Henry Correvon et Philippe Robert: La Flore Alpine
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Henry Correvon et Philippe Robert: La Flore Alpine

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Illustrée de 100 aquarelles ( 3 couleurs ) donnant 180 études de fleurs. Edition Atar, Genève. 1908. Preis Fr. 25.

Schon oft sind Alpenpflanzen gemalt, gezeichnet, photographiert worden für Gelehrte, Touristen, Spaziergänger und „ blümelnde " Mädchen- pensionate, und die Frage liegt nahe, ob das Thema nicht erschöpft sei, oder was denn Herr Philippe Robert — er nämlich schuf den vorliegenden Alpenpflanzenatlas — uns noch Neues zu sagen habe. Das ist nun sehr viel. Nicht etwa malte er neue, noch nie gesehene Pflanzen, seltene oder besonders prächtige Arten — es sind stets dieselben Alpenblumen, Enzianen und Primeln, Hahnenfuß und Steinbrech, wie sie der Maler auf seinen Wanderungen im Wallis auf Matten, an Felsen und im Steingeröll antraf. Neu ist, daß einmal ein Künstler von Berufung unsere Alpenpflanzen zum Gegenstand intimen Studiums gewählt hat, so daß wahre Gemälde entstanden, die den Blick in nie gekannte und nie geahnte Weiten führen.

Von seinem eigenen Schaffen sagt der Künstler selbst: Plus j' avançais dans cette étude approfondie de la plante de l' Alpe, plus j' étais saisi par cette conviction qu' il n' est possible d' arriver à faire quelque chose de beau, de nouveau, en prenant la plante comme modèle artistique, qu' en se rapprochant de la nature le plus possible pour saisir la silhouette de la plante dans ce qu' elle a de plus caractéristique.

In diesem Geständnis spiegelt sich das Geheimnis der Robertschen Blumenmalerei wider. Seine Pflanzen sind vor allem gezeichnet. Man betrachte das vielfältig zerschnittene Blatt des Blasenfarn ( Taf. 99 ) oder die Strahlenkrone des Alpenmannstreu ( Taf. 46 ), und man wird zugeben, daß Ph. Robert „ die Silhouette erfaßt " hat, wie keiner vor ihm. John Ruskin sagt in seinen Vorträgen über Kunst etwas über „ peinliche und demütigende Genauigkeit ". Demütigend, weil sie eine unendlich scheinende Arbeitslast bedeutet. Ph. Robert zählt die Adern auf den Blättern der Zyklamen, die Kalkschüppchen am Blattrand des immergrünen Steinbrech, er malt den Alpenrosen acht Staubgefäße, den Saxifragen deren zehn, bekleidet die Hüllblätter der Centaurea mit braunschwarzen Bärtchen, alles nachzählbar und nachmeßbar — als Porträtist wohl wissend, wie wichtig auch die kleinsten Züge seiner Blumengesichter sind. Daß die Trollblume ( Taf. 6 ), die ja der Engländer wegen der kugelig zusammenschließenden Kelchblätter „ globe flower " nennt, mit von oben gesehen offener Kelehhülle gemalt ist, ist ein kleiner Fehler, ein winzig kleiner neben allem Vollkommenen.

Wie in ihren Feinheiten, ist die Pflanze in ihrem Aufbau nachmeßbar richtig gezeichnet; dieselben strengen Proportionen zeigen sodann die einzelnen Pflanzentafeln unter sich, und zum letzten macht man die verblüffende Entdeckung, daß sämtliche Pflanzen in natürlicher Größe gemalt sind, die 1 cm. hohe Silène acaulis sowohl, wie die 1 m. hohe Gentiana lutea, und das ist gewiß allein schon ein Kunststück.

Um nun auch von den Farben zu reden, stelle ich das Bild der Gentiana acaulis vor mich hin, wo blau, violett und grün harmonieren, bald im Aufleuchten, bald im Erblassen der einen oder andern Farbe das Werden, Blühen und Vergehen dieser herrlichen Blumen bedeuten. Verlangt das Auge nach satten Farben, schlage ich die Tafel der großen, blauen Alpenakelei auf, des violett strahlenden Eisenhutes, der ockergelben Arnika, oder, als kühnste aller Farben, des großen roten Enzians mit seinen purpurnen Blütenkelchen. Gern lassen wir die Eindrücke dieser bunten Farben in Weiß ausklingen, beim lieblichen silbernen Stern des Edelweiß, dessen richtiger französischer Name eben „ étoile d' argent " ist.

Früher wurde die Alpensoldanelle stets blau gemalt. Unser Künstler gibt ihr zum erstenmal jenen zarten, rosigen Schimmer, allzu zart vielleicht, eher wie eine eben aufgeblühte Soldanella minima, während bei Darstellung der letzteren, mit rein weißer Blume, ein kleiner Mißgriff passiert ist. Auch eine andere Blume entbehrt der Farbe, ich meine den Steinschmückel auf Tafel 11.

Ph. Robert malt nicht nur die Pflanzen, sondern auch deren Umgebung, welche im Bild als Hintergrund erscheint. Ein Virtuose ist er in der Wahl seiner Hintergründe. Er malt rote Blumen auf braunem Grund, dunkelgelbe Blumen auf hellgelbem, weiße auf zartbläulichem. Oft bezeichnet er mit dem Hintergrund den Standort der Blume, pflanzt den Steinschmückel ins Geröll, besäet den Grund der Dentaria pinnata ( Taf. 12 ) mit dürren Buchen- und Eichenblättern, malt hinter der Gentiana acaulis ( Taf. 78 ) goldige Garben, welche dem Windhalm angehören könnten und welche den Standort auf der Alpenwiese kennzeichnen. Meistens aber ist der Grund hell wie das Licht in den Bergen, nicht wie das direkte, das strahlende, sengende Sonnenlicht, gegen welches die Pflanze sich schützen muß, sondern wie das diffuse Licht des Tages, welches warm und weich als Lebensquell die Pflanze rings umflutet.

Der begleitende Text des Herrn H. Correvon füllt die zweite Hälfte des Werkes, ist anziehend geschrieben, entbehrt nicht eines gewissen poetischen Schwunges. Vor allem spricht aus ihm die Liebe zur Sache, ja ein wahrer Enthusiasmus und bildet so einen würdigen Kommentar zu Roberts schönen Bildern. Der Text ist fanzösisch, die Pflanzennomenklatur lateinisch, französisch, deutsch und englisch. Die deutschen Namen sind durchaus korrekt, abgesehen von einigen Druckfehlern, die sich beim Setzen der fremden Sprache wegen ja doppelt leicht einschlichen, wie Wiesenkraute anstatt Wiesenraute, Silberwurz für Silberwurz, Pipan für Pippau. Unter den französischen Namen frappiert die Bezeichnung „ Désespoir des Peintres " für Saxifraga cuneifolia ( Taf. 41 ); weshalb, konnte ich nicht ausfindig machen. Bei den lateinischen Namen vermißte ich die Autoren, welche zur Identifizierung der Pflanze oft unentbehrlich sind. So bin ich über die mit Gentiana acaulis bezeichneten Pflanzen ( Fig. 134 ) im Ungewissen, um so mehr, als der Autor anläßlich der Artenbeschreibung mit Recht sagt, die alte Linnésche Benennung acaulis sei fallen zu lassen. Die in Figur 134 dargestellte Art scheint vom Typus der Gentiana latifolia Scholler ( syn. G. Kochiana Perr. Song. ) zu sein, wogegen es wieder vom botanischen Standpunkt aus nicht gerechtfertigt erscheint, dieselbe nur wenig modifizierte Pflanze in Fig. 134bis unter einem andern Namen, diesmal Gentiana Kochiana, anzuführen. Außerdem sind die zu den Fig. 134bls und 135 gehörenden Namen Gentiana Kochiana und Clusii irrtümlicherweise vertauscht, was auch aus dem Text hervorgeht.

Die Artenbeschreibung ist sehr detailliert, umfaßt sie doch nahezu 160 Druckseiten und bildet ein abgeschlossenes Werk für sich. Sie ist einmal wissenschaftlich, dann den mehr praktischen Gesichtspunkten der Alpenpflanzenkultur und Akklimatisierung Rechnung tragend. Endlich kommt auch die künstlerische Bedeutung der Alpenflora zur Sprache. Ein lateinisch-französischer Index erleichtert das Auffinden der Arten im Text, ein solcher in den vier schon genannten Sprachen bezieht sich auf die Pflanzentafeln.

Die Verbreitungsangaben sind, was die Westschweiz anbelangt, recht ausführlich. Für deutsche Leser und ihr engeres Exkursionsgebiet könnten die Angaben für Cortusa Matthioli und Daphne striata, die als in Graubünden wachsend angegeben werden, präzisiert werden. Beide sind ja Vertreter der östlichen Flora, Cortusa dringt nur bis ins Unterengadin und Münstertal, Daphne striata strahlt über Graubünden bis in die Urkantone und Tessin aus. Unter Primula acaulis ( pag. 371 ) lese ich mit einigem Erstaunen: „ chose curieuse, cette espèce semble redouter la langue allemande et suit à peu près les frontières de la Suisse romande du côté suisse. " So deutschfeindlich ist denn doch die Pflanze nicht, wie Herr Correvon glaubt, kommt sie doch fast im gesamten schweizerischen Hügelland vor, nur stellenweise zwar, dann aber stets in großer Gesellschaft. Zu fehlen scheint sie den Kantonen Luzern, Zug, Aargau, Zürich, Thurgau und Schaffhausen. ( Siehe Gremii, Exkürsions- flora für die Schweiz. ) Der originellste Teil des Textes ist unstreitig das Kapitel über Akklimatisation und Kultur der Alpenpflanzen. Da schöpft der Verfasser aus jahrzehntelanger Erfahrung, die er sich in unermüdlichem Eifer und wohl durch manche Enttäuschung hindurch errungen hat. Sein ..Rezept ", das auch der Laie befolgen kann, flößt unbedingtes Vertrauen ein und muß zum Ziele führen. Im weiteren geht der Verfasser über zur Beschreibung der alpinen Gärten, von denen bekanntlich zwei größere in der Schweiz sich befinden, die „ Linnaea " in Bourg-Saint-Pierre für kalkfliehende Arten und die „ Rambertia " auf dem Ostgrat der Rochers de Naye für kalkliebende Arten. Um näher auf diese und prächtigere, ausländische, namentlich englische Alpengärten einzugehen, fehlt hier der Raum.

In dem ohnehin schon ziemlich voluminösen Werke mußte eine Anzahl typischer Alpenpflanzen weggelassen werden. So fehlen die alpinen Laubhölzer, die Zwergweiden, die Bergkoniferen, die Alpengräser. Aber Herr Correvon verrät schon jetzt, daß er uns vielleicht mit einer Fortsetzung des Werkes erfreuen wird.

Dagegen genießen eine gewisse Anzahl Pflanzen Gastrecht in vorliegender Flora sowohl, wie in vielen alpinen Gärten. Mit Unrecht. Alpenpflanzen sind doch nur solche, welche ausschließlich die Alpen ihre Heimat nennen, oder höchstens einmal mit den Flüssen niedersteigen, und nicht Ebenenbewohner, welche mitunter auch die Berge besuchen. Wenn Pflanzen Aufnahme finden wie Thalictrum aquilegifolium, Cerastium arvense und triviale, Lychnis silvestris, Dianthus superbus, Hippocrepis comosa, so liegt kein Grund vor, den Löwenzahn auszuschließen, den kühnsten aller Bergsteiger aus dem Unterland, den man mit zu Boden geducktem Köpfchen auf den höchsten Gräten antrifft. Daß er trotzdem keine Alpenpflanze ist und somit weder in eine Alpenflora noch in einen Alpengarten gehört, ist wohl aller Meinung.

Die Alpenflora von Correvon und Robert ist eine bedeutende Erscheinung. Die neuen Botaniker reden vom Leben der Pflanze wie von einem Wesen, das kämpft, leidet, sich des Lichtes freut, das vielleicht empfindet — nur auf seine eigene Weise —, lebende Wesen, die ein französischer Ästhetiker „ unsere bescheidenen Brüder und Schwestern " genannt hat. Solches Leben, das Leben unserer Alpenpflanzen, malte Philippe Robert in seiner prächtigen, unübertrefflichen Alpenflora.

Hans Dübi.

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