Ein Dorf steht Kopf
Unterstütze den SAC Jetzt spenden

Ein Dorf steht Kopf Ouray Ice Festival – Treffpunkt der Eiskletterer

Einmal im Jahr platzt das kleine Dorf Ouray in Colorado, USA, aus allen Nähten. Jeweils Mitte Januar versetzen 3000 bis 4000 Kletterer am Ice Festival die Ortschaft in den Ausnahmezustand.

«Steigeisen bitte draussen lassen!» steht auf einem Zettel an der Türe eines Sportgeschäfts in Ouray, der kleinen Ortschaft in Colorado, die sich ganz bescheiden «Switzerland of America» nennt. Das Dorf hat sich im Winter ganz dem Eisklettern verschrieben. Jedes Jahr im Januar pilgern Eiskletterprofis, ambitionierte Hobbysportler und Fans zum Ouray Ice Festival. Für ein paar Tage herrscht dann Ausnahmezustand. Zum Outfit der Passanten gehören prall gefüllte Rucksäcke, an denen Helme und Eisgeräte baumeln, der Schulbus wird zum Sportlershuttle, an der Fassade der lokalen Brauerei flattert das Banner «Welcome Climbers!» im kalten Wind. Alles dreht sich nur ums Eis- und Mixedklettern, um die Freude am Sport und um die neusten Trends der Outdoorszene.

Neues Leben dank Eisklettern

Die Idee, einen sogenannten Eispark zu eröffnen und das Eisklettern gezielt zu fördern, weckte das verschlafene 900-Seelen-Dörfchen im Südwesten von Colorado aus der Lethargie. Während des Goldrausches waren bis zu 30 Minen in unmittelbarer Dorfnähe in Betrieb. Doch als die goldenen Zeiten vorbei waren, wurde es ruhig im Dorf, besonders in den Wintermonaten. «Lediglich die Hunde spielten auf der Main Street», erzählt Lora Slawitschka, Inhaberin des Motels Ouray Chalet Inn. Bereits in den 1980er-Jahren entdeckten einheimische Kletterer, dass Lecks in der alten Wasserleitung oberhalb der Schlucht kletterbares Eis formen. Pionierarbeit leisteten in den 1990er-Jahren dann die Kletterer und Hotelbesitzer Bill Whitt und Gary Wild, als sie mit dem Segen der lokalen Behörden begannen, die Schlucht künstlich zu bewässern. Lora Slawitschka schaut zurück: «Als ich meinem Vater 2001 erzählte, ich wolle das Motel über Winter öffnen, erklärte er mich für verrückt.» Heute ist ihr Hotel eines von vielen Geschäften im Dorf, die als lokale Partner voll und ganz hinter dem Eispark stehen. «Der Eis­park hat das Leben hier wirklich verändert», sagt sie.

Einmal alles, bitte!

Tatsächlich ist das Fest für den Park die zentrale Einkommensquelle. Der Eintritt in den Park ist gratis - zwischen Dezember und März, je nach Wetterbedingungen, kann täglich geklettert werden. Es gibt verschiedenste Routen und Sektoren. Von Kindern über Neueinsteiger bis hin zu den Profis finden alle eine passende Herausforderung. Jedes Jahr Mitte Januar steigt dann die grosse Eisparty. Die Sponsoren, viele der grossen Ausrüstungsproduzenten, bezahlen beachtliche Beträge, um am Festival präsent zu sein. Sie sind zentral, bringen sie doch haufenweise Testmaterial mit. Wer sich für fünf Dollar eine Materialkarte kauft, kann jeden Tag die neusten Bergschuhe, frisch geschliffene Eisgeräte und dicke Daunenjacken ausleihen. Viele Besucher klettern hier zum ersten Mal im Eis. Sie kommen in Turnschuhen an und lassen sich von Kopf bis Fuss mit den neusten Materialien und Geräten ausrüsten.

Die Schlucht befindet sich nur wenige Gehminuten vom Dorfkern entfernt und ist das Zentrum des Festivals. Gleich neben dem Eingang ragt die Wettkampfwand aus der Schlucht empor, wo sich die Profis duellieren. Für die meisten Besucher sind aber die von Athleten und Bergführern geleiteten Kurse die Hauptattraktion. Viele nehmen gleich an mehreren Kursen teil. «Ich besuche eine Einführung ins Mixedklettern, eine Eis-Einführung und dann Eis für Fortgeschrittene», zählt Jacinta Williamson, eine Parkrangerin aus Australien, auf.

Es muss nach gutem Eis klingen

Seit den ersten Versuchen von Whitt und Wild hat sich viel getan: In der über 2500 Meter hoch gelegenen und 1,6 Kilometer langen Schlucht wird heute Eis im grossen Stil angebaut. Zum Klettern, versteht sich. «Wenn die Temperaturen es zulassen, versprühen wir pro Nacht bis zu einer Million Liter Wasser – alles nur von der Schwerkraft angetrieben aus einem Reservoir der Gemeinde», erklärt Eispark Manager Dan Chehayl. Logan Tyler, 23 Jahre alt, ist einer von vier sogenannten Eisfarmern, die die Eisproduktion betreuen und überschauen. Wenn die Kletterer abends die Schlucht verlassen, legt er los: Ist das Wasser einmal angestellt, muss es schnell gehen, damit die Sprühköpfe nicht zufrieren. Mit einer Lötlampe bewaffnet, rennt er der Schlucht entlang, um alle Düsen zu öffnen und nach Bedarf zu enteisen. Jede Route hat ihren eigenen Sprühkopf, der so ausgerichtet wird, dass möglichst gute Klettermöglichkeiten aus dem Eis wachsen. Mit viel Fingerspitzengefühl justiert Tyler jede einzelne Düse. Vieles macht er dabei nach Gehör. «Hörst du das?», strahlt er: «So klingt gutes Eis!»

Sprudeln, klettern, geniessen

Während die Eisfarmer ihre Runde machen, wärmen die Kletterer ihre kalten Knochen in den heissen Quellen, geniessen Highlights aus dem bunten Rahmenprogramm mit Filmen und Vorträgen oder geben sich dem emsigen Treiben in den Kaffees und Brauereien hin. Am Samstagabend steigt jeweils die berüchtigte Petzl Party: Wer die beste Verkleidung trägt, kriegt eine komplett neue Ausrüstung! Und übrigens: Tanzen kann man auch in Bergschuhen bis in die frühen Morgenstunden. Allerdings, so lautet ein unge-schriebenes Gesetz, wird in Ouray tags darauf auch mit Brummschädel munter weitergepickelt.

Ice Festivals im Januar

Die nächste Ausgabe des Eiskletterfestivals in Ouray findet am 19.–22. Januar 2017 statt. Es stehen Wettkämpfe, Kurse, Produkttests und vieles mehr auf dem Programm. Mehr unter www.ourayicepark.com.

Viel näher hingegen ist das Eisfestival in Saas Fee, auch am 19.–22. Januar. Neben den spektakulären Wettkämpfen im Parkhaus gibt es Schnupperkurse und ein spannendes Rahmenprogramm. Mehr unter www.iceandsound.com.

Feedback