Grand Capucin - zur Geschichte seiner Besteigung
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Grand Capucin - zur Geschichte seiner Besteigung

Während langer Jahre galt der Grand Capucin manchen als Bindeglied zwischen den Dolomiten und den alpinen Touren des Montblanc. Seine Steilheit, seine Exposition und der kurze Anmarsch haben zu solchen Vergleichen Anlass gegeben. Der Hauptgrund, diese Verbindung herzustellen, ist aber die alpintechnische Entwicklung. 

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Erst nahezu zwanzig Jahre nach der grossartigen Erstbesteigung der Cima Grande di Lavaredo (grosse Zinne) durch Comici und die Brüder Dimai wird die Ostwand des Grand Capucin mit Hammer und Haken von Walter Bonatti und Luciano Ghigo bezwungen. Das war am 23. Juli 1951. Sechs Jahre später eröffnete dann die Seilschaft Philipp-Flamm in der Nordwand der Civetta die berühmte Verschneidung, die ihre Namen trägt. Sie setzten damit ein Zeichen für die Rückkehr zu einer Kletterei mit weniger Hilfsmitteln, aber gleichwohl von extremer Schwierigkeit. Im Montblanc-Massiv dauerte es wiederum mehrere Jahre, ehe es zu diesem Wandel vom technischen zum freien Klettern kam. Diese Entwicklung vollzog sich im wesentlichen unter dem Einfluss des amerikanischen Kletterers Gary Hemming.

In jener Epoche haben die Autoren der verschiedenen Aufstiege mit technischen Hilfsmitteln nur selten zur Kaste der einheimischen Bergführer gehört, und das ist sehr verständlich. Soweit es sich um den Grand Capucin handelt, stellt die Natur dieser herrlichen Pyramide denjenigen, der nicht die Gelegenheit hat, sich mit den vielfältigen zu seiner Besteigung notwendigen Techniken vertraut zu machen, vor unüberwindliche Hindernisse. Darum ist der eingesessene Bergbewohner dieser Gegend (häufig ist er Bergführer) stark benachteiligt. Wegen des weitgehenden Fehlens von Klettergärten und der Langsamkeit, mit der Informationen sich ausbreiten, bleibt ihm die ausserordentliche Entwicklung verborgen, die in den fünfziger Jahren einsetzt. Dazu geniessen die Bergführer vom Anfang des Jahrhunderts immer noch einen ganz besonderen Ruf, denn ihnen ist bis dahin alles gelungen; dadurch gestärkt und gesichert, sind sie bestimmt für Ereignisse, die von aussen zu ihnen dringen, weniger offen. Dem Erfolg von Bonatti und Ghigo am Grand Capucin ging eine erstaunliche Premiere voraus: die Besteigung des Südostpfeilers der Dent du Géant am 30. August 1950 durch Arthur Ottoz und Serge Vittorio. Diese Kletterei ist - im kleinen - das vollkommene Gegenstück zum Grand Capucin. Aufgrund der Ausgesetztheit der Route und der zahlreichen A3-Passagen ist diese Besteigung eine für jene Epoche beachtliche Leistung. Sie macht den beiden berühmten Bergführern aus Courmayeur grosse Ehre.

Bonattis Erfolg am Grand Capucin erregte erhebliches Aufsehen, und das war wirklich berechtigt. Die Wand dieses berühmten Gipfels war begehrenswert geworden. Bereits ein Jahr zuvor hatten die beiden Kletterer einen Versuch unternommen. Ergebnis: vier dramatische Tage, vom Sturm umtost, der sie beim Rückzug vor fast unlösbare Probleme stellte. Das Jahr ihres Sieges ging kaum sanfter mit den beiden Alpinisten um.

Schlechtes Wetter und intensive Kälte behinderten sie besonders. Drei Biwaks ( das letzte in Trittleitern ) waren nötig, ehe sie am 23. Juli 1951 um 14 Uhr den Gipfel erreichten. Diese Leistung gab den Anstoss zu einer ganzen Anzahl von Erstbesteigungen mit technischen Hilfsmitteln, als deren bemerkenswerteste die Bezwingung der Westwand der Drus gelten kann. Von diesem Zeitpunkt an setzen die Jahre des Kletterns mit technischen Hilfsmitteln voll ein.

Ohne im geringsten Bonattis Verdienst schmälern zu wollen, meine ich doch, dass es unerlässlich ist, auch die Zweitbesteigung zu erwähnen. Sie wurde einen Monat später von Dino Lacedelli und Luigi Ghedina ausgeführt, die beide aus Cortina stammten und zum ersten Mal im Montblanc-Massiv waren. Den beiden jungen Alpinisten gelang die Wiederholung der Route mit nur einem einzigen Biwak! Diese Leistung zeigt, in welchem Grad die Kletterer aus den Dolomiten schon seit langem senkrechte Wände und den Einsatz technischer Hilfmittel beherrschten.

Am Grand Capucin folgen sich nun die Erstbesteigungen unaufhörlich. Es beginnt mit der Nordwand (1955), dann der Südwand (Voie des Suisses, 1956), später folgen die Südostwand in direkter Linie ( Voie Lecco, 1968 ) und der Nordostsporn (1969). Allen diesen Routen ist gemeinsam, dass sie mit technischen Hilfsmitteln geklettert werden. Während dieser Zeit wird die Voie Bonatti mehrfach wiederholt, sie wird zu einem klassischen Aufstieg. An schönen Sommertagen kommt es selten vor, dass das Klirren der Trittleitern nicht zu hören ist. Dagegen verschwindet der Lärm der Hämmer, mit denen Haken eingeschlagen werden, immer mehr. In der Route steckt bereits vor 1960 alles notwendige Material. Im Jahr 1958 dreht Marcel Ichac Les Etoiles de Midi. Im Verlauf von Erkundungen für diesen Film begehen Michel Vaucher und René Desmaison die Voie Bonatti vom Einstieg bis zum Gipfel in 6 Std. 30 Min., der damaligen Bestzeit. Eine wirklich grossartige Leistung, wenn man die Technik jener Epoche bedenkt, aber diese ungewöhnlich kurze Zeit zeigt auch, dass die Wand nun voll ausgerüstet ist und über die ganze Höhe der Route kein Haken fehlt.

Sie sind verhältnismässig ruhig, und die klassische Wandroute steht weiterhin im Mittelpunkt des Interesses. Die andern Routen werden weniger begangen (Zweitbesteigung der Nordwand 1975, zwanzig Jahre nach der Erstbesteigung!), und Informationen über sie gibt es kaum. Ich erinnere mich an eine Begehung der Voie des Suisses im Jahr 1974. Wir biwakierten auf einem kleinen Absatz etwa zwanzig Meter oberhalb der grossen Verschneidung. Entlang der ganzen Route gab es sozusagen weder Haken noch Begehungsspuren. Diese Tour hatte uns gereizt, und wir waren sehr erstaunt, dass praktisch kein Material steckte. Die Kletterer waren wie magnetisch angezogen vom Ruhm der Voie Bonatti, und niemand dachte daran, zum Beispiel die Voie Lecco in Angriff zu nehmen. Die Übernage-lung der klassischen Route gefiel ihren Anwärtern. Eine derartige, den Durchstieg erleichternde Hilfe lehnten zu jener Zeit nur wenige Kletterer ab.

In einem Jahrzehnt haben die Felsrouten durch Übernagelung ihre Eigenart verloren. Einige der grössten Routen des Massivs haben ihren ursprünglichen anspruchsvollen Charakter eingebüsst und werden von Alpinisten in Angriff genommen, deren Niveau weit unterhalb des für derartige Touren erforderlichen liegt. In den siebziger Jahren gibt es am Grand Capucin und am Eperon Walker an der Nordwand der Grandes Jorasses zeitweise mehr als doppelt soviel Haken wie die Erstbesteiger gesetzt haben. Dasselbe in den Dolomiten, wo man nicht ganz hundert Haken in der Solleder-Route an der Nordwand der Civetta zählt. 1925, bei seiner phantastischen Erstbesteigung, hatte Emil Solleder nicht mehr als zwölf gesetzt!

Einige Kletterer, die diese Entwicklung, die die meisten der Routen durchmachten, als Verlust von deren ursprünglichem Charakter empfinden, beginnen Widerstand zu leisten. Wir sind am Ende der sechziger Jahre. Der grosse Kampf des <Ausnagelns> beginnt. Ich erinnere mich an einige recht mühsame <Szenen> zwischen den verschiedenen an dieser Radikalisierung Beteiligten. Ich meinerseits komme vom Bouclier du Gerbier mit einer nicht zu verachtenden Beute zurück. Wir entfernten dann Hunderte von Haken quer durch die ganzen Voralpen ebenso wie in zahlreichen Klettergärten. Das Material wurde abgeschlagen und dort, wo es zuviel Widerstand leistete, abgesägt. In den Alpen wurden der Grand Capucin und der Pilier Bonatti zum Teil gesäubert. In den Dolomiten haben mein Freund Jacques Emery und ich die Philipp-Flamm-Verschneidung fast vollkommen von Haken befreit vorgefunden. Diese Besteigung wird eine der schwierigsten bleiben, die ich im Civetta-Massiv ausgeführt habe.

Überall, von den Calanques bis zur Nordwand der Jorasses, beginnt sich Opposition bemerkbar zu machen. Diese entspricht dem Ausmass der Abwertung und der Banalisie-rung mancher Routen. Andererseits ruhen auch jene nicht, die auf den bisherigen Vorstellungen beharren, und den Versuchen zum Austricksen sind keine Grenzen gesetzt: Materialdiebstähle, kaputte Autoreifen, systematisches Anbringen neuer Haken in gesäuberten Routen usw. Der Paroxysmus war sicherlich mit den Taborgnos erreicht, einer kleinen Gruppe von Jurassiern, mit denen nicht leicht zu verhandeln war und die über Möglichkeiten verfügten, einen wenn nötig zum Reden zu bringen! Diese Spannungen dauerten einige Jahre an, liessen dann aber allmählich nach.

Der Kleinkrieg unter den Kletterern jener Epoche hörte schliesslich ganz auf. Um ehrlich zu sein, war es ein Kampf mit ungleichen Waffen, und er war vor vornherein verloren. Die Hoffnung auf ein sauberes Gebirge, in dem das Vorgehen und der Einsatz der Erstbesteiger respektiert würden, war eine edle, vornehme, aber vergebliche Hoffnung. Von neuem begannen Haken wieder die Wände zu erobern. Ausserdem war es nötig zu lernen, wieder miteinander zu reden, und letzten Endes zu versuchen, zu überzeugen statt zu befehlen und zu erzwingen.

Um die Mitte der siebziger Jahre ist der Kletterer auf der Suche nach Vorbildern für den von ihm ersehnten einfacheren Kletterstil. Er findet ihn bei den Briten, die bereits das Freiklettern praktizierten.

Aber was bedeutet Freiklettern?

Bis dahin glaubte jeder, auf diese Art zu klettern, und wusste nicht, dass das nicht zutraf. Die grossen als <frei> bezeichneten Routen sind es nicht wirklich. Vor allem in den Alpen bezieht sich der Begriff frei nur auf die obligatorischen Passagen, also auf jene, in denen ausser der Fels- Struktur kein anderer Hilfspunkt benutzt werden kann. In Wirklichkeit sind diese tatsächlich schwierigen obligatorischen Passagen sehr selten. Als Beispiel kann die Sechserstelle (6. Seillänge) in der Voie Vaucher an der Pointe d' Ayère angeführt werden. In dieser 1959 eröffneten Route gibt es eine echte obligatorische, also frei zu kletternde Passage. Im übrigen erwiesen sich zahlreiche ursprünglich mit VI bewertete Passagen nach der Öffnung der Skala nach oben oft als schwieriger. Vinatzer hat in der Südwand der Marmolata in den Dolomiten eine mit VI bewertete Passage ohne Haken eröffnet, die heute als 6c eingestuft ist! Bis etwa in die Mitte der siebziger Jahre werden viele Routen allein aufgrund der Tatsache, dass man keine Trittleitern einsetzte, als <frei> bezeichnet. Sich an einem Haken hochzuziehen heisst zu jener Zeit nicht, mit technischen Mitteln zu klettern! Alle diese Begriffe sind schlecht definiert, und ein Unbehagen greift um sich, zu dem auch die Periode der Säuberung der Routen von Haken beiträgt. Das Gelingen einer grossen Tour ist nicht mehr unbedingt ein Grund zur Befriedigung, sie muss ausserdem in gutem Stil gelungen sein. Das grundlegende Kriterium des Freikletterns fordert, dass ein Sicherungsmittel Massenandrang im ersten Bonatti-Biwak der klassischen Ostwandroute ( anlässlich einer Begehung der <Directe des Capucines> ) nie und unter keinen Umständen als Haltepunkt ( oder Tritt ) verwendet werden darf. Wird ein einziger solcher Punkt als Fortbewegungshilfe benützt, so gilt selbst eine Route von tausend Metern nicht mehr als frei begangen.

Diese Grundregel setzt sich zunehmend durch und wird gut aufgenommen. In den von ihr betroffenen Kreisen diskutiert man viel. Das geht so weit, dass sich zehn Jahre nach der Zeit heftiger Auseinandersetzungen ein einheitliches, genau umrissenes Bewertungssystem durchzusetzen scheint. Man kontrolliert einander, zieht manche Leistungen in Zweifel. Wurde der Haken benutzt oder nicht? Man streitet sich um die Vaterschaft des Freikletterns in Frankreich und diskutiert auch unaufhörlich über-diese Form des Kletterns. War das Ende der sechziger Jahre sehr bewegt, so lassen sich dagegen zu Beginn der achtziger Jahre keine wirklich ernsthaften Turbulenzen feststellen. Übrigens hat Georges Livanos sich sehr treffend dazu geäussert. Als man ihn fragte, was sich in diesen letzten Jahren geändert habe, antwortete er: "Der Humor". Heute hat sich der Humor verflüchtigt. Der asketische Kletterer ist in seiner Welt gefangen. Er lacht nicht, er kletter!

Mit dem Einsetzen der neuen Techniken ist die allgemeine Verbreitung des Bohrhakens unbestreitbar das Ereignis, das die grösste Umwälzung bewirkt hat. Der Bohrhaken hat eine beachtliche Erweiterung des Tätigkeitsgebietes der Erstbesteiger ermöglicht, die in der Folge häufig als ( Einrichten bezeichnet werden. Von jetzt an sind die schönsten Platten des Massivs machbar. Das Auftauchen der Friends trägt ebenfalls zu einer Erweiterung der Eröffnungsmöglichkeiten bei, speziell in steilem und überhängendem Fels. Man kann endlos darüber diskutieren, welche Vor- und Nachteile diese Entwicklung mit sich bringt. Für mich ist - trotz meiner beruflichen Bindung an das Gebirge - die Bilanz negativ. Eine solche Entwicklung war sicher unvermeidlich, aber sie war nicht von vornherein dazu bestimmt, gewissen Routeneröffnern Grund für ihr oft massloses Vorgehen zu geben. Die Bilanz ist negativ, sei es auch nur wegen der zahlreichen an der Umwelt begangenen Sünden. Das Beispiel der Aiguille du Midi ist besonders stossend, dort wäre, mehr noch als am Ende der sechziger Jahre, eine Säuberung von manchem Sinnlosen an der Zeit!

Zur grössten Freude aller ist der Grand Capucin ( noch ) von solchen Auswüchsen, wie sie an der Aiguille du Midi anzutreffen sind, verschont geblieben. Ihn schützen seine relative Abgelegenheit und der anspruchsvol- lere Charakter seiner Routen. Die zu Beginn der achtziger Jahre eröffneten neuen Routen folgen klaren und logischen Linien. Den Anstoss zu dieser Erneuerung gab die Eröffnung von

Nachdem ich den Gipfel ein Dutzend Mal auf verschiedenen Routen bestiegen habe, halte ich Voyage selon Gulliver von Michel Piola und Pierre-Alain Steiner, für die bei weitem schönste. Sie vereinigt alle Kletterstile, die man in den benachbarten Routen finden kann. Es handelt sich um eine anforderungsreiche, oft athletische Route mit einigen technisch anspruchsvollen Passagen. Ihr Verlauf ist sehr exponiert, man hat weitgehend den Eindruck, die links davon verlaufenden Routen zu überragen. Es gibt in ihr eine sehr schöne Platte von zwei Seillängen oberhalb der Stufe des Couloirs. Doch ist sie leider leicht zu umgehen.

Die direkteste und darum vielleicht auch eleganteste Route ist sicherlich die D

Eine andere sehr schöne Routenverbindung ist die von Sole Mio mit der Voie des Suisses. Man beginnt mit dem ersten Teil von Sole Mio bis zu der oberen Terrasse der Verschneidung der Voie des Suisses und folgt dieser dann bis zum Gipfel. So hat man eine homogene Route und vermeidet den oberen Teil von Sole Mio, dessen Ausrüstung überaltert ist. Vorsicht beim Abstieg über Sole Mio ( oberer Teil )! Bei Andrang die Stände nicht überlasten; einige hätten auf jeden Fall eine Neueinrichtung nötig.

In der Südwand besteht eine neue Abseilstrecke. Sie beginnt unter dem Gipfel, links der Voie des Suisses, wenn man zum Wandfuss hinabblickt.

Es bleibt immer noch sehr interessant, die klassische Voie Bonatti zu begehen. Dort ist, auf einem Niveau 6b, viel sehr schöne Freikletterei möglich, und dazu erlebt man ein wenig Geschichte. Wenn sie dort sind, versuchen sie, sich die Wand unberührt, frei von jeder Route und ohne irgendeine Rückzugsmöglichkeit ( ausser über die Nordwand von der Terrasse des zweiten Biwaks aus ) vorzustellen; drei Biwaks waren nötig, um die Route bis zum Ende zu begehen. Denken sie auch an Hanfseile und das Anseilen um die Taille! Will man diese herrliche Tour machen, so rate ich, sie mit den ersten Seillängen der ( Directe des Capucines ) zu beginnen, dadurch lassen sich der Aufstieg durch das Couloir und die wenig interessanten Traversen vermeiden. Nach drei Seillängen in der ( Directe ) quert man nach links ( kleines Band ) und erreicht so den Beginn der klassischen Route.

Heute sind die wesentlichen Linien des Grand Capucin begangen worden. Die Klugheit fordert, dass man es dabei bewenden lässt und dass man das überalterte Material in den Routen ersetzt. Ich denke da vor allem an jene zum Teil fragwürdigen Stände mit nur einem 8-mm-Spit und dazu einem Haken. Vielleicht wird es in naher Zukunft gelingen, eine der bisher mit technischen Hilfsmitteln gekletterten Routen (Lecco, Astaroth) frei zu begehen und sie entsprechend den Normen des heutigen Kletterns auszurüsten. Ganz bestimmt ist der Grand Capucin immer noch ein echtes Kleinod im Montblanc-Massiv.

Wieviel wahre erlebte Geschichten, von der ersten Besteigung des Gipfels durch Augusto, Rey und Lanier im Jahr 1924 bis zu der herrlichen Voyage selon Gulliver! Möge es uns gelingen, den Raum unsrer Abenteuer zu bewahren. Wie die Erdölreserve ist auch der Vorrat an neuen Routen nicht unerschöpflich. Wenn doch die Bohrmaschinen-Fanatiker ihr "Ich" etwas weniger wichtig nähmen. Der Grand Capucin darf nicht dieselben Auswüchse erleiden, wie sie an der Aiguille du Midi geschehen sind, sei es auch nur, weil das Glück des Kletterers auch in dem Vergnügen besteht, sich seinen Weg zu suchen und für seine Absicherung selbst zu sorgen. Als Bergführer stellen wir fest, dass einige klassische Felsrouten, vor allem in den Aiguilles de Chamonix, wieder gefragt sind. Man muss darin ein deutliches Zeichen des Überdrusses angesichts der Überlaufenheit mancher Gebiete sehen und ebenso die Anziehungskraft des, heute vielfach vernachlässigten, echten Kontaktes mit der Natur. Er lässt sich im Gebirge erleben, zwar mit manchmal bedeutendem Einsatz, der aber vergessene Gefühle weckt. Die Aiguille du Midi ist, ob Süd- oder Nordwand ( an einem Tag im Winter 92/93 wurden fünfzehn Seilschaften in der Mallory gezählt ), ein Beispiel für Abenteuer-Ersatz! Einige Kletterer haben das klar erkennt.

Aus dem Französischen übersetzt von Roswitha Beyer, Bern

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