III. Ueberschreitung der Winterberge (Damma-Pass)
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III. Ueberschreitung der Winterberge (Damma-Pass)

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Von Albert Hoffmann-Burckhardt.

Samstag den 15. Juli erhoben wir uns früh 2 Uhr von unserem Heulager und brachen, nachdem wir eine kräftige Suppe genossen, gegen 3 Uhr bei völliger Nacht auf. Der Himmel war schwer mit Wolken belastet und eine feuchte, warme Föhnluft hauchte gewitterschwanger über die Triftlimmi her uns entgegen, nichts Gutes verkündend. Statt der Todesstille, welche sonst am frühen Morgen nach hellen Nächten in solcher Höhe alles Leben in eisigem Schlafe gefangen hält, murmelten leise rauschend die Gletscherbäche wie am hellen Tage und die dünngefrorene Schneekruste brach unter jedem Tritte. Dass wir unter diesen Umständen sofort das Seil zur Hand nahmen, ist selbstverständlich, und öfteres Einbrechen in versteckte Spalten bewies uns zur Genüge, wie nothwendig die Vorsicht war. Ohne Aufenthalt

9* A. Hoffmann.

schritten wir über die Firnmulde „ im Sack ", die steilen Gehänge zwischen dem Triftlimmistock und dem Schneestock hinan, und um Va7 Uhr standen wir nach stark SVastündigem Marsche auf den wenigen, aus dem Schnee hervorragenden Felstrümmern des „ Mittelstockes " ( 3509 M. ), wie ich diesen Punkt hiermit zu benennen vorschlage. Wenn ich diese Spitze auserkoren hatte, um den längst gesuchten Uebergang nach dem Dammafirn und der Geschenen-Alp zu bewerkstelligen, so geschah es desshalb, weil er, schneefrei, wie er war, eher erlaubte, von seiner Höhe herab den jenseitigen Abhang zu rekognosciren, was weder vom Dammastock, noch von den übrigen Kuppen, der überwächteten Schneemassen wegen, mit der gleichen Sicherheit bewerkstelligt werden konnte.

Statt des lauen Föhnes überraschte uns hier oben plötzlich ein eisiger Nordwind, und wer je schon auf bedeutenden Höhen seinem Mark und Bein durchdringende Hauche ausgesetzt gewesen, wird begreifen, wie sehr wir uns sehnten, die schützende Felswand zwischen uns und den greulichen Blaser zu stellen. Ich erwähne dieses Umstandes nur desshalb, um die Oberflächlichkeit unserer Rekognoscirung einigermassen zu entschuldigen, da bei etwas mehr Ruhe und Behaglichkeit wir wohl entweder eine passendere Stelle gesucht oder aber auf den Uebergang nach dem Dammafirn gänzlich verzichtet haben würden. Wie aber die Sachlage war, begnügten wir uns mit der Ueberzeugung der Möglichkeit und sahen etwas zu voreilig von der Sicherheit ab.Es geht ", hiess es, „ also vorwärtsüeber die ersten paar Felsen waren wir bald hinunter, aber schon die nächsten Schritte überzeugten mich von unserer gefahrvollen Lage. Wohl 1000'hoch über dem Gletscher, der beinahe senkrecht unter uns lag, klebten wir, am Seile schwebend,

Winterberge. ' '

an den oft losen Felsen, von denen bei jedem Schritte kleinere und grössere Stücke sich ablösten und in mächtigen Sprüngen uns die grause Bahn bezeichneten, welcher wir bei der geringsten Unvorsichtigkeit ebenfalls folgen mussten. Zum Unglück lag auf dieser Seite noch ziemlich viel frischer Schnee zwischen den Felsen und bedeckte trügerisch den sicheren Halt und den verrätherisch losen Stein, so dass wir nur vorsichtig und jeden Schritt und Griff prüfend abwärts kletterten. Besseres Terrain hoffend zogen wir uns seitwärts einer schmalen Schneekehle zu und Anfangs rückten wir noch verhältnissmässig rasch weiter, als plötzlich harter Firn die Tritte des voranschreitenden Weissenfluh hemmte. Unverzagt fing er an, Tritte zu hacken, doch ging es langsam; der spröde Firn sprang leicht aus und das Untersich-hacken machte ohnedem die Arbeit mühsam. Noch waren wir keine 10 Tritte vorgerückt, als plötzlich einige kleine Steine die Rinne heruntergekollert kamen und uns auf eine neue Gefahr aufmerksam machten. Hoch über uns* auf dem Grate lastete eine mächtige Schneewächte, weit über den Bergesrand vorgeschoben, und das von derselben herabtröpfelnde Wasser mochte wohl die Steine gelöst haben. Wie bald konnte nicht die Schneemasse selbst sich losreissen und uns mit sich in den Abgrund schleudern! „ Um Gotteswillen, Weissenfluh, schaffet, dass wir hinter jene Felsen kommen !" rief Lauener, und zu mir gewandt, setzte er hinzu: „ Gletscher und Felsen scheue ich nicht, aber vor Steinen und Lawinen habe ich Angst. " Endlich waren wir unter dem uns theilweise schützenden Vorsprunge angekommen und wenn wir noch 20 Schritte weiter auf den festen Fels gelangten, durften wir hoffen, wenigstens vor Steinen und Lawinen gesichert zu sein. Lauener und ich nahmen hier festen Stand und Weissenfluh band sich vom Seile los, um bequemer zu arbeiten, da der harte Firn seine ganze Kraft in Anspruch nahm.

Fortwährend kollerten und sprangen neben uns grössere und kleinere Steine vorüber, als plötzlich über uns ein mächtiges Sausen und Donnern erdröhnte, und kaum hatten wir uns nach dem merkwürdigen Getöse umgesehen, als hinter einander zwei mächtige Felsblöcke in ungeheuerem Fluge neben uns vorbeisausten und in jähem Sturze tief im Gletscher sich einwühlten. „ Gott Lob und Dank, dass die uns nicht getroffen haben, die hätten uns z'Fätze verschlagemeinte Lauener, und ich betete ihm aus dem Herzensgrunde nach.

Drei bange Viertelstunden standen wir so am gleichen Flecke, abwechselnd bald auf dem linken, bald auf dem rechten Fusse, mit einer Hand in einer Felsritze festgeklammert, und wenn ich hier nicht schwindlig wurde, so denke ich, bin ich diesem Gefühle überhaupt nicht zugänglich; denn nicht allein zogen die fallenden Steine den Blick fort-während- hinab in die Tiefe, auch die Leere des Magens machte sich bedenklich fühlbar und erhöhte bedeutend das Unangenehme der kritischen Lage. Es mochte 11 Uhr sein, seit 2 Uhr früh hatten wir nichts genossen und dazu die Körperkräfte auf alle Art angestrengt, so dass mich eine gewisse Mattigkeit überfiel, gegen die ich mit aller Energie"an-kämpfen musste. Endlich hatte sich Weissenfluh nach dem vorspringenden Rande durchgearbeitet; er verschwand hinter demselben, um bald darauf wiederzukehren mit der frohen Botschaft, das Aergste sei nun wahrscheinlich überstanden. Vorsichtig stiegen wir auf dem gefährlichen Wege ihm nach und befanden uns bald darauf auf festem Gestein, wo wir so gut als möglich uns lagerten, um ein wenig auszuruhen und etwas zu geniessen, dem lieben Gott von Herzen dankend für seinen mächtigen Schutz in der grossen Gefahr.

Nach kurzer Rast erhoben wir uns wieder und kletterten vollends über die Felswand hinab, wobei ich allerdings weit öfter am Seile schwebend meinen Weg machte, als auf eigenen Fussen; auch Weissenfluh wurde stellenweise am Seile hinabgelassen. Wie aber Lauener manchmal herabkam, ohne andern Schutz, als unsere für den Nothfall bereit gehaltenen Arme, ist mir jetzt noch unbegreiflich, doch der ist flink wie eine Katze und geschmeidig wie eine Schlange und weiss sich immer zu helfen.

Glücklich langten wir auf dem jäh anstrebenden Schneefelde des Dammafirns an, doch kaum hatte der vordere Führer den ersten Schritt darauf gethan, als eine mächtige Schneeschicht sich ablöste und mit Sturmeseile, stets wachsend, einen nahen Abhang erreichte, über den sie mit lang nachhallendem Donner hinabstürzte.Vorsichtig wateten wir in tiefem Schnee abwärts bis gegen den Rand des erwähnten Abhanges, wo fester Boden ein rascheres Vordringen gestattete, und zogen uns dann stets links, in nordöstlicher Richtung, gegen den Moosstöck. Wir kamen ungefähr zwischen dem ersten „ a " und „ m " des Wortes Dammafirn der kleinen Excursionskarte, beim „ n " der neuen, auf den Gletscher und betraten zwischen der Zahl 2952 und Moosstock diesen Letztern, waren also schon um 560 M. oder gegen 2000 Pariser Fuss gefallen, während die ganze Erhebung des Mittelstockes über Geschenenalp 1800 M. oder gegen 6000 Par. Fuss beträgt. Abwechselnd auf und neben dem Dammafirn verfolgten wir nun den Rand des Moosstockes bis zum Abschwunge des Ersteren, der sich nicht, wie man glauben möchte, in dem Wintergletscher verliert, sondern ganz selbständig, mit mächtiger Moräne belastet, sich an dessen Seitenwand jäh abdacht, so wie auch der Wintergletscher sich als ganz gesonderter Eisstrom vom Gletschhorn her- unterzieht und nur in seiner oberen Hälfte mit dem Damma-

firn verwachsen ist.

Um 1/24 Uhr langten wir in Geschenenalp an, nach beinahe dreizehnstündigem Marsche, wovon ungefähr sechs Stunden auf das Herabklettern von der Felswand fielen, einer Strecke, die bei gewöhnlichem Wege bequem in einer halben Stunde zurückgelegt werden könnte.

Nachdem wir mit einer Flasche guten Rothweins die ermatteten Glieder gestärkt, marschirten wir schon nach einer halben Stunde wieder ab, da wir in den gründlich vom Schnee durchnässten Kleidern nicht lange sitzen bleiben mochten. Nach 21//4Stündigem Laufe durch das reizende, nicht genug zu empfehlende Geschenenthal in Gesehenen an der Gotthardstrasse angelangt, hofften wir unsere müden Gebeine per Wagen nach Amsteg befördern zu können, doch es war kein Fuhrwerk zu haben und so mussten wir uns bequemen, eine weitere Stunde bis Wasen zu marschiren, wo wir ziemlich müde von dem langen Tagewerk gegen 8 Uhr Abends ankamen. Um 10 Uhr endlich erreichten wir zu Wagen Amsteg.

Der gesuchte Pass vom Triftgletscher nach dem Dammafirn, der Dammapass, wäre nun also, insofern eine so schwierige Partie die Bezeichnung Pass beanspruchen kann, gemacht, wenn ich auch nicht sagen kann „ gefunden "; denn obgleich ich sicher annehme, dass in günstigen Jahren, wenn mehr alter, fester Schnee die Berge bekleidet als heuer, dieser Uebergang weniger gefährlich sein mag, so möchte ich doch nicht dazu rathen, ihn ferner in der Nähe des Dammastockes zu suchen, da der plötzliche Absturz hier allzu steil ist.

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