L. Rütimeyer: Über einige archaistische Gerätschaften und Gebräuche im Kanton Wallis
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L. Rütimeyer: Über einige archaistische Gerätschaften und Gebräuche im Kanton Wallis

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Ich habe, sehr ungern, seit einiger Zeit aus Raummangel aufhören müssen, das Schweizerische Archiv für Volkskunde, das nunmehr in seinen 21. Jahrgang eingetreten ist, und die Einzelschriften dieser Gesellschaft, die auch schon in 13 Bänden vorliegen, in unserm Jahrbuch zu besprechen, und ich kann auch heute nicht auf die Gesamtheit der „ Volkskundlichen Untersuchungen " eintreten, welche, als Festschrift von einem internationalen Kreise befreundeter Forscher dem verdienten Redaktor des Archivs, Prof. Ed. Hoffmann-Krayer, dargebracht, den überreichen Inhalt von Bd. XX des Archivs ( Preis Fr. 10 ) ausmachen und in welchem die oben genannte Monographie ein separat gedrucktes Kapitel bildet. Aber auch ein einge- fleischter „ Bergsteiger ", welcher für Volkskundliches im Tal und auf der Alp nicht viel übrig hat, wird staunen, wenn er aus den Beobachtungen, die Dr. Leopold Rütimeyer, ein würdiger Sohn Prof. Rütimeyers, im Eringer-, Eifisch- und Lötschental angestellt hat und die er mit Analogien aus den Pfahlbautenfunden, prähistorischen und historischen, unseres und fremder Länder, bis nach Polynesien hinein konfrontiert, erfährt, daß nicht nur die uns aus verschiedenen Teilen der alpinen Schweiz bekannten und in diesem Jahrbuch wiederholt abgebildeten Tesseln, Hausmarken, Kerbhölzer und dgl., zu denen nun Dr. Rütimeyer eine ganze Reihe neuer Belege aus dem Wallis bringt, einem „ so ziemlich global verbreiteten, allgemein menschlichen und seit Urzeiten in ähnlicher Weise gebräuchlichen Schrift- und Zahlsubstituten-System " angehören, sondern daß auch die erst seit -etwa 50 Jahren im Wallis für den Privatgebrauch obsolet gewordenen, im Kultus noch etwa gebräuchlichen Steinlampen genau dem neolithischen Typus des einschaligen „ Schalensteins " ( dessen mehrschalige Vettern so viele phantastische Deutungen erfahren haben ) oder auch den seit dem Solutréen und Magdalénien nachgewiesenen urnen- und löffeiförmigen und den noch in Grönland und der Arktis verwendeten Paralleltypen entsprechen, so daß der Verfasser sich zu der Annahme berechtigt hält, daß wir es hier mit einer ununterbrochenen Kontinuität der Herstellung von Steinlampen von früher prähistorischer Zeit an bis zur Jetztzeit zu tun haben. Ähnliches beweist er von den im Tessin wie im Wallis und Graubünden noch jetzt gebräuchlichen Kochtöpfen und Steinbechern. Noch interessanter ist, was uns Dr. Rütimeyer über noch in Evolena, im Lötschental und in Graubünden ( bezeichnenderweise besonders da, wo „ Walser " nachweisbar sind ) vorkommende „ Kinderspielzeuge ( Haustiere ) aus Holz und Knochen " in Bild und Wort vorführt, die eine verblüffende Ähnlichkeit mit den primitiven Haustierdarstellungen der Lappen, Samojeden und Jakuten, ja mit den stark sche-matisierten Tierköpfen der paläolithischen Höhlenkunst zeigen. Und hier kommt dem Prähistoriker und Paläontologen der Sprachforscher zu Hülfe. Es wird in einwandfreier Weise nachgewiesen, daß das uns aus dem Ranz des Vaches vertraute Wort Lioba oder Loba sowohl Kuh als Tannzapfen bedeutet. Es entstammt „ einer uralten, auch vorkeltischen Sprachschicht im Alpengebiet, die sich stellenweise von Albanien bis zu den Westalpen nachweisen läßt, und ist erst später, als die lateinische Sprachschicht jenes Sediment eines gemeinsamen mitteleuropäischen Alpenidioms überdeckte, vom lateinischen vacca verdrängt worden ". Das abkürzende Schema ( wonach z.B. bei den Rindern der Kopf mit den Hörnern statt der ganzen Figur als Kinderspielzeug dient ) wiederholt sich in der Ornamentik der noch in Evolena bodenständigen Bauernkunst an Haushaltungsgegenständen, welche schon in Funden aus dem Magdalénien und aus der Bronzezeit übereinstimmend vorliegt Ähnliche Folgerung läßt auch der in Bild und Wort wiedergegebene Stammbaum der Kesselketten ( Crémaillères ) zu, welcher sich von der La Tène-Zeit durch die römische Zeit und das Mittelalter bis in die Gegenwart von Evolena, Lenk, Grindelwald, Somvix und Arolla verfolgen läßt. Gleiches gilt von Felljacke, Messer, Schaber und Schere. Am auffälligsten ist die Affinität im Hausbau, speziell im hochbeinigen Speicher mit Holzkerbtreppe, wie ein Blick auf die unter Nr. 49-53 abgebildeten Spezimina aus Ayer, Eisten im Lötschental, Celebes, dem Rion- und Kodortal im Kaukasus zeigt. Und endlich finden die in den letzten Jahren auch von auswärts immer mehr beachteten Masken und Maskengebräuche im Lötschental samt der legendären Räuberbande, welche sie einst getragen und eingeführt haben soll, und die „ wie ein alter Findlings-block in unsere Kultur hineinragen ", die einzig mögliche Erklärung, wenn man sie anhand zahlreicher europäischer und außereuropäischer Parallelen als rituelle Reste von Geheimbünden und Altersklassen auffaßt, die, schon in paläolithischen Funden nachweisbar, heute noch in Melanesien und, neben dem Lötschental, im Sarganserland ihr Dasein fristen. Wenn wir zu all diesen Parallelen noch die sprachliche Tatsache hinzunehmen, daß das Lötschentalerwort „ Lusa " für Steinlampe ( in moderner Zeit sogar für Petroleumlämpchen ) sich als keltoiberisch Lausa ( Steinplatte ) entpuppt und daß sein Verbreitungsgebiet von den Westalpen, Wallis-Piemont, über Südfrankreich bis nach Portugal sich ausdehnt, so muß man Dr. Rütimeyer beipflichten, wenn er in seinem Schlußwort sagt, daß für das Wallis „ die Übertragung durch Kulturzusammenhänge, Wanderungen und Völkerbewegungen und somit eine direkte Kontinuität der Herstellung und des Gebrauchs solcher Objekte in weitaus der Mehrzahl der Fälle das wirklich erklärende Moment ist, in dem solche Dinge, wenn sie in die ungeheuer konservative Ergologie primitiver oder abgelegener Volksstämme, besonders auch der Gebirgsgegenden gelangt sind, dort jahrtausendelang zäh und unveränderlich festhaften ". Wie bedeutsam diese These für die Frage der Alpen-besiedelung und Alpenbevölkerung speziell in der Schweiz ist, brauche ich Kennern nicht auseinanderzusetzen, und es trifft sich seltsam, daß wir 1917 Dr. Rütimeyer das Beste zu danken haben, was in diesem Fache seit 1864 geleistet worden ist, wo sein Vater in diesem Jahrbuch ( Bd. I, pag. 367—412 ) seine meisterhafte Studie über die Bevölkerung der Alpen veröffentlichte. Kennern und Laien empfehle ich also nachdrücklichst das Studium dieser Monographie. Auch von andern kleineren im nämlichen Bande des Archivs wie von Otto Waser: Volkskunde im griechisch-römischen Altertum ( Preis Fr. 2. 50 ) und von S. Singer: Alte Schweizerische Sprichwörter ( Preis Fr. 1 ) werden sie großen Genuß haben, obwohl natürlich für die Alpen dabei weniger abfällt. Mehr ist dies der Fall in dem nicht separat erschienenen Artikel von Karl Bohnenberger: Allerlei Volkskundliches von den Ennetbirgischen Wallisern ( Archiv XX, 38—42 ) oder in meiner ( ebenda, pag. 97—116 ) erschienenen Studie über: J. S. Wyttenbachs Versuch einer Schweizerischen Volkskunde. Es rentiert sich also, gleich den ganzen Band zu kaufen und — mit Muße, denn er zählt 543 Seiten — zu lesen.Redaktion.

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