Eine verlorene schweizerische Eroberung
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Eine verlorene schweizerische Eroberung

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Von G. Meyer von Knonau. * )

Von den Vielen, welche in der Reisezeit dem

langen Rhonethale aufwärts folgen oder von Furka

" oder Grimsel her abwärts streben, beachtet nur ein

kleinerer Theil die Einladung, welche bei dem dritten

Dorfe des oberen Wallis ein linkes Seitenthal in sich

) Der Verfasser sprach über dieses Thema vor der Section Uto am 18. December 1874. Erst in der Discussion nach dem Vortrage erfuhr er, dass die Züge nach dem Eschenthale kürzlich nach ihrer militärischen Seite in einem schweizerischen Blatte behandelt worden seien, in der „ kriegs-historischen Skizze ", betitelt „ Der St. Gotthard ", von J. von Scriba, in der in Basel erscheinenden „ Allgemeinen schweizerischen Militärzeitung ", 20. Jahrgang, 1874, Nro. 39 u. ff. Wie zu erwarten, hat der als Militär beobachtende Verfasser die kriegshistorische Seite der Aufgabe in recht ansprechender Weise gelöst; nur wäre es erspriesslich gewesen, wenn er noch mehr auf Quellen, statt auf neuere, oft recht ungenügende Bearbeitungen, z.B. Ildefons Fuchs, sich gestützt hätte ( vergleiche u.a. über die Schlacht bei GHornico schliesst, obschon auch der Name des an der Strasse liegenden Wirthshauses im Dorfe auf dieselbe hinweist.

Dieses Dorf, Ulrichen, bietet mit seinen dem Auge so erquickend gebräunten, originell zwischen einander geschobenen Holzhäusern und der kleinen Kirche, mitten im Grün des Hochthales, so recht in Wahrheit den Typus eines Alpendorfes dar, vollends wenn man den kläglichen Eindruck des in unerfreulichster Individua-litätslosigkeit und nüchternster Aermlichkeit aus der Asche seit 1868 erstandenen benachbarten Obergestelen daneben hält. Allein wir verlassen Ulrichen und sein Gasthaus zum Griesgletscher, um uns diesem selbst und dem nach ihm bezeichneten Uebergange nach Italien zuzuwenden.

Nach Ueberschreitung des Rotten ist bald der noch in der Waldregion liegende Aufstieg zum Eginenthal erreicht, welches ziemlich eintönig sich nach einer

des Vortragenden Artikel im Anzeiger für schweizerische Geschichte und Alterthumskunde von 1868: Nro. 3 ). Was aber auch diese in ili t är historische Auffassung eines Stückes schweizerischer Geschichte von neuem betrifft, so ist das Ergebniss, dass die bundesrechtliche Seite, der politische Theil der schweizerischen Kriegsgeschichten nicht vernachlässigt werden darf, wenn nicht ein vielfach schiefes Licht auf die Ereignisse fallen soll ( so lese man hier in Nro. 43, was gründlich unrichtig von Bern's „ Starrsinn " gesagt wird ). Auch mag der Militärschriftsteller, vorzüglich der nicht- schweizerische, stets mit Lust auf die vorliegenden Specimina von Gebirgskämpfen und anderen Scenen an „ der grossen Sieg- und Ruhmesstrasse " hinsehen, während dem die schweizerische Staats- und Volksentwicklung als Ganzes Betrachtenden vielfach andere Schlüsse sich ergeben.

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zweiten Thalstufe hinauf erstreckt, die dem Thalbach an der Hundschürpfe zu einem kleinen Sprunge Anlass gibt. Oben wechselt man über einen steinernen Brückenbogen hin das linke mit dem rechten Ufer des Baches und erreicht einen geräumigen von Alpen erfüllten und theilweise auch an den Abhängen besäumten länglichen Kessel, nach dessen Mitte der Griesgletscher seinen Ausläufer hiiiunterschickte, ehe derselbe, wie alle seine Gesellen weit und breit, in den letzten Jahren schmählich zusammen schmolz; links hinauf geht, gleich nach der Brücke sich abzweigend, der Pass über den Nufenen nach Val Bedretto. Doch nicht lange kann man sich auf dem ebenen Pfade erholen; denn bald geht es auf ziemlich steilem, doch wie deutlich erkennbar, viel begangenem Zickzackwege den Schemel empor, auf dessen Rücken der Griesgletscher seinen gewaltigem Eisstrom hinfliessen lässt: allmählig lernt hier im Steigen das Auge die Bedeutung der errungenen Höhe erkennen, wenn'es über den Riss des rechts von den Galmihörnern überragten Eginenthales hinaus die Wallis-Berner Grenzgebirge emportauchen sieht und unter den wohl bekannten Häuptern sich zurecht zu finden sucht. Allein nur noch kurze Zeit —, und der Griesgletscher, den der Fuss des Welschlandreisenden auf seiner schmalen östlich vorlaufenden Zunge betritt, nimmt die Aufmerksamkeit überwiegend in Anspruch. So ungefährlich und sanft wie jmöglich, wo man ihn überschreitet, ein Damengletscher mildester Art, wie meine Frau mit Vergnügen erkannte, bietet er doch in seinen höheren Theilen, nach seinen Anfängen am Binnenhorn hinauf ( etwa fünf Viertelstunden Entfernung in gerader Linie ), einen ganz imposanten Anblick, und mochte an dem Tage, wo wir ihn zurücklegten, dem prächtigen vierten Augustsonntag dieses Jahres, wo kein Wölklein am Himmel stand, die Ueberschreitung, höchstens zwanzig Minuten an mehreren im Eise befestigten Pfählen hin, so unbedenklich wie nur möglich, erscheinen, wir glaubten doch gerne unserem Walliser Führer, dass er bei Unwetter nicht allein den Weg wagen möchte, und es ist bekannt, dass der Gletscher einmal vor einem Vierteljahrhundert drei unvorsichtiger Weise führerlosen fremden Wanderern zur Todesstätte wurde.

Kaum ist — an einem schmutzigen kaum den Namen See verdienenden Wasser vorbei — das Ende des Gletschers und damit die italienische Staatsgrenze erreicht, so wechselt plötzlich die Scenerie, nicht um südlich zu werden, noch lange nichtaber der Gletscher ist plötzlich verschwunden und man sieht über eine steile der Südseite zugewandte heisse Wand « hinunter in die oberste Thalstufe des Griesbaches, des bedeutendsten Zuflusses zum obersten Laufe der Tosa, in die Alp Bettelmatten, die, was der Name schon anzuzeigen scheint, recht dürftige Einleitung für Italien. Hoch über dem Griesbache, der in tiefer Schlucht links vom Pfade sich in zahlreichen kleinen Fällen den Weg in die nächste Thalstufe sucht, dann nahe an demselben hin wird durch eine enge Pforte zwischen vorgeschobenen Bergriegeln der prächtige grüne Kessel erreicht, der das Sommerdörfchen Morast in sich birgt: ein lieblich erquickendes alpinisches Ruheplätzchen, im grossartigsten Bergamphitheater eingebettet. Allein schon schaut von Osten die schöne Kuppe des Basodino herein, nach dem eigentlichen Tosathal lockend, das er, wegen seiner Nähe in dessen Sohle schon unsichtbar geworden, unmittelbar überragt.

Durch eine weniger deutlich bemerkbare Vermittelung gelangt der Wanderer aus der Moraster Stufe in das Tosathal selbst, gegenüber den Häusern von Kehrbächi, wo der Griesbach in die Tosa fällt und der Griespass mit dem von Norden, über die oberste Staffel des Tosa- thales kommenden Pass S. Giacomo, aus dem Bedretto-thale, sich vereinigt. Unser Weg ist nun aus seiner bisherigen Südost- und Ostrichtung in eine entschieden südliche umgebogen; auf dieser ebenen zweiten Stufe des Tosathales mit mehreren Sommerdörfchen und Weilern, geht es leicht vorwärts, und um so rascher, als schon dem Ohre das gewaltige Rauschen des Wassersturzes der Tosa sich bemerkbar macht, schon ziemlich lange ehe man bei der Kapelle auf der Frutt über den Rand der plötzlich abgebrochenen zweiten Thalstaffel hin den Wasserstaub des zu jähem Fall gezwungenen Thalwassers emporwirbeln sieht.

Ohne alle Frage gehört der Fall der Tosa zu den grossartigsten Naturschauspielen der ganzen Alpenwelt ja, da der Rheinfall nicht dem alpinischen Gebiete angehört, geht man wohl nicht zu weit zu sagen, dass kein Wasserfall der Schweizeralpen dem Tosafalle gleichkomme und der Alpenwanderer bis ferne in den Osten, über Tirol hinaus nach dem Salzburgischen, an die Fälle der Krimler Ache, gehen muss, ehe er etwas gleich Gewaltiges dieser Art findet. In drei Absätzen, die einer in den anderen übergehen, wälzt sich die Eine verlorene schweizerische Eroberung.

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Masse über die schräge Felswand, nirgends von derselben frei sich lösend, aber dadurch nur um so mehr das Bild des in seiner ganzen Kraft mit dem Natur- hindernisse ringenden vollen und ungetheilten Stromes aufweisend, zur dritten Thalstufe hinab. Links an den Fällen geht in mehreren Windungen der holperige steinbesetzte Pfad von dem recht braven Gasthofe am Beginne des Sturzes hinunter zum ersten, Winter und Sommer bewohnten Platze im Pommaterthale, Unter Frutt, worauf zwei Stunden lang in der nicht breiten, aber recht freundlichen Sohle des Thales, wo die beruhigte Tosa rasch dahinfliesst, die Wohnstätten nahe an einander sich folgen, Fruttwald, Gurflen, Brennen, Zum Steg, Pommât, Andermatten: es ist kein hervorragendes, aber immerhin ein recht ansprechendes Alpenthal, besonders durch die links steil und wild zerrissen aufsteigenden Grenzgebirge gegen Tessin.

Im höchsten Grade überraschend wirkt dann aber wieder der Uebergang zur .vierten Staffel, dem südwestlich streichenden Val Antigorio, der Engpass von Foppiano an und zwischen den beiden Geschenbrücken, eine Partie, die sich mit weit berühmter gewordenen Thalverengungen des Hochgebirgs wohl messen kann, deren Werth auch im Mittelalter wohl eingesehen worden war, da hier eine Thalsperre, « die Letzi underm Gesehen ob der treufenden Fluo », sich angebracht gefunden hatte. Noch heute müsste es dort unter den hängenden Felsen, wo der sichere, aber hässlich zu gehende Pfad, « eine wüste Gasse », wie der Walliser Führer sie zum voraus verheissen, zwei Male am wildschäumenden Flusse über schmale Brücken- bogen hin das Ufer tauscht, wilde Kämpfe bei einem Versuche einzudringen absetzen.

Und nun, von Unterwald oder Foppiano an über Rivasco, al Passo, wo bald ein recht ordentliches Fahrsträsschen die Füsse von ihrem vielen Stolpern und Steigen über die Steinun-gethüme im Saumpfade sich erholen lässt, nach San Rocco wie eine Verheissung winken schon von den bunt bemalten Wänden des kühlen Speisezimmers der Locanda Erinnerungen vom Tiber auf guten Kupferstichen — endlich sind wir in Italien!

Wer noch nie die unvergessliche Stufenleiter vom nordischen zum südlichen Leben selbst durchgemacht hat, wie sie sich auf wenige Stunden Entfernung oft an dem Südabhange der Alpen darstellt — wer das ganz kosten will, gehe etwa von Tirano in einer Reise auf den Piz Languard und fliehe wieder hinunter nach Bregaglia und Chiavenna — wer nie selbst von Stunde zu Stunde die Linien schöner, die Farben reicher, das ganze Treiben bunter sich gestalten sah, das gesammte Leben lebenswürdiger empfinden fühlte, der vermag nicht zu ermessen, wie prächtig der Eindruck einer raschen Fahrt von San Rocco nach Domo d' Ossola hinunter ist: allein dem wird auch ein Stück vom Verständnisse wie der allgemeinen, so unserer schweizerischen Geschichte abgehen. Unsere kriegerischen Voreltern haben von unserer Reisesentimentalität, die auch nüchterne Naturen bei diesen Zonenwechseln packt, von « Schwärmen » und « Entzücken » nichts gewusst; allein der stoffliche Eindruck mangelte ihnen nicht, und sie wussten wohl, weswegen sie immer wieder nach dem Welschland ihre « Reisen », ihre kriegerischen Fahrten, thaten, wenn sie des Lebens Süssigkeit einmal drüben nach ihrer handgreiflichen Art gekostet hatten.

Der eigentliche Anfang südlichen Pflanzenwuchses bei Premia, dann der Einblick bis zur Schweizergrenze in das vom Albrunpass herunterkommende Deverathal zugleich mit der prächtigen Thalaussicht südwärts bei der grossen Strassenkehre oberhalb Baceno, der behäbige Eindruck des stattlichen Fleckens Crodo, am Ausgange von Val Antigorio gegenüber dem einen schlanken weissen Thurm tragenden Monte Crestese der durch die vortretenden Felsen für die Strasse zurecht gemachte Durchweg, endlich bei Crevola die Einmündung in die schnurgerade durch die Thalfläche nach Domo d' Ossola führende Simplonstrasse: das wird sich von den vielen rasch wechselnden Bildern dieser letzten Strecke zumeist dem Gedächtnisse einprägen. Schon in jenem Engpasse zwischen Crodo und Crevola, wo im Mittelalter unweit vom « Greselberg » die gefürchtete « steinerne Stege » zu überwinden war, ist das eigentliche Thal von Ossola, das Eschenthal, erreicht worden.

Unsere Reise vom Wallis her ist vollendet.

" Wer sich die Grenzfigur des deutschen Sprachgebietes durch unsere Schweiz hin vergegenwärtigt, findet in den vielfach wunderlich geschwungenen Linien auf dem national vielfältigen Boden des politisch geeinigten Volkes besonders eine Stelle, die ihn überraschen wird.

Von dem sprachlich in einen höheren deutschen, tieferen französischen Theil geschiedenen Walliser Hauptthale her hat die Grenze, der das Turtmanthal von Val d' Anniviers trennenden Bergkette entlang, die Höhe der natürlichen Scheide gegen Italien hin an der Tête Blanche und dem Matterhorn erreicht; allein statt jetzt über die Gipfel des Monte Rosa in östlicher Richtung sich fortzusetzen, übersteigt sie in der Nähe dieses vorgeschobenen Eckpfeilers der Walliser Alpen den Gebirgskamm, die von der Natur angewiesene Linie, und legt sich in die Thäler südlich vom Monte Rosa in das italienische Staatsgebiet hinein. Hier schneidet sie Gressoney, dann das oberste Gebiet der Sesia und von Zuflüssen derselben, endlich den obersten Theil von Val Anzasca mit Macugnaga heraus: erst östlich vom Monte Moro wird die der Wasserscheide folgende Schweizer Staatsgrenze auch zugleich wieder Sprachscheide. Dann fallen beide Linien, Simpeln dem deutschen Boden zuweisend, zusammen und bleiben bei einander über den Monte Leone hin und weiter auch noch über die Grenzberge am Binnenthale bis gegen Albrunpass und Ofenhorn. Jetzt aber trennen sie sich plötzlich von neuem. Denn abermals greift die deutsche Sprachgrenze in das Königreich Italien ein, rückt ein Nebenthälchen des Deverathales mit dem Dörfchen Ager ( Agaro ), dann das obere Stockwerk von Val Antigorio, die Stufe von Saley ( Salecchio ) hoch über San Rocco, auf deutsches Sprachgebiet und erreicht unterhalb Unterwald die Tosa selbst, geht aber gleich östlich wieder auf die Wasserscheide hinauf, dies will sagen wieder an die Schweizergrenze, jetzt jedoch nicht mehr an die Grenze des Kantons Wallis, sondern an diejenige des Kantons Tessin.

Allein alsbald steigt sie noch in ein neues Thal hinunter, die politische Grenze als Wegleitung abermals verschmähend. In dem Dorfe Gurin ( Bosco ) des gleichnamigen linken Seitenthaies von Val di Campo, im Tessiner Bezirke Val Maggia, bezeichnet sie nämlich einen Fleck als deutsches Sprachgebiet, den einzigen in unserem italienischen Kanton, und erklettert dann gleich wieder den Gebirgskamm und erreicht damit die Staatsgrenze. Ihr folgt sie dann über den Basodino und den Pass San Giacomo bis da, wo östlich hoch über dem Passübergange am Griesgletscher die Grenze der Kantone Tessin und Wallis im rechten Winkel auf die italienische Staatsgrenze stösst. Hier tritt nun die Sprachgrenze des Deutschen wieder, und zwar auf lange Strecke ununterbrochen ( von den deutschen Sprachinseln in Graubünden abgesehen ) bis an den Silvretta-Gebirgsknoten, in das Innere der Schweiz hinein, erst als Scheide von Deutsch und Italienisch zwischen Wallis und Uri einer-, Tessin andererseits, dann als solche zwischen Deutsch und Rätoromanisch vom Badus an nordöstlich über Tödi und Hausstock bis über den Ringelkopf hinaus: von Bosco bis Reichenau berührt die Sprachgrenze keine Thäler mehr.

Denken wir uns nun diese deutsche Sprachprovinz als zusammenhängendes Gebiet, etwa auf einer Karte mit einheitlicher Farbe ganz bedeckt, so ist es unver- kennbar, dass der Walliserboden, dieses im Mittelalter an Colonisten fruchtbarste Schweizergebiet — bis nach dem Illerlande hinaus wollen Walser aus Wallis stammen — den Kernpunkt der deutschsprechenden Thäler in Italien ausmacht:

wie etwa eine grosse Brandungswoge noch in einer kleineren Welle sich wiederholt, hat das Deutsche vom Rotten durch das Zwischengebiet von Pommât sogar noch über eine zweite Wasserscheide bis Bosco sich verbreitet, und so ist italienisches Staatsgebiet die Brücke vom deutschen Wallis zum deutschredenden Tessinerdorfe geworden. Freilich überall ist hier das deutsche Idiom im Rückzuge begriffen. Drei Jahrhunderte sind vergangen, seit noch an der grossen Strasse von Domo d' Ossola zum Lago Maggiore der Flecken Ornavasco ganz deutsch sprach, allerdings schon damals als Sprachinsel, und Urlivaschen oder auch Urnäschen genannt wurde — seit dem Ende des letzten Jahrhunderts verschwand hier unsere Sprache ganzaber auch wo noch heute deutsch gesprochen wird, steht dieselbe in der Defensive, und gegen sie ficht oder focht wenigstens noch in neuester Zeit die italienisch redende Kirche, der Bischof von Nov ara: ganz dieselbe Erscheinung also, wie sie bei den Sprachinseln bairischen Stammes, der sieben und der dreizehn Gemeinden, an der Grenze des Tirol gegen das Venetianische vorkömmt. Genaue Nachrichten verbürgen uns, dass die Pfarrherren von Saley und von Bosco ihre Muttersprache verbannt haben, während des ersteren Bruder, Geistlicher im Pommât, feurig dieselbe noch pflegt. In Bosco freilich war die Freude gross, als unser wissenschaftlicher Berichterstatter dort die Schweizer Eidgenossen auch als deutsche Brüder begrüsste, und_ das Zutrauen so unbegrenzt, dass das ganze Gemeindearchiv nach Zürich zur Ordnung und Durchsicht geschickt wurde;

in Ager dagegen fand er die Bewohner so scheu, dass sie anfangs wie Halbwilde hinter den Häusern durchschlichen und nur zuweilen den Kopf verwundert und ängstlich vorstreckten, um so zu erforschen, was der fremde Mann im Schilde führe. Um so werthvoller natürlich ist es, alle diese mehr und minder als verlorene Posten zu betrachtenden Vorwerke zu berücksichtigen, die Erinnerungen zu pflegen. Das Pommât ist selbstverständlich, wie der sicherste, so auch der bedeutendste dieser Plätze im oberen Tosaland. Noch spricht dort das Volk deutsch, und die Verbindung mit dem deutschen Wallis ist, wie die oft begegnenden Walliser Dienstleute beweisen, eine häufige. Schon der deutsche Name des Wasserfalles ist so deutsch wie möglich und kehrt in unseren Schweizer Alpen häufig wieder: die Frutte ist der längliche Einschnitt an Bäumen oder Felsen * ). Die jungen Mädchen tragen zwar die rothen malerischen Kopftücher der Italienerinnen vom unteren Thale ( die alte Tracht ist ver-schwundenaber über die frischen Lippen der Kinder,

* ) Der 1874 erschienene höchst inhaltsreiche und grosse Begierde nach dem Werke selbst erweckende Probebogen des schweizerdeutschen Idiotikons, behandelt Spalte 7 u. 8 auch „ Frutte " und sagt, Pommât biete das eigentlich „ typische Terrain für das Wort ". Dem. Hauptredactor, Herrn Dr. Staub, auch einem glücklichen und muthigen alpinischen Entdecker, freilich mehr in den Thälern als hoch oben, für Ethnographie und Culturgeschichte, nicht für Gletscherbewegung und Gipfelgestein, verdanke ich die oben stehenden Nachrichten über Bosco, Saley und Ager.

34 wenn sie überhaupt die Schüchternheit abstreifend sich öffnen, kommen deutsche Laute.

Die Thalkirche mit ihrem schlanken, durch einen Zwischenraum vom Chore getrennten Campanile sieht so italienisch, wie möglich aus; allein ein alter Druck von Blunschi in Zug auf einem Altar im Beinhause beweist, dass noch deutsch in Andermatten gebetet wird. Oberhalb der Geschen-brücken wird das Italienische noch längere Zeit vergeblich um den Sieg ringen; unterhalb des Engpasses hat das Deutsche wohl schon bald ausgekämpft: ist doch jene Zeit schon längst vorüber, wo überhaupt noch stärkere Verbindungen zwischen diesen unteren Theilen, auch dem Eschenthale, und der Schweiz be- standen. Im 16. Jahrhundert erzählt uns nämlich der Chronist Stumpff: « Die Eynwoner des Eschentals als arbeitend gemeinlich im Holtz. Ir gemeinste Arbeit unnd Gewerb ist Spiessmachen unnd Schüsslen drayen; gibt vil Drayer durchziehend Helvetiam fürnemlich die Ort, da sy dz Holtz gehaben möged; fertigend vil langer Spiess in alle Ort der Eydgnoschafft ».

Unsere Betrachtung der sprachlichen Grenzen hat auf das deutlichste gezeigt, dass die Colonien deutscher Sprache über dem Hochgebirgskamme wallisischen Ursprunges seien, und durch die sprachliche Forschung ist vollkommen festgestellt, da,ss wir die Eigenthümlichkeiten der wallisischen Sprache in allen diesen Thälern vorfinden. Jene historischen Künsteleien, die bei diesen deutschen Gemeinden, wie bei den erwähnten sieben und dreizehn Gemeinden bei Vicenza und Verona, Er- eignisse der Völkerwanderung hereingezogen, haben den philologischen Ergebnissen glücklicher Weise weichen müssen.

Ueberhaupt sind diese Ansiedelungen jenseits der natürlichen Grenzen gar nicht so uralt, wie man gerne annehmen wollte, um die an sich sehr bemerkenswerthe Thatsache erst recht als merkwürdig hervortreten zu lassen.

Erst im 13. Jahrhundert scheinen alle diese Ver-pflanzungen vorgenommen worden zu sein: die vom Visperthale aus nach den Thälern am Monte Rosa, diejenige von Naters her nach den Orten an der Simplon strasse, den noch deutschen Plätzen Simpeln, Gsteig und Rüden und weiter nach Urlivaschen, endlich vom obersten Wallis nach Pommât und nach Bosco. Also keine unvordenkliche Zeit des Ursprunges und kein ost= gothischer Stammbaum, ebenso wenig als ein skandinavischer in Schwyz oder Hasli! Allein um so mehr ist dem deutschen Schweizer die Theilnahme auch für diese abgesprengten Stücke deutscher Nationalität natürlich; denn es ist Blut von unserem Blute, das in diesen deutsch redenden Alpenbewohnern rollt. Und dieses Interesse muss noch steigen, wenn man die früheren Rechtsverhältnisse im Thale Pommât einer Prüfung unterwirft.

Das Thal Pommât hat bis auf die neueste Zeit vielfach ein eigenthümliches staatliches Sonderleben geführt, und seine Verfassung wich von derjenigen der flussabwärts anstossenden italienischen Thalgebiete ab, glich dagegen der unserer Schweizer Thäler. So weit die Rechtsurkunden des Thales hinaufreichen, lässt sich erkennen, dass die Thalleute ansehnlicher Freiheiten genossen und nach ihren eigenen von der Thalgemeinde gegebenen, von der Landesregierung bestätigten Statuten lebten.

Die Pommater bildeten nahezu eine kleine, von der Provincialobrigkeit in Domo d' Ossola wenig beeinflusste Republik. Jährlich am ersten Maisonntag ward, wo am Steg noch der alte massive, mit eisernen Ver-schlüssen versehene Archivthurm steht, die Landsgemeinde gehalten, welche Thalammann, Thalvogt und Thalräthe ernannte, und diese selbstgewählte Obrigkeit war richterliche und Verwaltungsbehörde zugleich; nur Blutbann und Recursrecht gehörten nach Domo d' Ossola. Die im Thalbuche vereinigten Statuten, besonders die von 1486, welche die neue Durchsicht und Aufzeichnung schon längst bestehender Uebungen darstellten * ), waren die Grundlagen des Rechtslebens im Pommât, stets von neuem von den Herzögen von Mailand bestätigt, auch in der spanischen und österreichischen

* ) Diese interessante Rechtsquelle gab mit mehreren weiteren einschlägigen Stücken im „ Archive für schweizerische Geschichte «, Bd. III und IV ( 1844 und 1846 ), ein Basler Jurist, der Fiscal Dr. Johann Rudolf B u r c k h a r d t, heraus. Es ist hier wohl der Platz, an diesen im 76. Altersjahre am 5. Juni 1873 verstorbenen Mann zu erinnern, ein Mitglied der Section Basel, der zu den Alpenclubisten zählte, welche vorausahnend zu einer Zeit den Zielen unseres Vereines zustrebten, als es noch keinen S.A.C. gab. Burckhardt kannte durch wiederholte Reisen die Alpen vom Mittelmeer bis nach Steiermark, und für die ethnographische Seite der Alpenkunde ist und bleibt seine schöne Arbeit in Bd. IV des „ Archives ": „ Untersuchungen über die erste Bevölkerung des Alpengebirges, besonders derSchweizer Urkantone, des Berner Oberlandes und des Oberwallis ", eine höchst anerkennenswerthe Leistung.

Zeit, bis 1748 im Frieden von Aachen Eschenthal und Pommât, wie überhaupt alles Gebiet westlich vom Langensee und Tessin, an das Haus Savoyen abgetreten wurden. Doch auch die neue sardinische und die durch die Revolution entstandene französische Herrschaft schonten diese alten Verhältnisse in dem weit abgelegenen Winkel des Landes, und erst als Piémont unter Savoyen zurückgekehrt war, 1816, und vollends 1837 wurden diese alten Einrichtungen völlig abgeschafft.

Allein nicht blos die Yerfassungsemrichtungen in Pommât haben bis vor zwei Menschenaltern noch vielfach an schweizerische Kantonalverfassungen erinnert; sondern zu verschiedenen Malen haben nicht allein die Leute vom Pommât, sondern auch die flussabwärts wohnenden Insassen des Eschenthaies bis Domo d' Ossola und darüber hinaus wirklich zur schweizerischen Eidgenossenschaft gehört: — das von uns vorhin durchwanderte Gebiet vom Griespass und San Giacomo abwärts bis Domo d' Ossola und Vogogna ist die verlorene schweizerische Eroberung.

Es ist schon in einem früheren Bande des Jahr-buchesdarauf hingewiesen worden, was für eine Bedeutung der Pass über den St. Gotthard mit dem 14. Jahrhundert für die Entwickelung der Kerngebiete

* ) Von Herrn Dr. A. Nüscheler: Historische Notizen über den St. Gotthardpass. Jahrgang VII. ( 1871—72 ).

der Eidgenossenschaft gewonnen hatte; dort wurde gezeigt, wie die überall von hohen Gebirgen umschlossenen, am Ausgange ihres Thales von ihren nächsten Bundesbrüdern umgrenzten Urner auf der Mittagseite ihres Ländchens über die Wasserscheide am St. Gotthard greifen mussten, wenn sie erobernd auftreten wollten. Bereits 1331, aber weit ernsthafter und von bleibendem Erfolge für die Eroberer erst 1403 wurde am Oberlaufe des Ticino gekämpft: jetzt 1403 schwuren die Leventiner, dass sie Gehorsam, Steuern und Rechte, welche sie bisher dem Herrn von Mailand geschuldet, den Urnern und Obwaldnern — auch diese hatten, in gleicher Lage wie Uri, dergestalt über den Bergen Fuss gefasst — darbringen wollten. Allein hierbei konnte und wollte man nicht lange stehen bleiben.

Zu den bemerkenswerthesten Erscheinungen unserer schweizerischen Geschichte gehört der Umstand, dass sich neben der erblühenden jungen Eidgenossenschaft der acht Schweizer Orte in zwei anstossenden geographisch scharf umgrenzten, eigenthümlich gegliederten Gebirgslandschaften ähnliche staatliche Bildungen entwickelten, Gestaltungen besonderer Art, die natürlicher Weise sich von Berührungen mit der Schweiz nicht ferne hielten, die aber doch erst am Anfange der neusten Zeit eigentliche Bestandtheile derselben wurden. Das waren die rätischen Bünde im Südosten, das Land Wallis im Südwesten. Wie in Rätien neben geistlichen Stiftungen — Bisthum Cur, Abtei Disentis ein Herrenstand und Gemeinden zu politischen Vereinen zusammentraten, theilweise in aufrichtiger Erkenntniss der Sachlage von Seite der Herrschaften,

theils durch Nöthigung, und wie sie dann den eidgenössischen Nachbaren sich näherten, so sehen wir auch, allerdings nur unter harten Kämpfen, die Gemeinden im Wallis nach selbständiger Stellung emporstreben. Auch hier ist ein geistlicher Herr, der Bischof von Sitten, als Graf und Präfect im Wallis, im Besitze von Hoheitsrechten; allein neben einem einheimischen Adel, vorzüglich den mächtigen Herren von Raron, war noch mehr ein auswärtiges fürstliches Geschlecht, das der Savoyer Grafen, zu befürchten, da dasselbe im unteren, französisch sprechenden Wallis im Besitze der Landeshoheit sich befand. Dass die Landleute von Wallis nach den Waldstätten als nach dem schon vorhandenen Vorbild dessen, was sie für sich ersehnten, hinblickten, versteht sich von selbst; allein es lag auch im Vortheile von Uri und Unterwaiden selbst, als der nächstbetheiligten Schweizer Thäler — Schwyz schuf sich damals eine ähnliche Vorburg der Volksherrschaft in Appenzell —, diesen Versuchen durch Handreichung nachzuhelfen. Erwägt man diesen Zusammenhang näher, so ist es eine hübsche Bestätigung für das kecke Vorgehen der beiden eidgenössischen Orte, dass sie elf Wochen vor dem Tage, wo ihnen die Leventiner den Eid ablegten, zugleich mit Luzern gegenüber dem Bischof von Sitten und den Walliser Landleuten ein Burg- und Landrecht beschwuren. Da standen nun im gleichen Jahre 1403 die Unter jenseits des Gotthards in Bedretto und Leventina als Herren, jenseits der Furka als Bundesgenossen: kann es überraschen, dass sie und die Eidgenossen bei Gelegenheit auch das Alpenthal jenseits Griespass und San Giacomo als begehrenswerth in das Auge fassten?

Allein den ersten Anlass zu einer bewaffneten Einmischung im Tosagebiete, zum ersten Zuge in das-Eschenthal führte nicht ein auf höheren politischen Berechnungen beruhender Entschluss, sondern ein örtlicher geringfügiger Streit, ein Gezänk von Thal zu Thal herbei. Nach einer Entscheidung von 1407 zu-schliessen, hatten die Kirchgenossen von Faido oben in Val Bedretto Theil an den Alpen, « die da hinter Rong liegend », also von Ronco aufwärts nach dem Thalschluss gegen den Pass San Giacomo oder gegen den vollends im Hintergrund liegenden Nufenenpass hin. Hier oben kam es im Sommer 1410, wie ein Obwaldner uns erzählt, zum hellen Zwiste zwischen Leventinern und Eschenthalern. Die unter mailändischer Hoheit im Eschenthale gebietenden Herren begingen frechen Raub an denen von Faido auf der « Alp zum Suwenstein » —: man denkt wohl am besten an die Alpe di Formazzora vom Hospiz All' Acqua nach der Passhöhe San Giacomo hinauf. Die neuen Herrscher über Leventina nahmen sich ihrer Leute an; aber den Urnern wurde die freche Antwort: sie sollten nur kommen mit ihren grossen Hälsen und man würde mit denselben im Eschenthal den Acker frucht-tragender zu machenverstehen. Wie natürlich, ver-

ir acher mit innen buwen ": „ bauen ", im noch gebräuchlichen landökonoinischen Sinne ( es ist die Chronik im weissen Buche zu Sarnen, jene berühmt gewordene Hauptquelle für die Befreiungssage ). Diese Darstellung des Ob-waldners, welche mehrfach von späteren minder glaub- dross solche Entgegnung die beiden Länder;

sie mahnten ihre Eidgenossen und fanden sie geneigt, ihnen den Schaden rächen zu helfen. Zweihundert Schützen von Zürich, die von Luzern mit ihrem Panner und viele von Schwyz, dreissig Mann von Zug und hundert von Glarus machten sich auf; allein eine Frei-schaar war schon vorher mit den zwei Ländern aufgebrochen und über Gotthard und San Giacomo vor-aufgezogen; als die Eidgenossen nachrückten, fanden sie die Hauptarbeit durch jene « Freiheit » bereits ge- than, « die Letzi underm Gesehen ob der träufenden Fluo », den Engpass also zwischen Pommât und Val d' Antigorio, erschlossen. Die gesammte Macht legte sich nun « in des Bronnen Hüs ze Röyd »: da erkannte Brogno, dass es im Vortheile des Landes liege, den gefürchteten Kriegern von jenseits nachzugeben, und er überantwortete an Uri und Obwalden, « was nid der steinen Stegen was mit Thum und den Greselberg ». Aber die beiden Länder liessen ihre Bundesgenossen, Zürich, Luzern, Zug und Glarus, in den Besitz des Landes mit eintreten: das war das zweite Mal — die Mitherrschaft der Obwaldner neben Uri in Leventina ist das erste Beispiel —, dass Eidgenossen Eroberungen als gemeinsames Eigenthum unvertheilt liessen; der verhängnissvolle Weg zur Errichtung der gemeinen Herrschaften war eingeschlagen worden, und nur fünf Jahre später richteten sich die Eroberer in ähnlicher

würdigen, zum Theile auch von Tschudi's Elaborat, abweicht, legen wir oben neben dem von Segesser neu bearbeiteten ersten Bande der Tagsatzungsabschiede ( 1874 ) durchaus zu Grunde.

Weise in Teilen des Aargaues, in den freien Aemtern und der Grafschaft Baden, ein. So setzten also die Eidgenossen einen Richter zu Domo d' Ossola ein und gaben ihm Söldner zur Seite, welche ihn in seiner Amtsführung unterstützen sollten. Allein noch vor Jahresschluss, um Weihnachtszeit, erfuhr die neue Herrschaft durch die « Gibling » Anfechtung: denn die mittelalterlichen Parteinamen, Giblingen und Gelffen, waren auch in Leventina, wie die Unterwerfungsurkunde von 1403 darthut, in Kraft geblieben. Die Giblingen gaben vor, auch sie wollten den Eidgenossen schwören, und lockten den Richter und dessen Söldner zu sich, worauf sie ihn gefangen setzten und sechs oder sieben seiner Leute erstachen. Die Eidgenossen sahen sich, wenn sie ihre leicht errungene Beute behalten wollten, zu einer neuen Kraftanstrengung gezwungen.

Schon Ende 1410 und wieder im Januar und im Februar 1411 wurde eifrig zu Luzern über die Sache Rathschlag gehalten: ob man Kosten haben wolle wegen des Eschenthaies, mit Büchsen, Bollern und anderen Sachen, ob man die Vesten daselbst behalten, wie man sie besorgen und wann man dahin ziehen wolle; nach Lichtmess hatte man sich entschlossen, an das so weit abgelegene Gebiet nochmals Kosten zu wagen, und sorgte für Söldner, bekümmerte sich um den Bedarf und beschloss, jeder Ort solle fünf Saum Mehl hineinschicken. Dem zufolge wurde gerüstet, und wir wissen, dass am letzten Tags Aprils 1411 aus Zürich vierhundert Mann mit dem Stadtpanner aufbrachen und zu den Pannern der vier Waldstätten und von Zug und Glarus stiessen. Dieses Mal ging es härter zu:

die Luzerner untergruben und verbrannten einen Thurm, wobei viele Welsche, die der mailändische Feldherr, Graf Facin Cane, dahin gelegt hatte, elendiglich umkamen, und am Tage nachher ging es gegen Truntan oder Tranton — Trontano gegenüber Domo d' Ossola —, wo man Zürich und Zug den Vorzug liess, und nachdem auch hier Burg und Häuser verbrannt waren, zogen die Schaaren vor den weissen Thurm, der trotz starker Verteidigung, da viel Volk zu Fuss und zu Ross da war und auch vom Thurme mit Büchsen geschossen wurde, gleichfalls genommen wurde: vier Thürme nach einander waren so genommen und gebrochen worden. Der Zürcher Mannszucht — wird gerühmt — war so gut, dass sie keinen Mann ver logen, während die anderen Eidgenossen eine Einbusse von zwanzig Mann aufwiesen. So war die Herrschaft im Eschenthale abermals befestigt, und die abziehenden Eidgenossen setzten zu Domo d' Ossola wieder einen Richter ein. Dazu bestimmten sie nun den Francesco Brogno, den- vornehmsten Mann im Lande: sie befolgten damit ohne Frage die klügste Politik, welche sie wählen konnten. Freilich weiteren Versuchen, die von Mailand ausgingen und auf Wiedereinnahme des Eschenthaies sich richteten, war damit nicht vorgebeugt.

Indem die Schweizer Eidgenossen Herren von Domo d' Ossola geworden waren, hatten sie sich auf die Verbindungslinie zwischen Wallis und Oberitalien gestellt: sie beherrschten damit den Zugang zum Simplon- pass und konnten nach ihrem Gutdünken den Verkehr zwischen den savoyischen Gebieten am Genfersee und im Unterwallis und dem Mailändischen zulassen oder verhindern.

Wenn der Herzog von Mailand also einen Bundesgenossen gegen die Eidgenossen haben wollte, so suchte er ihn am besten im Grafen von Savoy en, und zu Savoyen hinwieder stand der mächtigste Herr im oberen Wallis, Freiherr Witschard von Raron, dessen Neffe Wilhelm den bischöflichen Stuhl von Sitten inne hatte. Es musste diesen geistlichen und weltlichen Herren im Rhonethale ein Dorn im Auge sein, dass die Walliser Gemeinden den Schweizer Eidgenossen nachstrebten und sich ihnen bereits angenähert hatten: ein Schlag gegen die eidgenössische Stellung zu Domo d' Ossola war zugleich eine Handlung der Abwehr gegen das Vordringen der Volksherrschaft im eigenen Lande. Dem savoyischen Hauptmanne, dem von Chevronefrün » nennt ihn der Obwaldnergab Witschard bei dessen Zug gegen Domo im Jahre 1414 sieben Meilen durch Wallis das Geleite und liess diesen Gegnern der Eidgenossen für ihr Geld Speise im Lande geben. So ging das Eschenthal zum zweiten Male, nun durch Savoyen vom Simplon her, für die Schweiz verloren.

Allein die Schweizer dachten noch nicht daran, das so mühselig zu behauptende Gebiet aufzugeben. Für den Augenblick freilich waren sie anderwärts beschäftigt, durch das zu Constanz zusammengetretene Concil und durch die Beziehungen zu König Sigismund, welcher, wie er sie 1413 gegen Mailand hatte verwenden wollen, bald darauf ihre Waffen gegen den Herzog von Oesterreich in Anspruch nahm: sie waren mit der Einnahme des Aargaues beschäftigt, welchen sie dann zwar für sich behielten und nicht, wie der König nachträglich mahnte, ihm zu Händen des Reiches zustellten.

So aber war das Jahr 1415 verstrichen, und erst 1416 konnte sich die Aufmerksamkeit wieder den Dingen über dem Gebirge zuwenden.

Zwar war die Lust, sich wieder in die Angelegenheiten des Eschenthaies einzumischen, theilweise wenigstens, nicht gross. In den ersten Maitagen 1416 schrieb Zürich an Uri, wo Boten aus dem Eschenthal und Vogogna erschienen waren, man würde sich wohl einer Mehrheit fügen; doch gingen sie lieber der Sache müssig. Auch noch im August und September war man zu Zürich der Ansicht, dass eine Verständigung mit Savoyen und eine Entschädigung, die dieser gegenwärtige Inhaber des Eschenthaies zahlen würde, solchen weiten Reisen, wobei man wohl verlieren, aber nicht gewinnen möchte, vorzuziehen wäre. Unterwaiden scheint die meiste Kriegslust verspürt zu haben; es erklärte, wer nicht mitziehe, ziehe seine Hand vom Eschenthale ab. Aber es liess auch zugleich einen weiteren Zweck bei dieser Wiederaufnahme der Eroberungspolitik deutlich durchblicken: schon Ende August erklärte Unterwaiden, dass auch denen vom Wallis am Eschenthale Antheil zu lassen sei. Denn im Wallis hatte, seit man das Eschenthal zum zweiten Male eingebüsst, die Sache der Volksherrschaft grosse Fortschritte gemacht.

Gegen den Witschard von Raron, welcher den Savoyern gegen Domo Steg und Weg, Hülfe und Rath gegeben hatte, war im Wallis im Volke ein gewaltiger Sturm losgebrochen, dessen Verlauf, wohl mit manchen sagenhaften Zügen ausgestattet, unter dem Namen des Aufstandes der Mazze ans unseren Geschichtsbüchern bekannt ist.

Während des Kampfes gelang es den Gemeinden, mit drei eidgenössischen Orten, zwei Ländern, Uri und Unterwaiden, und einer Stadt, Luzern, ewiges Bündniss abzuschliessen: rasch nach einander folgten sich da, Mitte October 1416, die Kirchliöreii Ernen und Münster und der ganze Zehnten « von Döss uf », das will sagen der Zehnten Gombs, 1417 im August und October die Zehnten Naters und Brieg, Visp, die Stadt Sitten und die Landleute von da aufwärts zu Gradetsch und Siders und beidseits des Rotten bis an den Leuker Zehnten. Allen gewährten die drei Orte ewiges Burgund Landrecht, und dazu sollen die « obrenthalb Döis » und die von Naters, Brieg, Visp in den siebenten Theil der Herrschaft Eschenthal, sammt Nutz und Schaden, mit eintreten, weil wenigstens die Gombser, Nâterser und Brieger bei der Wiedereroberung des Thales neben ihren neuen Bundesgenossen aus den Waldstätten mitgewirkt hatten.

Im September 1416 nämlich waren die Eidgenossen über die Berge gegangen und hatten das Eschenthal, aber ausserdem auch Val Maggia und Val Verzasca, Stücke also vom jetzigen Kanton Tessin, wieder eingenommen. Die Unterwaldner müssen, wie im Rath, so mit der That tapfer vorangegangen sein, da ein gräflich savoyisches Panner, wie der Obwaldner Chronist rühmt, nach Sarnen kam; Matarello, die Burg auf der Höhe über Domo, welche jetzt die reich geschmückte Kirche des Calvarienberges trägt, und des Richters zu Domo andere Burg wurden gebrochen; Geiseln wurden zur Sicherstellung der hergestellten Herrschaft abgeführt, und diese Gefangenen haben die Tagsatzungen mehrmals beschäftigt, besonders vor Weihnacht, als sie « nichts zu essen » hatten.

Aber nach vollendetem Erfolge kehrten die Eidgenossen auch jetzt wieder über die Berge zurück. Doch wenn nicht zum dritten Male die Anstrengung ohne Frucht bleiben sollte, war es durchaus nothwendig, die eingenommenen Landstriche nicht mehr so wenig bewacht zu lassen, wie in den zwei früheren Malen. Vor allem war Lorenzo di Ponte zu fürchten, der die savoyisch-mailändische Sache eifrig vertrat und Angriffe gegen Domo und Eschenthal überhaupt von neuem rüstete, ein Feind der Eidgenossen schon seit jenem Yiehraube im Sommer 1410. Um so eifriger liess sich Francesco Brogno, jener Podestat zu Domo, den die Eidgenossen schon 1411 als Richter eingesetzt hatten, deren Sache angelegen sein. Bereits im Anfang des November meldete er von savoyischen Werbungen; gegen Lorenzo — schrieb er am 1. December — habe er nach Leventina und nach Wallis um Hülfe geschickt, und er bat, mit dem Versprechen, sich inzwischen nach Kräften zu halten, besonders um Schützen zur Erhaltung der Schlösser. Da wurden neue Sendungen von Truppen unumgänglich nothwendig. Im December tagte man nicht weniger, als vier Male, zu Luzern. Beim ersten Zusammentreten waren Zürich, Luzern, Uri und Unterwaiden einhellig, nach Eschenthal zu ziehen, Zug und Glarus aber nicht. Freilich hatte man zu Zürich nicht gerne sich zur Sache entschlossen: man wolle nochmals den Eidgenossen zu Willen sein; allein von nun an meine Zürich,

nicht mehr in dieses Land zu reisen, und die Eidgenossen möchten gedenken, dass dasselbe fortan solcher Züge überhoben sein wolle. Ja sogar zu Luzern weist das Rathsbuch die Stelle auf: « Went die zwei Länder zien, so sont wir zien mit 200 Mannen, können von Eren nit der Reis über werden ». Schwyz wollte jetzt so wenig mitgehen, als ein Vierteljahr früher: es hat sich nur Mitte Februar 1417 eifrig nach den nun wirklich in das Feld gerückten Eidgenossen von den sechs Orten erkundigt, da « uns gar gröslich wundert », was für einen Fortgang ihre Sache nehme. Und ganz gewiss war dieser Winterfeldzug, den am 11. Februar 600 Mann, von jedem Orte 100, angetreten hatten, bemerkenswerth genug. Noch einen Monat früher hatten zu Luzern die Boten erklärt, man wolle dem Brogno Kenntniss geben, dass der Aufbruch aufgeschoben sei, und ihm die Ermahnung senden, bis dahin ritterlich sich zu halten; ja, durch Luzern war der Fall des Verlustes des Landes schon bestimmt in. Aussicht genommen: trete derselbe ein, dann — wurde von Luzern erklärt — meinten sie nicht mehr dahin zu ziehen. Doch hatte vielmehr jetzt die Erscheinung der über das beeiste Gebirge heruntersteigenden Schweizer einen überraschenden Erfolg: die Feinde waren eingeschüchtert, und ein Nidwaldner, Hans Spilmatter, wachte fortan als Richter über dem Vortheile der sechs nebst den zugelassenen Wallisern über Eschenthal herrschenden Orte. Freilich an Nachstellungen mangelte es auch jetzt noch nicht und schon im Juni 1417 schickte Spilmatter zwei seiner welschen Unterthanen, als des Meineides verdächtig, mit einigen für eine Belohnung empfohlenen Soldknechten nach der Schweiz hinüber, mit der Bitte, dieselben zu versorgen, dass sie nicht so bald wieder nach Eschenthal kämen.

Im September war die Sache so weit sicher, dass man ihn auf einer Tagsatzung zu Luzern für noch ein Jahr als Richter bestellte und seine Pflichten und Rechte einzeln feststellte; freilich seine bewaffnete Macht war nicht gross, da man ihm nur vier Knechte zur Seite liess. Um so besser ergibt sich aber hieraus, dass man der Eroberung sicher zu sein glaubte, und im März 1418 wurden auch Verzasca mit Mergoscia und Val Maggia ihm zur Oberaufsicht übergeben; dagegen sollten diesen weiter von Domo entfernten Landschaften, ähnlich wie den Leuten von Pommât, eigene Richter als seine Statthalter durch ihn gesetzt werden. Am 29. Aug. 1418 vollends bestätigte auch König Sigismund den Eidgenossen der sechs Orte, dass sie die Thäler « Eschental und Bomat, Falzask und Meyental und andere Teler dartzu gehörende » im Namen des Reiches beschützen und da richten dürften.

Von den acht eidgenössischen Orten hatte, wie wir sahen, Schwyz sich von den Eroberungen jenseits der Berge ferne gehalten; allein auch Bern, welchem bei seiner burgundischen Politik diese Dinge vollends ferne lagen — eine schüchterne Anregung auf einer Tagsatzung im December 1416, auch Bern zu mahnen, blieb erfolglos —, war nicht nur nicht unter den Mitbeherrschern des Eschenthaies; sondern wegen der mit der Eschenthaler Sache enge verbundenen Walliser Angelegenheit wäre es sogar nahezu zwischen den Bernern und den Bundesgenossen der Walliser Ge-

35 meinden, Luzern, Uri und Unterwaiden, zum Bruche gekommen.

Der so schmählich aus dem Wallis vertriebene Witschard von Raron nämlich war ein Bürger zu Bern, schon seit 24 Jahren, wie die Berner 1417 darthaten, und überhaupt war den Bernern der Umstand nicht erwünscht, dass sich nun auch südlich von ihrem Oberlande, im Wallis, nicht mehr bloss östlich und nördlich, in Uri und Unterwaiden, die Volksherrschaft befestigen sollte. Thatkräftig fingen die Berner anr sich Raron's anzunehmen; da ihre Verwendungen nichts fruchteten, ergriffen sie die Waffen. Aus frischester Erinnerung erzählt der Berner Stadtschreiber, welchem die Herren von Bern 1420 eine Chronik der Stadt zu schreiben den Befehl gegeben hatten, von diesen Kämpfen gegen Wallis, wie die Oberländer im Herbst 1418 über den Sanetschpass zogen und Sitten verbrannten, wie im August 1419 ein auf 5000 Mann geschätzter Zug am Wild Eisigen vorbei den Lötschenpass einnahm und im Lötschenthale für Bern die Huldigung empfing, dann wie im October von neuem über der Grimsel ganz oben im Wallis gebrannt und geplündert wurde, zu Oberwald, Obergestelen und Ulrichen, wie aber die Walliser sich rächten und vierzig von Bern zu Ulrichen erstachen, dann die Nachhut über die Grimsel zurück verfolgten und dort am Spital mit derselben in verlustreichem Scharmützel fochten * ). Mit diesen Kämpfen und noch häufigeren

* ) Vergleiche Konrad Justinger's Berner-Chronik, von Dr. Studer herausgegeben, besonders pag. 261 und 262, 266 und 267 ( wo ein Nachtlager auf dem vergletscherten Lötschenpass: „ Also zoch man uf den Gletscher und lag man da Kaubfahrten — einmal nahmen die Saaner den Wallisern 3000 Schafe weg — gingen gleichzeitig durch alle diese Jahre hin eifrigste Unterhandlungen für den Frieden fort:

ein neuerer Walliser Geschichtschreiber rechnete 31 solche Verhandlungen zusammen. Es war ein grosses Glück, dass vier Orte, wenn auch drei von ihnen am Eschenthale Antheil hatten, doch in der Walliser Sache als unparteiisch handeln konnten, nämlich Zürich, Schwyz, Zug und Glarus. Deren unermüdliche Anstrengungen zu vermitteln verhinderten wenigstens den Kampf zwischen Bern und den mit den Wallisern verbündeten drei Orten selbst und verunmöglichten dadurch einen inneren Krieg zwischen den Eidgenossen; allein den inneren Zwist im Wallis schlichteten erst, allerdings unter Anwesenheit von Boten dieser vier unparteiischen Orte, drei auswärtige Fürsten, der Herzog von Savoyen. der Erzbischof von Tarentaise und der Bischof von Lausanne, auf einem Tage zu Evian im Januar 1420. Ein schweizerischer Jurist, der über diese Angelegenheiten interessante Erörterungen gab, sagte mit vollem Rechte, dass das eidgenössische Recht, dem die Walliser sich nicht hatten unterziehen wollen, jedenfalls wohlfeiler als dieses auswärtige mit seinen sehr bedeutenden Geld-entschädigungen gewesen wäre ( unter anderm auch 1000 Gulden an die fürstlichen Schiedsrichter.

die Nacht, und also heisse der Tag gewesen waz — 10. Aug. 1419 —, also bitter kalt waz die Nacht und wart grosser Frost gelitten von Kelti und Ungewitter " ), 270 und 271.

* ) Vergleiche Dr. Blumer's, des schweizerischen Bundes- gerichtspräsidenten, Anmerkung zu Nr. 160 in Bd. I seiner Urkundensammlung zur Geschichte des Kantons Glarus.

In den gleichen Jahren, wo dergestalt die Walliser Frage, die mit dem Eschenthale in gewissen Beziehungen steht, nahezu einen Krieg in der Eidgenossenschaft entzündet, die alten Kampfgenossen von Laupen entzweit hätte, regierten die sechs eidgenössischen Orte und die Berechtigten im Wallis unangefochten über ihre weiten Eroberungen: an die Stelle des Richters Hans Spilmatter tritt im Herbste 1418 der Zürcher Jakob Stucki; man findet mehrmals Abrechnungen über Vertheilung der eingegangenen Gelder; die Verwaltungs-sachen des Eschenthaies und Meienthales bilden einen regelmässigen Verhandlungsgegenstand auf eidgenössischen Tagen. Allein das schweizerische Gebiet über dem Gotthard wurde sogar noch weiter ausgedehnt. Die Stellung der Urner und Obwaldner im obern Tessinthale, in Leventina, und diejenige der sechs Kantone in Val Maggia und Verzasca war doch noch stets bedroht, so lange der Schlüssel zum Tessingebiete, die feste Stadt Bellinzona mit ihren Schlössern, in fremder Hand lag. Mochten auch die Herren von Bellenz, die Freiherrn von Sax zu Masox, schon seit. 1407 ihr Landrecht mit den Herrschern über Leven-, Lina, Uri und Obwalden, beschworen und eidlich versichert haben, ihre Schlösser zu Bellenz den beiden Orten jeder Zeit offen zu halten, ihnen in Kriegen und anderen Sachen gehorsam zu sein: es zeigte sich doch nach nur zwölf Jahren, dass diese « eingesessenen Landleute » nicht durchweg zuverlässig seien und nicht umhin konnten, auch mit dem Herzog von Mailand sich unter der Hand einzulassen. Die Gefahr lag 1419 nahe, dass sich Mailand der Festung Bellenz bemäch- tige, wodurch natürlich die eidgenössische Herrschaft in Leventina und in den Thälern der Maggia und Tosa gleich sehr gefährdet worden wäre.

Da — sagt unser Obwaldner — waren die Länder vorher gewarnt und vor den mailändischen Söldnern da und verwehrten es, dass es nicht geschah. Mit der Hülfe der anderen Orte — natürlich wieder ohne Bern — wurde zwischen den Freiherrn und den zwei Ländern vermittelt, dass diese Bellenz käuflich zu eigenen Händen erwarben, worauf die von Sax am 1. September des gleichen Jahres 1419 ihr ewiges Landrecht gegenüber Uri und Obwalden, den neuen Gebietern über Bellenz, beschwuren. Jetzt erst, indem die Herren von Leventina ihre Grenzen bis auf den Monte Cenere gerückt hatten, indem der natürliche Hauptplatz des Tessinlandes — Bellinzona hat als Strassenknoten und Gebieterin der Thalfäche- rung hier die gleiche Wichtigkeit, wie drüben im Tosagebiet Domo d' Ossola, « das Haus des Eschenthaies » — eidgenössisches Eigenthum geworden war, schien die Stellung jenseits des Gotthard recht gesichert. Aber um sie zu halten, bedurfte es andererseits einer noch gesteigerten Wachsamkeit, zumal da ein Angriff auf Bellinzona gar leicht den Verlust aller Herrschaften über dem Gebirge zur Folge haben konnte.

Der Obwaldner erzählt, dass der Herzog von Mailand die zwei Länder Uri und Obwalden aufgefordert habe, sie sollten ihm Bellinzona zu kaufen geben; allein das schlugen sie ihm ab: « du fur der Herre zu und nam Bellitz — es war um Ostern 1422 — unabgeseiter Sach in », und nun folgte jenes noch heute, wenn man die Verhandlungen verfolgt, ein peinliches Gefühl hervorrufende Markten um die Hülfe und den Zuzug über das Gebirge.

Schon Montag nach Palmsonntag schrieben die Zürcher, sie wollten vor der Hand nirgends wohin ziehen und im Falle bundesgemässer Mahnung nur ihrem Bundbriefe von 1351 genug thun, das will sagen, « untz uff den Plattiver », den Monte Piottino oberhalb Faido, rücken, weiter aber nicht; desswegen habe man ja auch den Wallisern den siebenten Theil am Eschenthale eingeräumt, damit Zürich dieses Thal nicht müsse schirmen helfen. In solcher Weise kam es am Tage nach St. Peter und Paul, den 30. Juni, 1422, zu jenem verderblichen Kampfe vor Bellenz, zu Arbedo jenseits der Moesabrücke, wo die Urner, Unterwaldner und Luzerner, mit ihnen die von Leventina, zuerst allein die grosse Macht des Herrn von Mailand, welche aus der Stadt gerückt war, auszuhalten hatten, dann erst die Zuger während des Kampfes eintrafen, die Schwyzer sich nicht entschliessen konnten, rechtzeitig über die Moesa zu gehen und miteinzugreifen, und die Zürcher auch erst kamen, als es zu spät war. « Der almeehtig Got » — sagt der Obwaldner — « half, das sy das Feld behalten und ir Er »: die Mailänder waren zurückgeschlagen — sogar ein Haupt.panner verloren sie an Luzern — und sie durften den Rückzug nicht stören. Mit welchen Gefühlen mögen aber die zu spät Erschienenen den Verlust ihrer Eidgenossen vernommen, die gelichteten Reihen gesehen haben: Uri unter anderm hatte 56 Mann eingebüsst, vom Landammann und Hauptmann bis zum Lands- pfeifer, Zug 82, Luzern sogar 146. Viele Schiffe, mit Leuten beladen, hatten die Stadt verlassen, und nur zwei kehrten zurück.

« Min Heren von Lucern », so berichtet ein etwas späterer Luzerner Geschichtschreiber, « verbuten by hohem Buoss und Pen, das niemand uss den Hüsern dorfft gan luogen, wie di iren kämendr sunder must man da heimen warten, welhem der sin kam oder nit ». Es ist bezeichnend, dass dieser gleiche Mann, wenigstens zwei Menschenalter später, sich noch ausdrücklich verwahrt, es solle Niemand denken, dass er « jeman zetratz ein Ort, so nit am Strit wz, fürer, denn das ander » gemeldet habe. Jedenfalls war der Schmerz über den Verlust einerseits, der selbst ge- -machte und von andern gehörte Vorwurf andererseits sehr gross, und Zürich anerbot sich förmlich Ende Juli 1422, wollte ihm jemand etwas wegen dieser Sachen vorhalten, desswegen nach Einsiedeln zu Recht zu kommen..

Dass unter solchen Umständen der Verlust von Bellinzona auch demjenigen von Domo d' Ossola gleich kam, dass mit Leventina und Verzasca und Val Mag-.gia auch Eschenthal und Pommât verloren gingen, kann uns nicht überraschen: wo so wenig zusammenwirkende Kraft vorhanden war, konnte von ausreichender Verteidigung keine Eede sein. Wohl waren Luzern, Uri, Zug und wenigstens halb Unterwaiden — Ob-Ewalden hatte zur Annahme der von Mailand gebotenen 20,000 Ducaten Hand geboten — schon im November 1422 zu einem Vergeltungszuge völlig entschlossen, und im December wurde zu Schwyz besprochen, wie man die von Bern und Zürich in den Krieg gegen Mailand bringen möchte; auch 1423 gingen diese Aufforderungen fort und ein weitreichender Plan wurde sogar von König Sigismund nach dessen phantastischer Art -vorgelegt, über einen combinirten Angriff mit Savoyen und Florenz — später war auch noch vom aragonischen Könige die Rede — gegen den Herzog von Mailand.

Die kriegslustigen Orte nahmen ihn an; Zürich, Bern und Schwyz jedoch wiesen ihn ab, falls nicht der König selbst komme und mit seinem Leib und Panner vorangehe. 1424 wieder folgten immer neue Mahnungen bei den beschworenen Bünden und fanden stets die gleichen Antworten in Zürich und Bern, Schwyz und Glarus, dass man mit der nur Verderben und Schaden verheissenden Sache nichts mehr zu schaffen haben wolle, zumal da, wie Zürich im Juni hervorhob, der Mailänder Herzog so mächtig und glücklich in seinen Unternehmungen sei und Bellenz beinahe bis zur Unbezwinglichkeit befestigt habe. Dessen ungeachtet scheint im Spätherbste 1424 noch ein Auszug stattgefunden zu haben, von dem aber Obwalden und Zug sich gleichfalls ferne hielten und der ohne Erfolg blieb.

Erst 1425 kam es nochmals zu zwei allgemeinen eidgenössischen Rüstungen, und zwar galt die zweite wieder dem Eschenthale.

Noch gegen Ende Juli 1425 hatte Zürich allen Eidgenossen auf St. Jakobsabend nach Luzern einen Tag angesetzt, um den Kriegszug abzuwenden. Trotzdem gingen vierzehn Tage später mit den sechs anderen östlichen Orten — nur Bern hielt sich wieder ferne — auch die Zürcher, in Allem 4000 Mann, wozu auch St. Galler und Appenzeller stiessen, über Gotthard und Plattifer bis vor Bellenz; da harrten sie der Feinde auf dem Schlachtfelde vor Arbedo:

aber wie sie die Mailänder hinter ihren festen Mauern nicht anzugreifen den Muth hatten, so wagten sich diese nicht auf das freie Feld hinaus, so dass, da kein Feind kam, das Heer wieder zurückging. Freilich scheint auch jetzt wieder, wenn wir eine Nachricht des Ohwaldners hierauf beziehen dürfen, Uneinigkeit im Lager geherrscht zu haben: danach hätten die Eidgenossen ihre Büchsen zerschlagen und wären etliche in Unwillen gezogen; die St. Galler wollten nichts ohne die Zürcher thun; vortrefflich waren die Appenzeller, denen ihre Herren befohlen hatten, auf die Wallstatt zu ziehen und mit Leib und Gut der Eidgenossen Schaden rächen zu helfen: « Hätten die andern all also getan, so were es wohl gangen; sy wölten aber nit dran ». So war Bellinzona dem Mailänder nicht entrissen worden.

Da griff die Jugend von Schwyz noch im späten Herbste kühn und kräftig durch. Die offenen und heimlichen unfreundlichen Reden, wegen des Unglücks von Arbedo, hatten die Schwyzer oft verdrossen, wie die Berner Chronik berichtet, und so thaten sich um St. Gallstag, ohne Wissen und Erlaubniss der Obrigkeit, wie gesagt wird, 500 junge Leute zusammen, besonders aus Schwyz, aber auch Urner und Unterwaldner, Luzerner, Entlebucher, Ruswiler, und vollführten nach schleunigem Zuge einen Handstreich gegen Domo d' Ossola: in der Nacht flohen die Welschen aus dem einen Thore, während die schweizerische Frei-schaar durch das andere einstürmte. Allein bald sammelte sich eine grosse Macht vor Domo und obschon die Gesellen ihren Muth nicht verloren und der Anführer, Peter Risse von Schwyz, die Aufforderungen zur Uebergabe tapfer abwies, so war die Gefahr für das Häuflein doch gar gross.

Allein man wusste zu Hause von der Noth, und jetzt waren es natürlich die Schwyzer, sie, die sich stets zurückgehalten, die am Eschenthale nie Antheil gehabt hatten, welche vorangingen: sie mahnten alle Eidgenossen und baten auch die Berner. Da schwiegen alle politischen Erwägungen und man stritt sich nicht mehr über Artikel von Bundesbriefen: nur noch an die bedrohten jungen Eidgenossen dachte man, und sogar Bern vergass seine Abneigung gegen Reisen über das Hochgebirge; es mahnte seine Bundesgenossen von Solothurn, und kam über « Bünn und Betsch », also über den Albrunpass, Mitte November, mit 5000 Mann * ), am neunten Tage vor Domo an. Freilich war da die Hauptsache schon gethan; aber nichts destoweniger war die Freude gross, dass eine Stadt, die man nicht gemahnt, sondern nur gebeten hatte, so reichlich mit Hülfe sich einstellte. Die Eidgenossen hatten sich zu « Grat », wie ein Zürcher erzählt, das ist wohl zu Crodo, am unteren Ende des Val Antigorio, gesammelt, .von wo sie nur durch den Engpass zu der « steinen Stegen » nach Crevola und Domo hinauskommen konnten; da wurden 1600 « der ringsten und die allerbest ze Fuos mochten » ausgewählt, welche unter grossen Schwierigkeiten und Ge- fahren den stark besetzten « Gräffischperg », oder wie er

* ) Justinger sagt pag. ,283: man habe keinen Mann „ von Siechtagenen " verloren.

auch heisst, « Greselberg », erstürmten und den Pass öffneten. Schleunigst wichen die Feinde bei Nacht mit Fackeln von Domo, dessen schweizerische Besatzung gänzlich der Noth entrissen war. Allein umsonst lagen die versammelten Panner fünf Tage und fünf Nächte auf offenem Felde vor Domo, auf den Feind harrend, und entboten ihm, sie wollten noch länger warten, wenn er mit ihnen fechten wolle. Ohne dass es zu einer Schlacht kam, kehrte das grosse Heer, nachdem sein Hauptzweck allerdings erreicht war, noch im November 1425 über die Berge zurück. Das Eschenthal war damit nicht von neuem gewonnen worden. Für die Rettung der Bedrängten hatte man gerne gerüstet: für die Behauptung der weit entlegenen Besitzungen, mochten dieselben auch noch so viel Verlockendes haben, wollte man nichts mehr thun. Ausdrücklich liessen Schultheiss und Rath von Bern in ihre Chronik eintragen, dass man « sich in künftigen Ziten von dishin vor solichen ungewöhnlichen, sorg-samnen Reisen hüten solle und wolle ».

Das folgende Jahr 1426 brachte endlich den Abschluss des seit 1422 obwaltenden Kriegsverhältnisses gegenüber Mailand, während dessen natürlich der Gott- har dhandel gesperrt gewesen war. Im Januar war man zu Sitten der Besiegelung des Vertrages schon ganz nahe gerückt, als Obwalden zurücktrat. Man hätte darnach von Mailand für Abtretung aller Herrschaften über dem Gebirge, Leventina, Bellinzona und Eschenthal, 30003 rheinische Gulden mit fünfjähriger Zollfreiheit auf der Beilenzer Strasse erhalten. So kam der Friede erst im Juli in zwei verschiedenen Ver- trägen, zuerst für Zürich, Schwyz, Zug und Glarus, dann für Luzern, Uri und Nidwaiden, für eine etwas geringere Summe im Ganzen, doch für längere und ausgedehntere Zollfreiheiten zu Stande.

Es ist bekannt, dass es hierbei nicht geblieben ist. Der eidgenössische Ort, welcher zunächst auf Italien angewiesen war, Uri, greift schon nach vierzehn Jahren wieder über den Gotthard hinüber und besitzt seit 1440 Leventina als Unterthanenland ohne Unterbrechung bis zum Ende der alten Eidgenossenschaft. Mit dem Ende des 15. Jahrhunderts und dem Anfange des 16. mischten sich die Eidgenossen in die Kämpfe über Oberitalien ein, und zuerst'wird Bellinzona wieder gewonnen und im Jahre 1500 nebst der Riviera und Val Blegno in gemeine Herrschaften für Uri, Schwyz, Nidwaiden — Bellenz, Bollenz, Revier — verwandelt. 1512 dann, nachdem die Tagsatzung für den jungen Maximilian Sforza das Herzogthum Mailand den Franzosen entrissen hatte, liess sie sich, als gemeinschaftliche Unterthanenlande für zwölf Kantone — Appenzell war noch kein eidgenössischer Ort vollen Ranges — einerseits den Rest des jetzigen Kantons Tessin, Lugano, Mendrisio, Locarno und Val Maggia, andererseits aber auch Domo d' Ossola und das Eschenthal abtreten ( im gleichen Jahre erwarben die Bündner ihre Herrschaften Valtellina, Bormio und Chiavenna ). Allein diese abermalige Herrschaft an der Tosa dauerte nur drei Jahre: mit der vorübergehenden Grossmachtstellung der Eidgenossen fiel auch sie 1515 durch den Sieg Franz I. bei Marignano dahin, und von da an ist und bleibt das Eschenthal eine verlorene schweizerische Eroberung.

Die Geschichte der mehrmaligen, aber stets vorübergehenden Zugehörigkeit des Stückes Italien hinter San Giacomo und Gries und Albrun und Simplon zur Schweiz ist ein weniger beachtetes, aber dennoch « in lehrreiches Blatt vaterländischer Historie. Es ist keine Frage, dass durch die Eschenthaler Sache die Beziehungen zu Wallis sich für die Eidgenossen rascher knüpften, und dass denselben so die Wichtigkeit des Anschlusses tessinischer Gebietstheile klarer vor die Augen trat. Allein andererseits gehört die Geschichte dieser verlorenen schweizerischen Eroberung zu jenen sehr zwiefacher Beurtheilung unterliegenden Ereignissen, die wohl zum äusseren Schmuck unserer Geschichte dienen, deren Inhalt aber nicht dazu beitrug, unseren Staat wahrhaft innerlich zu stärken.

Die Eschenthaler Eroberungspolitik zählt zu jenen Unternehmungen, auf welche die deutschen Söldner in einem Spottliede nach 1515 hindeuteten, als sie den besiegten Eidgenossen zusangen: « Bruder Klaus in seim Leben hat euch den Rat nit geben, gefolgt hett ir im eben: ir werent nit so weit gezogen in frembde Streit ». Allein andererseits soll man auch nicht vergessen, dass in einem Kampfe um Eschenthal jene Begrüssung Hülfe bringender Eidgenossen vor Domo d' Ossola geschah, wo am Sonntag nach Martini 1425 in der Frühe eine Rede des Hauptmannes von Schwyz, « so ernstlich und dankbarlich, daz manch Man die Augen nass wurden », gegenüber einem vortrefflich gerüsteten Heere von Eidgenossen und Befreundete^ der Berner und Solothurner, gehalten wurde, gegenüber Helfern in der Noth;

denen jede Verpflichtung, zu erscheinen, ferne gewesen war, die nur aus dem guten Willen und aus eidgenössischer Liebe und schweizerischer Treue die Aufforderung, sich einzustellen, entnommen hatten.

IV.

Kleinere Mittlieilungen.

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