II. Erste bekannte Besteigung des Ahnengrats
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II. Erste bekannte Besteigung des Ahnengrats

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

( Höchster Punkt 3681 Meter. ) Die erste Hälfte des Monats August war überaus günstig für Gletschertonren. Am 5. August verliess ich Bern, in der Absicht, dem Lötschthal einen Besuch zu machen und von da aus wo möglich über die Lötschenlücke und den Ahnengrat das Mittaghorn zu besteigen. Gegen Abend erreichte ich Turtmann im Wallis; von da ging ich über die Brücken der Rhone und der Lonza nach Gampel und blieb im Hotel Lötschenthal. Am folgenden Morgen begleiteten mich Landleute nach Koppistein, wo man die Mineralien-Sammlung und die verfallenden Hüttenwerke der verlassenen Gebäude der Bleiminen am Rothenberg besichtigte. Ich vernahm, dass heute in Kippel bei Anlass der Installation eines neuen Pfarrers ein Fest mit Procession abgehalten werde.Von allen Seiten der Umgegend waren die Walliser zusammengekommen, so dass bei unserer Ankunft in Kippel eine grosse Menschenmenge sich bei der Kirche gelagert hatte. Zufällig traf ich hier unsern Clubgenossen Herrn Raphaël Ritz, den berühmten Maler, der im Hotel Nesthorn für 3 Wochen sein Atelier aufgeschlagen hatte; er veranlasste mich, in Kippel einige Stunden zu verweilen, um diese Procession wegen ihrer Eigenthümlichkeit mitanzusehen. Gegen 10 Uhr ordnete sich dieselbe vor dem Dorfe; die Ordnung war die übliche: voran die Kirchen- trophäen, dann die geistlichen Diener, die Kirchen-ältesten, dann folgten etwa 40 stattliche Männer in rothen Uniformen und hohen Bärenmützen mit Feder-büschen, wie ich solche im Jahr 1827 noch in Paris " bei der Schweizergarde zu sehen bekam; einige trugen goldene Epauletten und Kreuze der Ehrenlegion. Den Schluss bildeten Thalbewohner im Sonntagsstaat. So bewegte sich der originelle Zug in die Kirche. Da ich am Abend noch in der Nähe der Gletscher ein Bivouak beziehen wollte, so suchte ich einen Führer, und Peter Siegen stellte sich zu meiner Disposition; er war aber auch einer der Festtheilnehmer und wollte mich erst um 3 Uhr in Ried abholen. Leider kam er aber erst nach 4 Uhr; bis Proviant, Kochgeschirr und wollene Decken aufgeladen waren, wurde es bald 5 Uhr, und es war nicht mehr möglich, so weit hinauf zu gehen als ich gewünscht hätte. Beim Guggistaffel vorbeigehend sammelten die Führer noch Holz zu unserm Bivouak, das wir in einer Vertiefung der Guggenenalp nahe am Jägigletscher zwischen grossen Felsblöcken herrichteten, indem die Führer einiges Gesträuch abschnitten und den Boden damit bedeckten. Nahe dabei war ein kleiner Wasserfall; wir kochten Suppe und Kaffee, und um 9 Uhr machten wir es uns unter den wollenen Decken neben dem Feuer bequem. Bei milder Temperatur passirten wir eine verhältnissmässig gute Nacht. Als ich um Mitternacht erwachte, war der Mond zwischen dem Bietschhorn und dem Lötschthaler Breithorn emporgestiegen und leuchtete dann bis gegen Tagesanbruch. Um 2 Uhr wurde unser Frühstück bereitet und eine Stunde nachher stiegen wir auf den Lötschengletscher hinab, nahe an der Stelle, wo der Jägigletscher in denselben ausläuft. Hier musste über einen ziemlich angeschwollenen Bach gesetzt werden, wobei es nicht ohne Fussbad ablief. Anfangs war der Anstieg über die sanft geneigte Fläche des Gletschers leicht; erst auf der Höhe zwischen Ahnengletscher und Schienhorn zeigten sich Eisspalten und Schrunde, welche oft umgangen werden mussten und unsern Marsch bedeutend hemmten. Es war ein prachtvoller Tag, und eine bezaubernde Scenerie entwickelte sich langsam, als die Bergspitzen anfingen sich zu rothen.

Wir gingen beständig im Schatten bis zur Lötschenlücke, welche wir nach 8 Uhr erreichten. Hier begrüsste uns die Sonne.

Eine unvergleichliche Aussicht bietet sich hier dem Auge dar; unser Blick schweifte über das weit ausgedehnte Firnbecken des Aletschgletschers und die stolzen Gipfel, die dasselbe umkränzen. Uns gegenüber liegt die Grünhornlücke und an ihrem Fusse zwischen der Grünegg, dem Faulberg, dem Dreieckhorn und dem Kranzberg dehnt sich jene riesige Place de la Concorde der englischen Clubisten aus, wo sich der grosse Aletschfirn, der Jungfraufirn und das Ewigschneefeld vereinigen.

Von der Lötschenlücke hinweg bogen wir links um den ersten Gipfel ( 3240 m ), auf dem ein Steinmann steht, und stiegen über die Terrassen an der Seite des Ahnengrats hinauf, bis wir die vierte Spitze dieses Grates hinter uns hatten; alsdann stiegen wir steil, aber ohne Schwierigkeit auf den Ahnengrat selbst. Aber damit hatten wir erst die Etappe, noch nicht unser Marsch- ziel erreicht. Als wir nun in nördlicher Richtung gegen das Mittaghorn vorrückten, kamen wir zu einer Eisgrotte. Es war bereits Mittag und wir ruhten am Rande des'mit Wasser angefüllten Beckens. Peter Siegen versuchte das Gewölbe zu überschreiten, kam. aber sogleich wieder herab und sagte, da sei keine Möglichkeit durchzukommen. Ich ersuchte ihn, etwas abwärts zu steigen, um zu sehen, ob man diese Stelle nicht links umgehen könne, allein er kam zurück mit dem Bericht, dass ein in den Ahnenfirn senkrecht abfallender Felsen die Umgehung unmöglich mache. Auf unserer rechten Seite war der Abhang gegen den Ebnefiuhfirn zu steil und zudem noch mit parallelen Schrunden durchzogen; es blieb also nichts übrig als Angesichts des Mittaghorns umzukehren und uns mit der Besteigung des Ahnengrats zu begnügen. Es war 2 Uhr, als wir denselben verliessen, und schon zu spät, um es noch mit einer Umgehung weiter oben zu probiren, denn wir hätten riskirt, auf dem Gletscher übernachten zu müssen. Um 4 Uhr waren wir wieder bei der Lötschenlücke zurück.

Die Sonnenhitze hatte den Firn ziemlich erweicht, so dass an vielen Stellen das Fortkommen schwierig wurde, indem man tief einsank. Einige Mal mussten wir uns aus dem Bereich der Felsen flüchten, wollten wir nicht einem Bombardement von Steinen ausgesetzt sein. Es war Nacht als wir beim Gletscherstaffel anlangten. Der steinige und theilweise sumpfige Weg vom Gletscherstaffel hinweg musste in. der Finsterniss zurückgelegt werden, bis Peter Siegen für gut fand, eine Pechfakel anzuzünden und voranzuleuchten.

Nach einer Abwesenheit von 20 Stunden, von unserm Bivouak hinweg gerechnet, kamen wir um 11 Uhr in Ried an.

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