II. Valüllaspitze
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II. Valüllaspitze

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Yalüllaspitze.

Die Valüllaspitze ist neben der Ballunspitze unstreitig die schönste und pikanteste Bergform ihres Gebietes und lockt schon dadurch zur Besteigung, abgesehen davon, dass ihre nach Süden vorgeschobene und nach allen Richtungen freie Lage ihr eine herrliche Rundschau sichert. Sie wird nicht häufig und dann meist von Nordwest aus bestiegen, auch wenn man von Galthür kommt, in welchem Falle man ihre Nordseite umgeht.

Als wir am Morgen des 7. Juli 1876 nach etwa einstündigem Anstieg über die Rasenhänge oberhalb der Bielerhöhe uns am Fusse der kleinen Valüllaspitze befanden, schien uns der direkte Anstieg von Süden so leicht und einladend, dass wir beschlossen, auf die anscheinend zeitraubende Umgehung nach der uns ebenfalls fremden Nordwestflanke des Berges zu verzichten und den Stier bei den Hörnern zu fassen. Die steile, noch tief mit Winterschnee ausgefüllte Mulde zwischen der kleinen und grossen Valüllaspitze wurde auf halber Höhe durchquert und der AufstiegFlammspitze der österreichischen Generalstabskarte.

durch 's Gestein begonnen. Dieser zeigte sich dann alsbald schwieriger als wir gedacht. Die Südseite der Valüllaspitze wird von lauter Platten, Felsköpfen und Fluhabsätzen gebildet, welche mit Rasenbändern durchwachsen und mit kleinen Grasbüscheln besprenkelt sind. Vielfach tritt faules, haltloses Gestein zu Tage, das es aber zur Bildung von gangbaren Runsen und Schutthalden desshalb nicht bringt, weil bei der grossen Steilheit der Hänge alles losgelöste« Material in die Tiefe stürzt und erst dort einen hohen förmlichen Schuttmantel um den Fuss des Berges bildet, welcher indessen nicht zur Höhe der rechts und links anschliessenden Bergrücken heraufreicht.

Die oben erwähnten Rasenbänder lassen sich nirgends auf längere Strecken verfolgen, sondern brechen jeweilen nach wenigen Schritten wieder ab. Unter solchen Umständen war unsere Aufgabe ebenso einfach im Prinzip als mühselig in der Ausführung.

Es galt eben, jede praktikable Stelle zur Gewinnung an Höhe auszunützen und jede unpraktikable Stelle möglichst kurz zu umgehen.

Stets mit Händen und Fussen arbeitend und jeden Griff und Tritt in Rasen und Gestein sorgfältig wählend und prüfend, kletterten wir hinan.

Ich erfuhr wieder einmal so recht, mit wie wenig Raum der Fuss sich begnügen kann, wenn er muss.

Auf schmalem Rasenbüschel stehend, den Rücken gegen die Wand gedrückt, schöpften wir von Zeit zu Zeit Athem, während das Auge, ungehemmt in die Tiefe schweifend, erst in der einige Tausend Fuss unter uns liegenden Thalsohle einen Ruhepunkt fand.

Wir waren schon hoch hinauf gelangt, als plötzlich alles weitere Vordringen abgeschnitten schien. Das Grasband, welches wir verfolgt hatten, verlief plötzlich horizontal in einer glatten, steilen Platte und setzte erst jenseits derselben wieder fort. Ueber und unter uns war nur senkrechter Fels und kein anderer Ausweg zu erspähen. Entweder hinüber oder zurück war die Losung., Bei näherer Prüfung der wegversperrenden Platte, zeigte sich glücklicherweise in deren Mitte ein zapfen-artiger Vorsprung frei herausragend und eben gross genug, um einem Fusse Stand zu bieten.

Den Stock an einen Genossen abgebend, das Gesicht gegen die Wand gekehrt und mit beiden Händen festen Halt am obern Bande der Platte fassend, machte der Vormann den luftigen Tritt nach dem Zapfen, wechselte dort vorsichtig den Fuss und gewann mit einem zweiten Tritt wieder sicheren Rasen.

Die andern Beiden folgten in gleicher Weise.

Drüben ging 's wieder mit allen Vieren kletternd weiter wie zuvor, und endlich um 12 Uhr Mittags erreichten wir die östliche Gipfelzacke.

Dieselbe trug eine sehr verdächtige Schneehaube, neben welcher nur für einen Mann Eaum blieb. Wir wählten daher zum Rastplatz eine Stelle unterhalb derselben, wo drei Felsblöcke uns comfortabeln Sitz boten, wenn auch die Füsse frei über dem Abgrund baumeln konnten, und besuchten nur Einer nach dem Andern, auf schneidigem Grat rittlings hinaufrutschend, den freien Rundblick bietenden Gipfel.

Die Aussicht war entzückend. Frei schweift das.

Auge über die Silvrettagruppe, aus welcher grosser Buin und Fluchthorn besonders imposant hervorragten, hinweg nach den südlicheren Firnketten des Oetzthales, des Ortler und der Bernina, deren letzte Coulissen von Wolken theilweise verhüllt waren. Daran schliessen sich die Adulagruppe, die Hinterrheinthaler- und Glarnerberge mit dem allgewaltigen Tödi, die Churfirsten und die Appenzelleralpen, aus deren Mitte der Sentis herübergrüsst.

Breit und stattlich, sich der Durchsicht nach dem Bodenseebecken vorlagernd, dehnt sich der Khätikon mit Scesaplana und Zimpaspitze aus. Ihm reihen sich die Gipfel des Klosterthales und der Verwallgruppe an. Rothe Wand, Kalter Berg, Plattend und Kuchenspitze treten besonders hervor. Die entfernteren Coulissen bilden die Kalkschrofen des Bregenzerwaldes und des Allgäus. Nach Osten schliessen Lechthaler-berge, Wetterstein- und Karwendelgebirge die Rundschau ab.

Einen besondern Reiz gewinnt die Valüllaspitze dadurch, dass ausser einem Meer von Gipfeln fünf zum Theil bewohnte und bebaute Thäler dem Auge sich aufthun, nämlich das Montavon, das Zeinisthal, das Paznaun, das Vermuntthal und das Ochsenthal.

Wir verweilten anderthalb Stunden auf dem Gipfel. Bevor wir den Rückzug antraten, deponirten meine Gefährten noch unsere Karte in der Flasche auf dem mittleren Gipfel, in welcher sich u. A. auch die Karte des Verfassers des trefflichen Tyrolerführers, Trautwein aus München, vorfand. Es war mir sehr interessant, später von demselben zu hören, dass er seiner Zeit ganz denselben Weg wie wir gemacht hatte und auch die Platte mit dem Zapfen passiren musste. Er stimmt mit uns darin überein, dass der einzige Zugang von Süden nur über diese Stelle führe.

Der Abstieg kostete uns bei der erforderlichen Vorsicht und Behutsamkeit nahezu ebenso viel Zeit als der Aufstieg. Ein unerfreulicher Zwischenfall war die Begegnung mit einer Kupfernatter in einem Revier, wo wir noch geraume Zeit fast bei jedem Tritt unsere Hände fest in jede Spalte oder jeden Grasbüschel zu bohren hatten. Der unheimliche Gast endete zwar sofort unter den Streichen des Bergstockes, aber die Zuversicht, mit welcher wir bisher nach jedem Halte gegriffen, war doch etwas erschüttert.

Der Abwechslung halber gingen wir nicht wieder unter der kleinen Valüllaspitze durch, sondern wählten zum weiteren Abstieg eine der Kehlen, welche das Wasser in den Schuttmantel, der den Fuss des. Berges umgibt, gerissen hat.

Auf dem noch reichlich eingebetteten Winterschnee rückten wir rutschend und springend rasch zu Thal, dessen Sohle wir um 5 Uhr Abends wieder betraten. Ein eben ausbrechendes Gewitter zwang uns, Schutz in einer durch herabfallende Gneissblöcke gebildeten Höhle zu suchen, welche mich lebhaft an die Gebilde der Baretta-Balmen im Vernelathale erinnerte. Da wir uns nunmehr im sogenannten Kleinvermuntthale befanden, hatten wir erst noch die Bielerhöhe zu passiren. Um 6 Uhr 45 Min. trafen wir wieder in der Hütte im Grossvermunt ein.

Freunden von Kletterpartien, welche auf der Ver- muntalpe liegend einen Tag übrig haben, mag die Besteigung der ValüUaspitze auf dem eben beschriebenen Wege bestens empfohlen sein. Sowohl die interessanten Formen des Berges selbst, als die herrliche Kundschau werden sie für den Aufwand an Mühe und Zeit reichlich entschädigen.

Andern Morgens früh 6 Uhr verliessen wir die gastfreundliche Alphütte. Meine Gefährten statteten noch dem Hochmaderer ( 2821 m ) in der Kette zwischen dem Vermunt- und Gannerathal einen Besuch ab. Meine Zeit war um. Da, wo der Cromerbach sich schäumend in die 111 ergiesst, trennten wir uns. Sie stiegen links hinan; ich zog durch das im Alpen-rosenschmuck glühende, bachdurchrauschte Schweizer-Vermunt hinaus der Hölle zu. Dort schaute ich, auf schwellendem Moospolster gelagert, eine halbe Stunde dem Stürzen und Branden der beiden grossen Rifalle zu, welche die enge Schlucht mit betäubendem Getöse und feinem Wasserstaub erfüllen und langte nach gemächlichem Marsche Nachmittags 4 Uhr wieder in Schruns an.

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