Fatale Siesta
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Fatale Siesta Murmeltiere: Opfer des Klimawandels

Einige Gebirgsbewohner profitieren von wärmeren Temperaturen und milderen Wintern. Doch Murmeltiere geraten unter Druck. Sie verlängern den Mittagsschlaf, das kann tödliche Folgen haben.

In wenigen Wochen, im April, beenden die Murmeltiere im Avers/GR ihren Winterschlaf. Eine neue, kurze und intensive Saison liegt vor ihnen. Bevor sie sich im Oktober wieder für den Winterschlaf zurückziehen, müssen sie zunehmen, für Nachwuchs sorgen und die Fettreserven für den nächsten Winterschlaf anfressen. Doch mit den steigenden Temperaturen im Sommer wird das immer schwieriger.

«Murmeltiere sind von der Evolution designte Eiszeittiere und angepasst an Kälte. Hitze ertragen sie nur schlecht», sagt Professor Walter Arnold, Leiter des Forschungsinstituts für Wildtierkunde und Ökologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien. «Murmeltiere leben meist mindestens 400 Meter oberhalb der Baumgrenze und überleben bei gutem Futterangebot auch noch auf etwa 3000 Metern. Unterhalb von 1000 Metern sind sie jedoch kaum mehr anzutreffen. Grund dafür ist nicht etwa fehlendes Futterangebot, sondern es ist ihnen zu warm», erklärt der Forscher. Murmeltiere haben keine Schweissdrüsen, hecheln auch nicht und geraten bereits bei Temperaturen von 20 °C in Hitzestress. Arnold und seine Kollegen untersuchen Murmeltiere im Avers, einem der murmeltierreichsten Gebiete der Alpen, seit Jahren. Dabei stellten sie fest, dass Murmeltiere hitzebedingt vor dem Winterschlaf immer weniger Fettreserven anlegen.

Längere Siesta kostet Zeit

Murmeltiere sind von Tagesanbruch bis zum späten Vormittag aktiv und fressen zarte Alpenkräuter und Gräser. Pro Tag sollten sie etwa 500 Gramm oder 10 Prozent ihres Körpergewichts fressen. Während der heissen Mittagsstunden ziehen sie sich in ihren schattigen Bau zurück und kommen erst am späteren Nachmittag wieder zum Fressen heraus. Wenn im Zusammenhang mit dem Klimawandel die sommerlichen Temperaturen steigen und es während des Tages für Murmeltiere zu heiss wird, bleiben sie länger in ihrem Bau. Ihre Siesta wird unfreiwillig verlängert, es bleibt weniger Zeit zum Fressen. Sobald es dunkel wird, ziehen sie sich in ihre Bauten zurück. «Murmeltiere sind strikt tagaktiv und können die fehlende Zeit zum Fressen nicht einfach in den kühlen Abendstunden oder in der Nacht kompensieren», erklärt Walter Arnold. Die Folgen sind fatal: «Wenn sie zu wenig Fettreserven haben, überleben sie unter Umständen den Winterschlaf nicht.»

Abnehmen im Winterschlaf

Ein kompliziertes Wechselspiel zwischen abnehmender Tageslänge, hormonellen Veränderungen und dem Jahresrhythmus ihrer inneren Uhr leitet den Winterschlaf ein. Dabei sinkt bei einem Murmeltier die Körpertemperatur von 39 auf ungefähr 7 °C, der Herzschlag verlangsamt sich von 100 auf 2 bis 3 Schläge pro Minute, und die Atmung setzt minutenlang aus. Obwohl die Körpertemperatur stark herabgesetzt ist, bleibt die Temperaturregulation erhalten. Sinkt die Körpertemperatur unter einen bestimmten Wert, reagiert eine Art körpereigener Thermostat und gibt ein Signal zum «Aufheizen». Heizenergie liefern die Fettreserven. Ein Murmeltier muss sich im Verlauf des Sommers genügend Fett anfressen, damit es den Verlust von bis zu 50 Prozent seines Körpergewichts während des Winterschlafs ausgleichen kann. Murmeltiere überwintern in Gruppen von bis zu 20 Tieren bis zu sieben Meter tief in ihren Überwinterungsbauten. Dicht aneinandergeschmiegt liegen sie, den Kopf zum Bauch eingerollt, beieinander. So vermindern sie gegenseitig den Wärmeverlust. Dies ist vor allem für die kleineren Jungen überlebenswichtig, die weniger Fett ansetzen können als die erwachsenen Tiere. Hinzu kommt, dass ihre Körperoberfläche im Verhältnis zum Körpervolumen grösser ist und sie mehr Wärme abstrahlen. Die Jungtiere sind deshalb am meisten gefährdet, im Frühling nicht mehr aufzuwachen.

Alpenklee und Mutternkraut

Murmeltiere fressen bevorzugt Alpenklee (Trifolium alpinum) und Mutternkraut (Ligusticum mutellina). Beide Arten haben einen hohen Gehalt an Omega-6-Fettsäuren. (Dies wirkt sich übrigens im Alpkäse auch günstig für den Menschen aus.) Walter Arnold und sein Team haben herausgefunden, dass Murmeltiere aus diesen Pflanzen ein für den Winterschlaf besonders günstiges Speicherfett bilden. Mit diesem «Hochleistungsfett» verlieren sie während des Winterschlafs weniger Gewicht und können fehlendes Körperfett kompensieren. Dies kann eine Möglichkeit sein, den Winter trotz weniger Reserven zu überleben. Professor Arnold empfiehlt deshalb auch, bei Begrünungen von Pisten und bei anderen Renaturierungsprojekten im Gebirge vermehrt Alpenklee und Mutternkraut anzusäen.

Fette Jahre für Murmeltiere in den USA

Nicht überall scheinen Murmeltiere abzunehmen. Arpat Ozgul und sein Team vom Imperial College in London beobachteten von 1976 bis 2008 eine Gelbbauch-Murmeltierkolonie im Bundesstaat Colorado/USA. Diese Gelbbauchmurmeltiere leben auf etwa 3000 Metern Höhe und verbringen normalerweise bis zu acht Monate im Winterschlaf. Dabei stellten die Forscher im Verlauf der Jahre fest, dass diese Murmeltiere früher erwachen und später im Herbst in den Winterschlaf fallen. Ihre Sommersaison wird dadurch länger. Sie haben entsprechend mehr Zeit, sich zu vermehren und Fettpolster anzufressen. Die Forscher konnten auch nachweisen, dass die Murmeltiere in dieser Kolonie im Schnitt schwerer wurden und mehr Junge aufziehen konnten. Gelbbauchmurmeltiere in den USA werden also fetter, Murmeltiere in den Alpen dagegen magerer.

Wo liegt der Unterschied?

Warum reagieren Murmeltiere nicht überall gleich? Professor Walter Arnold sagt: «Im Untersuchungsgebiet in den USA handelt es sich um eine moderate Klimaerwärmung auf 3000 Metern Höhe. Die Temperaturen sind für Murmeltiere auf dieser Höhe noch nicht zu heiss. Die Winter dagegen sind deutlich kürzer und milder. Gelbbauchmurmeltiere haben eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit und erwachen in einer besseren körperlichen Verfassung. Für Murmeltiere in den Alpen, die in geringeren Höhen leben, ist der negative Einfluss der Hitze grösser.» Je nach Meereshöhe stehen auch in den Alpen nicht alle Murmeltiere unter gleich grossem Hitzestress.

Kurzfristig betrachtet, scheinen einige der 14  Murmeltierarten zunächst vom Klimawandel zu profitieren. Sie können mehr Junge aufziehen und sich vermehren. Doch «durch die Erhöhung der Durchschnittstemperaturen und das damit verbundene Aufsteigen der Baumgrenze könnte sich längerfristig der Lebensraum aller Murmeltierarten verkleinern», vermutet der Wildbiologe.

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