Haldenstein
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Haldenstein

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Eine Federzeichnung seiner Natur, seiner Bevölkerung und seiner Geschichte.

O. Brüsch ( Section Ehätia ).

Von Durch Beschluß des S.A.C. sind für 1888 und 1889 die Grauen Hörner mit Calanda und Ringelspitze als Clubgebiet bestimmt worden. In dieses Gebiet gehört nun auch Dorf und Territorium von Haldenstein, welches wir, wenn auch nur in großen Zügen, schildern wollen. Durch seine Lage und Naturbe-schaffenheit, wie auch insbesondere durch seine geschichtliche Vergangenheit, dürfte es in hervorragendem Maße das Interesse der Clubisten in Anspruch nehmen.

Wenn wir auf der Eisenbahn von Sargans herkommend an Ragaz vorbeigeflogen sind, den Garten Graubündens, die schöne an den kühn aufgethürmten Falknis hingebettete Herrschaft und sodann, nach einem Blicke in das Felsenthor der Klus, das liebliche Gelände der fünf Dörfer durcheilt haben, sehen wir fast plötzlich Angesichts der rhätischen Capitale rechts überm Rheine wohlgemuth und behaglich das Dorf Haldenstein am Fuße des Calanda hingelagert.

Ohne toddrohende Purzelbäume zu schlagen, können wir jedoch hier zum beabsichtigten Ausfluge nach Haldenstein nicht aus dem Waggon kommen, denn es findet sich da merkwürdigerweise keine Station. Wir fahren daher nach Chur, wozu wir fllnf Minuten brauchen, und erreichen dann auf anmuthigem Wiesenpfade in gut 20 Minuten dauerndem Contremarseh die gedeckte neue Haldensteiner Rheinbrücke ( 555™ über Meer ). Vor wenigen Jahren stand hier eine uralte ungedeckte Brücke. Durch die Last ihrer Jahre gekrümmt, zog sie sich in fast wunderlicher Form von einem Ufer zum andern. Doch stand sie mit ihren unansehnlichen Füßen fest im Flußbette und hatte den Andrang aller Hochwasser, wenn sie auch manche Beulen davon trug, siegreich überstanden. In frühern Zeiten, als die Gesellen der Metzger- und 4er Bäckergilde in Chur am Ostermontag in der untern bischöflichen Quader noch das sogen. Eier-werfen feierten, spielte die Haldensteinerbrücke dabei eine gewisse Rolle. Während ein Auserkorener der einen Partei 101 Eier auf große Distanz in eine emporgehaltene Kornwanne zu werfen hatte, lief der Erwählte der Gegenpartei zur Haldensteinerbrüeke, trank da einen Schoppen Wein und aß dazu ein Brödchen und hatte dann wieder in die Quader zurückzueilen. Kam er vorher an, bevor Nr. 1 seine 101 Eier in den Korb gebracht — wobei derselbe für jedes daneben geworfene Ei ein anderes schleudern mußte — dann hatte seine Partei das Spiel gewonnen, sonst die Gegnerschaft. Der verlierende Theil hatte dem andern ein opulentes Nachtessen zu spenden.

Den Rhein sehen wir da nach oben, wie z.T.h. auch nach unten, durch Wuhren aus gewaltigen Steinen in solide Fesseln gelegt, an denen der wilde Geselle in ohnmächtigem Grimme aufschäumt. Diese Zttgei legte man ihm an insbesondere seit dem Hochwasser des Jahres 1868, wo er den zu schwachen Wuhr-schutz auf der Haldensteinerseite zerriß und mit über-mächtigem Wogenschwall die schönen in der Ebene befindlichen Baumgärten und Aecker zu einem erheblichen Theile in eine trostlose Wüste verwandelte. Seither hat die Gemeinde mit ihre Kräfte fast übersteigenden Opfern den Uebermüthigen gebändigt und dabei auf solidem, nur noch fast zu niedrigem Quer-damme das neue Sträßchen von der Brücke nach Haldenstein angelegt, über welches wir dem Dorfe zuschreiten. Rechts unten nehmen wir dabei in dichtem Bestände ein Wäldchen von Pflaumenbäumchen wahr. In weit größerer Anzahl finden sich solche etwas weiter unten und links am Fuße des Calanda. Pflaumencultur ist eine Specialität von Haldenstein. Linkerhand von der Straße, auf sonniger Halde, sehen wir. den einzigen Weinberg Haldensteins, in welchem in günstigen Jahrgängen ein feines Weinchen zu reifen pflegt. In breiter erhöhter Frontstellung stehen nun die zum Theil ansehnlichen, massiv gemauerten Häuser des Dorfes vor uns. Dabei fesselt uns insbesondere der Anblick des festungsartigen Salis'schen Schlosses mit thurmgekrönten Vorwerken, unter deren Gewölbebogen sich der Zufahrtsweg hinzieht. Wie eine gewaltige Bastion lagert sich davor der schöne große Schloßgarten ( wo vor Alters ein Kloster gestanden haben soll ), dessen mächtige, zinnengekrönte Stützmauern z.T.h. in der Rheinebene fußen, und dessen hohe Terrasse einen freundlichen Ausblick bietet auf den im Sonnenlichte auffunkelnden Rhein und das gegenüber liegende liebliche Thalgelände von Masans mit dem vielthürmigen Chur rechts, Trimmis links, und dem in grotesken Felsenzacken sich aufbauenden Hochwang im Hintergrund. Das Schloß selber, das infolge mangelhaften Unterhalts theilweise leider dem Zerfall entgegensieht, ist ein großer Bau in Form eines langgestreckten Vierecks, das einen Hof mit laufendem Brunnen umschließt, und zählt nicht weniger als 93 Räume, darunter im bergwärts gelegenen Theile einen sehenswerthen Saal mit Gypsstuccatur und schönem Marmorkamin in italienischem Style und im Frontbau ein Zimmer, in dem sich bis vor wenigen Jahren ein kostbares Getäfel mit aus verschiedenfarbigen Holzarten eingelegten Figuren und schön geschnitzten Portalsäulen befand, welche seither das Berliner Museum um eine nach hiesigen Begriffen ungeheure Summe erworben hat. Das Zimmer bildete ein Unicum in der Schweiz, und hätte man rechtzeitig die erforderlichen Schritte gethan, so wäre diese Perle um einen verhältnißmäßig billigen Preis dem Lande erhalten worden!

Der eigentliche, wenn auch wenig bekannte Name des Schlosses ist Ehrenfels. Es wurde 1544-1548 von Job. Jak. von Castion erbaut Dieser Castion war ein mailändischer Edelmann und seit 1538 französischer Gesandter bei den drei Bünden. Er verhei-rathete sich mit der Wittwe des 1540 verstorbenen Besitzers von Haldenstein, Jakob von Manneis. Dieselbe war eine geborene Hilaria von Reitnau aus ange-sehenem Geschlechte von Chur. Sie verkaufte die Herrschaft Haldenstein an ihren Mann um die Summe von fl. 2040. Ueber dem Eingangsportale des Schlosses befindet sich jetzt noch das von Castion angebrachte Wappen der französischen Krone mit seinem Namen in Stein gehauen und gemalt. Der prachtliebende Gesandte residirte abwechselnd hier und in Chur. 1731 ließ Freiherr Gubert von Salis-Maienfeld ( 1722 bis 1737 ) das Schloß mit einem Aufwand von 11. 60,000 in französischem Style erweitern und auf das Eleganteste ausstatten. Aber kaum waren die Neubauten vollendet, so brannten sie infolge Unvorsichtigkeit der Arbeiter fast gänzlich ab.

Geschichtliche Bedeutung hat das Schloß insbesondere dadurch erhalten, daß es zuerst das rhätische Philanthropin beherbergte. Die Gründer dieser weithin berühmten Bildungsanstalt, welche die ausgefahrenen Geleise der bisherigen Pädagogik verlassend vielfach die spätem Pestalozzi'schen Principien anticipirte, waren der genial angelegte und von glühender Menschen- und Vaterlandsliebe beseelte Pfarrer Martin Planta von Süs im Unterengadin und J. P. Nesemann aus dem Magdeburgischen, der als Hauslehrer in 's Land gekommen war. Nach mehrfachen vergeblichen Versuchen eröffneten am 1. Mai 1761 beide das Unternehmen in Zizers, wo Planta Pfarrer war, mit nur einem Schüler, zu dem sich aber zwei Monate später drei andere gesellten. Die durch die Ungunst der Verhältnisse bedrohte, auch vielfach verkannte junge Pflanze fand dann bald durch den Freiherrn Thomas v. Salis freundliche Aufnahme und nützliche Förderung in Haldenstein. Es ist interessant, zu sehen, wie die Schulerschaft, die rasch an Zahl zunahm, da zu einem Schulstaate nach dem Muster der altrömischen Republik organisirt war, mit einem selbstgewähltem Consul als Vorsitzer in den öffentlichen Versammlungen, einem Cen-sor, dem die Aufsicht über das Betragen der Schüler mit dem Auftrage zufiel, jeden Samstag die drei Tugendhaftesten, wie die drei Sträflichsten öffentlich zu nennen und für diese Nomination die Beweise zu erbringen. Auch fehlte nicht ein Prätor mit der Obliegenheit, Zank und Streitigkeiten zu verhüten, ein Aedile, um dem Fluchen und Schwören sowie unanständigen Reden zu wehren, ein Volkstribun, um auf des Volkes Sicherheit und Wohlfahrt ein sorgsames Auge zu halten, und ein Quästor, um über Gesetzesübertretungen das Verzeichniß zu führen.

Das Collegium dieser Würdenträger wurde vervollständigt durch drei Senatoren oder Beisitzer und durch einen Schreiber. Am Schlüsse jeder Woche fand zur Behandlung der beim Quästor anhängig gemachten „ Processe " und von ihm vorgemerkten Straffälle eine Sitzung statt. Dabei „ saß die ganze Republik in Form eines Halbmondes; die obrigkeitlichen Personen nahmen an einem besondern Tisch, nahe bei dem Tische der Lehrer, ihre Sitze ein. Der Quästor trug die Anklage nach den Regeln des römischen Gerichtsverfahrens vor. Die Angeklagten ver-theidigten sich entweder selbst oder durch einen Advocaten. Der Consul verhörte die Zeugen, ließ-die Parteien abtreten, legte die Sache dem Gerichte vor, formulirte das Urtheil nach dem Entscheide der Mehrheit und holte die Bestätigung desselben vom Lehrerconvent ein. Die Parteien traten dann wieder ein und vernahmen den Spruch, der von dem Schreiber in 's Protocoll eingetragen wurde. " So berichtete Planta 1766 in der helvetischen Gesellschaft in Schinznach selbst und weiß dabei viel Gutes von dieser Einrichtung für die geistige Weckung und Entwicklung der Schüler zur Selbstständigkeit, für deren sittliche Haltung und demgemäß auch für die ganze Wirksamkeit des Instituts mitzutheilen. Die Schüler trugen bereits eine Uniform: blaue Röcke und Cami-sole mit gelben Knöpfen und Hemden ohne Manschetten. 1771 wurde das Philanthropin nach Marschlins verlegt, wo es, nachdem Planta gestorben und die Anstalt unter der Direction des berüchtigten Theologen K. F. Bahrt in Mißcredit gerathen war, 1777 einging. Wenn wir vom Schlosse weg den nordwestlich und sodann westlich fortlaufenden Weg einschlagen, kommen wir bei dem links liegenden, auf schöner aussichtsreicher Terrasse befindlichen Schloßbaumgarten, „ auf den Gräben " genannt, vorbei, der in neuerer Zeit öfters als Festplatz für Gesangfeste benutzt wird. Wir durchziehen sodann das Außerdorf, das im vorigen Jahrhundert noch „ das welsche Dörfli " geheißen haben soll, weil, wie man glaubt, dort beim Vordringen des Germanismus die ursprüngliche romanische Bevölkerung Haldensteins ihre letzte Zufluchts- statte gefunden hatte. Ein paar hundert Schritte weiter draußen sehen wir rechts oben am Berge einen noch vor nicht langer Zeit betriebenen Marmorbruch. Bald beginnt eine prächtige Nußbaumallee, unter deren dichtem, hellgrünem Blätterdache zur Frühlings-und Sommerszeit sehr angenehm zu wandeln ist. Dort treffen wir auch auf ein übrigens nur zur Zeit der Schneeschmelze und des Regens fließendes Bächlein, das hinunter nach dem Gute „ Pardisla " ( Pra d' Isla ) geht und an welchem weiland die herrschaftliche Mühle gestanden haben soll. Im Fortgange unseres Weges kämen wir auf den « langen Boden>, dessen Absturz gegen den Rhein hinunter der der Stadt Chur gehörende Steinbruch, wo sie hauptsächlich die großen Steine für ihre ausgedehnten und starken Rheinwuhreii gewonnen hat, bildet. Man hat da s. Z. beim Steine-sprengen unter dem Rasenabschurf die prächtigsten Gletscherschliffe gefunden. Wir gehen aber nicht so weit, sondern kehren um und werfen dabei noch einen Blick auf einen nach oben links abzweigenden Fußweg. Derselbe führt bald durch Weiden, bald durch Gebüsch und Wald und Gestein in ohne Führung nicht überall leicht auffindbarer Richtung, dabei aber die prächtigste und genußreichste Aussicht auf das Thalgelände von Chur darbietend, nach Felsberg. Im Dorfe Haldenstein ziehen wir an der großen, in einfachem, aber schönem Style gehaltenen Kirche vorbei. Die alte Kirche, die früher an ihrem Platze stand, barg eine herrschaftliche Gruft. Als unter Freiherr Thomas von Schauenstein ( 1608-1628 ) die Reformation eingeführt und dabei die Bilder aus der alten Kirche geschafft wurden, traf dies Loos auch die Holzstatue des Schutzheiligen des Dorfes, des heiligen Gereon, den die Gemeinde jetzt noch in ihrem Wappen führt. Ein dem alten Glauben treu anhangendes, mit dem Mehrheitsbeschluß der Gemeinde auf Einführung der neuen Lehre nicht einverstandenes Bäuerchen bat um die Ueberlassung des Heiligen und bot dafür als Gegengabe einen „ Zeitstier " an. Die Offerte scheint aber keine Erhörung gefunden zu haben.

Wir lenken nun in den Weg nach dem Berge ein und nehmen dabei rechts das Ammann Schwarz'sche Haus wahr, an der Stelle, wo früher die herrschaftliche Münzstätte gestanden haben soll.

Das Münzrecht war 1612 vom Wienerhof unter Kaiser Matthias an Thomas von Schauenstein ( zugleich mit seiner Erhebung in den Freiherrenstand ), und zwar für seine beiden Herrschaften Haldenstein und Hohentrins, verliehen worden. Darnach erhielt er,, wie auch alle seine „ Erben, Nachkommen und rechtmäßigen Inhaber " gedachter Herrschaften, die Vollmacht, vollwichtige goldene und silberne Münzsorten, „ groß und klein, mit Inschriften, Bildnussen, Wappen und Gepräg auf beiden Seiten schlagen und münzen zu lassen ". 1615 erhielt dieses Münzrecht die Anerkennung der drei Bünde und wurde den bezüglichen Geldsorten freier Curs gewährt, sowohl in Bünden selber als in den italienischen Vogteien. Als dann die halden8teinische Linie derer von Schauenstein erloschen und die Freiherrschaft auf die Familie Salis-Maienfeld übergegangen war ( 1701 ), begann während der Regierung des zweiten Regenten dieses.

Geschlechtes, Guberts von Salis ( 1722—1737 ), die zu Reichenau das Scepter führende andere Schauen-steinische Linie, obschon sie schon früher die Herrschaft Hohentrins sich hatte loskaufen lassen und damit das Münzrecht für sie eigentlich verloren gegangen war, ebenfalls Münzen zu schlagen und in Umlauf zu setzen, so daß damals in Bünden nicht weniger als vier Münzstätten in Thätigkeit waren, nämlich außer den genannten beiden noch diejenige von Chur mit von Kaiser Friedrich III. ertheilten! Recht, und diejenige des Bischofs, der das Münz-recht als Reichsfürst besaß. Da verbot aber der Bundestag den beiden Münzstätten zu Reichenau und Haldenstein das Münzeschlagen und dieses unterblieb nun bis 1737, wo der „ gnädige Herr " von Haldenstein die Erlaubniß erhielt zur Prägung von fl. 4000 zu „ Blutzgern ". Er ließ aber solche für fl. 24,000 schlagen, wofür ihm nun eine Buße von fl. 5000 auferlegt und das Münzrecht entzogen wurde. Später, während der Regierung des Freiherrn Thomas von Salis, hatte General Franz von Reichenau mit Erlaubniß der drei Bünde wieder mit der Prägung begonnen. Es folgten aber Gegenvorstellungen der Münzstätten der Stadt Chur und des Bischofs, worauf an Reichenau abermals das Verbot des Münzens bei einer Bußandrohung von 4000 Pfund erging. Nun vereinigten sich aber die beiden Münzstätten von Reichenau und Haldenstein unter Theilung des Gewinns zum Schlagen von Blutzgern, und diese Münzerei fand erst mit der Auflösung des freiherrlichen Regiments und Incorporation Haldensteins in die drei Bünde ( 1803 ) ihr Ende.

MiC. Brüsch.

Exemplare von Haldensteiner Münzen sind in der Münzsammlung des rhätischen Museums in Chur zu sehen.

Zu bemerken ist noch, daß Haldenstein, wie früher mehrmals, so auch 1825 in Abwesenheit der Bevölkerung bei Arbeit im Freien durch Feuersbrunst, jedoch unter Verschonung des Schlosses, fast ganz zerstört wurde. Seither wurde es, während es früher aus Holz bestand, meistens in Stein wieder aufgebaut.

Unser Weg führt uns nun hinauf zur Burgruine Haldenstein ( 709 m ). Auf einem isolirt dastehenden Felskopfe ob dem Dorfe ragen da noch drei Seiten-niauern in die Höhe, an denen die Haldensteiner Buben ab und zu Mauerspechten ähnlich ihre Kletter-ktinste zu üben pflegen. Die Vorderseite der Burg ist 1769 infolge eiues Felssturzes niedergesunken. 1787 richtete ein Erdbeben noch größere Zerstörung an. Ehedem bestand die Burg aus nicht weniger als sieben Stockwerken, mit einem noch viel höhern dreikantigen Thurm, worin Gefängnisse, Folterwerk-zeuge, Küche und viele dunkle Gemächer sich befanden. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts sah man in der Burg noch ganze Zimmer mit guten Kachelöfen, eine schöne Bibliothek, Truhen und Kisten, Harnische, Doppelhacken und andere Schießgewehre und oben unter dem Dache eine Handmühle und Gerstenstampfe. Bemerkenswerth war besonders eine neu getäfelte Stube mit schön geschnittenem Wappen der Edeln von Haldenstein ( schwarzes Horn in weißem Felde ). Hatten schon die Freiherren von Schauenstein ( 1608—1695 ) schließlich in ihrer finanziellen Bedrängniß in den untern Gewölben und Kellern .Schatzgräberei getrieben und damit den Zerfall des Edelsitzes eingeleitet und befördert, so wurden nun die Kachelöfen hinweggebracht, das Getäfel durch Schatzgräber von den Wänden gerissen, die Bibliothek « ntwendet und überhaupt die brauchbaren Dinge hinweggenommen. Schließlich soll das immer mehr zerfallene Gebäude noch hie und da herumziehenden Kesselflickern und Zigeunern zu vorübergehender Unterkunft gedient haben. Sic transit gloria mundi! Während gegenwärtig um die Euine herum stein-t>esäeter Weidboden sich befindet, war früher hier Culturboden, worauf die jetzt noch gebräuchliche Localbezeichnung „ Burgwies " hindeutet. Von der Burg Haldenstein soll ehedem auch ein unterirdischer Gang nach den Festen Grottenstein und Liehtenstein geführt haben. In der Thal sah man bis auf die neuere Zeit herab hier noch einen Eingang in die Erde, welcher dann aber beim Bau des daselbst vorüberführenden neuen Bergweges mit aufgegrabenem Material zugefüllt wurde l ).

Die Herren der Feste Haldenstein waren anfänglich selbstständige Edle, nachher Ministerialen derer von Vaz. Sie treten urkundlich zuerst um die Mitte ) Unter dem erratischen Gestein, das um die Burg zerstreut liegt, findet sich Granit von Funtaiglas, Gneiß und Syenit von Medels, Verrucano aus dem Oberland überhaupt, und dabei auch Protogyn von der Rofla am Hinterrhein. Von einem Granitblock daselbst wurde der Denkstein auf dem Grabe des hervorragenden Naturforschers Professor Theobald sei. im städtischen Friedhof von Chur abgesprengt 20 des dreizehnten Jahrhunderts auf. Um die Mitte de » vierzehnten Jahrhunderts waren sie angesehen durch Reichthum und Macht. Damals hießen sie „ die Herren von Lichtenstein und Haldenstein " und somit waren im Laufe der Zeit beide Edelsitze in ihre Hand gelangt. Ulrich von Haldenstein war 1353 Vogt zu Maienfeld, nachdem er kurz zuvor, 1351, im Verein mit seinen drei Brüdern dem Domkapitel zu Chur eine leibeigene Familie mit Allem, was sie besaßr verkauft hatte. Er fiel 1388 in der Schlacht zu Näfels im österreichischen Heere, und zwar wurde er der Sage nach mittelst eines Schabziegers erschlagen f Mit dem Tode seines Bruders Lichtenstein starb die männliche Linie derer zu Haldenstein aus. Wenn wir nun unsern Weg nach der Burgruine Lichtenstein fortsetzen, durchwandern wir einen mit großen Steinblöcken besäeten Hang. Oben, früher versteckt hinter einem Buchwald, der jetzt aber weggeschlagen ist,, befindet sich die Ruine Grottenstein. Sie besteht aus den Resten einer Mauer, welche einst eine Höhle in dem schräg den Berg hinaufziehenden Felsenband sperrte. In der Höhle befindet sich eine Quelle mit angeblich heilkräftigem Wasser* ). Grottenstein, war nie eine Burg im eigentlichen Sinne, sondern nur in Zeiten höchster Bedrängniß die letzte unbe- zwingliche Zufluchtsstätte für die Insaßen der Burgen Lichtenstein und Haldenstein. Durch einen Einschnitt -1 ) in dem vorerwähnten Felsenband hindurch gelangen wir, rechts einen jähen Hügelabhang hinansteigend, zur Burgruine Lichtenstein ( 760 ' " über Meer ). Sie thront in Form eines länglichen Vierecks, kühn und mit weitem Ausblick auf das unten zu beiden Seiten des Kheins sich hinziehende Thal, auf felsiger Höhe an deren schwindlich schroffem südlichem Absturz. Rechts unten in unmittelbarer Nähe erschaut das Auge das Dorf Haldenstein, das in uralten Zeiten den Namen Unterlenz geführt haben soll, bis es dann von der Burg Haldenstein seinen jetzigen Namen erhielt. Weiterhin schweift es über die schönen Cul-turgefilde von Chur, über dessen vielthürmiger Häusermasse der bischöfliche Hof als Akropolis aufragt. Der Blick findet seine Schranke an den das Bild von Chur umgebenden waldigen Bergen, dem Mittenberg und dem Pizokel, hinter denen der Gürgaletsch mit seinen Nachbaren, das Aroser Weißhorn u. s. w. aufragen, und schweift sodann, westwärts ablenkend, in die Thalfläche von Ems. Links unten, an den Fuß des Calanda angeschmiegt, nimmt man die in stillem Naturfrieden idyllisch daliegende, mit einem üppigen Obstbaumwald theilweise bedeckte Wiesen-einbuchtung Oldis wahr. Diese bildet einen Theil der Feldflur von Haldenstein, ist aber von dessen eigentlichem Rayon durch den bis zum Rheine vor- springenden Fuß des vorgenannten Felsbandes, den sogen. Putschstein oder Steg, geschieden. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts anerboten ztircherische Industrielle flir den ganzen Complex von Oldis die Kaufsumme von fl. 100,000, um daselbst eine große Bleiche anzulegen. Die Offerte wurde aber von den Haldensteinem, weil sie im Verhältniß zu ihren Berggütern eher Mangel an Heimgütern haben, abgelehnt. Von Oldis aus geht in geringer Höhe über dem Rhein ein anmuthiger Fußweg, Scalariz ( Ufersteig ) genannt, nach Untervaz, der an der Grenze der beiden Gemeinden in die Felswand des Satz ( 618 m ) eingesprengt ist.

Jenseits des Rheines, der sich zwischen seinen cyclopischen Wuhrmauern wie ein blaues Band durch die sonnige Landschaft windet, dehnen sich die fruchtbaren Gelände von Trimmis, Zizers, Igis und Malans aus, und dahinter erheben sich die vielgestaltigen Bergreihen vom Falknis bis zum Hochwang. Namentlich bei Abendbeleuchtung, wenn die scheidende Sonne die gothischen Strebepfeilern ähnlich am Absturz des Hochwang aufsteigenden Felsthürme mit purpurnem Lichte überstrahlt, ist das Landschaftsbild ein wahrhaft bezauberndes. Das wäre fürwahr ein würdiger und lohnender Gegenstand für einen Maler, der den Pinsel eines Böcklin zu führen verstünde!

Rechterhand oberhalb Trimmis steht auf bewaldetem Hügel die Ruine Neuaspermont oder Ruchenberg ( 1068 ra ). Nach der Sage befindet sich in derselben, von einer Geisterjungfrau behütet, ein goldene » Kegelspiel. Noch weiter rechts zieht sich das felsige unheimliche Scaläratobel in den Berg hinein, in welchem, von zwei Capucinern geleitet, die abgeschiedenen Seelen der Bürger von Chur ihre Aufnahmestätte finden, wie solches in dem bekannten Scaläratobelliede drastisch geschildert ist. Nach diesem haben die Geistersehaaren u. A. ihre'feuerschnaubenden Rosse zur Mitternachtsstunde nach dem Rhein zur Tränke zu reiten1 ).

Vom Scaläratobel aus dacht sich in immer breiter werdendem Mantel gegen den Rhein hinunter der gleichnamige Rüfekegel ab, durch den der Fluß ganz auf die Seite des Calanda gedrängt wird. Wir erkennen daraus die verschiedene Natur des Gesteins beider Bergzüge. Der Hochwang besteht aus dem leicht verwitternden Bttndnerschiefer mit seinen charakteristischen Rüfebildungen und massenhaften Schutt-abschiebungen, während das Gestein des Calanda der feste, Bergbrüche und Erosionen nicht begünstigende Galandakalk bildet, der mancherorts ( bei Haldenstein und Untervaz ) sich in Marmor umgewandelt hat1 ).

Bergwärts in ziemlicher Höhe und für unsern Blick von der Burgruine Lichtenstein aus nicht mehr wahrnehmbar, liegt über Oldis der stille, waldumschlossene Wiesenplan von Patänia ( 1463 m ), der, ein ganzes Dörfchen mit Häuschen und Ställen tragend, tief in den Berg hineinbuchtet. Patänia hieß in alten Zeiten Sewils und war eine Ansiedelung der freien Walser. Nachher fiel es auf unbekannte Weise den kleinen Monarchen Haldensteins zum Eigenthum. 1424 wurde es laut noch vorhandenem Lehensbriefe von Petermann von Griffensee mit „ Grund und Grat, Wies und Weid, Stäg und Weg, Holz und Wald, Gereutem und Un-gereutem, von Zwyg ( Bäumen ) wildem und zahmem, Wasser und Wasserfluß, mit 24 Kuhweid und für Galt- und Schmalvieh nach Bedürfniß " den dem Gute seinen noch jetzt gültigen Namen gebenden Brüdern Hans, Dietrich und Joos Batänjer — ein dermalen noch in Haldenstein existirendes Geschlecht — zum Erblehen überlassen, gegen einen jährlichen Zins von 9 ST Heller Churwährschaft und 10 S Schmalz am Martinstag nebst Vogelmahl. Der Weg nach Patänia, das in seinem jetzigen parcellirten Zustande von den Besitzern der einzelnen Güter nur noch wirthschafts-halber periodisch bewohnt wird — die letzte Familie zog circa 1870 nach dem Dorfe Haldenstein hinab — führt unter dem „ Stein " ( Salis'sches Berggut ) durch den bischöflichen Oldiswald eine starke Stunde weit hinauf. Von Fatänia aus kann man über die Halden-steineralp zum „ neuen Saß " den Calanda ersteigen. Der gewöhnliehe Weg dorthin geht aber, ab und zu sehr schöne Aussichtspunkte darbietend, über » den Stein und die Berggüter Herrenberg nach der vordem Alp oder dem sogenannten alten Saß ( 2046 m ). Ein dritter, sehr guter und neuer Weg zieht sich von der Burgruine Haldenstein links in die Höhe, bei den Maiensäßen Barfuß und Foppa vorbei nach dem sogenannten Nesselboden und dem obern Berg und dann ebenfalls nach der vordem Alp. Die Besteigung läßt sich in circa 8 Stunden ausführen und ist durch die successive sich erweiternden Einblicke in die Thalcoulissen der gegenüber liegenden Bergketten und endlich durch die großartige Rund- und Fernsicht auf der Spitze ( 2808 m ) sehr lohnend. Man thut gut, einen Führer von Haldenstein mitzunehmen und darf bei der Rückkehr auf demselben Weg den Pfad nicht verlassen. Wer etwa der Abkürzung halber gerade nach Haldenstein hinabsteigen wollte, würde unten bald auf Abgründe und steile Felsenplatten treffen, auf welchen man außerordentlich leicht ausgleitet. Es haben sich in dieser Weise schon mehrere höchst bedauerliche Unglücksfälle zugetragen. In Bälde wird hoffentlich, nämlich wenn seitens des Gesammtvereins die nöthige Unterstützung nicht ausbleibt, auf dem Calanda an geeigneter, wenn auch noch nicht bezeichneter Stelle eine Clubhütte erstehen, durch welche seine Besteigung wesentlich erleichtert werden wird!

Noch beigefügt mag werden, daß, während der Fuß des Berges vielfach bis auf den nackten Felsen abgewaschen erscheint und daher solchen Orts nur eine kümmerliche Vegetation aufweist, die höhern, in-schönen Terrassen sich abstufenden Lagen tiefes und gute » Erdreich und daher dann auch einen reichen-und kräftigen Pflanzenwuchs besitzen. Der Botaniker findet da viele interessante und gar manche seltene: Alpenpflanzen ' ).

Laßsen nun wir, nachdem wir in der Burgruine Lichtenstein ein aussichtsreiches Sitzplätzeben uns gewählt haben, die Geschichte der Burgen und de » Dorfes vor unserm innern Auge vorübergehen. Wir können dabei um so mehr kurz sein, als wir schon bisher Manches davon gelegentlich haben einfließen lassen, üeber den Ursprung der Burgen fehlen geschichtliche Berichte. Schon der Klang der Namen Lichtenstein, Grottenstein, Haldenstein zeigt aber, daAuf dem Gebiete von Haldenstein kommen n. A. vor:

1 ) bei Haldenstein selber: Viola pinnata L., Limodornnt abortivùm Sw., Orchis pallens L.; 2 ) auf Patänia: Epipogium Gmelini Rieh, ( im Bnchenwald ), Dentaria digitata Lam., und polyphylla W. et Kit. ( sowie die Bastardform zwischen beiden Arten ), Gagea minima Schult., Corydalis fabaoea Pers.; 3 ) in der alpinen Region: Athamanta cretensis L., Thlaspt rotundifolium Gaud., Primula Aurieula L. und integrifolia L., viele Arten von Androsace, Gentiana, Saxifraga u. s. w.

Sehr reich und mannigfaltig ist die Kryptogamenflora,. uameutlich an kalkliebenden Flechten und Moosen, von » Fuße des Berges an bis zur obersten Höhe.

sie deutsche Gründungen sind, zu dem Zwecke vorgenommen, um den unten, durch 's Thal ziehenden Straßenzug nach den lockenden Gefilden Italiens zu schützen und offen zu behalten. Waffengettbte Edelknechte der deutschen Kaiser waren die ersten Insaßen und Wächter dieser Burgen. Die Burg Lichtenstein ist ohne Zweifel die älteste dieser Bergfesten und zerfiel wohl auch zuerst in Trümmer. Sie gilt, mit wie viel Recht lasse ich dahingestellt, als die Stammburg des jetzt noch in Oesterreich blühenden Geschlechtes der Fürsten von Liechtenstein. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts sollen die Lichtensteiner von hier in 's Tyrol, nach Botzen, gezogen sein, wo sie ein Schloß gleichen Namens erbauten, das aber auch schon seit Anfang des vorigen Jahrhunderts nicht mehr bewohnt wird. Von hier breitete sich das Geschlecht aus nach andern Theilen und Ländern Oesterreichs, sowie nach dem Ländchen unterhalb der Luziensteig, welches es sich als souveränes Fürstenthum erwarb. Als zu Anfang deB vorigen Jahrhunderts der Liechtensteinische Palast in Wien erbaut wurde, ließ der damalige regierende Fürst von Liechtenstein, mit Erlaubniß des Freiherrn, Steine von der Stammburg oberhalb Haldenstein auf Flb'ßen den Rhein abwärts nach dem Bodensee und sodann nach der Kaiserstadt schaffen, um sie in das Fundament des Neubaues einzusenken.

Nach der Sage herrschte einmal auf der Burg Lichtenstein ein Zwingherr, von dem das Volk schwer bedrückt wurde. Endlich brach der Sturm des Unwillens gegen ihn los. Die Burg wurde belagert und eingenommen und der Ritter nach tapferer Gegenwehr überwältigt. Da wurde ihm von den Siegern die Wahl gestellt, entweder auf dem Flecke erschlagen zu werden oder über die Felswand hinunter zu springen. Er wählte das Letztere, im Herzen dem Bösen seine Seele versprechend, wenn er ihn bei seinem Sturze in die Tiefe am Leben erhalte. Das Abkommniß wurde vom Fürsten der Finsterniß acceptirt. Der Kitter setzte sich auf sein Schwert, schwang sich in den gähnenden Abgrund undaus donnernder Wolke im Wetterstrahlkam er unten wohlbehalten an! Hinauf schauend, sah er die Burg von ihren Eroberern in Flammen gesetzt. Nun eilte er, in seiner Verwirrung flüchtend, gegen das Dorf. Da fielen aber die Weiber mit Dreschflegeln über ihn her und erschlugen ihn. Satanas wollte rasch seinen Lohn einheimsenSpäter kam, wie schon früher bemerkt worden, die Burg Lichtenstein in die Hände derer von Haldenstein und sie nannten sich nun Herren von Lichtenstein und Haldenstein. 1386 fiel Albrecht von Lichtenstein im österreichischen Heere in der Schlacht bei Sempach. Nachdem 1390 Anna von Haldenstein als letzte ihres Hauses mit Tod abgegangen war, kam die Herrschaft 1424 erb- und kaufsweise an den schon erwähnten Petermann von Griffensee ( österreichischer Vogt in der Herrschaft Sargans und Gatte der Tochter Gottfrieds von Ems und einer Margreth von Haldenstein ) und sodann bei seinem Tode 1450 durch Kauf an Heinrich Ammann von Grüningen, eidg. Vogt zu Sargans. Dieser starb 1504 und es folgten ihm nun in der Herrschaft die Edeln von Marmels, deren Einer ( Rudolf ) in der Schlacht an der Malserheide oder an der Calven mit den Ersten unter dem feindlichen Geschütze in die Schanzen der Oesterreicher eindrang. Wie schon früher bemerkt, kam die Herrschaft durch die Wittwe des Jac. von Marmels, Hilaria von Reitnau, auf J. J. Castion, den Erbauer des Schlosses im Dorfe. Nachdem das kleine Reich am Fuße des Calanda wieder infolge Kaufs in Händen des Hauptm. Greg. C. von Hohenbalken ,(von Disentis ) gewesen, kam es, abermals durch Kauf, 1608 in den Besitz des Thomas von Schauenstein, eines der angesehensten und reichsten Bündner, der mehrmals mit hohen Ehrenstellen bedacht und zu wichtigen diplomatischen Missionen verwendet wurde, so z.B. 1603 als Gesandter der drei Bünde nach Venedig zur Beschwörung eines 10jährigen Bündnisses. Er war Doctor beider Rechte und 1582 und 1583 Rector der großen und berühmten Universität zu Padua. 1612 wurde er, wie schon an anderer Stelle bemerkt worden, vom österreichischen Kaiser Matthias in den Freiherrn-stand erhoben. Er starb 1628. Sein Sohn Julius Otto, von Oberst Georg Jenatsch persönlich beleidigt, soll sich an dessen Ermordung ( 15. Jan. 1639 ) betheiligt haben. Der tiefverschuldete Georg Philipp, Sohn Julius Otto's, zeichnete sich aus durch ein arges ruinöses Willkürregiment ( 1666—1695 ). Das von den drei Bünden angeordnete Einschreiten wußte er durch sein erstaunlich freches prätentiöses Auftreten und seine Berufung auf den kaiserlichen Schutz, womit er jenes als eine unbefugte Einmischung in seine Juris- diction zurückwies, zu verhindern. Mit ihm erlosch der Mannesstamm der Schauensteiner in Haldenstein. Maria Flandrina, Tochter von Thomas II. und Enkelin von Thomas I. von Haldenstein, verehelichte sich 1698 mit Luzius v. Salis-Maienfeld, durch den die Leibeigenschaft aufgehoben und manche Lastenerleichterung für die Unterthanen angeordnet wurde. Mit ihm beginnt die Dynastie der Salis-Maienfeld ( Gubert 1722 bis 1737, Thomas 1737—1774, Joh. Luzius 1774 bis 1801 ). 1801 wurde dann Haldenstein bleibend1 des freiherrlichen ünterthanenverhältnisses enthoben und mit Graubünden und der helvetischen Republik vereinigt und theilte von da an die Schicksale des Kantons und des Gesammtvaterlandes. Damit hatte die Gemeinde endlich erreicht, wonach sie in Jahrhunderte langem, zähem und im Ganzen äußerst interessantem Kampfe gerungen hatte.

Die ursprüngliche Bevölkerung war romanisch. Es beweisen dies die noch bestehenden vielen romanischen Flur-Namen, z.B. Bovels, Fopp, Silvanera, Palun, Pradisla, Pradvall, Fontanuglia, Cavrils, Gotsch nêr etc., sowie frühere und zum Theil noch vorhandene Familien-Namen, wie Pitschen, Janutt, Liver, Felix, Lutscher, Tönier etc. Mit den Gründern der Burgen kam wohl eine größere Anzahl deutscher Ansiedler, woher später und noch jetzt vorkommende Namen, wie Thüringer, Giger, Gasser, Schwarz u. A., sich ableiten mögen. Die über die Burgen gebietenden und waffengeübten und -führenden Deutschen mochten wohl nur zu bald die Romanen unterdrückt und in Leibeigenschaft gebracht haben. Bis zur Auf- liebung der letztern unter dem ersten FreiheiTn aus dem Geschlechte Salis-Maienfeld bestanden in Haldenstein Freie und Leibeigene neben einander, immerhin unter dem vom Regenten gesetzten Vogte ein Gemeinwesen, wenn auch mit beschränkten Rechten, bildend. Ursprünglich war die Herrschaft Haldenstein reichsunmittelbar. Dann kam sie unter die Schutzherrschaft der drei Bünde bis zur Incorporation in deren Gebiet. Sie hatte zu deren Heerbann ganz in gleicher Weise, wie die übrigen Gemeinden, ihre waffenfähige Mannschaft zu stellen. Wie die Republik der drei Bünde bekanntlich ihre Unterthanenländer in harter Unterdrückung erhielt, so sorgte sie auch jeweilen für eine möglichst ungeschwächte Auf-i-echterhaltung der auf politischem und kirchlichem Gebiete unbeschränkten Machtbefugnisse der Regenten gegenüber den Unabhängigkeitsstrebungen der Haldensteiner. Daß bei den Letztern das heilige Feuer der Freiheitsliebe immer wieder auf 's Neue sich entfachte, ist wohl zu begreifen. Ringsum waren sie umgeben von fast bis zur- Selbstherrlichkeit freien Gemeinden des Bündnerlandes, mit deren Bevölkerung sie im Waffendienst und im Verkehr der Friedenszeiten in Berührung kamen, und ihr Freiheitsdrang mußte um so stärker werden, je mehr sie Gelegenheit hatten, ihre Stellung mit derjenigen der andern Bündner zu vergleichen und je härter sie ab und zu von ihren Potentaten behandelt worden. So konnten häufig sich wiederholende Reibereien zwischen Herrschaft und Unterthanen nicht ausbleiben, die einmal, um 1620, bis zur Verjagung des Freiherrn führten, der dann frei- lieh infolge Machtgebot und Unterstützung der drei Bünde wieder seinen solennen Einzug halten durfte. Die Gemeinde war stetsfort bemüht, immer mehr frei-herrliche Rechte in ihre Gemeindeordnungen herüber zu nehmen und so dieselben dem Regentenhause zu entwinden und sich selbst anzueignen. War dieses Bestreben früher unter der Schutzherrschaft der drei Bünde von geringem Erfolg begleitet, so änderte sich die Sachlage, als der Gewitterschein der französischen Revolution auch in die rhätischen Berge drang, wo dann Haldenstein, das die Leiden der Kriegsjahre ( französische Einquartierung 1799 mit mehrern hundert Mann einer raubsüchtigen und zuchtlosen Soldatesca ) in empfindlichster Weise mitzutragen hatte, mit einem Schlage durch seine Vereinigung mit Bünden in den vollen Besitz der republikanischen Freiheit trat. Seither ist der Haldensteiner ein politisch regsamer, dem Fortschritte zugethaner, guter Bündner und Eidgenoß. Er besitzt die Gabe leichter Auffassung, ist fremden, jedoch mit Offenheit und Wohlwollen ihm entgegen-gebrachten und ihm zweckmäßig erscheinenden Ansichten leicht zugänglich, während er dagegen finsterm, hochmüthigem Wesen tiefe Abneigung und scharfe Opposition entgegenzusetzen pflegt. Er ist arbeitsam und anschickig in seinen Geschäften, dabei freilich auch zur Fröhlichkeit und heiterm Zeitvertreib, wozu ihm die Nähe der von ihm viel besuchten Hauptstadt alt fry Rhätiens reichlich Gelegenheit darbietet, jederzeit aufgelegt, auch wenn solches ihm ein gut Stück seines erworbenen Geldes kostet. In der Bevölkerungszahl ist die Gemeinde in den letzten 50 Jahren etwas zurückgegangen. Bei der Zählung von 1835 besaß sie 557 Einwohner ( 442 Gemeindsangehörige, 115 Gemeindsfremde ), bei derjenigen von 1870 nur noch 463 und 1888 endlich 411 Einwohner. Doch es ist Zeit unsere Felswarte zu verlassen. Die Schatten der Dämmerung schleichen durch das Thal und klimmen langsam an den Bergen empor. Kehren wir heim, bevor die huschenden Nachtgestalten der zerfallenen Bergfeste der Geisterjungfrau vom Ruchenberg oder den gebannten Seelen drüben im Scaläratobel ihren Gruß zuwinken! Ehe wir aber dem Lichtenstein Valet sagen, gießen wir den Rest des von Chur mitgebrachten Veltliners, der uns da oben herrlich geschmeckt hat, in 's Glas und leeren dieses bis zur Nagelprobe auf das Wohl und Gedeihen Haldensteins und seiner wackeren Bewohner!

Damit schließen wir unsern Excurs über Haldensteins Natur, Volk und Geschichte. Wir haben dabei den Rath unseres trefflichen Itinerars befolgen zu sollen geglaubt, nämlich, daß der Alpenclubist sich nicht nur mit der Natur, sondern auch mit dem Volk und seiner Geschichte bekannt machen solle. Und wo könnte man in letzterer Beziehung auf unserm gegenwärtigen Clubgebiet einen interessanteren Fleck Erde treffen, als diese ehemalige Freiherrschaft Haldenstein mit ihrer ganz eigenartigen Geschichte, welche die Kämpfe der Völker um Selbstständigkeit und Freiheit im engern Rahmen so charakteristisch und treu wiederspiegelt!

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