Die Tessiner Alpen
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Die Tessiner Alpen

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Von Prof. L. Rütimeyer.

Allgemeiner Bau.

Die hohe Vervollkommnung der Karten der Schweiz gestattet Demjenigen, der sich von der Gestaltung der Oberfläche unseres Vaterlandes Rechenschaft zu geben wünscht, auch ohne besondere geographische oder geologische Vorkenntnisse aus den Bildern, die sie vor Äugen legen, eine Menge Züge herauszulesen, welche aufzufassen früher ein nur Wenigen zugängliches Maass von Kenntnissen und von Abstraktionskraft erfordert hätte. Nicht nur drängen sich die grossen Gruppen von Boden, auf deren verschiedener Geschichte und Gestaltung der Gesammtcharakter unseres Landes in erster Linie beruht, mit Deutlichkeit vor Augen, sondern überdiess tritt eine Menge von besonderen Eigenthümlichkeiten der Oberfläche zu Tage, an deren Bedeutsamkeit und innigem Zusammenhang mit der Entstehung des Ganzen man nicht zweifeln kann, wenn auch vielleicht selbst das speciellste Studium den Schlüssel dazu noch nicht zu liefern im Stande sein mag.

Zu den Zügen ersterer Art gehört nicht nur die Unterscheidung in Jura, Tiefland und Alpenland, welcher bekanntlich geologische Thatsachen der wichtigsten Art zu Grunde liegen, sondern auch die Verschiedenheit von Land, das aus geschichtetem Gestein aufgebaut ist, und solchem aus ungeschichtetem Gestein, ja sogar der Unterschied von Gebieten, wo die Gesteinsschichten die ursprüngliche horizontale Lagerung beibehalten haben, und von solchen, wo Bewegung des Bodens und Neigung der Schichten stattgefunden hat. Alles das verräth sich in der Gesammt-Physiognomie der Oberfläche, von welcher gute Karten einen vollständigeren und richtigeren Ueberblick geben, als ihn das einzelne Auge der grossen Natur gegenüber zu erfassen vermag.

Unter dem Reichthum von Detailzügen, welche noch innerhalb der angedeuteten durch verschiedene Physiognomie bezeichneten Gruppen von Land zu Tage treten, mag hier nur hervorgehoben werden das auf den ersten Blick so überaus mannigfaltige, bei näherer Betrachtung aber nicht im Mindesten regellose Gepräge^ das einzelnen Gebieten im Besonderen zukommt. Es-sind dies theils Züge, welche das Auge an der Natur vielleicht rascher auffasst als an der Karte, deren gesetzmässige Verbreitung aber erst die Karte überblicken lässt; theils solche, welche sich ohne Hülfe der Karte nur einem in Abstraktion wohl geübten oder durch besonderes Studium der Gebirgsstruktur geleiteten Blick enthüllen.

Erwähnen wir als Beispiel im Juragebiet die so typischen Formen, welche dort unter dem Namen von Combe, Creux, Crête, Cluse, Ruz u. s. f. unterschieden werden und für welche sich, wie das Dasein solcher einheimischen Bezeichnungen lehrt, der Einwohner theilweise von sich aus ein Verständniss erworben hat, bestimmte Begriffe, welche an Schärfe weit über diejenigen von Mont und Val hinausgehen.

In der Niederung zwischen Jura und Alpen kann hingewiesen werden auf das verschiedene Gepräge, das Gebieten zukömmt, welche die Spuren der grossen Epoche einstiger Eisbedeckung an sich tragen, sei es in Abtragung und Abstumpfung von Bergen und Hügeln, sei es in Aufwerfen von Schuttmassen, Terrassen, Moränen und dergleichen in den Thälern, und solchen Gebieten, welche von derartigen Ereignissen nicht berührt wurden und dafür nur den Stempel von Verwitterung an der freien Luft an sich tragen. Unsere Karten sind in dieser Beziehung für das Auge oft ein richtigerer Wegweiser als die Natur selbst.

In den Alpen häufen sich in Folge ihrer älteren Geschichte solche specielle Züge dergestalt, dass es für den mit ihrem Anblick nicht Vertrauten schwer ist, sich zurecht zu finden. Selbst die hier zahlreichen einheimischen Namen für besondere Berg- und Thalformen sind daher weniger bestimmt als im Jura und beruhen grösseren Theils auf oberflächlichen und oft trivialen Vergleichungen. Dennoch entdeckt ein einigermassen auf Vergleichung und Unterscheidung gerichteter Blick auch hier an Vorragungen und Vertiefungen, Berg und Thal eine Menge von Merkmalen, die nicht ohne wesentliche Bedeutung sind. Wie überraschend wiederholen sich nicht hie und da immer die gleichen Gestalten der Berggipfel auf stundenweite Erstreckung.

Wie oft drängt sich unwillkürlich bei der Yergleichung von Thälern der Gedanke auf, dass die einen durch blösse Ausräumung, die andern aktiv, durch Bewegung des Bodens zu Stande gekommen sind. Hierüber vermögen freilich Karten nicht Aufschluss zu geben. Wohl aber enthüllen sie eine Menge von Thatsache n weit komplizirterer Art, zu deren Auffassung dem Auge der Natur gegenüber die Fassungskraft abgeht. Unter diesen sind wohl die auffälligsten die grossen Ablösungen — mit einem vielgebrauchten obwohl sehr unrichtigen Wort, da dasselbe auf eine einmalige Ursache hindeutet, die grossen Meisselspuren, welche die Art und Geschichte der Entstehung der gegenwärtigen Bauart des Landes verrathen.

Wem kann beim Anblick der Dufour'schen Karte selbst in der kleinsten Reduktion die mächtige Schuppe von Gebirg entgehen, welche von Norden her in der ganzen Erstreckung zwischen Genfer- und Bodensee sich gegen Süden hin auflehnt und plötzlich in der 40 Stunden langen Fglsenmauer von Martigny bis Chur abbricht, und die nördliche Wand des Rhone- und Rheinthales bildet? Bei genauerem Zusehen ist sie aber nur das auffälligste und grossartigste Beispiel für eine Menge ähnlicher Bildungen von kleinerem Maasstab. Der Sentisstock zwischen Bodensee und Wallensee hat eine ähnliche allgemeine Beschaffenheit. Unmittelbar an ihn fügt sich die Gebirgsgruppe zwischen dem oberen Zürchersee und dem See von Uri oder zwischen den Thälern der Linth und der Reuss. Wie der Sentis-* stock.von Norden her allmälig unter dem überliegenden Nagelfluhgebirge auftaucht, um gegen Süden hin in schroffen Felswänden plötzlich abzubrechen, so bilden für den von Linth und Eeuss eingeschlossenen Gebirgsstock die mächtigen " Felswände, welche von Stachelberg bis Altorf den Urnerboden und das Schächenthal einrahmen, eine Wiederholung der Gebirgsmauer von den Diablerets bis zum Galanda — der Klausenpass als ein in die Mitte des Hauptthales eingeschobenes Joch eine Parallele zu dem Joch von Furka und Oberalp, das in die Mitte der Thalrinnen von Rhone und Rhein eingeschaltet ist.

Vom Reussthal westlich erscheint diese Auflösung des Gesammtgebirges, in grosse, von Thälern eingerahmte Gruppen von der angedeuteten Struktur weniger deutlich, aber sie hört keineswegs auf. Das Gebirg zwischen Luzerner- und Thunersee, sei es, dass man nur dessen nördlichen, durch das Thal von Unterwaiden abgeschnürten Theil in 's Auge fasst, sei es, dass man auch seinen acht alpinen Theil zwischen Oberhasli und Uri mit hinzunimmt, bildet eine fernere Parallele zu den vorher angedeuteten Gebirgsgruppen, und wenn es gestattet wäre in grössere Details einzugehen, so könnte man die Auflösung des Gesammtgebirges zwischen Bodensee und dem Genfersee in kleinere Partien von ähnlichem Bau bis an seine Westgrenze verfolgen. Ja man würde sehen, das sich diese Bauart auch noch über die hier in Rede stehenden Grenzen ausdehnt.

Ohne in eine Erklärung dieser Verhältnisse einzugehen, was geologische Vorkenntnisse erfordern würde, wird der Leser wohl von selbst das Gemeinsame und S32Bütimeyer.

also wohl das Typische an dieser Bauart herausfinden. Es sind Gebirgsschuppen, keineswegs einfacher Art, sondern selbst wieder in Thäler und Ketten von der Richtung des Alpenzugs aufgehoben, welche von Norden her aus dem Hügelland auftauchend sich nach Süden auflehnen, um dann plötzlich in grossen Bruchrändern auf das südlich vorliegende und insofern unter diesen Schuppen aufsteigende Gebirg abzufallen. Während diese Gebirgsgruppen sich nach Norden in das Hügelland verlieren, ist ihre Südgrenze im Allgemeinen durch tiefe Längsthäler bezeichnet; die östliche und westliche Grenze vorwiegend durch Querthäler, überhaupt durch tiefe Thäler, ja in den meisten Fällen durch Seebecken. In allgemein verständlicher Weise ausgedrückt, liegt hierin vor allem der Beleg, dass der Bau des Gebirges, sei es im Ganzen, sei es in seinen einzelnen Theilen, des innigsten mit der Anwesenheit und der Vertheilung zum Mindesten der grössern Thäler, ja sogar mit der Vertheilung der grossen Seebecken in gesetzmässigem Zusammenhang steht.

Diese ganze Struktur scheint indessen, wie die Karte lehrt, südlich vom Rhone- und Rheinthal aufzuhören; ja man sieht, dass auch der Gebirgsstock, der die Gipfelregion der Berner Alpen bildet, die Gletscherregion des Finsteraarhorngebietes, der Dammagruppe bis zum Tödi sich diesem Plan nicht fügt, sondern andere allgemeine Bauart und daher andere Gestaltung der Oberfläche zeigt. Obschon die Gipfellinien im Allgemeinen immer noch dem Alpenzuge d.h. der Richtung von S. W. nach N. O. folgen, so sind sie doch viel zerrissener als in den bisher besprochenen Gebieten;

von der geschilderten Scliuppenbildung mit einseitigem Gefäll und durch Querfurchen bis in grosse Tiefen von einander abgetrennt, keine Spur. Vielmehr ein Gewirr von Bergketten, welche vorwiegend die Alpenrichtung kreuzen, und die Gipfelpunkte so ver theilt, dass der Längskamm, von S.W. nach N. O., auf lange Strecken nicht zur Geltung kommt, sondern durch die langen Gebirgszüge, welche von IST. nach S. verlaufen, und oft erst fern von der sie verbindenden und fast nur idealen Hauptachse in die höchsten Gipfel aufsteigen, maskirt wird. Die Struktur des Rheinwaldgebirges, von welchem in dem Itinerarium für 1872 die Rede war, die ihm sehr ähnliche des Monte Rosagebirges, das eher aus einer grossen Anzahl von Kämmen zu bestehen scheint, die in der Richtung von N. nach S. zwischen den Thälern von Wallis und Aosta verlaufen, als aus Längsketten, bilden vortreffliche und leichtverständliche Beispiele hiefür. Aber auch das Montblancgebirge und die Finstaarhorngruppe folgen diesem Plan, wenn schon bei ihnen die Nord-Süd-Ketten weniger vorherrschen, so dass der Längskamm doch eine Art dominirender Gipfellinie bildet, während der im Monte Rosa- und Adulagebiet nur den Faden oder die Achse darstellt, längs welcher die von N. nach S. gestreckten Kämme und Thäler aneinander gereiht sind. Man könnte also sagen, dass in den früher erwähnten Gebirgen die Richtung der Alpen eine Hauptrolle spielt, und Abweichung davon nur in untergeordnetem Maass vorkommt, während in den letzt-gedachten andere und zumal meridiaue Linien wenigstens für das Relief die Oberhand gewinnen.

Die geologische Untersuchung hat längst gezeigt, dass diese verschiedene Gebirgsstruktur mit der Art und somit mit der Geschichte des Gesteins im engsten Zusammenhang steht. Alles Gebirge der ersten Art besteht aus deutlich geschichtetem Gestein, in welchem die Entstehung durch Niederschlag im Wasser noch unverwischt abgeprägt ist, sei es in der regelmässigen Ablagerung in Bänken, sei es in den darin enthaltenen Versteinerungen. An dem Gebirge der zweiten Art ist von ähnlicher Schichtung nicht mehr oder nur selten die Rede. Es " sind Gebirge theils aus schiefrigem, theils aus krystallinischem Gestein, in welchem Versteinerungen entweder selten und schlecht erhalten oder gar nicht anzutreffen sind. Man darf daraus, sowie aus dem gedachten Umstand, dass sie unter jenen hervortauchen, wohl schliessen, dass es ältere Gebirge sind als die ersteren, d.h. solche, an welchen Gefüge und chemische Zusammensetzung im Verlauf der Erdgeschichte in höherem Maasse verändert worden sind als an jenen, die noch den Stempel ihrer Entstehungsart an sich tragen. Bekanntlich schreibt man ihnen zum Theil selbst eine ganz andere Entstehungsweise, d.h. feurigen statt wässrigen Ursprung zu. Unter beiden Voraussetzungen, sei es dass es sich nur um älteres Gebirge, sei es, dass es sich um solches handeln sollte, das nicht oberflächlich durch Wasser abgelagert, sondern aus dem Erdinnern vorgetreten wäre, sollte man — da also das geschichtete Gebirge auf dem schiefrigen oder ungeschichteten aufliegt — erwarten, dass auf der Südseite des letzteren sich ein ähnlicher Mantel geschichteten Gesteins und vielleicht in ähnliche Tafeln oder Schuppen zerklüftet anlegen sollte wie auf der Nordseite.

Dies ist denn auch wirklich der Fall, aber bei weitem nicht in so regelmässiger Weise wie an letzterer. Man darf dies vielleicht mit dem Umstand in Zusammenhang bringen, dass die Alpenkette so nahe am Südrand von Europa, d.h. so nahe am mittelländischen Meere verläuft. Andrerseits mag vielleicht der merkwürdige Circus, den die westliche Hälfte der Alpen um das Tiefland von Piémont herum beschreibt, hiemit in Verbindung stehen. Die krystallinischen Gesteine der Alpen tauchen nämlich auf der Seite von Piémont zwar nicht direkt in 's Meer, aber doch unter Gestein meerischen und zwar so jungen Ursprungs, wie wir drüben an der Nordseite keine kennen, und wenn wir also am Südabhang nach Parallelen für die aufgelagerten und geschichteten Gesteine der Nordseite fragen wollen, so müssen wir sie entweder unter den jungen Gebilden der piemontesischen Ebene oder gar erst jenseits derselben im Apennin suchen. Erst am unteren Ende des Lago Maggiore und von da nach Osten hin in immer breiterer Ausdehnung lagern unmittelbar an und auf dem Schiefer- und krystallinischen Gebirge geschichtete Gesteine, die dann allerdings eine Gleichstellung mit den von Norden her aufgelagerten gestatten und also im Allgemeinen als Fortsetzung derselben jenseits des centralen und älteren Zwischen-gebirgs, das so den ihm aufgelagerten Mantel durchbrochen hätte, gelten können.

Nach diesem Bilde, das eine gewisse Symmetrie beiderseits des Hauptzugs mindestens in den linear ange- ordneten Theilen, der Alpen voraussetzt, sollte denn auch diese südliche Auflagerung in ähnliche Schuppen oder Tafeln wie auf der Nordseite aufgeworfen sein, die dann aber von Süd nach Nord ansteigen würden.

Zu untersuchen, ob dies der Fall sei, liegt unserer Aufgabe hier vollkommen fern. Nur eine Bemerkung ist am Platz, da sie uns sofort auf eines der auffälligsten und somit wohl auf ein nicht bedeutungsloses Merkmal des hier zu besprechenden Gebietes aufmerksam macht. Vermag uns dies Merkmal zwar noch nicht mit dem Gebiet vertraut zu machen, so zeigt es doch, dass demselben als Gesammtheit, d.h. als Gruppe des Alpengebirges, ein ähnliches Interesse und in gewisser Rücksicht so viel Individualität zukömmt, als der Gotthard- oder der Rheinwaldgruppe, welche den Gegenstand unserer zwei letzten derartigen Schilderungen gebildet haben.

Beräth man nur die topographische Karte, so können wir nämlich jetzt dem Eindruck nicht entgehen, dass innerhalb des Gebietes der Schweiz und auf der Südseite des Hauptalpenzugs die Tessiner Alpen mehr als irgend ein anderes Gebiet eine Wiederholung jener Oberflächegestaltung auf dem nördlichen Alpenabhang zu bilden scheinen. Der Tessin und die Tosa lösen ja alles was sie umfassen in ähnlicher Weise von der beidseitigen Umgebung ab, wie etwa Linth und Reuss oder Reuss und Aar. Die Thäler von Livinen und Formazza, von welchen jedes in seinem untern Theil unter einen Ast des Lago Maggiore taucht, reichen sich über den zwischen sie eingeschobenen Pass von Valdösch oder S. Giacomo die Hand, wie etwa die aus dem Urner- und Zürichsee auftauchenden Thalrinnen von Urnerboden und Schächenthal über den Klausen, oder Maderanerthal und Sandalp über dem Hüfijoch, oder wie die Thäler von Gadmen und Meyen, vielleicht richtiger Gadmen und Erstfeld, auch aus Seebecken von Brienz und Uri, aufsteigend, über dem Joch des Susten oder des Wendengletschers.

Ein Kranz von mächtigen Gebirgsmauern, welche den Westabhang von Livinen und den Ostabhang des Formazzathales bilden, umgiebt das ganze Tessinergebirge wie eine Festung, die nur nach Süd offene Thore hat, wie dies drüben in umgekehrter Richtung der Fall ist. So gerechtfertigt auch eine solche Anschauung in geographischer Beziehung erscheinen kann, so wenig ist sie es indessen in geologischer. Hierauf weist zwar schon die topographische Gestaltung dessen was innerhalb dieser Bergmauer liegt. Man sieht, dass hier nicht von regelmässigen Ketten die Rede ist, welche entweder concentrisch mit dem Ringwall oder in der Richtung des Alpenzuges verlaufen, wie etwa im " Sentisstock oder in den Gebirgen von Glarus und Schwyz. Die Bauart des Gebietes innerhalb des Grenzwalls entspricht eher derjenigen der benachbarten Rbeinwald- und Monte Rosa-Gruppe, Eine Neigung zur Bildung von Ketten in der Richtung des Meridians ist unverkennbar, und wenn auch gegen Süden hin im Bereich der Thäler von Onsernone und Centovalli Ketten von ost-westlicher Richtung auftreten, so entbehren sie aller Regelmässigkeit und können ebenso gut als Seitensporne von Meridiankämmen gelten.

Einen viel stärkeren Einwand gegen jene An-

22 schauung bildet aber die Art des Gesteins.

Im ganzen Gebiet der Tessiner Alpen herrscht fast ausschliesslich Gneiss, d.h. krystallinisches Gestein von schiefriger Struktur, und zwar in so ungewöhnlich regelmässiger Weise, dass darauf bekanntlich eine anderwärts kaum gestattete Verwendung dieses Gesteins beruht. Wer war nicht überrascht, als er zum ersten Mal diese Thäler besuchte, hier Gneiss fast wie Holz verwendet zu finden, indem Dachlatten, Gartenstöcke und vor allem die Pfeiler, auf welchen die so überaus malerischen Weinlauben ruhen, fast durchweg aus Gneiss* platten, oft von ausgezeichnet regelmässiger Spaltbarkeit bestehen. In den Thälern des Tessin, der Maggia, der Toccia bildet diese Bearbeitung des Gneisses einen erheblichen Erwerbszweig. Man würde indess sehr irren, wenn man hieraus auf eine Schichtung in dem erwarteten Sinne des Worts schliessen wollte; vielmehr stehen diese Gneisstafeln in einem guten Theil des Gebietes vertikal oder mindestens steil geneigt; wobei die Spalten im Allgemeinen eine Richtung von Ost nach West einhalten, also eine Struktur, die weit eher an diejenige des Gotthardgebietes erinnert, die in einem früheren Itinerarium geschildert wurde, als an diejenige der Kalkgebirge der Nordschweiz. Dabei kommt es indessen nach den Beobachtungen des Hrn. Prof. B. Studer kaum zur eigentlichen Fächerstellung wie sie im Gotthardgebiet so ausgezeichnet entwickelt ist. Vielmehr zeigt sich ein überraschendes Gesetz, dessen Bedeutung durch fernere Beobachtung sicher immer mehr an den Tag treten wird. Die vertikale Stellung der Tafeln ist hauptsächlich an den untern Thalausgängen zu finden und zwar auf einer ansehnlichen Erstreckung, vom Simplon bis nach Livinen;

nach Norden hin, oder in den oberen Theilen der Thäler geht diese Stellung der Tafeln in eine horizontale Lagerung derselben über, so regelmässig, dass die Linie, wo die Lageveränderung der Tafeln ge- schieht, auf der geologischen Karte eingetragen werden konnte. Sie verläuft von Crodo in Formazza nach Val Onsernone und von da quer durch die Tessiner-Thäler gegen Biasca in Livinen. An anderen Stellen wird die Lagerung wieder anders, dergestalt dass die Spaltflächen des Gesteins in der Richtung von Nord nach Süd verlaufen.

In einem guten Theil des Gebirges nimmt die Schieferung des Gesteins in Folge der Zunahme der Glimmerblättchen und Abnahme der Feldspathkörner des Gneiss so sehr zu, dass es zum Glimmerschiefer kommt, und Herr Prof. Studer macht dabei auf ein merkwürdiges und sicherlich kein zufälliges Verhältniss zwischen Glimmerschiefer und Gneiss aufmerksam. Der Gneiss ist vorherrschend in den Thälern, der Glimmerschiefer bildet die oberen Kämme und die Gipfel. An manchen Stellen enthält dann dieser Schiefer noch fernere und seltenere Mineralien von oft so ausgezeichneter Krystallisation, dass sie in den Mineraliensammlungen eine wohlverdiente Berühmtheit erlangt haben, wie die bekannten Granate, Turmaline, Cyanite, Staurolithe von Campolongo.

Diese Verhältnisse werden noch dadurch verwickelter, dass man sich hüten muss, die Spaltrichtungen des Gesteins der Schichtung von Kalk- oder Sand-steingebirgen etwa gleichzustellen.

Die Lage der im Gestein liegenden Glimmerblättchen deutet vielmehr noch auf eine andere, intimere Struktur, die oft, ja in der Regel von der grobe Spaltung in Tafeln sehr verschieden ist, ja sich mit derselben unter rechtem Winkel kreuzen kann.

So wenig nun Glimmerblättchen mit Versteinerungen verglichen werden und von vornherein auf die Richtung der ursprünglichen Lagerung des Gesteins hindeuten können, so geht aus dem Gesagten hervor, dass, abgesehen von der sehr komplicirten Gestaltung dieser Verhältnisse, in den Tessiner Alpen allerdings eine Vergleichung ihres Gefüges mit demjenigen von nachweisbar geschichteten Gesteinen wie in den Kalkalpen, zu grossen Fehlern führen könnte.

Andererseits darf nicht übersehen werden, dass auch in den Tessiner Alpen Kalkgesteine, obwohl meist undeutlich oder gar nicht geschichtet, nicht ganz fehlen; zwar nur in kleinen Inseln eingetragen in den Gneissdoch darf dies immerhin zu der Frage auffordern, ob nicht die jetzige mineralogische Beschaffenheit und das jetzige Gefüge dieser ganzen Gruppe nur Ergebniss nachträglicher Ereignisse sein könne, und ob nicht diese Eintragungen von Kalkgestein und die erwähnte Beschaffenheit des Reliefs im grossen Ganzen

J ) Wohl häufiger als die geologische Karte dies angiebt. In Val Efra über Frasco ( Verzasca ) stehen nach Hrn. Gösset zwei Kalkofen mitten in dem Gebiet, auf welchem die Karte nur Gneiss verzeichnet.

theilweise als Ueberreste einer älteren Geschichte und einer älteren Strukturart des Gebirges betrachtet werden dürften.

Diese Bemerkungen mögen genügen, um anzudeuten, dass gerade das Studium der in Rede stehenden Gebirge in Bezug auf Struktur sowohl im Grossen als im Kleinen eine ganze Menge von ebenso verwickelten als spannenden Fragen birgt, die mit der Geschichte des Aufbaues der Alpen im engsten Zusammenhange stehen. Auch die Untersuchung, was an dem jetzigen Relief Wirkung blosser Verwitterung und Auswaschung durch Regen und Flüsse sein möge, gewinnt also hier ein bedeutendes Interesse. Kein Zweifel, dass an einem so gewaltigen Gebirge, welches grösstentheils, wenn auch aus sehr widerstandsfähigen, so doch aus schiefrigen und steilgestellten, also leicht zerklüftenden Gesteinen besteht und einer Zone sehr starker atmosphärischer Niederschläge im Gebiete der Schweiz ange- gehört l ), die Erosion von gewaltiger Wirkung sein musste. An besonderen Belegen hiefür fehlt es keineswegs und es scheint, dass die Physionomie ganzer Thäler gutentheils diesen Verhältnissen zuzuschreiben

. ' ) Die mittlere jährliche Niederschlagshöhe beträgt für die Tessiner Alpen etwa 160 Centimeter, für Bellinzona 180 Centimeter, Beträge die in der Schweiz nur übertroffen werden durch die bis über 200, ja auf 250 Centimeter steigenden Ziffern für den Bernhardin und Grimsel. In dem Itinerarium für 1872 wurde schon erinnert, in wie grellem Kontrast zu diesen dem Südwind offenen Gebieten dann die hinter mächtigen Gebirgsmauern liegenden und regenarmen Gebiete des Wallis und Engadin stehen.

ist. Ein vortrefflicher Beobachter von Gebirgsrelief, Herr Ingenieur Gösset, weist in dieser Beziehung besonders auf den untern Theil von Yal Maggia. Der Hauptkamm des Gebirges zwischen Val Maggia und Verzasea besteht aus Gneiss, die von demselben fast rechtwinklig nach Ost ausgehenden Seitensporne, wie Monte Castello, Piz Coccho, Pizzo Verde, Cima di Corda etc. aus krystalliniselien oft eisenhaltigen Schiefern. Die äussere Gestaltung dieser Spornen, sowie der von ihnen eingeschlossenen Schluchten weist wesentlich auf Erosionsarbeit und man fragt sich, ob nicht das ganze Thal, das Hauptthal der Maggia selbst nur durch Wegräumung solcher schiefrigen Gesteine entstanden sei, während der festere Kern des Gebirges als Skelet zurückblieb. Sogar das grösste Thal des Tessin, die Leventina, zeigt Partien, wo nicht nur die gegenwärtige Gestaltung, sondern vielleicht ein weit grösserer Betrag von Thalbildung vorwiegend auf Eechnung der Erosion zu fallen scheint.

Immerhin geht schon aus den obigen Mittheilungen hervor, dass in einem Gebirge, wo schon die Entscheidung, was an der Struktur des Gesteins Schichtung, was Zerklüftung sei, auf welche Ursachen die letztere zurückzuführen sei, so schwierig ist, wo Fragen offen bleiben, welche bei Beurtheilung der Gebirgen in erster Linie stehen, welcher Art das mechanische Gefügewo alle Wahrscheinlichkeit vorliegt, dass das Gestein in Bezug auf chemische Zusammensetzung und Struktur im Kleinen und im Grossen ausgedehnte Umwandlungen durchgemacht habe, aus alle dem geht offenbar hervor, dass hier die Unter- Scheidung, was an dem jetzigen Relief von der Lagerung des Gesteins und was von blosser Verwitterung abhängen möge, doppelte Behutsamkeit erfordert.

Fragen scheinbar einfachster Art, was an den Thälern von Tessin Längsthal, was Querthal sei, stossen daher auf grosse Schwierigkeiten. Selbst Herr Prof. B. Studer, zwar der einzige Geologe, der dies Gebirge bisher einlässlich durchforscht hat, aber auch wohl der Einzige, der solches Gebiet zu bewältigen hoffen konnte, fasst die Ergebnisse seiner Untersuchung in sehr vorsichtige Worte: v ) « Es lässt sich wohl annehmen, das die Aufrichtung der Schichten im Sinne des Meridianes die Entstehung der zahlreichen meridianen Ketten und Thäler dieser Gegenden wenn nicht hervorgerufen, doch begünstigt habe. Bei näherer Prüfung zeigt sich jedoch, wie fast überall in den Alpen, die Gestalt des Bodens in nur schwachem und leicht in Frage zu stellenden Zusammenhang mit der Stratifikation und die vielen parallelen Thäler von Val Maggia bis Val Giacomo sind eben so wenig reine der Schichtung parallele Längsthäler als etwa Wallis oder Vorder-Rhein, deren Lauf sich ebenfalls dem Streichen der sie begrenzenden Gebirge annähert. Auch sehen wir sogleich westlich eine grosse Zahl von ausgezeichneten meridianen Thälern wie Val Antigorio und die Thäler südlich und nördlich von dem Gebirgskamm des Mont Cervin, deren Richtung zu der Stratifikation des Gebirges nicht in der entferntesten Beziehung steht. »

. ' ) Geologie der Schweiz II, pag. 234.

Solchem Urtheil gegenüber gewinnt eine fernere Anschauung des hier in Rede stehenden Gebietes — und wie man sieht von nicht weniger hohem Standpunkt aus, eine doppelte Bedeutung und dürfte wohl in Verbindung mit dem vorigen künftigen Forschern am ehesten als " Wegweiser dienen. In orographischer Beziehung fügt nämlich Herr Prof. Studer zu dem für das Auge an der Hand der Karte so befriedigend begrenzten Gebirge zwischen Tosa und Tessin noch ein äusseres Gebiet von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Zu den Tessiner Alpen wird unter dem Titel Gotthardgruppe noch ein Ringwall von mächtigen Gebirgen hinzugefügt, der von Nord her, vom Simplon bis zum Lukmanier, die erstem einrahmt: :) « Die zum Theil vergletscherten Gebirge des Albrun und GrieS, des Gotthard und der Kette zwischen Val Blegno und Livinerthal bilden eine äussere halbkreisförmige Umwallung. Zwischen diesem äussern Wall und einer innern Kernmasse liegt das mittlere Tosathal, Pommat? Val Bedretto und Val Leventina. Ein innerer Wall, der vom Ausgang von Val Vigezzo. bei Domo d' Ossola, anhebt, im Piz Basodan seine grösste Höhe erreicht, südlich von Airolo sich wieder umbiegt, über Campolungo südlich fortsetzt und in mehrern Verzweigungen an die Fläche oberhalb dem Langensee stösst, umgiebt die Thäler Val Bavona, Campo la Torba, Lavizzara, Maggia, und auch die innerste Kernmasse erscheint mit Neigung zu einem Ringgebirge, das sich um Val

. ' ) Orographie der Schweizer Alpen Jahrb. des S.A.C. 1869, pag. 486.

Peccia umbiegt. Als südliche Fortsetzung des Gebirgs westlich von Val Peccia ist vielleicht die Kette zu betrachten, die Val Verzasca und Maggia trennt. »

Landschaftlicher Charakter.

Die Grenzen des Excursionsgebietes für 1873 halten sich bekanntlich an den Umfang der als Wegweiser mitgetheilten Karten und schneiden aus dem in dem vorigen Ueberblick besprochenen Raum ein Quadrat heraus, das im Allgemeinen die obern Theile der Thäler von Formazza, Maggia und Verzasca umfasst. Da schon die zwei vorhergegangenen Itinerarien denselben Zweck verfolgten, wie das diesjährige, und sich nicht an den Umfang der Karten hielten, so ist auch ein Theil des Bezirks für 1873 schon besprochen worden.

Verschieden von den Excursionsgebieten der zwei letzten Jahre lässt sich das diesjährige — wie schon aus der Darstellung der allgemeinen Struktur des Gebirges hervorging — schwer nach Gebirgsgruppen eintheilen. Das ganze Gebiet bildet ein Netz von Gebirgsketten und Thälern, in welchen ausser der schon angedeuteten allgemeinen Anordnung in concentrische Ringe wenig leitende Linien oder herrschende Punkte vortreten. Ein nicht unwichtiger Ausdruck hievon liegt darin, dass wenigstens in den speciellen Grenzen des Excursionsgebietes die Gipfelpunkte und Kammhöhen des Gebirges eine überaus merkwürdige Gleichförmigkeit des Niveau einhalten. Wer sich die Mühe nimmt,

die Karte in dieser Beziehung durchzugehen, wird mit Recht überrascht sein, zu finden, dass von den innerhalb dieses Raumes gemessenen Gipfelpunkten — mehr als hundert — kaum ein einziger, wenn man, wie billig, von blossen Seitensprossen absieht, unter 2000 m fällt und nur wenige über 3000 m Höhe ansteigen. In der Schweiz ist es nicht möglich — in den Alpen wird es schwer sein — ein zweites Gebiet -von solcher Ausdehnung ausfindig zu machen, wo zerrissenes und tief durchfurchtes Hochgebirge eine so auffällige Gleichheit des Niveau und zwar nicht nur für die Gipfel, sondern auch für die Kämme und für die Pässe einhält, während doch die Thäler ein bedeutendes Gefälle besitzen. Val Maggia, das centralste derselben, fällt innerhalb unserer Excursionskarte nur in seinem ächten Thaltheil, z.B. von Peccia oder Val Bavona bis Maggia um 500 m, in seiner ganzen Länge, etwa von Val di Sambucco bis zum Langensee, um 1500 m; das Livinerthal von Airolo bis zum See um ungefähr 1000 m, und Gipfel von wenig geringerer Höhe als Poncione di Vespero, das Erste, was von Tessinerbergen erblickt, wer über den Gotthard reist, drängen sich bis in die Nähe von Bellinzona und Locarno. Von Culminations- oder Centralpunkten kann daher in einem solchen Gebirg nicht die Rede sein, und die höchsten Stellen des Gebietes, der Basodano1 ) 3276 m, Campo Tencia 3078 m, erscheinen eher als eingestreute härtere Knoten im Gebirg, denn als Sammel- und

x ) Wird Basodano ausgesprochen. Fragt man nach dem Basodin, so weiss in der Gegend Niemand, was man sucht.

Gipfelpunkte desselben. Beide gehören auch der so scharf bezeichneten äussern Ringmauer desselben an; am Campo Tencia bricht sich zwar gewissermassen Val Verzasca, aber er beherrscht das Thalgebiet nicht; ja fehlte ihm seine von Weitem auffallende dreigipflige l ) Eiskrone, so würde er in die Gleichförmigkeit seiner Nachbarn zurücksinken, welche sich alle höchstens durch die besondere Form ihres Gipfels eine besondere Aufmerksamkeit erzwingen können. Ja sogar der in ausgedehnten Firnmantel gekleidete, fernhinleuchtende Basodano kann bei näherem Zusehen noch weniger auf den Namen eines Gipfelpunktes im eigentlichen Sinn dieses Wortes Anspruch machen, als der vorige. Er bildet nur die höchste Zinne des Ringwalls, der hier, d.h. an der Stelle, wo das mächtige Hufeisen der Tessiner Alpen sich am engsten an den noch höhern, äussern Gebirgswall anschliesst, auf beträchtliche Strecke sich um 2 — 300 m über die mittlere Gipfelhöhe des Gebirgs erhebt, als ob er den Bastionen drüben auf der andern Seite des Festungsgrabens, den Firngebieten von Albrun und Gries und des Pizzo Rotondo ebenbürtig erscheinen wollte.

Bei so auffälliger Gleichförmigkeit der Vorragungen nach Bestandtheil, Höhe und Zuschnitt können auch die Thäler nicht grosse Mannigfaltigkeit in Bezug auf allgemeine Gestaltung darbieten. In der That, Contraste, wie sie oft innerhalb viel engerer Grenzen die Thäler

. ' ) Herr Hoffmann-Burckhardt vermuthet, dass der ursprüngliche Name Campo di Tenda lautete, von der zelt-ähnlichen Form der Gipfel.

so mancher andern Alpengebiete der Schweiz bieten, finden sich hier nicht. Kein einziger rechter See, von Locarno, ja von Pallanza bis nach Airolo, von Biasca bis Domo d' Ossola. Nicht einmal Seeböden oder grössere Thalkessel oder ähnliche Wechsel und Ueberraschungen, welche wir von Alpenthälern fast zu fordern pflegen. Im Gegentheil, so gut wie die Kämme nach einem wenig wechselnden Modell geformt sind, so folgen auch die Thäler einem bestimmten Plan, den indess das Tessin fast für sich hat. Schon der Anblick der Karte lehrt, dass vor allem die zahllosen kleinen Seitenthäler so ziemlich nach einem und demselben Modell zugeschnitten sind. Wer das Tessin zum ersten Mal bereist, den wird diese Thalbildung in Erstaunen setzen. Obschon diese Bauart in vielfachen Variationen in manchen Thälern der Alpen verbreitet ist, so wird man sie doch kaum irgendwo so scharf ausgeprägt und so conséquent durchgeführt finden, wie hier.

An Beispielen kann es also nicht fehlen; nur im Livinerthal folgen sich auf seiner Westseite von Faido oder besser von Chironico bis Bellinzona mehr als ein Dutzend, die einander zum Verwechseln ähnlich sehen, und diejenigen der Ostseite sind von Biasca abwärts wieder gleich. Es sind gewissermassen Thäler ohne k Ausgang. Nur oben in der Höhe sieht man das Gebirge auseinander treten, indem ausgedehnte und meistens schreckhaft steile Seitenhalden zum Vorschein kommen, welche im Hintergrund des Thales in Wolkenhöhe durch eine schwarze Felsenmauer verbunden werden; dies ist die Scheidewand gegen das jenseitige und genau gleich aussehende Thal; sie sieht meist und nicht etwa nur aus der Ferne vertikal aus, mit wagerechtem Kamm.

Das Thal kann eine Menge Seitenbuchten haben und ausgedehnte Alpen tragen, unter welchen man sich indess nicht grüne Triften der Maler denken darf. Die Hänge sind so steil, dass nach der Aussage der Sennen der Verlust an Vieh durch Sturz so gross ist, dass es sich kaum verlohne, die obern Alpen solcher Thäler zu befahren. Also Hänge, die zu steil sind nicht etwa für das elephantenähnliche Vieh, das man in den Alpen des Emmenthales oder der March antrifft, sondern für die ziegenartig kletternden, kleinen, eher an Antilopen erinnernden Tessiner Kühe.

So sieht das Thal aus, und über jene dunkle Felswand mit queren Schneelinien musst Du, wenn Du hinauswillst. Noch stutziger wirst Du aber, wenn Du fragst, wie Du hineinsollst. Das Thal scheint nur in der Höhe zu schweben; die Felsenmauer, mit welcher das Gebirge in das Hauptthal abfällt, geht ja ununterbrochen darunter weg!

Diese Darstellung ist nicht etwa übertrieben. Die Thäler beidseits der sogenannten Riviera, von Biasca bis Bellinzona sind Beispiels genug und zwar an einer grossen Heerstrasse. Die Thäler von Osogna und Cresciano, von Lodrino und Moleno bis hinauf nach Chironico stehen mit dem Hauptthal gewissermassen nur in theoretischer Verbindung durch eine Klamm, in welcher der Thalbach braust, um meist erst noch vermittelst eines mächtigen Wasserfalls das Freie zu gewinnen. Höchstens drängt sich etwa ein Schuttkegel, mit Kastanien besetzt, an die Felswand und deutet an, sich die Spalte öffnet. Bei gewisser Beleuchtung,

selbst im grellen Sonnenschein, braucht es ein aufmerksames Auge, um eine Viertelstunde zum Voraus den Eingang in Val Osogna oder Cresciano zu entdecken, und das Ohr findet die Stelle früher als das Auge. Nicht anders verhalten sich Val Nadro, Val Marcri etc. über Bodio. Ersteres kann nach Hrn. Gösset als wahrer Prototypus der Tessiner Seitenthäler gelten. Von dem letztern ist von der Tahlsohle der Leventina aus nichts zu sehen; nur der obere Theil des Thales ist vorhanden, der untere ist seit Jahrtausenden verschwunden.

Und drüben im Gebiet der Maggia folgen die Seitenthäler diesem Typus mit nicht geringerer Treue. Der Eingang von Val Serenello über Bignasco bildet eine Schlucht, welche an diejenige von Pfäfers oder an die Gorge du Trient erinnert. Menschen und Vieh gelangen also nur auf Umwegen, zuletzt von oben herab in diese Thäler, und fragen wir nach einer Ursache dieser eigenthümlichen Verhältnisse, so wird sie wenigstens zum guten Theil in der oben geschilderten Bauart des Gebirges liegen. Es ist schwer, den Gedanken abzuweisen, dass der grösste Theil dieser Thäler vorwiegend Wasserarbeit sei, die in den höhern aus Schiefern bestehenden Theilen des Gebirges grössere Ausweitungen zu Stande brachte, aber an den tiefern, aus härterem Gestein bestehenden Thälern einstweilen auf blösse Sägeschnitte beschränkt blieb, die in gleichem Maasse tiefer wurden, als die Vertiefung der Hauptthäler der Ausgrabung der Seitenthäler vorauseilte, was wohl nicht allmälig, sondern stufenweise geschah. Alle die Klammen, durch welche die Seitenthäler in das Hauptthal münden, werden wohl mit einer sehr raschen Tieferlegung der letztern, der die Seitenthäler nicht zu folgen vermochten, in Verbindung stehen.

»Erwägt man dabei, dass die Felsmassen, durch welche sich die Klammen hindurchgesägt haben, meist die grossartigsten Spuren von Eispolitur an sich tragen, so drängt sich die Vermuthung lebhaft auf, dass ein guter Theil dieser Arheit aus einer Zeit herrühre, wo aus allen diesen Seitenschluchten Eisströme den grossen Gletschern der Hauptthäler zuflössen.

Für die Hauptthäler, welche viel grössere Gebirgs-strecken durchziehen, als die kleinen Seitenthäler, deren Gleichförmigkeit mit der Gleichförmigkeit der mineralogischen Struktur des Gebirges sicher in nahem Zusammenhang steht, wäre es schwer, ein solches Modell aufzustellen. Doch ist ihnen ein Merkmal gemeinsam; sie sind alle tief eingeschnitten, so dass der Thalboden selbst in den höhern Theilen derselben oft noch um 1000-1500 m unter den Kammhöhen zurückbleibt. Die Thalsohlen sind dabei meist sehr eng, die Thalwände durchweg sehr steil, nur ganz selten kleine terrassenartige Plateaux bildend, überall von unregelmässigen Felsbändern durchzogen, sehr steinig und oft auf weite Strecken mit Felstrümmern bedeckt. Darum ist auch die Fruchtbarkeit des Bodens eine sehr geringe. Die Viehweiden sind schlecht und man giebt sich nicht die geringste Mühe, sie zu verbessern, was oft leicht wäre. Der Wald, so schon spärlich vorhanden, nimmt zusehends ab; indem auf das Unverantwortlichste damit gewirthschaftet und für Nachwuchs nicht im Geringsten gesorgt wird.

Im Allgemeinen sind daher die Excursionen in diesen Gegenden sehr beschwerlich und mühsam. Um auf eine nicht sehr bedeutende absolute Höhe zu gelangen, ist bei der tiefen Lage der Wolinplätze immer, eine bedeutende Höhe zu überwinden und darum verhältnissmässig viel Zeit nothwendig. Zudem fängt unmittelbar von der Thalsohle aus eine bedeutende und anhaltende Steigung an und die Fusswege, wenn solche vorhanden sind, sind schlecht und steinig.

Solcher geringen Empfehlung gegenüber ist es um so mehr am Platz, noch auf ein Merkmal aufmerksam zu machen, das zwar nicht den Grenzthälern Leventina und Formazza zukommt, wohl aber den Thälern von Maggia und Yerzasca so eigenthümlich ist, dass Jeder, der dieselben besucht, davon sogleich überrascht wird und sich sagen muss, so etwas nirgends gesehen zu haben. Sollten dies die kolossalen Felsblöcke sein, welche mit üppigster Vegetation bedeckt fast überall den Thalboden, wenn überhaupt von solchem die Rede sein kann, zufüllen? Dies sieht man ja auch anderwärts, obwohl selten in solcher Grossartigkeit. Sind es die Spuren von Gletscherschliff, welche in den obern Theilen der Thäler die Abhänge abrunden, die Felswände poliren? Auch dies ist ein Merkmal, das bei einiger Aufmerksamkeit sehr vielen Alpenthälern und zumal solchen, die im Gebiet des Granites und Gneiss verlaufen, zukommt. Doch selten in solcher Ausdehnung und Vollkommenheit, wie etwa in Val Campo, am Fuss des Basodan, dessen Felsenpostament, demjenigen des Wetterhorns, wie es sich etwa in Meiringen darbietet, ähnlich, allerdings erwarten lässt,

dass die Eiszeit nicht vergebens hier noch so ausgedehnte Gletscherfelder zurückgelassen, wie sie sich hoch über diesen Felsenwänden hinstrecken. Die obere Grenze der Eisschliffe scheint hier nach Hrn. Gösset etwa in der Höhe von 2200 m zu liegen.

Aber nicht nur so nahe an noch bestehenden Gletschern, wo ein Blick in die Höhe genügt, um an die alten Zustände zu erinnern, bilden Spuren von Eis wirkung einen nicht unwesentlichen Theil der Tracht der Tessinerthäler. Auch.die heisse und offene Riviera, wo der Gedanke an Eis den Wanderer wie Hohn quält, ist voll von so prachtvollen Gletscherspuren, wie man sie kaum schöner finden könnte. Besonders ausgezeichnete Stellen finden sich bei Arbedo; schöner zwischen Cresciano und Claro und besonders prachtvoll gegenüber an den Thalausgängen von Preonzo und Lodrino. Sie erinnern an die für Eiswirkung berühmtesten Stellen der Alpen, wie etwa an die Ausgänge des Gentel- und Gadmenthales über Meiringen, und man fragt sich, wo die Pflanzenwelt den blankgeschliffenen Fels nachher üppiger bekleidet habe, ob hier mit dem Ahorn, oder dort mit den an Grosse damit wetteifernden Kastanien.

Auch der mächtige Felsenthurm über Osogna ist von unten bis oben von Eis polirt, wie dort über Meiringen der Felspfeiler der Hundschüpfen, um welchen sich einst der Eisstrom aus Engstlen hinaus in 's offene Thal wälzte. Je weiter man das grosse Thal aufwärts geht, um so ununterbrochener folgen sich die Eisspuren, und in dem Défilé zwischen Chironico und

Lavorgo betritt man das Gebiet von noch heute nicht

23 weggeräumten Moränen, die zum Theil zurückgehalten sind durch Kastanienwälder von solcher Pracht, dasssie diese Stelle zu der schönsten und südlichsten des ganzen Thales machen.

Das Eigenthümlichste, was die Tessinerthäler Vai Maggia und Verzasca bieten, ist das Wasser, von allen Attributen eines Thales dasjenige, an welchem man am wenigsten einen individuellen Charakter erwarte » sollte. Schildern wir es mit den Worten eines feinen Beurtheilen von Landschaft, Herrn Gösset: « Das schönste in Val Verzasca », schreibt er, « ist unzweifelhaft die Verzasca. Man ist nur zu gewöhnt, die lärmende und schmutzige Lütschine als das Ideal eines-Bergstromes zu betrachten. Man irrt sich. Die Verzasca ist die wahre Perle. Sie bietet alles, i was ein Bergstrom nur bieten kann. Unterhalb Brione gerollte Felsblöcke, die an Grosse, Form und Farbe nichts zu wünschen übrig lassen. Dieser Engpass ist zehnmal wilder als der am meisten bewunderte Theil der weltberühmten Lütschine. Bei Lavertezzo und ob Brione, beim Ponte Scuro fliesst die Verzasca in einem natürlichen Felsenbett und dieser Anblick ist noch schöner als die ewig schäumenden Fluthen in einer Schlucht. Sie fliesst ruhig, bildet einen kleinen, schneeweissen Wasserfall, dann einen hundert Meter langen Teichr wieder einen Wasserfall und einen Teich, und so fort. Man kann in diesen Teichen oft drei Meter unter dem Wasser den Boden deutlich sehen. Und dieses Wasser ist ohne Uebertreibung als krystailhell zu bezeichnen. Vor allem aus ist aber die Farbe der Verzasca ihr Hauptreiz. Die Farbe ist etwas zwischen preussischgrün und smaragdgrün.

Kein Künstler in der ganzen Welt hat dieses wundervolle Grün je gemalt, keiner ahnt, es sei denn an dieser Stelle, dass es ein solches Grün geben kann. Wer die Verzasca beim Ponte Scuro im Sommer oder Herbst, wenn die Schneeschmelze vorbei ist, gesehen hat, wird nachher niemals einen Bergstrom bewundern. »

Sollte endlich den Tessiner Alpen, wenn Gebirgsbau im Ganzen, Thalform und Gewässer im Einzelnen so viel Typisches bieten, ein bestimmter Charakter des Vegetationskleides abgehen dürfen? Es würde eine schöne aber keine leichte Aufgabe für einen Botaniker sein, die Vegetation eines Gebietes zu schildern, das innerhalb eines Drittheils eines *Breitegrades, von der arktischen Landschaft in Val Cristallina bis nach Locarno oder — freilich mit menschlichem Zuthun — bis zu den Gärten von Isola bella die Pflanzenzonen von etwa 30 Breitegraden in sich vertritt.

Aber auch innerhalb des Raumes, den wir hier im Besondern im Auge zu behalten haben, fehlt es nicht etwa an eigenthümlicher Tracht der Vegetation, sei es in freiem Zustand, sei es unter dem Einfluss der Kultur. In welchem andern Theile der Alpen wollte man diese Kastanienwälder finden, die merkwürdiger Weise nicht etwa vorzugsweise die tiefsten Theile des Gebietes aufsuchen, sondern eher die Thalsohle meiden, viel üppiger an den heissen Berghalden, im Gerolle zwischen und auf den Blöcken von Gneiss zu finden sind und über Biasca bis zu 906 m, am Pizzo Magno noch höher steigen. Welcher Maler könnte dem prachtvollen Park von Kastanienbäumen seine Bewunderung versagen,

der östlich " von der Kirche des so selten besuchten Chironico liegt? Wo sollte man diese üppigen Weinlauben aufsuchen, in welchen ganze Dörfer so verborgen liegen, dass man ihrer, wie etwa in Personico, nicht gewahr wird, bevor man in die schattigen Labyrinthe eintritt, aus welchen es schwer wird, sich wieder hin-auszufinden? Weingärten von solcher Ausdehnung, dass nach einer Sage in Val Blegno, das einst von allen Thälern des Tessin das schönste und fruchtbarste gewesen sein soll, die Katzen auf den Reblauben ohne Unterbrechung von Biasca bis Malvaglia, nahezu zwei Stunden weit, spazieren konnten!

Früchte und Weindie Erinnerung an diesen herrlichen Chor in Händeis Samson ist nicht zu hoch gegriffen, um die Wonne anzudeuten, welche den Bewohner des Nordabhangs der Alpen anweht, wenn er unter diesen, dem Tessin wie angeboren erscheinenden Anpflanzungen lustwandelt. Auch ist es ihm wohl zu gönnen, wenn er dabei nicht vergisst, wie ärmlich doch der Einwohner in dieser scheinbaren Fülle lebt. Die .Kastanienbäume von Biasca gehören nicht etwa den Einwohnern, obschon sie wesentlich von deren Ernte leben, indem die Früchte ein Hauptnahrungsmittel dieser Gegenden ausmachen und das Laub als Streue für das Yieh dient; die meisten Bäume gehören den reichern Bewohnern der Tannenregion in Airolo, Quinto u. s. f., wenn auch ein guter Theil des Ertrags auf unsichtbare Weise in die Hände der Biaskesen gelangen mag.

Der Besitz ist in Biasca — und dies wird nicht der einzige Fall in Tessin sein — so klein, dass an einem und demselben Grundstück eine ganze Anzahl von Eigenthümern Theil haben;

der Gemeinde gehört der Boden, einem Auswärtigen der Brunnen, einem Dritten der Wein, einem Pächter das Gras, einem andern der Keller — für Expropriationen kein leichtes Verhältniss. Die grossartige Auswanderung aus Tessin, wenn sie. diesen Namen verdient, da die Meisten mit der Zeit wieder in die Heimat zurückkehren, kann unter diesen Umständen nicht in Verwunderung setzen, um so weniger, wenn man die kolossalen Verwüstungen mit in Anschlag bringt, welchen diese Thäler fast in regelmässiger Wiederholung von Seiten der Gebirgswasser ausgesetzt sind, die hier nicht mit Unrecht den Namen « Dragone » ( Drache ) tragen. Um so merkwürdiger ist es, dass trotz der Absicht der Rückkehr keine irdische Entfernung den Wandertrieb dieser Bergbewohner einzuengen vermag. Von 500 Einwohnern von Frasco, im Herzen des Verzascathales, befinden sich gegenwärtig 80 in Kalifornien und Australien^ und in den entlegensten Alpen wissen die Sennen aus eigener Anschauung von andern Erdtheilen und von den Antipoden zu erzählen.

In den hohem Theilen von Tessin ist die Baumvegetation für den Bewohner der nördlichen Schweiz weniger fremdartig. Doch wird er mit Verwunderung die ihm in Alpengegenden so gewohnte Rothtanne vermissen. Lärchen bilden den Hauptbestand der höher gelegenen Wälder und reichen bis in 2000 m und noch grössere Höhen, während sie nach unten ohne Uebergang durch Tannen an den Buchenwald anstossen, und bald darauf trifft man z.B. in Brione, Kirsch- lorbeer.

Weisstannen sind zwar nicht selten und erreichen zum Theil ausserordentliche Grosse, aber bilden kaum geschlossenen Wald. Im obern Yerzasca fehlt Tannwald gänzlich; Buchen und Lärchen sind die einzigen Waldbäume. Rothtannen sind in ganz Tessin eine Seltenheit; erst in Yal Bedretto findet sich die Rothtanne zu Wald gesammelt ein und mahnt, dass man sich dem nördlichen Theil der Alpen nähert. Auch ein anderer bekannter Baum oder wenigstens Holzgesti'äuch der Alpen verhält sich im Tessin eigenthümlich genug, die Alpenrose. Sie findet sich in Yal Maggia und Yerzasca im Bereich des Buchen- und Birkenwaldes und steigt z.B. bei Bignasco bis zu etwa 350 m Meereshöhe hinab, also bis in das Niveau des Aarthaies bei Brugg und Windisch. Sie scheint hier sogar weit üppiger zu gedeihen als in den höhern Regionen und in ganz Tessin kommt sie häufig genug mit gefüllten Blumen vor. ) ' )

Dem Freund typischer Alpennatur, und sollte er selbst als Mitglied des S.A.C. sich berufen fühlen, über Alles, was nicht zeitlebens mit Schnee bedeckt ist, in Eisenbahn und Postwagen, in Carricolo und endlich auf eigenen Fussen wegzueilen, bis er endlich an das einzige Ziel seines Wetteifers tritt, darf also das gegenwärtige Itinerarium nicht nur Typisches, sondern auch ohne Abstraktion Interessantes genug versprechen, sobald er es über sich vermag, mit Yor-urtlieilen zu brechen und von der Natur, ohne von

1ach Herrn Gösset massenhaft auf dem .Sübabliang des Pizzo Coccho in Yal Maggia.

vornherein bestimmte Forderungen an sie zu stellen, dankbar, was sie an Belehrung bietet, in Empfang zu nehmen..

« Die Tessiner Alpen im Allgemeinen gelten als langweilig. Ihre Bergspitzen, mit Ausnahme vielleicht des Basodano, der nur besucht wird, weil er den höchsten Punkt der Gruppe bildet, werden verschmäht. In den Thälern sind zu viel Felsblöcke und zu wenig Brücken, zu viel Wasser und doch zu wenig Wirthshäuser. Die Pässe und Uebergänge von einem Thal in 's andere sind dem Einen zu lang, dem Andern zu kurz. Der Geologe findet, es sei zu viel Gneiss im Tessin, und geht also nicht hin. Der Botaniker be- steigt den Salvatore und findet, es sei zu warm, als dass Pflanzen auf den nackten, von ferne sichtbaren Felsgebäuden gedeihen könnten.

Der Zoologe denkt, es sei zu wenig Nahrungsstoff in diesen Bergen, als dass sich verständige Thiere darin aufhalten könnten. Und dennoch glänzt manch blauer Tremolit an den Felswänden des Campo Tencia, dennoch wächst hier die Alpenrose mit gefüllten Blüthen, der Königsfarnr Osmunda regalis, findet seinen Platz neben den Steintrümmern und erreicht eine Höhe von fünf Fuss. Der Kastanienbaum mit zehn Fuss Durchmesser ist keine ausserordentliche Seltenheit und schliesslich findet sogar der Lämmergeier, dass unter dem dunkelblauen Himmel der Tessiner Alpen ein für ihn passendes Jagdrevier sei.* )

. ' ) Herr Gösset stiess auf diesen Riesenvogel aus alter Zeit auf dem Kamm zwischen Cima di Nimi und Madone di Giovo über Maggia.

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