Mord und Steinschlag im Gebirge
Unterstütze den SAC Jetzt spenden

Mord und Steinschlag im Gebirge Kolumne

Dass in den Bergen tödliche Gefahren lauern, ist bekannt. Absturz, Steinschlag, Lawinen, Gletscherspalten und so weiter. Doch nicht genug des alpinen Schreckens. Da stossen Mörder ihre Opfer in den Abgrund, Entführer und Terroristen missbrauchen einsame Berghütten für ihre Verbrechen. Was einst eine heile Welt war, hymnisch beschworen von Jean-Jacques Rousseau und Albrecht von Haller, scheint heutzutage ein Tummelfeld von Kriminellen zu sein, ähnlich dem Aspromonte, den Stammlanden der kalabresischen Mafia. Diesen Eindruck vermittelt jedenfalls der aktuelle Trend von Berg- und Alpenkrimis.

Und was für ein Trend! Daniel Anker hat während der letzten zehn Jahre über hundert neue Krimis aus der Alpenwelt auf der Website bergliteratur.ch besprochen – ein Drittel davon allein seit 2017. «Regionalkrimis boomen, und der Boom nimmt kein Ende», lässt sich eine Buchhändlerin zitieren. Da die Stadt als Tatort inzwischen ziemlich übernutzt ist, bietet sich das Gebirge als dramatische Kulisse geradezu an. Selbst das Schweizer Fernsehen reitet mit der Serie Wilder, gedreht auf dem Urnerboden, auf der Welle mit.

Dass ich selbst in diesem Genre gewildert habe, will ich nicht verschweigen. Ein Kritiker hat mich gar als «Begründer der literarischen Gattung Bergkrimi» bezeichnet – was sicher nicht stimmt. Schon Conan Doyle hat seinen Sherlock Holmes 1893 an den Reichenbachfällen ob Meiringen durch Absturz aus dem Leben und der Literatur befördert, später dann allerdings wiederbelebt. Als alpiner Krimiklassiker kann auch der Roman Die Eiswand des japanischen Autors Yasushi Inoue gelten. Die Geschichte um einen Seilriss ist 1956 im Original erschienen und mehrfach verfilmt worden.

«La realité dépasse la fiction», so lautet ein Mark Twain zugeschriebenes Zitat, doch hoffen wir, dass in der Realität der Berge alles halb so schlimm ist wie in der Fiktion. Auch wenn der Mythos der heilen Welt oberhalb von 1000 Metern über Meer längst widerlegt ist. Ich erinnere an den Fall jenes Mannes, dessen Frau auf einer gemeinsamen Wanderung am Klausenpass auf mysteriöse Weise zu Tode kam. Wars Steinschlag oder ein Schlag mit einem Stein? Trotz Freispruch in dubio pro reo kam die Wahrheit nie ans Licht – der Mann beging später Selbstmord. Krimi-literarisch wäre das kein guter Schluss, aber das Leben schreibt eben seine eigenen Geschichten.

Feedback