«Es war ein absurder Teufelskreis»
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«Es war ein absurder Teufelskreis» Porträt des Genfer Freeriders Mathieu Schaer

Er war ein Star in der kleinen Szene der «Core»-Snowboarder und hatte mit «Skiporn»-Videos Erfolg. Heute lebt der Genfer Freerider Mathieu Schaer eine nachhaltige Haltung vor und gehört zu den Botschaftern von «Protect Our Winters».

Er liebt den Pulverschnee, und sobald der Winter in den Alpen Einzug hält, zieht er harmonische Linien in den Schnee oder macht «krasse Sachen». Und das häufig vor den Kameras erfahrener Filmer.

Ein Profi-Freerider wie alle anderen ist Mathieu Schaer aber nicht. Der Genfer Snowboarder hat vor zehn Jahren eine ökologische Wende vollzogen. Seitdem lässt «Mat», wie er in der Szene genannt wird, kaum eine Gelegenheit aus, um ein Wort für seine Sache einzulegen. Er ist unter anderem wissenschaftlicher Mitarbeiter bei MeteoSchweiz, und wenn es um ökologische und klimatische Themen geht, lässt er nicht locker. Das war aber nicht immer so.

«Meine Eltern liebten die Berge», sagt Mat Schaer. Sein Vater war Architekt, und seine Mutter arbeitete im sozialen Bereich. «Als ich drei Jahre alt war, stellte man mich auf die Ski.» Als sein Bruder Nelson mit neun Jahren auf das Snowboard umstieg, folgte er ihm. Die Familie besass ein Chalet im französischen La Clusaz. Jedes Wochenende drehte sich bei den Brüdern alles um Freeride und Freestyle. Im Sommer gingen sie mit Freunden aus dem Gymnasium zum Training in den Snowpark von Les Deux Alpes. «Wir verschlangen Fachzeitschriften und schauten uns die neuesten Videos in Endlosschlaufe an. Snowboarden war ein grosser Teil unseres Lebens», sagt Mat Schaer.

Es ist Anfang Oktober in einem Wohnquartier in Chêne-Bougeries bei Genf. Der 32-jährige Romand ist gerade vom High Five Festival in Annency zurückgekommen. Die 120 Kilometer hin und zurück hat er mit dem Velo über den Salève bewältigt.

Whistler bringt den Durchbruch

Der berühmte franko-schweizerische Berg, wo das französische Wort «varappe» für Klettern entstanden ist, weil Ende des 19. Jahrhunderts eine Handvoll Genfer Kletterer in der Gorge de la Varappe Klettergeschichte geschrieben hat, ist auch Mathieu Schaers Hausberg. Hier absolviert er seine physische Vorbereitung mit Trailrunning und Mountainbiking.

Sein Traum wird Wirklichkeit, als er mit 16 Jahren einen Sponsoringvertrag erhält. Es folgen die ersten Wettkämpfe, an denen er oft auf dem Siegerpodest steht. Als Perfektionist bringt der Genfer einen 200-prozentigen Einsatz. Im Gymnasium ist er ein ausgezeichneter Schüler, deshalb wird ihm ein Quartal im Ausland bewilligt.

Er entscheidet sich für die kanadische Kultdestination Whistler. Offiziell will er sein Englisch perfektionieren, aber auf dem Snowboard sind seine Fortschritte noch augenfälliger. Nach seiner Rückkehr beginnt er, sich in Wettkämpfen mit den Weltbesten zu messen, und erreicht schnell gute Platzierungen. Professionelle Filmer werden bei einem Big Air Festival auf ihn aufmerksam, und der Genfer wird von der renommierten Filmproduktionsfirma Absinthe Films unter Vertrag genommen. Für sie dreht er eine Reihe «Skiporn»-Filmclips, die für ein Nischenpublikum von Enthusiasten bestimmt sind und spektakuläre Rides sowie extreme Linien zeigen.

Unverhältnismässige CO2-Bilanz

Nach der Matura beschliesst er, sich ganz auf das Snowboarden zu konzentrieren. Seine Verträge erlauben ihm, davon zu leben. «Freeriden ging ich vor allem in den Alpen, und ich reiste oft im Zug. Aber ich nahm auch das Flugzeug, um in Japan, Neuseeland oder Alaska zu snowboarden.» Ein einziges Mal kostet der Profi von der «verbotenen Frucht» des Heliskiings. «Innerhalb von drei Stunden hatten wir so viele gute Aufnahmen im Kasten wie sonst nach drei Tagen. Das war amüsant und bizarr zugleich.»

Mat ist in dieser Zeit in Topform. 2013 beschliesst er aber, neben dem Freeriden sein Studium der Umweltingenieurwissenschaften an der EPFL wieder aufzunehmen. «Die Welt der Profisnowboarder ist hedonistisch, das gefiel mir nicht. Ich bin eher der Typ, der an die Zukunft denkt und nicht bei jeder Gelegenheit einen Champagner entkorkt.» Das Studium weckt in ihm eine «in der Familie liegende ökologische Ader». Gespräche mit seinem Bruder, der vor ihm ein Studium der Geowissenschaften begonnen hat, bestärken ihn in seiner «Bekehrung». Diese stützt sich aber auch auf Zahlen und Fakten, auf die Berichte des IPCC und auf die philosophischen Ideen des französischen Schriftstellers und Umweltschützers Pierre Rabhi. Kurz zusammengefasst: «Ich verursachte eine unverhältnismässige CO2-Bilanz, um guten Schneeverhältnissen nachzujagen, die genau aufgrund der Klimaerwärmung durch den CO2-Ausstoss seltener werden. Es war ein absurder Teufelskreis.»

Die Alpen neu entdeckt

Er geht weiter freeriden, zwar mit dem Zug, aber in seinen Filmen bringt er dies noch nicht zum Ausdruck. Er verliert seinen Hauptsponsor, ist aber «immer noch Feuer und Flamme» und kann neue Sponsoren gewinnen, die seine Werte teilen. 2018 kommt der Film Shelter heraus, in dem für jede Szene nur die öffentlichen Verkehrsmittel und das Splitboard verwendet wurden. Im Film hat auch Jeremy Jones einen Auftritt. Dieser US-amerikanische Rider war der erste, der mit seiner Organisation «Protect Our Winters» das Thema der Klimaerwärmung in der Snowboardszene angesprochen hat (siehe Kasten).Diese Wende katapultiert Mat Schaer aus der «Core»-Snowboardszene in die breite Öffentlichkeit, wo er Argumente vorbringt, die ihre Kraft seiner Glaubwürdigkeit als Ingenieur verdanken. «Man muss diesen Wandel vorleben. Ich habe mir Beschränkungen auferlegt, die es mir ermöglicht haben, die Schätze unserer Alpen wiederzuentdecken, anstatt nach Japan zu fahren, um zu freeriden», sagt er.

Diese Wende katapultiert Mat Schaer aus der «Core»-Snowboardszene in die breite Öffentlichkeit, wo er Argumente vorbringt, die ihre Kraft seiner Glaubwürdigkeit als Ingenieur verdanken. «Man muss diesen Wandel vorleben. Ich habe mir Beschränkungen auferlegt, die es mir ermöglicht haben, die Schätze unserer Alpen wiederzuentdecken, anstatt nach Japan zu fahren, um zu freeriden», sagt er.

«Jetzt bin ich ein Wanderer»

Heute verlässt der Genfer seine Wohnung mit seinem Board auf dem Rucksack, noch während der Schnee fällt. «Und das alles, um im richtigen Augenblick auf dem Hang der Wahl zu stehen. Das ist ein völlig anderes Vorgehen. Ein fantastisches Vergnügen», sagt er. Als Profi sei er auf Skiorte konzentriert gewesen. «Jetzt bin ich ein Wanderer und Amateurbergsteiger geworden.»

Dem 30-Jährigen ist bewusst, dass sein Engagement andere Leute abschrecken oder brüskieren kann. «Dann mässige ich mich, obwohl es mich immer reizt, die Industrie herauszufordern und zu versuchen, alle Akteure der Bergwelt zu vereinen, vom Bergführer bis zum Jugendlichen, der seine gesamte Freizeit in den Snowparks verbringt, damit wir alle zusammen Teil des Wandels sein können.» Er setze sich für einen systemischen und strukturellen Wandel in grossem Massstab ein, denn nur so könnten wir die ökologischen Krisen wirksam bekämpfen.

Zumindest ein Ziel scheint erreicht. «Früher gab es keinen einzigen Film ohne eine Einstellung, die den Rider am Steuer seines SUV oder beim Ausstieg aus dem Helikopter auf dem Gipfel zeigt, als ob das zu unserer Disziplin gehörte», sagt Mat Schaer. Einen Rider zu zeigen, der im Zug anreist, war völlig rückständig, jetzt ist es cool geworden. Heute überlagern sich die zwei Welten. «Ich glaube, dass die neue schliesslich die alte zu Grabe tragen wird.»

Hier gehts zum Film Shelter:

Klimaschutz und Berge

«Protect Our Winters» ist eine Non-Profit-Organisation, die sich dem Klimaschutz in den Bergen verschrieben hat. Sie geht auf das Engagement des amerikanischen Snowboarders Jeremy Jones zurück. Er beschloss im Jahr 2007, die Leidenschaft für die Berge mit dem Klimaschutz zu verbinden, und gründete in den USA eine Organisation, die sich explizit für die Outdoorgemeinschaft einsetzt und von ihr getragen wird. Mathieu Schaer ist einer der 22 Schweizer Botschafterinnen und Botschafter, weltweit gibt es über 200. www.protectourwinters.ch

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