Excursionen im Valserthal und Rheinwald
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Excursionen im Valserthal und Rheinwald

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Von H. Zeller-Horner.

Der Grat des Frunthornes im Valserthal.

Nachdem ich die obersten Verzweigungen des Valserthals durch den Besuch von Zervreila, Lenta und Kanal kennen gelernt hatte, wollte ich, um die so wenig bekannte nördliche Ansicht der Adulagruppe zu gewinnen, noch einen geeigneten Gipfel bestiegen. Das Weissensteinhorn 2949 m, welches von den Thalbewohnern als sehr aussichtsreich empfohlen wird, war seiner Lage nach meinem Zwecke nicht entsprechend; besser passte mir ein Standpunkt auf dem begletscherten Gebfrgsast zwischen Vais und Vrin, dessen höchste Gipfel der Piz Aul 3124 m, das Frunthorn 3034 m und Piz Scherboda 3124 m sind. Ich wählte das Frunthorn, welches den Adulahörnern ungefähr in der Mitte gegenüber liegt und meinen Namen von dem nördlich ob Zervreila liegenden Weiler Frunt hat.

Als am 6. September 1867 der Sonnenuntergang wieder schönes Wetter verkündete, bestellte ich auf den folgenden Morgen vor Tagesanbruch einen jungen Mann, Namens Joseph Schneider, welcher mir als des Gebirges kundig empfohlen worden war. Dank der Fürsorge meines gefälligen Wirthes Herrn Albin in Vals-Platz konnte ich mit einem währhaften Frühstück im Magen, schon vor 4 Uhr Morgens die Reise antreten. Von Platz aus ist das südwestlich gelegene Frunthorn nicht sichtbar, wohl aber ein Vorsprung desselben, die felsige First des Dachberges. In dieser Richtung stiegen wir gleich jenseits der Brücke bergan, wo uns in der Dunkelheit ein Fusspfad wohl zu Statten kam, auf welchem wir in zwei Stunden oberhalb der Hütten der Alp Leiss zu einem Steinmanuli gelangten, wie solche von den Hirten auf weitsichtigen Punkten häufig errichtet werden. Schöne Alpweiden dehnen sich da weit und breit aus und endigen an den Geröllhalden des Piz Aul, hier Leisserhorn genannt, und des Hoh-band, welche beide als schroffer Felsenbau sich aufthürmen. Von dort erreichten wir eine Einsattlung zwischen dem Schwarzhorn und Frunthorn, wo sich mit einem Mal eine überraschend schöne Aussicht auf das alpenreiche Vrin und die Kette der Glarner Alpen darbot.

Dieser Pass führt über Schneestreifen und Schutthänge nach der Vrineralp Vanescha hinab und wird im Sommer häufig von den Thalbewohnern benutzt. In altern Karten heisst derselbe Pettnauerjoch, ein Name, der in Vais zwar nicht bekannt zu sein scheint.

Die Sonne vergoldete schon längst die hohen Gipfel und Firnen und schien die noch reichlich an den Gräten haftenden Herbstnebel gänzlich auflösen zu wollen. Wir setzten daher unverdrossen unsern Weg fort, dessen Richtung nicht zweifelhaft war; denn hinter dem Profil des südöstlich sich aufthürmenden Felsgrates ragte auf einem nicht mehr fern scheinenden Gipfel ein Steinmannli empor, welches nichts anderes als das Signal des Frunthorns sein konnte.

Nun hört alle Vegetation auf, über mächtige Trümmer, Schnee und Firn erreichen wir eine Stelle des Grats, wo ein weiteres Vordringen durch einen tiefen Einschnitt verhindert zu sein scheint. Es geht aber dennoch, und mit Ausnahme einer etwas pikanten Stelle. wo wir auf einem Felsgesims unter einer vorspringenden Platte gebückt durchkriechen müssen, ist die Sache nicht so schlimm und wir gelangen rechts unter einer überhängenden Klippe durch zu einem Hörn, welches auf der Nordseite erklettert werden kann. Arge Enttäuschung! Der höchste Gipfel schien in gerader Linie nicht über eine Viertelstunde entferntf war aber durch eine so bedeutende Kluft von uns getrennt, dass ich theils wegen Ermüdung, theils weil der Uebergang des vielfach zerrissenen Grates nur sehr schwierig und mit grossem Zeitverlust verbunden gewesen wäre, die Ersteigung -desselben aufgab, um so eher, als der gewonnene nordöstliche Gipfel, den ich vergleichsweise auf circa 3000 m ü. M. schätzte, im Uebrigen eine fast vollständige Kundsicht gewährte. Der sonst aufmerksame und willige Führer entschuldigte sich für die etwas verfehlte Richtung mit der Berner- kung, dass es hier auch Frunthorn heisse.

Es war 9 Uhr, folglich hatten wir vom Dorf an 51'i Stunden gebrauchtr Rast inbegriffen.

Die Aussicht ist grossartig, aber es war nicht leicht, mich in den mir grösstentheils neuen Gebirgsformen nah und fern zu orientiren. Prächtig entfaltet sich die Kette der Urner- und Glarner Alpen über den grünen Lugnezerbergen. Ferner die Rhätikonkette bis zum Silvretta, jedoch zum Theil von den nahen Safier- und Domleschgerbergen unterbrochen, die Berninagruppe, näher die Averserberge und das schöne Tambohonu Westlich der Piz Terri 3151 m, dessen durchfurcEte schwarze Schieferwände mit wahrhaft abschreckender Steilheit sich aus der Alp Scherboden erheben. Plazidus a Spescha erstieg denselben zum ersten Mal von der Alp Blengias aus über den Gletscher und den westlichen Grat. Vor Allem wandte ich aber meine Aufmerksamkeit der Adula oder Rheinwaldgruppe zu, deren Xordseite sich in ihrer ganzen Ausdehnung vom Valserberg bis zum Plattenberg ( Scaradrapass ) darstellte.. Leider blieben einzelne Theile, namentlich die Partie deg Rheinwaldhorns so hartnäckig verschleiert, dass ich auf die beabsichtigte Zeichnung verzichten musste und mich auf blösse Notiznahme beschränkte.

Die Nordseite der Adulagruppe gehörte bis anhin zu den fast unbekannten Partien des Alpengebirges und wurde in topographischer Beziehung erst durch die Dufourkarte genau dargestellt, immerhin aber mit noch sehr lückenhafter Nomenclatur. Der gefälligen Vermittlung des Herrn Albin, welcher sich bei einem der erfahrensten Jäger erkundigte, verdanke ich die Namen folgender Gipfel:

In der Fanellagruppe:

3002 m Rothhorn, 3047 m St. Lorenzhorn, 3015 m Schwarzhorn, 2988 m Salahorn westlich von der Plattenschlucht. Auf dem Grat vom Zervreilerhorn bis Güferhorn:

3043 m Furketlihorn, 3115 m Schwarzhorn, 3237 m Lentahorn. Auf dem Grenzkamm zwischen Tessin und Lenta:

3101™ Piz Casinell, 3126 m Piz Cassimoi, 3128 In Piz Jut, 3260 m Grauhorn.

Ich habe seiner Zeit diese Ergänzungen dem topographischen Bureau in Bern mitgetheilt und sie sind in die Excursionskarte für 1872 aufgenommen worden.

Begletscherte Kämme verbinden alle diese Hörner und gewähren mehr und minder schwierige Uebergänge in die anliegenden Thäler. Mit Ausnahme der vier Gipfel, Rheinwaldhorn, Güferhorn, Fanellahorn und Kirchalphorn, welche bekanntlich im Sommer 1859 von Herrn Weilenmann ohne Führer in Zeit von fünf Tagen erstiegen wurden, sind die übrigen Spitzen bis jetzt wohl nur von Valserjägern betreten.

Nach Theobald besteht der Hintergrund der Valser-thäler, sowie die Centralmasse der Rheinwaldgebirge, aus Glimmerschiefer, Gneiss und andern kristallinischen Gesteinen, welche bekanntlich sehr stark der Zertrümmerung unterworfen sind. Am Frunthorn tritt Glimmergneiss in kolossaler Mächtigkeit auf und zwar in so wenig geneigten von Süd nach Ost fallenden, dass man deren Oberfläche an ungebrochenen

Stellen ganz bequem begehen kann. Wir passirten im Rückweg auf der Ostseite eine solche Gneissbank von circa 500 Schritt Länge und etwa 40 Schritte Breite, welche ausser den gewöhnlichen Längenspalten keine erhebliche Unebenheit zeigte, hingegen in ungleich grossen Distanzen mit rechtwinklich laufenden Querrissen, von der Feinheit einer Messerklinge bis auf Handbreite durchzogen war, deren Entstehung kaum anders als aus der Unterlagerung einer der Verwitterung schneller ausgesetzten Schicht erklärt werden kann.

Ungeachtet dieses mauerähnlichen Aufbaus von fast horizontalen Schichten ist der Frunthorngrat fürchterlich zerrissen. Breite und tiefe Lücken sind gleichsam herausgesprengt und die stehen gebliebenen Klippen mit lose aufeinander liegenden sturzdrohenden Trümmerstücken gekrönt. Dieser Gneiss zerfällt in lange schmale Stücke von allen Grossen. Ein mitgenommenes kleines Handstück misst z.B. 6 " Länge auf 5 — 10Breite und 3 — 5Dicke, während ich ein anderes von 16'Länge, V/i'Breite und V2'Dicke fand.

Das Blatt Nro. XIV der Dufourkarte zeugt auch in dieser Gegend von grösser Genauigkeit. Auch das Seelein fehlt nicht, welches tief unter uns am Ende 4es von Spitze 3034 m herabsteigenden Gletschers im Eise sich befindet. Zu spät sah ich ein, dass der Signalgipfel des Frunthorns trotz furchtbar steiler Abstürze vom Weiler Frunt her längs des genannten Gletschers in kürzerer Zeit ersteiglich gewesen wäre, als in der von meinem Führer eingeschlagenen Richtung.

Die Temperatur steigerte sich gegen Mittag in den vom weissgrauen Fels reflektirten Sonnenstrahlen

4 zu empfindlicher Hitze.

Ein bei uns vorbeifliegender Alpenschmetterling freute sich noch seines kurzen Lebens. Mehr überraschte mich aber auf dieser Höhe von circa 9000 Fuss das reizende Blau einer einsam blühenden Gentiane.

Meine Rundschau war zu Ende; auch ein'Stein-mannli war vom Führer aufgerichtet und die obligate Flasche mit Namen hineingefügt worden. Um nicht ohne Resultat von dieser Excursion zurückzukehren, verweilte ich im Rückweg ein paar Stunden auf dem tiefer liegenden Grat, um eine möglichst genaue Zeichnung des soeben verlassenen Gipfels als ein Bild der Zertrümmerung unserer Hochalpen aufzunehmen.

Alsdann stiegen wir links vom Dachberggrat durch eine trümmerreiche Vertiefung hinab und erreichten einem Bach entlang den Fusspfad von Frunt nach Platz, woselbst wir um 7 Uhr anlangten.

( iang über Frunt nach Lenta.

Sonntag den 8. September hielt ich Rasttag. Am Nachmittag sammelten sich zahlreiche Gäste bei Hrn. Albin. Einer derselben, Herr Derungs, Viehhändler, früher Senne auf der Lampertschalp, bezeichnete mir als geeigneten Standpunkt zum Anblick des Lentagletschers, den Casinello oder Garrenstock am Plattenberg ( Scaradrapass ) und da diese Ansicht des hintersten und wildesten Gebiets des Valserthals in meiner Mappe nicht fehlen durfte, so bestimmte ich den folgenden Tag zum nochmaligen Gang in jene Gegend.

Herr S. von Vals-Platz, Student am Polytechnikum in Zürich wünschte die Partie mitzumachen und ich verdanke ihm nicht nur angenehme Gesellschaft, sondern auch manche interessante Mittheilung über Land und Leute. Kr rieth mir, als genussreiche Abwechslung den Weg nach Zervreila diessmal über Frunt zu nehmen und wir verliessen Platz, begleitet von Jos. Schneider um 2 Uhr Nachmittags, was den Vortheil hatte, dass wir beständig im Schatten wandern konnten, während das Thal und die gegenüberliegenden Gebirge in schönster Beleuchtung waren. Der Weg führt längs dem schön begrasten Bergabhang über die Höhe Fleiss und Moos allmälig ansteigend bequem in drei Stunden nach dem Weiler Frunt, bestehend in ein paar Wohnungen und einer kleinen Kapelle, welche am äussersten Rand eines Felsabsatzes des Frimthorns erbaut ist. Frunt liegt über dem Holzwuchs 1995 m ü. M. und ist als ein sogenannter Maiensäss nur im Sommer und Herbst bewohnt.

Die Aussicht ist, wenn auch nicht ausgedehnt, doch ergreifend schön, ein wahrhaft idyllisches Alpenbild. Die Abendsonne röthete den sonst weissgrauen kolossalen Felszahn des Zervreilerhornes und färbte mit sanftem rosigem Ton die Firnen des Güferhorns und des nahe emporragenden Fanellahorns, während Zervreila tief unter uns schon längst vom breiten Schatten des Frunthorns bedeckt war. Ringsum majestätische Ruhe, in Harmonie mit dem fernen Rauschen der Wasserfälle und dem Geläute der Viehheerden. Es bedurfte des wiederholten Rufes meiner Begleiter und der Mahnung des Abendglöckchens von Frunt, um mich zum Aufbruche von diesem reizenden Punkte zu bewegen.

Zervreila ist zwar nur eine halbe Stunde weit entfernt, allein der steile Felsenpfad hinunter ist in der Dunkelheit schwierig zu begehen. Zum Glück kam uns der Mond zu Hülfe, bei dessen Scheine wir wohlbehalten die prächtigen Felspartien hinabgelangten und Zervreila noch zu guter Zeit erreichten, wo mir bei der Familie Schmidt nebst freundlicher Bedienung für die Nacht wieder die Wohnstube mit dem breiten Himmelbett zur Verfügung gestellt wurde.

Am folgenden Tag begünstigte ein prachtvoller Herbstmorgen mein Vorhaben. Der Weg nach der Lampertschalp erfordert l1/^ Stunden und führt auf dem linken Ufer des Lentabaches über schöne Weiden hinan, dem Fuss des Frunthorns entlang. Zahlreich umherliegende Felsblöcke zeugen von der Zertrümmerung der anscheinend so compakten Gneissmassen, # und beeinträchtigen den Ertrag dieser Wiesen immer mehr. Einer der grössten dieser Blöcke bildet mit dem darunter gebauten Stall einen malerischen Vorgrund. Mehr und mehr zeigt sich die Nordseite des Zervreilerhorns in überraschend veränderter Gestalt, ähnlich einem aus.gedehnten Castell mit zerfallenen Thürmen und man überzeugt sich, dass diese merkwürdige Gebirgsruine ein breiter scharfer Keil ist, welcher inmitten einer kolossalen Verwitterung und Erosion stehen geblieben ist, jedoch der allmäligen Zertrümmerung auch nicht entgeht, wie die gewaltigen Schuttkegel am Fusse der fast senkrechten Gneisswände bezeugen.

Die Hütten der Lampertschalp 1980 m liegen auf

schönem Weidegrund am Fusse des Piz Scherboden und am Ausgang des kleinen Hochthälchens Val Nova, von dem ein rauher Pass ( Vernokpass ) nach den Vriner-alpen hinüberführt. Schöne Wasserfälle beleben die ernste einsame Gegend. Neben dem Valser Sennen germanischer Abkunft trifft man auf der Lampertschalp die scharf kontrastirenden Physiognomien tessinischer Schafhirten aus dem benachbarten Val Blegno, welche zur Sommerzeit über die beeisten Höhen des Plattenberges ( Scaradrapass ) herkommen. In armseligem Gewände, barfass mit Sandalen, den braunen zerlöcherten Filzhut in die Stirne gedrückt und von Anfang September an öfter ein Jagdgewehr bei sich führend, nimmt sich so ein Bursche pittoresk genug und fast unheimlich aus.

Unweit der Lampertschalp gegen Lenta beginnt rechts zwischen furchtbaren Trümmern ansteigend der fast unwegsame Pass über den Plattenberg, 2770 m, nach der Alp Scaradra im Blegnothal. Ungefähr in halber Höhe, 23/± Stunden von Zervreila liegt der gesuchte Standpunkt auf einer Felsterrasse, von den Tessinern Casinello genannt, eigentlich nur eine Vorstufe des Piz Casinell, 3101 m. Bequem auf weichen Rasen gelagert kann man von da aus das enge Lentathal mit seinen gewaltigen Felshörnern und Gletschern übersehen. In fast erdrückender Nähe imponirt besonders die hohe Scheidewand zwischen Canal und Lenta, vom Zervreilerhorn bis zum Güferhorn, von welchem jedoch nur die höchste Spitze zwischen dem Schwarzhorn, 3115 m, und dem Lentahorn, 3237 m hervorragt. Dieser Kamm charakterisirt sich durch die eigenthümliche Form seiner Gipfel, welche von Nord sanft ansteigend, gegen Süd senkrecht abgerissen sind.

Nur das fast isolirte Zervreilerhorn krümmt sich gegen Nordost. Eine ganz ähnliche Formation zeigt auch die Parallelkette zwischen Lenta und Blegno.

Von beiden Bergwänden hängen zwischen diesen Hörnern breite Gletscher herab, mit mächtigen Schuttwällen, und senden durch tiefe Runsen weissschäumende Bäche dem Thale zu. Aber der Glanzpunkt ist die herrliche Firnpyramide des Piz Valrhein ( Rheinwaldhorn ) 3398 m, von dessen Höhe der lange Lentagletscher, mit dem sich vom Güferhorn und Grauhorn her noch zwei andere vereinigen, weit in 's Thal hinabreicht und die Hauptquelle des Valser-Rheins ( Glenner ) bildet, während auf der Ostseite des Gebirges der Hinter-Rhein aus dem Rheinwaldgletscher entspringt.

Alle frühern Besteigungen des Rheinwaldhorns fanden auf der Ostseite von Zapport her statt, bis endlich im Jahr 1864 drei bekannte englische Alpenclubisten mit einem Führer von Chamonix den Berg von Lenta aus in Angriff nahmen, indem sie die Lentalücke 2954 1U erstiegen und dann über den nämlichen Kamm, welcher auch von Zapport aus betreten werden muss, auf die Spitze gelangten. Auch die erste Dame, welche die Lentalücke passirte, ist eine Engländerin. Als ich mich im Jahr 1868 in Hinter-'Rhein befand, langten Reisende bei einbrechender Nacht im Gasthaus zur Posfan. Es war Herr J. S. Phillpotts mit seiner Frau, einer zart aussehenden Dame, welche mit dem Urner-fülirer J. M. Trösch und einem Jäger von Vais, Namens Geiger, bei Nebel und Regen den. Lentapass von Zer-vreiia her überschritten hatten. Nach ihrer Schilderung Excursionen im Valserthal und Rheinwald.h.h

soll der Weg ohne besondere Schwierigkeit sein, mit Ausnahme der Stelle, wo wegen allzugrosser Steilheit des Gletschers der Felsen links von der Passhöhe erklettert werden muss. Ein späterer Eeisender, Dr. W. Bernoulli, Mitglied des S.A.C., fand im Jahr 1871 diesen Pass in ähnlicher Beschaffenheit.

Das Lenfathal, noch enger als Canal, fällt wie dieses mehr und mehr der Verwüstung anheim und der Anblick desselben macht den Eindruck, als ob der Mensch hier in nicht langer Zeit ohnmächtig den Naturgewalten werde weichen müssen.

Gegen Mittag gewann der Föhn wieder die Oberhand, so dass ich meine Zeichnung kaum vollenden konnte, bevor sich die Gipfel neuerdings in Wolken hüllten und da Nachmittags entschieden Regenwetter eintrat, so zogen wir es vor erst am folgenden Morgen und zwar bei schöner Witterung von Zervreila nach Vals-Platz zurück zu kehren.

Wer den überaus sehenswerthen Hintergrund des Valserthals zu besuchen wünscht und wieder nach Vals-Platz zurückkehren will, wird es nicht bereuen, den etwas weitern Hinweg über Frunt nach Zervreila zu nehmen und auf dem gewohnten untern Weg bei der Calvarienkapelle vorbei zurückzugehen.

Besteigung des Kirchalphornes.

3039 Meter.

Auf der Durchreise nach dem Lago Maggiore begriffen, verweilte ich im August 1868, mit meiner Tochter einige Tage in Hinter-Rhein.

Meine Absicht, das Rheinwaldhorh zu besteigen oder wenigstens bis auf die Lentalücke zu gelangen, wurde durch die Ungunst des Wetters vereitelt, denn nachdem wir am 24. dies auf der Zapportalp in der wohlbestellten Hütte des Hirten J. M. Illienn, damals der beste Führer auf das Rheinwaldhorn, übernachtet hatten, schätzten wir uns glücklich, am folgenden Tage wenigstens bis zum Ursprung des Rheins zu gelangen. Den Rückweg durch die schauerliche Hölle und über eine schwankende Nothbrücke unterhalb Zapport, welche uns noch lange in Erinnerung bleiben wird, mussten wir im Regen zurücklegen.

Zum Ersatz entschloss ich mich zur Ersteigung des Kirchalphornes, jenes Berges, welcher zunächst dem Dorfe Hinter-Rhein westlich als einer der Grenzpfeiler der Rheinwaldgruppe über die Schneeregion sich erhebt und dessen befirnter Gipfel besonders auf der Strasse von Splügen her so schön und verlockend in die Augen fällt. Herr Lorez zur Post empfahl uns seinen Schwager Christian Trepp als Führer, welcher am 27. August früh sich einstellte und dessen sechs Fuss hohe Gestalt und ruhiger Ausdruck schon zum Voraus Vertrauen einflösste. Wegen zweifelhaftem Himmel konnte man sich aber erst um 9 Uhr zum Aufbruch entschliessen. Ueber die weitläufigen Alpweiden hinter dem Dorf erreicht man in einer Stunde die Hütten der Kirchalp, 2102 m, und von dort in westlicher Richtung in weftern \x\ï Stunden die Region des Gufers unmittelbar unterhalb des Saumes des Kirchalpgletschers. In früherer Jährzeit kann man mit geringerer Mühe über den Gletscher zum Gipfel gelangen, jetzt war aber die Eismasse allzu steil und zerklüftet, so dass wir in kürzester Richtung über die Geröllhalden längs des östlich abfallenden Grates empor klettern mussten.

Erst hoch oben unter dem überragenden Kopf- des Hörnli, jener auf Hinter-Rhein herabschauenden Felsklippe, war der Uebergang auf den Gletscher möglich, immerhin aber an einer selbst dem Führer unerwartet schwierigen Stelle, wo wir hart am Rande eines breiten Eisschrundes einen Felsblock umgehen mussten, um dann eins nach dem andern von der starken Hand des Führers eine Eiskehle hinaufgehisst zu werden, in der er in Ermanglung eines Beils mit der Spitze des Stockes kümmerliche Tritte geschlagen hatte. Nachher ging es ohne alle Schwierigkeit auf dem günstig beschaffenen Firn vorwärts auf den Gipfel, wo wir um 1 Uhr, also von Hinter-Rhein in vier Stunden anlangten.

Der Gipfel, obwohl nach drei Seiten steil abfallend, bietet hinlänglichen Raum. Er war schneefrei und wir konnten uns auf den umherliegenden Gneissplatten ein beliebiges Plätzchen wählen. Zu meiner Verwunderung war kein Steinmannli vorhanden, obschon es an Material nicht fehlt.

Dank dem Himmel! er war uns günstig, so dass wir die prachtvolle Aussicht, deren Eindruck schon Herr Weilenmann in wenigen aber trefflichen Zügen so anziehend geschildert hat, vollständig gemessen konnten. Man braucht nur einen Blick auf die Karte zu werfen, um sich zu überzeugen, dass das Kirchalphorn so günstig gelegen ist, wie wenige der berühmten Aussichtspunkte Graubündens, und daher den so wohl- « 58Zeller-Horner.

tüuenden Kontrast einer reichen Thalansicht mit der erhabenen Gletscherregion in harmonischer Gruppirung darstellt. Nicht nur das Rheinwaldthal vom " Zappprt-gletscher bis zum Schlünde der Roffla liegt in ganzer Länge mit seinen Dörfern unter uns, sondern der Blick dringt in geradester Richtung über die 1000 m unter uns liegende Einsattlung des Bernhardinpasses bis weit hinab in die üppigen Gelände Mesocco's. Gegen Norden übersehen wir die Thaleinschnitte von Lugnez und Saßen bis zu ihrer Ausmündung in 's Vorder-Rheinthal, dessen Richtung von Disentis bis Reichenau verfolgt werden kann. Ich enthebe mich der ermüdenden Aufzählung aller der Gipfel des ungeheuren Gebirgskreises und erwähne nur die am meisten in 's Auge fallenden Gruppen. Vom Bernhardin an beginnend ist es die Adulagruppe vom Marscholhorn bis zum Plattenberg, welche natürlich das Auge zuerst fesselt. Ueber den breiten zu unsern Fussen liegenden Fanellafirn hinweg erhebt sich das stolze Haupt des Güferhorns mehr imponirend, als das etwas zurückliegende Rheinwaldhorn. Neben dem nahen Fanellahorn vorbei zeigen sich die gletscherreichen Medelserhörner und rechts davon in der Richtung des St. Gotthard die höchsten Gipfel der Berneralpen und der Dammagruppe in schwer erkennbaren Gestalten. In schönster Entfaltung der wohlbekannten Formen folgen die Urner- und Glarneralpen, prachtvoll namentlich die Tödigruppe, bis hinunter zum isolirten Calanda. Die Rhätikonkette, Silvretta und Albulahörner zeigen sich in schwer zu entzifferndem Gewirre, wogegen die Berninagruppe vermöge ihrer Höhe und weithin schimmernden Eis- gipfel weitaus am meisten in 's Auge fällt.

Daran reihet sich westlich\ unverkennbar durch ihre Zerrissenheit, die Granitkette südlich vom Bergeil und mit den wenig bekannten Firsten des Misoxer- und Calancathales, auffallend durch ihre gleichmässigen Formen und scharf ausgeprägte Schichtenbildung, schliesst die Rundschau. Doch verweilt das Auge noch gerne auf dem Tambo-hörn, einer der schönsten Bergformen Graubündens, und sieht mit einem gewissen Stolz auf das nahe Einshorn hinab, welches sonst so trotzig das Rheinwaldthal beherrscht, nun aber sich einige 100 Fuss unter uns gedemüthigt hat. Das ganze reiche Panorama, im reinen Aether eines schönen Herbsttages und vom warmen Colorit der sinkenden Sonne übergössen, war von unbeschreiblichem Zauber.

Wir verweilten vier Stunden auf der Spitze und hätten der milden Temperatur wegen wohl noch bis Sonnenuntergang bleiben können; allein der vorsichtige Führer mahnte um 5 Uhr ernstlich zum Aufbruch. Mit Hülfe seines sichern Armes wurde der etwas gefürchtete Uebergang vom Gletscher zum Gufer noch vor Einbruch der Nacht zurückgelegt, und als die Nacht einbrach half uns der Mond mit seinem sanften Lichte. Um 8 Uhr langten wir im Gasthaus an, wo man uns nicht ohne Besorgniss schon längst erwartet hatte.

Das Marscholhorn.

2902 Meter.

Veranlasst durch die Aufnahme der Rhemwald* gruppe in das Excursionsgebiet des S.A.C. für 1872 fand ich mich Ende Juli dieses Jahres wieder in Hinter-Rhein ein, in der Absicht durch Aufnahme geeigneter Gebirgsansichten auch noch etwas zur Kenntniss dieses Gebietes beizutragen.

Eine volle Woche wurde ich durch das schlechte Wetter verhindert, etwas Namhaftes zu unternehmen, während welcher Zeit meine Einsamkeit nur durch wenige Touristen unterbrochen wurde, welche höchstens die neue Clubhütte am Ursprung des Rheins besuchen konnten, und dann missmuthig zurückkehrten. Dagegen war ich Zeuge einer Ueberschwemmung. Am 30. und 31. Juli regnete es bei anhaltendem Gewitter und Föhn Tag und Nacht unaufhörlich; der Rhein erreichte fast die Höhe vom Jahr 1868 und riss zwischen Hinter-Rhein und Nufenen ein grosses Stück Strasse weg, so dass der Postwagen nachher mehrere Wochen lang nicht mehr passiren konnte und die Passagiere genöthigt waren, entweder zu Fuss öder auf kleinen Wagen einen schlechten Umweg zu machen. Aehnliches trug sich unterhalb des Kurortes St. Bernhardin zu, wo durch eine Rufe ein Beiwagen verschüttet wurde und zwei Pferde zu Grunde gingen, während die Reisenden sich kaum noch retten konnten.

Es war Samstag, 3. August, als von Mittag an so starker Schneefall eintrat, dass derselbe sogar beim Dorfe vier Zoll hoch lag. Erst am 5. Aug. hellte der Himmel auf, so dass der Schnee bei zunehmender Wärme wenigstens in der Alpenregion schnell wieder verging, was namentlich dem armen Vieh zu gönnen war. So wurden z.B. auf der Zapportalp etwa 300 Schafe, viele Ziegen und Kühe geraume Zeit eingeschneit,

denn die Stauung war im Winter durch die Schneelasten zertrümmert worden. Zwei Bergamasker Hirten konnten sich dagegen in der Clubhütte ein erwünschtes Obdach verschaffen.

Mein früherer Führer, der wackere Christian Trepp erklärte sich auf den ersten Wink wieder zu meiner Verfügung bereit, obgleich er bei schönem Wetter wegen der Heuernte fast nicht von Hause abwesend sein konnte. Zuerst hatte ich es auf das Marscholhorn ( Piz Moësola ) 2902 m abgesehen, jenen mächtigen östlichen Grenzpfeiler des Rheinwaldgebirges, welcher von Hinter-Rhein aus gesehen so imposant über dem Bernhardinpass sich ausnimmt. Als am 6. August endlich ein schöner Tag anbrach, hielt ich es nicht länger in der Tiefe aus und stieg gegen Mittag auf den Bernhardin. Dort liegt am Moësolasee ein Bergwirthshaus, wo man einfache aber ordentliche Bewirthung und Nachtlager findet. Um den herrlichen Abend zu gemessen, machte ich einen Gang nach der Marscholalp bis zu einem Punkte, wo man nach Hinter-Rhein hinabsieht. Ich erinnerte mich dabei mit Vergnügen an die genussreiche Excursion, welche ich vier Jahre früher mit meiner Tochter auf diese Höhe machte. Damals gingen wir noch bedeutend höher, eine um die andere der wellenförmigen Erhebungen tibersteigend, bis zum obersten Steinmannli, einem Grenzpunkt zwischen dem Rheinwald und Misoxergebiet. Nicht nur hat man dort eine sehr schöne Thal- und Gebirgsansicht, sondern man sieht bis hinein zum Ursprung des Rheins in dem sonst so verborgenen Winkel von Zapport und das Rheinwaldhorn in seiner ganzen Pracht. Ich finde diesen Standpunkt, den man von Hinter-Rhein ohne Führer gemächlich in drei Stunden erreichen kann, wenigstens eben so lohnend, als den beschwerlichen Gang zur Quelle des Kheins.

Nach Sonnenuntergang langte meinem Auftrag gemäss Trepp im Berghaus an, bald nach ihm aber auch ein fataler Gast in Gestalt dichten Nebels vom Misoxerthal her, welcher sich, auf dem Pass festsetzte und meine feste Zuversicht auf einen schönen Morgen bedeutend erschütterte, zumal das Barometer wieder nichts Gutes verkündete. Am folgenden Morgen blieb wirklich keine andere Wahl, als in Nebel und Eegen wieder nach Hinter-Rhein hinabzusteigen.

Ein nochmaliger Versuch am Tage nachher hatte bessern Erfolg, obgleich wir wegen zweifelhaftem Himmel erst um 7 Uhr Hinter-Rhein verliessen. Die vielen Kehren der Bergstrasse abschneidend, gelangt man in einer Stunde auf die Passhöhe, wo wir, das Berghaus links lassend über steinige Weiden die Trümmergehänge erreichten, welche am östlichen Grat herabkommen. Dort begann eine anderthalbständige Kletterei, welche dadurch sehr erschwert wurde, dass der kürzlich gefallene Schnee verborgene Löcher deckte und die Flächen und Kanten der Felsblöcke, welche öfters unter den Fussen wankten, schlüpfrig machte. Ich konnte da nichts Besseres thun, als mit Hand und Fuss genau dem sicher prüfenden Führer nachzufolgen. Als wir endlich den Grat betraten, war es ein leichtes, die letzte halbe Stunde auf sanft ansteigendem Schneerücken bis zur Spitze 2902 m zurückzulegen. Ohne Excursionen im Valserthal und Rheinwald.

längern Halt zu machen, hatten wir von Hinter-Rhein bis hieher vier Stunden gebraucht.

Meine Anstrengung war nicht umsonst Î Die längst ersehnte östliche Ansicht des Rheinwaldhorns und Güferhorns wurde mir noch unverkümmert zu Theil. Aber es war keine Zeit zu verlieren, denn schon drohte dunkles Schneegewölk von Calanca her, diesem « ewigen Nebelloch », wie Trepp sich ausdrückte. Schnell wurden die Schuhe vom Schneewasser entleert und die Strümpfe gewechselt. Ich setzte mich zum Schutz gegen den kalten Südwind hinter das zehn Fuss hohe Steinsignal und liess mir während des Zeichnens vom Führer von Zeit zu Zeit etwas Speise und Wein reichen.

Zar Rechten bildet der Zapportgrat, Spitze 2950 m, den Yorgrund, dann schweift der Blick vom Zapportgletscher ungehindert über das blendende Rheinquellhorn zu den beiden stolzen Rivalen Rheinwaldhorn und Güferhorn, zwischen welchen das jenseitige Grauhorn, 3260 m, über die Lentalücke hervorragt. Um das spärlich begraste Felsenriff des Paradieses krümmt sich der mächtige Rheinwaldgletscher in eine Felskluft herab, an deren Rand man die neue Olubhütte auf grüner Terrasse entdeckt. Dann folgt die Hölle, in deren Schlund sich der kaum entsprungene junge Rhein wieder unter Lawinenschnee durcharbeiten muss. Die Zapporthütte, 1000 m unter uns, ist durch einen Vorsprung des Marscholhorns dem Blick entzogen. Gegen Nord ist eine weitere Aussicht durch die lange und hohe Kette des St. Lorenz-und Kirchalphorns fast ganz abgesperrt; nordöstlich 64:Zeller-Homer.

zeichnet sich namentlich die rundliche Kuppe des Bärenhorns und das wilde Kalkgebirge zwischen Saßen und Splügen aus. Gegen Osten ist wieder das Tambohorn bis zum Curciusagletscher bei weitem die anziehendste Gruppe. Nach Süd und Südost reihen sich coulissenartig die Hörner von Calanca und Mesocco; aber ein tieferer Blick in 's Calancathal wird durch die nahen Pizzi di Muccia und Rotondo verhindert. Einen seltsamen Anblick gewährt die Bergstrasse, welche von Hinter-Rhein bis zum Dorf Bernhardin mit über 40 Kehren, wie ein weisses Band auf grünem Grunde, zu unsern Fussen sich windet.

Nach 2J/2 stündigem Aufenthalt war unsers Bleibens nicht mehr, denn schon wurde das Rheinwaldhorn von gewitterhaften Wolken eingehüllt; glücklicherweise hatte ich meine Zeichnung trotz Kälte und momentanem Rieselschauer vollenden können. Bei festerer Beschaffenheit des Schnees hätte der Führer lieber den kürzern aber schwierigem Abstieg längs des nördlichen Randes des Marscholgletschers genommen; jetzt aber war es gerathen auf dem östlich abfallenden Rücken direkt zum Berghaus hinabzugelangen, was auch mit beständiger Beachtung des Sprichwortes: « Chi va piano, va sano » ohne Unfall in 2l/2 Stunden bewerkstelligt wurde. Dort erlabten wir uns mit einem Warmen Kaffee, welcher besonders meinem guten Führer sehr zu behagen schien; ich schätzte mich glücklich, diesen Tag so gut benutzt zu haben, ., denn Christina, die flinke Tochter des Hauses, prophezeite uns als Beobachterin der daselbst befindlichen meteorologischen Station neuerdings schlechtes Wetter; und in der That,

als wir um 7 Uhr in Hinter-Rhein einzogen, fing es wieder an zu regnen.

Ueber das Bärenhorn nach Saften.

2932 Meter.

Zum Schluss meiner Excursionen im Rheinwaldgebiet wollte ich noch dem Bärenhorn ( Piz Tomil ) einen Besuch machen, von dessen Gipfel als Culminationspunkt zwischen den Thälern von Vais, Sauen und Rheinwald ich mir eine grossartige Aussicht versprach. Dieser wenig bekannte Berg, über den sich nur in Professor Theobald's vortrefflicher Beschreibung des Bündner Oberlands eine etwas nähere Schilderung findet, ist von allen Seiten ohne Schwierigkeit zu ersteigen, am kürzesten von Nufenen aus, welchem Wege Führer Trepp den Vorzug gab, statt, wie es auch möglich ist, von Hinter-Rhein direkt über die Alp Pianetsch und den Abhängen des Valserbergs entlang zu gehen.

Am 10. August lag Morgens früh dichter Nebel im Thal, aber der Stand des Barometers prophezeite einen schönen Tag und so nahm ich denn Abschied von der guten Familie Lorez, bei der ich mich während zwölf Tagen recht wohl und heimisch gefühlt hatte. Ich kann dieses Haus hinsichtlich guter und freundlicher Bedienung Allen, die nicht übertriebene Ansprüche machen, bestens empfehlen. Hinter-Rhein eignet sich ausgezeichnet als Station für Solche, welche diese herrliche Gebirgswelt näher kennen lernen wollen.

Von Nufenen stiegen wir zum Theil auf gutem Pfad über Alpweiden hinan zur Butzalp und erreichten

5 längs dem Rand des Butznerthals nach zwei Stunden* die Grenze des frisch gefallenen Schnees, welchen wir bis auf den Gipfel während ll/2 Stunden nicht mehr verlassen konnten, was begreiflich sehr mühsam war, denn unversehens sanken wir oft bis über die Knie ein.

Dort, wo unter dem Hörn das Butznertobel den Anfang nimmt, wandten wir uns rechts gegen die Spitze 2814 m, dann wieder links zum Gipfel. Hier war die steilste Partie des ganzen Weges und ich musste häufig Halt machen, um Athem zu schöpfen. Ohne andere Schwierigkeit gelangten wir halb 11 Uhr an 's Ziel.

Der Gipfel des Bärenhorns ist ein abgerundeter von Nord nach Süd streichender Rücken von etwa 20 Schritt Länge und sechs Schritt Breite. Ein halbzerfallenes Steinmannli steht auf dem nördlichen Ende, wo wir uns auf einem schneefreien Plätzchen niederlassen konnten. Die Gesteinsart des Bärenhorns, sowie eines grossen Theiles der Safier- und Lugnezerberge, ist grauer Schiefer, der sogenannte Bündnerschiefer, welcher der Auflösung ausserordentlich stark unterworfen ist, wie die ungeheuren Schutt- und Schlammmassen bezeugen, welche aus diesen Thälern durch den Glenner, die Rabiusa und die Nolla der Ebene zugeführt werden.

Der Himmel war nicht ohne " Wolken, welche jedoch in Schichten hoch genug über dem Gebirgshorkont lagerten, wie diess bei föhnigen Tagen zuweilen vorkommt, so dass ich auch die fernsten Gebirgsketten entziffern konnte. Die Aussicht übertraf meine Erwartung und ist fast die nämliche, wie vom Kirchalp- hörn, gegen West und Nord sogar noch ausgedehnter, in nächster Umgebung aber einförmiger.

Am meisten interessirte mich das Excursionsgebiet, besonders die Adulagruppe, wovon fast alle Gipfel sichtbar waren, und ich hatte die Genugthuung eine Zeichnung der Partie vom Bernhardinpass bis zum Piz Terri entwerfen zu können.

Ich hatte nun die Wahl, den Rückweg entweder über die Alp Tomil nach Vals-Platz zu nehmen, oder aber nach Safieu hinabzusteigen. Der Reiz der Neuheit entschied für das mir noch unbekannte Safienthal, welches mit seinen prächtigen Alpen, belebt von einer Menge Hütten, unter uns sich ausdehnte; auch konnte ich es dadurch dem Führer ermöglichen, am gleichen Tage noch zu Hause anzulangen, was ihm wegen der so oft gestörten Heuernte sehr am Herzen lag.

Ob schon ich mich nur ungern von dem prachtvollen Schauspiel trennte, so war ich doch froh, meine halberstarrten Glieder wieder in Bewegung setzen zu können. Leicht ging es nun bergab zur Spitze 2814 m und dann meist in lustiger Rutschfahrt über lange Schneefelder hinunter auf das sogenannte Lange-Egg, einen begrasten Vorsprung unterhalb des Safierbergs, wo Trepp mich verlassen wollte, um über diesen Pass nach Hause zu eilen, während ich den Weg zu den nächsten Wohnungen leicht allein finden konnte. Zufällig trafen wir mit zwei von Splügen herkommenden Männern zusammen, denen ich mich anschloss und nun meinen treuen und biedern Führer entliess.

Einer meiner neuen Begleiter lud mich ein, in seiner Wohnung mit einem Nachtlager vorlieb zu nehmen, so gut er es eben habe, indem ich heute doch nicht mehr nach Platz, dem Hauptort des Thales, gelangen könne, was ich auch gerne annahm.

Der Cont-nätscherhof, wo wir um 6 Uhr eintrafen, liegt in einem weiten Thalkessel 1801 m ü. M. am Fuss der hohen und steilen Wände des Gelbhornes, 3035 m, des Grau-hornes, 3002 m, des Weisshornes, 3045 m und des wildgezackten Löchliberges, 2992 m. Auf der mittlern Felsterrasse liegt der Weisshorngletscher, ein breites Firnband, von dem ein Bach entspringt und einen Fall bildet, welcher den Staubbach bei Lauterbrunnen an Höhe und Wassermasse noch übertrifft. Das Ganze im röthlichen Licht der scheidenden Sonne, wie ich es sah, ist ein Alpenbild, das schon allein einen Besuch des fast unbekannten Safienthales lohnt.

Die hinterste Wohnung in diesem Gebirgswinkel ist ein sennhüttenartiges Gebäude, worin Sommer und Winter drei Haushaltungen aus dem Ertrag der Alpwirthschaft leben und yon denen eine aus meinem Begleiter, Namens Johann Tester, seiner Frau und deren Vater bestand.

Es war mir recht behaglich bei diesen schlichten gastfreundlichen Leuten und ich begnügte mich gerne mit der einfachen aus Milch, Mehlspeisen und etwas gedörrtem Fleisch bestehenden Bewirthung. Kaffee musste den hier mangelnden Wein ersetzten. Die Schlafkammer theilte ich mit einem andern Gast, wie man sich dies in abgelegnem Gegenden Bündens zuweilen gefallen lassen, muss. Es war der Bruder der Hausfrau, ein weitgereister Zuckerbäcker. Am folgenden Morgen wollte man mir kaum eine Bezahlung abnehmen und Töster beharrte darauf, mich thalauswärts zu begleiten.

Eine Stunde weiter ist Thalkirch mit der ältesten Kirche sehr malerisch auf einem Felsen an der Rabiusa gelegen. Es war Sonntag; eine Menge Thalleute zogen daher und gruppirten sich vor der Kirche bis der Pfarrer aus dem entlegenen Dorf Platz anlangte. Safien ist ganz protestantisch, während das benachbarte Vais und Lugnez katholisch sind. Die Bergkette vom Piz Riein bis zum Bärenhorn bildet die Scheidewand zwischen beiden Confessionen.

In dem schön gelegenen Hauptort, Platz 1297 m, ass ich zu Mittag und stieg dann, meinen Tornister wieder selbst tragend, gemächlich den interessanten Zickzackweg, Stege genannt, hinauf nach Glas, 1846 m, und über Tschappina hinab nach Thusis. Auf diesem Wege nimmt sich der Piz Beverin sehr imposant aus.

Für den Besuch der hohen und furchtbar wilden Kalkgebirgsgruppe im Hintergrund von Safien ist Job.. Tester im Contnätscherhof als Führer sehr empfehlenswerth. Er ist ein wohl unterrichteter, bescheidener Mann und kennt als eifriger Jäger jene Gegend genau. Seiner Mittheilung zufolge hat seiner Zeit Herr Ingenieur Bétemps diesen Theil der Dufourkarte aufgenommen.

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