Keine Erholung für Gletscher
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Keine Erholung für Gletscher Kryosphärenbericht für die Schweizer Alpen

In tiefen Lagen gab es im Winter 2019/20 aufgrund der Wärme so wenig Schnee wie noch nie. Der Eisvolumenverlust der Schweizer Gletscher setzte sich im Sommer 2020 fort, und im Permafrost wurden neue Höchsttemperaturen gemessen. Der Einfluss des Klimawandels auf die Kryosphäre zeigt sich deutlich.

Witterung und Schnee

Schneearmer Winter in tiefen Lagen

Wir blicken zurück auf den Winter 2019/20: Bereits Anfang November gab es starke Schneefälle, und das Gebirge wurde rund zwei Wochen früher eingeschneit als normal. Am Alpensüdhang verzeichnete man teilweise neue Höchstwerte der Neuschneesummen für November. Ein Rekordhoch in Sachen Temperaturen gab es dann von Dezember bis Februar: ein Plus von über 3 °C.

Auch der darauffolgende Frühling war deutlich zu warm und von viel Sonnenschein geprägt. Unterhalb von 1000 Metern fielen die Niederschläge während des ganzen Winterhalbjahres grösstenteils als Regen. In Bezug auf die mittlere Schneehöhe führte das in diesem Höhenbereich zum schneeärmsten Winter seit Messbeginn, knapp vor 1989/90 und klar vor 2006/07. An mehreren Stationen, zum Beispiel in Marsens/FR (718 m), Einsiedeln/SZ (910 m) oder Elm/GL (965 m), wurden noch nie so wenige Schneetage (Tage mit mindestens 1 cm Schnee) beobachtet. An einigen tief gelegenen Stationen der Alpennordseite (z. B. Stans, Basel oder Luzern) wurde erstmals gar kein Schnee registriert (Abb. 1). Oberhalb von etwa 1700 Metern waren die Schneehöhen hingegen durchschnittlich, im Nordtessin und im südlichen Wallis teilweise überdurchschnittlich, was vor allem auf die grossen Schneefälle Anfang Winter und im Februar zurückzuführen ist.

Juli bis September 2020 sehr warm

Mit Ausnahme der Messstationen im südlichen Wallis verschwand der Schnee überall ein bis vier Wochen früher als normal. Die Monate Juli bis September 2020 waren einmal mehr von überdurchschnittlichen Temperaturen geprägt. Im Gegensatz zu den beiden Hitzesommern zuvor gab es im August jedoch zweimal Schnee bis knapp unter 2000 Meter. Am letzten Septemberwochenende fiel die Schneefallgrenze auf der Alpennordseite gar gegen 1000 Meter. Darüber wurden 20 bis 80 Zentimeter Neuschnee registriert, was für diese Jahreszeit aussergewöhnlich ist und die Alpen in einem dicken weissen Kleid erscheinen liess.

Gletscher

Wiederum 2% des Gletschervolumens verloren

Zwischen Herbst 2019 und Herbst 2020 setzte sich der Verlust der Gletscher unerbittlich fort, war aber verglichen mit den drei vorangegangenen Messperioden 2016/17, 2017/18 und 2018/19 etwas weniger dramatisch. Nachdem Anfang Mai durchschnittliche Schneemengen in der Höhenlage der Gletscher gemessen worden waren, war die Schmelze im Sommer einmal mehr beträchtlich. Über das gesamte Jahr zeigten tief liegende, flache Gletscher (z. B. der Glacier de Tsanfleuron/VS) eine mittlere Reduktion der Eisdicke von zwei Metern. Die Gletscher im südlichen Wallis sowie im Tessin und im Engadin (z. B. der Findelgletscher oder der Ghiacciaio del Basòdino) verloren nur rund einen halben Meter an Dicke, was auf die grossen Schneemengen im Frühwinter sowie den positiven Effekt der Sommerschneefälle zurückzuführen ist. Die Schneemenge auf dem Silvrettagletscher/GR lag fast während des ganzen Jahres ungefähr im Mittel des letzten Jahrzehnts. Dies zeigt, dass 2019/20 in Bezug auf die aktuelle Situation kein Extremjahr war – trotz massiven Verlusten von schweizweit rund 2% des verbleibenden Gletschervolumens.

Alle Gletscherzungen gehen zurück

Der Rückgang der Gletscherzungen widerspiegelt die Witterung über einen mehrjährigen Zeitraum und nicht die Bedingungen eines Einzeljahres. Die klimatischen Verhältnisse wirken sich je nach Gletschergrösse mit unterschiedlicher Verzögerung auf die Position der Zunge aus. Dass die Messungen im Herbst wiederum bei nahezu allen Gletschern eine weitere Einbusse an Länge ergeben haben, vermag deshalb kaum zu erstaunen. Abgesehen von zwei Ausnahmen wiesen die Gletscher einen Schwund von wenigen bis zu 25 Metern auf. Massive Rückgänge von mehr als 50 Metern wurden am Kanderfirn/BE und am Sankt Annafirn/UR beobachtet. Bei beiden hatte sich die Zunge über die letzten Jahre zunehmend ausgedünnt und ist nun regelrecht zerfallen.

Permafrost

Elf Meter Auftauschicht am Schilthorn

Zum 20-Jahr-Jubiläum des Schweizer Permafrostmessnetzes Permos haben alle Permafrostmessgrössen die Rekordwerte aus dem Jahr 2015 erreicht oder übertroffen. Durch das frühe Einschneien im Herbst 2019 wurde viel Wärme im Permafrost gespeichert. Die Oberflächentemperaturen waren somit besonders im Winter überdurchschnittlich, während die Jahresmittel im Bereich der extrem warmen Jahre 2003, 2015 und 2018 lagen. Infolge der hohen Temperaturen an der Oberfläche stieg die Mächtigkeit der Auftauschicht – der obersten Meter über dem Permafrost, die im Sommer jeweils auftauen. Überall wurden die bisherigen Rekordwerte erreicht oder übertroffen, von 2,8 Metern am Flüela/GR bis zu 11 Metern am Schilthorn/BE. Letzteres ist die mächtigste je gemessene Auftauschicht im Schweizer Permafrost. Seit Beginn der Messungen 1998 hat sich die Mächtigkeit an diesem Standort mehr als verdoppelt. Schweizweit reicht der Anstieg im Vergleich zum Vorjahr von wenigen Zentimetern bis zu einem halben Meter.

Ende der kurzen Erholung

Die kurze Erwärmungspause nach dem schneearmen Winter 2017 ist definitiv vorbei. Auch die Permafrosttemperaturen in grösseren Tiefen sind wieder ähnlich oder sogar höher als im bisherigen Rekordjahr 2015 (Abb. 2). Der Permafrost reagiert mit grosser zeitlicher Verzögerung auf die Veränderungen an der Oberfläche, und die warmen Bedingungen der letzten Jahre sind noch nicht vollständig in der Tiefe angekommen. Die Kriechgeschwindigkeiten der Blockgletscher folgen im Allgemeinen der Entwicklung der Permafrosttemperaturen. Sie haben im Vergleich zum Vorjahr im Schnitt wiederum um gut 20% zugenommen, wobei die bisherigen Rekordwerte aus dem Jahr 2015 teilweise übertroffen wurden.

Eisdicke wird mit neuem Radarsystem ermittelt

Die Informationen zur aktuellen Gletscherausdehnung und zur Eisdicke sind nicht nur interessant für Alpinisten, sondern auch relevant für die Prognosen über den künftigen Gletscherrückgang und -abfluss sowie für die Einschätzung gletscherbedingter Naturgefahren. In enger Zusammenarbeit mit swisstopo hat das Schweizer Gletschermessnetz Glamos deshalb ein neues Inventar erstellt, das die vergletscherten Flächen detailliert erfasst. Im Jahr 2016 waren demnach 961 Quadratkilometer oder 2,3% der Landesfläche von Gletschereis bedeckt.

Zusätzlich zum Inventar wurde in einem mehrjährigen Projekt an der ETH Zürich ein neuartiges helikoptergestütztes Radarsystem entwickelt, um die Eisdicke aller grösseren Gletscher zu messen. Insgesamt sind nun Eisdickenmessungen entlang von mehr als 2000 Kilometern Profildistanz verfügbar, was eine flächendeckende Bestimmung des Eisvolumens erlaubt. Das Volumen aller Schweizer Gletscher für das Bezugsjahr 2016 wird auf 58,7 ± 2,5 Kubikkilometer geschätzt (Abb. 3). Verteilt über die Fläche der ganzen Schweiz, entspricht dies einer Wasserschicht von 1,3 Metern Höhe. Analog zur Gletscherausdehnung breitet sich das Eisvolumen hauptsächlich in den Berner und Walliser Alpen aus, aber auch in der Zentral- und der Ostschweiz finden sich beträchtliche Volumina. Auf den Grossen Aletschgletscher – den mit knapp 80 Quadratkilometern grössten Alpengletscher – entfallen 11,7 Kubikkilometer Eis. Somit speichert er allein rund 20% des Schweizer Gletschereises.

Indem diese Ergebnisse mit den jährlichen Messdaten kombiniert werden, lässt sich bestimmen, welcher Anteil des vorhandenen Eises verloren gegangen ist. Die Zahlen sind eindrücklich: Seit 2000 haben die Schweizer Gletscher knapp einen Drittel der verbliebenen Eismasse eingebüsst, und in einem Extremjahr können es über 3% sein.

Gletscherausdehnung und -mächtigkeit können nun direkt auf der Kartenplattform des Bundes map.geo.admin.ch betrachtet werden. Hier lassen sich die wichtigsten Kenngrössen wie Fläche, Volumen oder die maximale und die mittlere Eisdicke für den jeweiligen Gletscher einblenden.

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