäme. Da Die Schweizer im Bild einer politischen Streitschrift.

hätten denn diese Sachsen in ihrer Sprache geschworen: „ Wir wellen hie switten ", das heißt unser Blut schwitzen für Kaiser und Reich, und so seien sie von den Römern „ Switter " und nachher von aller Welt „ Switzer " genannt worden. Dafür schenkte ihnen der Kaiser einen Schild und ein Panner von ganz rother Blutfarbe. Hemmerlin will wissen, daß auch die Sprache der Schwyzer noch lange Zeit die sächsische Eigenthümlichkeit aufgewiesen habe, und daß die Schwyzer, wie noch heute die Sachsen, ihre Eltern ehrfurchtsvoll nicht mit Du, sondern mit Ihr anredeten. Jetzt freilich seien diese Sitten durch den vielen Umgang mit den Nachbarn abgeschliffen, und ebenso habe sich der Abfall vom wahren Glauben und der gesetzlichen Herrschaft in bedauerlicherweise bei den Schwyzern vollzogen.

Eine weitere Frage des Bauern ist, wie denn diese Schwyzer zu dem Namen der Eidgenossen gekommen seien. Der Edelmann antwortet. Natürlicher Herr im Thale Arth war der Graf von Habsburg, und dieser hatte auf die Burg Lowerz als Statthalter über das ganze Thal einen Burgvogt eingesetzt. Zwei Schwyzer erschlugen den Burgvogt, weil dieser mit ihrer Schwester sich eingelassen zu haben im Verdacht stand. Als nun der Graf die beiden Brüder vorlud, verschworen sich mit diesen zwei andere verwandte Schwyzer, hernach andere zehn, danach wieder zwanzig und schließlich alle Einwohner des Thales gegen die Herrschaft. Dann wurde die Burg, deren Trümmer noch jetzt mitten in einem See zu sehen sind, zerstört, und so begann die Verbindung der Eidgenossenschaft. Diese eigenthümliche Darstellung der Befreiungssage findet sich einzig hier bei Hemmerlin; doch schließt derselbe darauf die auch sonst bekannte Geschichte an, wie die Unterwaldner ihren Herrn, genannt von Landenberg, während er am Weihnachtsfest die Frühmette besuchte, von seiner Burg Sarnen ausschlossen, diese zerstörten und sich mit den Schwyzern verbanden. Daran läßt Hemmerlin den Edelmann den Anschluß von Luzern, von Bern, von Zug, von Uri, von Glarus anfügend erwähnen. Von den Zürchern heißt es, sie hätten endlich sich auch, doch mit Vorbehalt des kaiserlichen Rechtes, angeschlossen, da sie kaiserlich waren. So hielten sie nun — damit endigt die Antwort — bis auf die neueste Zeit fest zusammen, gegen ihre natürlichen Herren trotzig, aber im Frieden mit ihren Nachbarn.

Der Bauer glaubt, daß ja allerdings vielleicht die Schwyzer gegen den Adel aufrührerisch gewesen seien, dagegen wohl gegen die Geistlichkeit keine Beleidigungen sich erlaubt hätten. Doch der Edelmann, unter Voraussendung, daß noch weitere schreckliche Dinge nachher zu berichten seien, lenkt gleich auf ein früheres Vergehen der Schwyzer gegen Kloster Einsideln ab. Er erzählt da den im Jahre 1314 vollzogenen Ueberfall und die Plünderung des Klosters, die Wegführung gefangener Mönche nach Schwyz. Hemmerlin beruft sich auf ein sehr altes Buch, das vor Alter fast vermodert war, dessen Schrift er nur mit Noth noch lesen G. Meyer v. Knonau.

konnte, aus dessen Distichen er einen Auszug zur Schilderung der Sitten der Schwyzer bringt. Das ist nichts Anderes, als die gleichzeitige Darstellung der Leiden der davongeschleppten Gefangenen durch den Meister der Schule, Rudolf von Radegg, aus welcher Hemmerlin die augenscheinlich auch ihm einleuchtende Zeichnung von Land und Leuten herausnahm, unter geflissentlicher Gegenüberstellung des schönen, fruchtbaren, von Fluß und See bewässerten, wohlabgeschlossenen Thales und der ungetreuen, unedeln Bewohnerschaft desselben.

Da wendet der Bauer ein, das seien alte Geschichten: er wolle jetzt von dem großen Kampfe hören, welcher in der Gegenwart das ganze obere Deutschland erschüttere. Der Edelmann zeigt sich hier zuerst sehr zurückhaltend; er möchte, daß ein Anderer die Antwort geben könnte, da er ja selbst zum Adel gehöre und also von Parteigesinnungen erfüllt erscheinen könnte. Dennoch will er die Wahrheit vorbringen. Er erzählt nun, wie Zürich, gegenüber den schweren Beleidigungen durch die Schwyzer und deren Genossen, durch den Bund mit dem Hause Oesterreich einen Rückhalt für sich erwählt habe, wobei es nach dem Wortlaut seines Bundesbriefes ganz im Rechte gewesen sei. So habe der Krieg, der schon seit des Grafen Friedrich von Toggenburg Tod im Gange sei, weiter gewüthet, wobei von den Schwyzern im zürcherischen Gebiete die fürchterlichsten Thaten begangen worden seien, Verwüstungen und Schändungen von Kirchen und Klöstern, ganz besonders in der Begräbnißstätte der Grafen von Toggenburg im Kloster Rüti, dann zu Greifensee, wo die Schwyzer sogar gegen den Willen ihrer Genossen unter grausamem Wortbruch die Enthauptung der Besatzung erzwungen hätten. Schon wußte man allerlei Schauerliches von der Blutstätte zu erzählen, daß in den ersten Jahren jeder Platz, auf dem ein abgehauener Kopf lag, nach der Höhe des Ranges des Getödteten von Gras in mehr oder weniger weitem Raume leer geblieben, jetzt aber von um so höherem Grase bedeckt sei; da, wo die Zürcher ein Bethaus errichteten, geschehen nunmehr Zeichen und Wunder. Dann erinnert der Edelmann noch an andere scheußliche Vorgänge, daß in der Pfarrkirche zu Rifferswil die Hostie entweiht worden sei.

Der Bauer vernahm viel von der Tapferkeit der Schwyzer in den Kriegen und möchte nun Näheres darüber erfahren. Doch der Edelmann hebt da aus der Schlacht bei St. Jakob an der Sihl hervor, was ihm als Schandthat erscheint, daß etwa 400 aus den schwyzerischen Angreifern sich mit dem rothen Kreuz der Zürcher als Abzeichen versahen und dadurch den Feind täuschten und in die Flucht rissen; daran fügt er die Erwähnung des Todes des Rudolf Stüssi und der darauffolgenden abstoßenden Ereignisse. Der Sprecher tröstet sich freilich dessen, daß Gott den Uebelthätern nach ihren Thaten vergolten habe, und dabei führt er Gott den Herrn redend ein, wie derselbe durch die Propheten verkündigt Die Schweizer im Bild einer politischen Streitschrift.

habe, daß er keinen fremden Gott in seinem Lande werde verehren lassen, wie das die Schwyzer mit ihrem Ammann Reding gethan hätten, den sie im Leben anbeteten, wie einst die Römer den Quirinus, die Athener die Minerva, die Delier den Apollo. Die Vergeltung Gottes aber sieht Hemmerlin in der Schlacht bei St. Jakob an der Birs, ganz voran in dem Schicksal der in dem Siechenhause verbrannten Eidgenossen. Sogar durch allerlei kunstreiche Berechnungen glaubt er, es sei dieses Ereigniß schon längst wunderbar voraus bezeichnet gewesen.

Der Bauer lenkt aus der Vergangenheit abermals in die Gegenwart zurück; denn er will wissen, wie dieser Krieg endlich beendigt werden könne. Dann wieder beschäftigt es ihn, ob Zürich wohl berechtigt sei, aus dem vor bald hundert Jahren geschlossenen Bunde mit den Eidgenossen völlig auszutreten. Andererseits erkundigt er sich, wie es komme, daß alle Eidgenossen der Schwyzer mit ihren Städten und Gebieten gleichfalls Schweizer heißen, während doch die Schwyzer selbst aus einem Thale herstammen, in welchem weder Städte, noch Burgen, noch Mauern sind. Auf diese verschiedenen Fragen sucht der Edelmann gleichfalls Antwort zu ertheilen. Besonders bemerkenswerth ist, wie er die Ausdehnung des Namens Schwyzer auf die schweizerischen Eidgenossen im Allgemeinen erklärt. Nach den Schwyzern haben eben die mit ihnen Verbundenen gleichfalls im Trotz der Empörung gegen ihre natürlichen Herren sich erhoben, und so hat sich der Name auf Alle der Reihe nach ausgedehnt, so daß auch schon jetzt die Basler, obschon sie nur mit den Bernern verbündet sind, Schweizer heißen, ähnlich etwa, wie für die Böhmen und die Mährer nach ihrem Lehrer Huß der Name der Hussiten aufgekommen sei. In der Frage wegen der Berechtigung Zürichs hinsichtlich der Angelegenheit des Bundes meint der Edelmann, es sei sehr schwierig zu antworten, ganz besonders, da hier die Eidgenossen, die Feinde, Kläger und Richter zugleich seien. Hemmerlin drückt da so recht seine eigenste Meinung aus. Er fürchtet, daß, wenn Zürich Unrecht bekäme, die Eidgenossen aus dieser vornehmsten und ältesten Stadt ihrer Gegend einen offenen Flecken ohne Mauern und Wälle machten. Die Schwyzer würden etwa nach ihrer groben Art sagen, diese allzu feste und den Feinden, dem Adel, immer offen stehende Stadt Zürich sei ihnen ein unerträglicher Dorn im Auge, so daß, wie Troja oder Babylon oder Carthago von deren Feinden, Zürich dasselbe Schicksal von den Schwyzern bevorstehen könnte. Jedenfalls meint Hemmerlin, daß der Papst oder eine allgemeine Kirchenversammlung die Zürcher aller ihrer Eide gegen die Eidgenossen los und ledig sprechen würden, wenn sie vor ihnen ihre Geschichte treu und einfach erzählten.

Gegen den Schluß des Capitels verliert die Erörterung, welche noch auf einzelne Gesichtspunkte aus den letzten Jahren eintritt, an Bedeutung. Ganz besonders wirft da Hemmerlin noch einen mißbilligenden Blick auf die oberdeutschen Reichsstädte, welche durchaus nicht für das kaiserliche G. Meyer v. Knonau.

Zürich, als für die hartbedrängte Schwester, genügend eingetreten seien. Uebrigens verschafft er sich da, wie schon früher angedeutet, immer bestimmtere Genugthuung durch das Mittel, daß er dem Bauern Wendungen in den Mund legt, welche dessen Rückzug und die Zustimmung zu den Auffassungen des Gegners in sich schließen.

Der gelehrte Zürcher Chorherr hat für die Auslassungen in diesem größten seiner Werke schwer zu büßen gehabt. War auch seiner politischen Ueberzeugung nach der Standpunkt, zu dem er sich in dem Dialogus bekannte, begreiflich, so hatte er doch hier in einer Weise seiner Leidenschaft freien Lauf gelassen, welche weit über das Ziel hinausgriff. Dazu gab ihm alsbald hernach die thatsächliche Entwicklung der Dinge völlig Unrecht. Zürich war nun durch den Friedensschluß in seine Verbindung mit der Eidgenossenschaft zurückgekehrt, die österreichische Partei in der Stadt gänzlich unterlegen. So wurde es möglich, daß in frechem, empörendem Friedensbruche in der Fastnachtszeit 1454, als zu Zürich die Versöhnung zwischen den Zürchern und den herbeigekommenen Eidgenossen gefeiert wurde, ein Auflauf der Menge gegen das von Hemmerlin bewohnte Chorherrenhaus zum Grünen Schloß stattfand und daß man ihn aus demselben gefangen nach Constanz hinwegführte; denn auch den Bischof von Constanz hatte er in seiner maßlosen Weise in den letzten Jahren sich zum Feinde gemacht. Da wurde der greise Mann zuerst in harter Gefangenschaft gehalten, dann vor Gericht gestellt und nach seiner Verurtheilung zu lebenslänglicher Buße und Einschließung nach Luzern, also mitten unter seine ärgsten Feinde, geschickt. Im Franciscanerkloster dieser Stadt, wo er nun in milderer Haft lebte und auch wieder schriftstellerisch sich bethätigen konnte, erlöschen die letzten Nachrichten über sein Leben. Nicht einmal sein Todesjahr, das aber jedenfalls vor 1464 fällt, vielleicht schon vor 1461, ist bekannt. Nur ist es — entgegen anderen Nachrichten — eher wahrscheinlich, daß Hemmerlin sogar die Freiheit wieder erhielt und so vielleicht einen freundlicheren Lebensabend hatte, als das lange Zeit angenommen worden ist.

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