Mummery: My climbs in the Alps and Caucasus
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Mummery: My climbs in the Alps and Caucasus

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

London, T. Fisher Unwin, 1895.

„ Große Tüchtigkeit in der Kunst des Bergsteigens kann nur dann erlangt werden, wenn eine natürliche Eignung durch jahrelange Übung entwickelt wird, und dies ist nicht ohne Gefahr, vielleicht nur unter großer Gefahr für Leib und Leben möglich.Der Verfasser dieser Worte erreichte als Bergsteiger, nach Aussage seiner Gefährten und der Führer, mit denen er seine berühmt gewordenen Expeditionen unternahm, wohl die höchste Stufe, welche ein Amateur hoffen darf zu erlangen. Wie Emil Zsigmondy, schrieb auch er sein zugleich erstes und letztes Buch — in den Bergen des fernen Kashmir fiel er kurze Zeit nach Veröffentlichung desselben einem unbekannten Geschicke zum Opfer. Er hatte sich nicht verhehlt, daß im Gebirge auch für ihn vieles vom Glücke abhänge. Gleich uns allen ist er jenen Gefahren nicht immer ausgewichen, über welche wir keine Macht haben und gegenüber denen alle Geschicklichkeit nichts hilft. Er wußte, daß das Los ihn treffen konnte, und hat seine Kühnheit und Unternehmungslust mit dem Leben bezahlt, Mit zäher Energie erkämpfte er seine schweren Siege, aber weit mehr als bloßer Sportsmann, suchte er die großartigen Scenerien der Alpenwelt aus innerem Bedürfnis auf. Auch diejenigen unter uns, die ihn nicht gekannt haben, bedauern den Verlust dieses wackern Mannes und das tragische Geschick, dem er zum Opfer fiel.

Das Buch ist ganz speciell für das bergsteigende Publikum geschrieben. Es bricht jedoch überall eine solch intensive Begeisterung durch für die großartige Welt der Berge und für den männlichen Sport, der uns dieselbe erschließt, daß auch Nichtbergsteiger, angezogen von diesem starken Enthusiasmus, das eine und andere Kapitel mit Genuß lesen werden. Die humorvolle Art, in der Mummery nicht zum wenigsten seine eigenen kleinen Schwächen ans Licht zieht, und die Ironie, welche er in harmloser und durchaus unpersönlicher Weise gegen alles richtet, was sich im Alpinismus als Autorität ausgiebt, verleihen seinen Erzählungen einen besonderen Beigeschmack. Vor allem seine kaukasischen Fahrten weiß er in einfacher, hervorragend anziehender und stilvoller Weise zu schildern. Es sind wohl die bestgeschriebenen Kapitel des Buches. Die Touren Mummerys streifen alle hart an die Grenze des Möglichen, um so mehr fällt dem Leser die große und aufrichtige Bescheidenheit des Verfassers auf. Sie kontrastiert stark mit der naiven Suffisance, mit welcher viele alpine Autoren — im Auslande mehr als bei uns — von ihren Erfolgen berichten. Mummery ist frei von dieser Schwäche und dieser hervorragende Bergsteiger wird uns um so sympathischer.

Die hauptsächlichsten Kapitel behandeln folgende, meistens vom Autor zuerst durchgeführte Expeditionen: Matterhorn über Zmutt- und Furggengrat, Col du Lion, Täschhorn über den Südwest-, den sogenannten Teufelsgrat ( von Mummerys Frau geschrieben ), dann in der Mont Blanc-Gruppe die Aiguilles des Charmoz, de Grépon und du Plan, die Aiguille Vette über den Charpoua-Gletscher und über den Moine-Grat, den Col des Courtes, die Dent du Requinendlich im Kaukasus die Besteigung des Dych Tau, des nach dem Elbruz höchsten Berges Europas, und einige Pässe. Den Schluß bildet eine interessante Abhandlung: „ Die Licht- und Schattenseiten des Bergsteigens ", eine Art Glaubensbekenntnis des Verfassers. Die Verfolgung dieser zum Teil ungemein großartigen Unternehmungen ist nicht bloß interessant und anregend, sondern oft auch aufregend, denn dramatische Situationen fehlen keineswegs. Wenn inmitten des 2000 Fuß hohen, steilen Eiscouloirs des Col du Lion, unter der wuchtigen Faust Alexander Burgeners, die Axt bricht und, da ihnen der Rückweg abgeschnitten ist, nur noch ein Eispickel die beiden Männer vor vollständiger Hülflosigkeit bewahrt — wenn an der Aiguille de Grépon ein fixes Seil, an dem Mummerys Kameraden sich hinabgelassen haben, im Moment, als er ihnen folgen will, sich löst und heftiges Sich-zurückwerfen ihn kaum noch vom Falle rettet — wenn bei der Traverse vom Furggengrat des Matterhorns zur Schulter die zu überschreitenden schwierigen Platten einem Kreuzfeuer von Steinen ausgesetzt sind — und bei manchen andern ähnlichen Erlebnissen stockt auch dem berggewohnten Leser unwillkürlich der Atem. Doch: „ Seine körperliche und geistige Kraft ganz einzusetzen, um einem grausen Abgrunde zu trotzen oder um eine mit Eis gefüllte Kehle zu überwinden, deren finstere Schatten seit Anfang der Welt nur den Nebeln und Lawinen zugänglich waren, ist Arbeit, die eines Mannes würdig ist... Dem Tod ins Angesicht sehen, entwickelt die Charakterstärke... wenn auch die Berge, man muß es zugeben, das Spiel manchmal ein bißchen zu weit treiben und ihrem Liebhaber eine Unmittelbarkeit der Auflösung vor Augen führen, welche auch der Henker mit all seinen Mordwerkzeugen schwerlich hoffen dürfte zu übertreffen. "

Die Warnungen, welche Mummery dem Bergsteiger zur Beherzigung zuruft, sind keine neuen. Er selbst macht nicht Anspruch darauf, stets das gute Beispiel gegeben zu haben. Doch thut dies nichts zur Sache, seine Ratschläge sind deswegen nicht weniger gute und es kann nur von Nutzen sein, einige derselben zu wiederholen: „ Das Erste und Wichtigste, an das der Anfänger, allerdings als Frucht eigener Wahrnehmung, sich gewöhnen muß, ist, fortwährend auf seiner Hut zu sein. Auch der erfahrenste Bergsteiger lernt dies selten ganz. Vieljähriges Gehen im Hochgebirge einzig lehrt uns, daß bei sehr schwierigen Besteigungen die größte Gefahr uns bei den leichten Stellen erwartet, die den schwierigen folgen... Nur durch Erfahrung lernt man seine Nerven kennen und wird sich klar darüber, wie lange man bei starker Anspannung derselben ( z.B. an steilem Eishang ) sich auf sie verlassen darf — wie weit die eigenen Fähigkeiten reichen — welches die unzuverlässigen und schwachen Seiten eines jeden von uns sind... Gieb beim Aufstieg der Furcht, auf gleichem Wege zurückzukehren, nicht Raum, aber steige auch nicht dorthin hinauf, von wo du aus irgend einem Grunde nicht wieder zurück-könntest... Das Seil sollte von jedem Mitglied der Gesellschaft ausschließlich als Hülfe und Sicherung für die Übrigen betrachtet werden... Bei Steinfall oder Lawinengefahr ist es besser, nicht angebunden zu sein... Wenn von einer Gesellschaft von drei Mann der wenigst Tüch- tige entfernt wird, ist dies, unter anderem bei steilen Hängen, ein bedeutender Gewinn für die Übrigen. Zwei gute Gänger bilden eine viel bessere und sicherere Kombination, als das übliche, von allen Autoritäten geforderte Trio ( zwei Führer zu einem gewöhnlich mittelmäßigen Touristenwie denn auch jene Autoritäten ihre Führer nach deren Entlassung in aller Gemütsruhe zu zweit über einen Gletscherpaß nach Hause zurückkehren lassen ." u. s. w.* ) Über das Verhältnis zwischen Führer und Tourist in moderner Zeit äußert sich Mummery folgendermaßen: „ In früheren Zeiten war der Führer der Freund seines Herrn, und zwar nicht zum wenigsten zu seinem eigenen Vorteil, denn er lernte von letzterem jene ungeschriebenen Regeln der Zuvorkommenheit und Höflichkeit, welche notwendig sind, wenn das Verhältnis zwischen Führer und Tourist auf gegenseitiger Freundschaft und Achtung beruhen soll. Der moderne Touristenschwarm hat jene Zustände vergangener Jahre vernichtet, Führer und Tourist sehen sich fast nur noch während der Tour selbst, und unter den Jüngern Führern hat es keine, mit denen man in der alten Weise und mit derselben intimen Herzlichkeit verkehren könnte... Die unzählige Wiederholung derselben Tour macht den Führer zu einem Unternehmer, welcher sich anheischig macht, einen jeden Touristen für so und so viele Franken auf jeden beliebigen Gipfel zu bringen, der ihm genannt wird. Ob der Tourist ein erfahrner und tüchtiger Bergsteiger sei oder nicht, fällt in keiner Weise in die Wagschale, der Führer betrachtet ihn ausschließlich als Gepäckstück und macht nur dann einen Unterschied, wenn dasselbe ersichtlich ein extra gewichtiges oder schwer zu transportierendes sein sollte. Möglichst per Eilfracht wird dasselbe dann an den Bestimmungsort und wieder zurück befördert... Der Führerlose ist frei von all diesen Fesseln. Er kennt nur seinen eigenen Willen und bleibt in der Höhe, solange die Zeit hinreicht — und oft noch länger

Gewiß liegt viel Wahrheit in diesen Bemerkungen und wir beneiden die Bergsteiger der altern Garde, welche Zermatt gekannt haben, als das Dorf nur ein einziges Hotel besaß und als man noch auf das Weißborn steigen konnte, ohne unter sich den heiseren Pfiff der Lokomotive zu hören. Und wenn auch diejenigen, welche etwa mit Chr. Jossi oder Seppi Innerkofler oder einigen ähnlichen Führern der zweiten Generation reisen konnten, sehr wohl wissen, daß auch jetzt noch eine herzliche Kameradschaft zwischen Herr und Führer möglich ist, so sind dies eben nur Ausnahmen, welche die Regel bestätigen.

Was speciell die führerlosen Touren anbelangt, so ist Mummery der Ansicht, daß, wie allezeit im Leben, das selbst Erstrittene und Errungene weit größere Befriedigung und größeren Genuß gewährt, als was wir anderer Hülfe zu verdanken haben. Das Weitere mögen diejenigen, die sich dafür interessieren, im Buche selbst nachlesen; man mag übrigens über diese viel umstrittene, nach und nach sich von selbst lösende Frage denken, wie man will, so ist es jedenfalls von Wert, das Urteil eines Mannes zu vernehmen, der ebenso oft in Begleitung von Führern vom Schlage Alex. Burgeners als ohne Führer ging. Voreingenommenheit kann ihm ebensowenig vorgeworfen werden, als etwa Selbstüberschätzung: So oft sich ihm Anlaß bietet, die Überlegenheit des Führers ersten Ranges, unter Umständen sogar eines gewöhnlichen Älplers, über sich, das will heißen auch über den tüchtigsten Touristen, darzuthun, läßt er diese Gelegenheit gewiß nicht unbenutzt vorübergehen. Es kennzeichnet dies aufs neue seine schon erwähnte Bescheidenheit.

Was die Illustrationen anbelangt, so enthält das Buch einige recht gute Lichtdrucke nach photographischen Originalen. Das kolorierte Titelbild, sowie die kleinen, darin zerstreuten Skizzen hingegen sind weder besonders schön, noch stehen sie im Zusammenhang mit dem Text.

Selten beehrt ein Schriftsteller von Talent die Bergwelt mit seiner Aufmerksamkeit. Und doch würde dieselbe seiner Feder in gewissem Maße ebenso dankbaren Stoff bieten, als z.B. das Meer, die Wüste u. s. w., welche schon sehr oft zum Gegenstande klassischer Naturbetrachtungen geworden sind. Die alpine Fachlitteratur hingegen ist mächtig angeschwollen, wir sind der Schreiber und Schreiberlein unzählige, denn „ das Schicksal bestimmt, daß fast jeder Bergsteiger früher oder später dem furor scribendi zum Opfer falle ". Wenn man uns sagt, daß die Beschreibungen von Bergtouren, vom litt er arischen S' andpunkte aus betrachtet, wertlos seien, so werden wir dies um so weniger bestreiten können, je mehr sich dieselben der ausschließlichen Sportchronik nähern. Wer nicht über ganz Außergewöhnliches zu berichten hat oder eine den Leser speciell interessierende Tour beschreibt, kann nur dann hoffen, einigermaßen Gnade zu finden und nicht zu langweilen, wenn eine ausgesprochene Persönlichkeit ihn als Schriftsteller charakterisiert. Mummery darf wohl, wie wenige unter den modernen alpinen Autoren, auf diese Qualifizierung Anspruch erheben.

Paul Montandon ( Sektionen Bern und Blümlisalp ).

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