«Olympia wird Skitourenrennen populärer machen»
Unterstütze den SAC Jetzt spenden

«Olympia wird Skitourenrennen populärer machen» Reportage aus dem SAC-Regionalzentrum Ost

Skitourenrennen sind in der Westschweiz traditionell verankert. In der Ostschweiz hat es dafür Aufbauarbeit gebraucht. Mit Erfolg: Begeisterte junge Athletinnen und Athleten trainieren in Küblis viermal die Woche. Ein Besuch beim Outdoortraining.

Auf dem Parkplatz neben der Kirche in Küblis ist der Treffpunkt. Nur ein paar Meter weiter ennet der Brücke über die Landquart schnallen sich die jungen Leute die Ski an und schalten ihre Stirnlampen an. Es ist abends um halb sieben und längst dunkel, das Thermometer zeigt minus drei Grad. Zum Aufwärmen spielen die Skitourenläufer des Nachwuchstrainings Fangen – natürlich auf Ski. Bereits liegt ein halber Meter Schnee, die Eiskristalle glitzern im Licht der Stirnlampen. Die Stimmung ist fröhlich und die Verfolgungsjagd so wild, dass auch mal jemand stürzt. «Ich habe einen Ski verloren», ruft jemand. «Ich habe ihn gefunden», ruft ein Kollege.

Zweimal pro Woche trainieren die Athletinnen und Athleten des SAC-Regionalzentrums Skitourenrennen Ost in der Halle, zweimal trainieren sie draussen. Wenn es die Schneelage zulässt, gehen sie gleich vom Dorf Küblis aus los. Das Regionalzentrum Ost ist eines von drei Zentren in der Schweiz, die sich zum Ziel gesetzt haben, junge Talente zu entdecken, zu fördern und sie an ein internationales Niveau im Skitourenrennsport heranzuführen.

Das Einzugsgebiet ist mit der ganzen Ostschweiz und dem Kanton Zürich zwar gross, die Szene jedoch überschaubar. Deshalb trainieren vom Zwölfjährigen bis zum Mitglied der Nationalmannschaft alle zusammen. «Die Jüngeren können von diesem Austausch sehr profitieren», sagt André Müller. Vieles hängt auch von ihm ab. Er ist der Trainer und hat 2013 geholfen, das Regionalzentrum Ost zu gründen.

Noch vor der Westschweiz

Skitouren macht André Müller von Kindesbeinen an, und als er ins Prättigau kam, trainierte er mit dem Flütsch Skitouring Team, einer ambitionierten Gruppe von Skitourenläufern, und begann, Rennen zu laufen. Zuerst regionale, dann auch die Patrouille des Glaciers (PDG), wo er es in seiner Kategorie aufs Podest schaffte, und schliesslich alle grossen Rennen des La Grande Course.

«Für die Jungen gab es in der Region vorher nichts», sagt er. Mit der Idee, das Regionalzentrum Ost zu gründen, rannte er beim SAC-Zentralverband offene Türen ein. Und damit kamen die Ostschweizer der Westschweiz sogar zuvor, in der das Skitourenrennwesen viel populärer und viel besser in der Gesellschaft verankert ist. Grund sind die vielen Rennen – inklusive PDG –, die nicht nur bei Spitzenathleten, sondern auch bei Breitensportlern, Helfern und Zuschauern beliebt sind. In der Ostschweiz habe man bei null angefangen. Die SAC-Sektionen Prättigau, Tödi und Davos waren die Gründersektionen, ein Ausrüster sponserte für das neue Team Jacken. «Damit sind wir ins Welschland an die Rennen gefahren», sagt André Müller. Das wirkte. Kurz darauf wurden die beiden Regionalzentren West und Wallis gegründet.

Mittlerweile hat André Müller das Präsidium des Regionalzentrums Ost, das als Verein organisiert ist, abgegeben. Der neue Präsident Beda Gujan und Mika Gartmann bilden um ihn das Trainerteam. André Müller hat berufsbegleitend die Ausbildung zum Trainer Leistungssport Swiss Olympic gemacht. Erstmals ist er nun auch vom SAC angestellt, 20% als Nationaltrainer, 10% als Trainer des Regionalkaders. Hauptberuflich arbeitet er als Hausarzt in einer Gemeinschaftspraxis in Küblis.

Gute Bedingungen in Davos

Damit in der Kälte niemand friert, geht es nach dem Aufwärmen gleich weiter. Auf einem Parcours, der den Hang hinaufführt, sollen sie die Wechsel üben. Also laufen, Ski ausziehen und tragen, Ski wieder anschnallen und die Felle abziehen. Letzteres sieht spektakulär aus. Während die Skitourenläufer mit den Ski vom Boden springen, reissen sie die Felle mit einer geschickten Bewegung von den Brettern. Um dem Ganzen Wettkampfcharakter zu verleihen, treten jeweils zwei Athleten gegeneinander an.

An der kameradschaftlichen Stimmung ändert das nichts. «Tschüss Ronya», scherzt ein junger Mann, als er eine Sekunde früher bereit ist für die Abfahrt als seine Kameradin. Ronya Lietha trainiert heute als einzige Frau. «Ich verstehe mich mit allen gut», sagt die 18-Jährige aus dem Nachbardorf Fideris. Als lernende Schreinerin im dritten Lehrjahr sei sie es gewohnt, unter Männern zu sein.

Angefangen für Skitourenrennen zu trainieren, hat sie in der fünften Klasse, nur ein oder zwei Jahre nach ihrem Bruder Arno Lietha, dem erfolgreichsten Athleten, der aus dem regionalen Kader Ost hervorgegangen ist. Er gehört der Nationalmannschaft an und hat letzte Saison den Gesamtweltcup im Sprint und den Weltmeistertitel in derselben Disziplin der U23 gewonnen. Wenn sich eine Gelegenheit ergebe, trainiere sie auch mit ihrem Bruder, sagt Ronya Lietha.

Nicht alle können viermal pro Woche nach Küblis zum Training kommen, weil sie zu weit weg wohnen. Sie sehen ihre Teamkollegen an den gemeinsamen Trainingswochenenden und an den Wettkämpfen. Auch Jon Kistler ist heute Abend nicht dabei. Der 18-Jährige stammt aus der Stadt Zürich und wohnt seit drei Jahren in Davos, wo er das Sportgymnasium besucht. «Die Bedingungen am Sportgymnasium sind sehr gut», sagt er. Er trainiere entweder alleine oder mit der Langlaufgruppe, und wenn man in der Schule etwas verpasse, gebe es immer die Möglichkeit, es nachzuholen.

Olympia bringt Popularität

Doch wie kommen die jungen Leute überhaupt zum Skitourenrennsport? «Viele sind Quereinsteiger», sagt André Müller. Jon Kistler hat früher Unihockey gespielt, Ronya Lietha kommt wie einige andere vom Alpinskifahren, manche kommen vom Langlaufen. Bei vielen der jungen Athletinnen und Athleten haben auch die Eltern schon Skitourenrennen bestritten und so den Bezug zur Sportart hergestellt. Entdeckt würden sie dann zum Beispiel an regionalen Skitourenrennen oder gar auf gewöhnlichen Skitouren. Diese Saison zählt das Regionalzentrum Ost zehn Athletinnen und Athleten. Damit sei man von der Grösse her dort, wo man sein wolle, sagt André Müller. Aber er verhehlt nicht, dass die Auswahl an Athleten klein ist. Wünschenswert wären zwei bis drei lokale Gruppen, aus denen er fürs Regionalkader auswählen könnte.

Damit die Sportart weiter an Bekanntheit gewinne, sei Publizität wichtig, etwa die Berichterstattung über regionale Skitourenrennen, sagt André Müller. Wie ein Botschafter für Skitourenrennen wirkt der erfolgreiche Arno Lietha, der 2019 zum Bündner Sportler des Jahres gewählt wurde. «Das spricht sich herum», sagt André Müller. Die Zukunft verspricht Gutes. Skitourenfahren als Breitensport habe mit der Coronapandemie zugenommen. Zudem wird an den Olympischen Spielen 2026 in Italien erstmals auch das Skitourenrennen vertreten sein. «Olympia wird den Sport populärer machen», sagt er. Allerdings seien die regionalen und traditionellen Skitourenrennen mindestens so wichtig: «An den Olympischen Spielen können vier Athleten pro Nation teilnehmen, an einer PDG laufen 3000 Sportlerinnen und Sportler mit.»

Die Übungen auf dem Parcours am Hang über Küblis sind abgeschlossen – und Olympia noch weit weg. Zum Auslaufen steigen die jungen Athletinnen und Athleten 400 Höhenmeter auf. Rasch verschwinden die hellen Punkte ihrer Stirnlampen in der Winternacht.

Autor / Autorin

Anita Bachmann

Interessiert?

Wer sich für das Training im SAC-Regionalzentrum Skitourenrennen Ost interessiert, kann sich bei Beda Gujan melden: beda.gujan@bluewin.ch.

Am 27. März 2022 findet für interessierte Jugendliche von 12 bis 18 Jahren ein Schnuppertraining statt. Weitere Infos: www.ski-mountaineering.ch.

Infos zu den beiden anderen Regionalzentren West und Wallis gibt es unter: www.sac-cas.ch/de/leistungssport/skitourenrennen/regionalzentren.

Interessiert?

- Wer sich für das Training im SAC-Regionalzentrum Skitourenrennen Ost interessiert kann sich bei Beda Gujan melden: g.a.capeder(at)hotmail.com

- Am XX. März 2022 findet für alle interessierten Mitglieder der JO ein Schnuppertraining statt. Weitere Infos: www.ski-mountaineering.ch

- Infos zu den beiden anderen Regionalzentren West und Wallis gibt es unter: www.sac-cas.ch/de/leistungssport/skitourenrennen/regionalzentren/

Feedback