Penck und Brückner: Die Alpen im Eiszeitalter
Unterstütze den SAC Jetzt spenden

Penck und Brückner: Die Alpen im Eiszeitalter

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Nachdem die Redaktion des Jahrbuches seit dem Erscheinen der ersten Lieferungen ( 1901 ) bis zur Vollendung des groß angelegten Werkes ( im Jahre 1908 ) jeweilen den Inhalt jeder einzelnen der im ganzen 11 Lieferungen angedeutet hat, kann nunmehr die in Aussicht gestellte zusammenfassende Schlußbesprechung gebracht werden, in welcher in erster Linie die allgemeinen Ergebnisse der Untersuchungen, die das Gebiet der Schweizer Alpen betreffen, erörtert werden sollen; es muß dazu bemerkt werden, daß es nicht möglich ist, auf einem so knappen Räume von drei Seiten dem Werke gerecht zu werden, das in hohem Maße das Interesse der Alpenclubisten verdient.

Bekanntlich haben sich die Verfasser die Aufgabe gestellt, „ zu untersuchen, in welchem Umfange und wie oft sich die Vergletscherung der Alpen während des Eiszeitalters verändert hat, und inwieweit dabei der darunterliegende Gebirgskörper umgestaltet wurde Für die Lösung der zwei ersten Probleme ließen sich aus den eiszeitlichen Ablagerungen im Alpenvorlande wichtige Anhaltspunkte gewinnen. Es kommen hierbei folgende Tatsachen in Betracht: Zahlreiche Alpentäler weisen in ihrem Mittellaufe langgestreckte Talseen oder sumpfige Niederungen auf, die zum Teil weit ins Vorland hinausgreifen, und diese Becken sind an ihrem unteren Ende von einem mächtigen Gürtel alpiner Schuttmassen umgeben, die in zwei verschiedenen Formen auftreten: teils als langgezogene Moränenhügel, teils als weit ausgedehnte Schotterfelder, in die sich die heutigen Flüsse eingeschnitten haben. Es lassen sich auf der ganzen nördlichen Abdachung der Alpen vier, auf der südlichen vielerorts drei verschiedenalterige Schotterbildungen unterscheiden, die alle mit eiszeitlichen Moränen in Verknüpfung treten. Aus diesen Erscheinungen hat man auf vier große Vergletscherungen oder Eiszeiten geschlossen, die durch drei Interglacialzeiten voneinander getrennt worden sind. Zwischen den Moränen verschiedener Eiszeiten haben sich nämlich an zahlreichen Orten Schichten mit Resten von Tieren und Pflanzen gefunden, die auf ein wärmeres Klima hindeuten; besonders häufig sind Ablagerungen aus der letzten Interglacialzeit, während solche aus der ersten ganz fehlen. Im allgemeinen scheinen die Interglacialzeiten von längerer Dauer gewesen zu sein als die Eiszeiten. Aus den gemachten Beobachtungen hinsichtlich der Ausdehnung und Wiederholung der Vergletscherungen ergibt sich folgende Chronologie des Eiszeitalters im Gebiete der Alpen.

1. In der Präglacialzeit, als es noch keine Gletscher gab, sind die Alpen der Abtragung durch das fließende Wasser ausgesetzt gewesen, und dieses hat tiefe Täler eingeschnitten, die mit breiten Talsohlen ins Vorland hinausführten.

2. Aus der ersten Vergletscherung oder Günz-Eiszeit stammt der sogenannte ältere Deckenschotter, der im Vorlande vielerorts hoch über den heutigen Talsohlen erhalten ist ( wie auf dem Siggenberg bei Turgi, auf dem Irchel, auf dem Rheinfelderberg etc. ).

3. Während der ersten Interglacialzeit fand eine beträchtliche Eintiefung der Täler durch die Flüsse statt.

4. Aus der zweiten Vergletscherung oder Mindel-Eiszeit stammt der sogenannte jüngere Deckenschotter, der im Gegensatz zum älteren in tieferem Niveau, aber immer noch etwa 40—50 m. über den heutigen Talsohlen erscheint ( wie auf dem Bruggerberg, dem Gebenstorferhorn, bei Schwörstadt, bei Basel etc. ).

5. In der zweiten Interglacialzeit fand wiederum bedeutende Erosion der Flüsse statt; in den Niederungen bildete sich der ältere Löß, eine Steppenbildung; es trat Elephas meridionalis auf.

6. In der dritten Vergletscherung oder Riß-Eiszeit zeigten vor allen die Gletscher der Schweizer Alpen eine ganz ungeheure Ausdehnung; der Rheingletscher reichte im Norden bis über Sigmaringen an der Donau hinaus, und im Westen vereinigte er sich mit Rhone-Eis in der Nähe von Basel; der Rhonegletscher bedeckte die Jurahochflächen weit über Pontarlier und den Doubs hinaus, und sein Südwestarm endete bei Lyon; diese große Ausdehnung wird namentlich durch erratische Blöcke dokumentiert; mehrere von denselben wurden damals aus dem Wallis in die Napftäler hingetragen. Innerhalb der Blockzone finden sich auch Schotter- und Moränenmassen, der sogenannte Hochterrassenschotter und die Alt-Moränen. Wie die beiden Deckenschotter, bildet auch die Hochterrasse vielerorts „ löcherige Nagelfluh ".

7. Aus der dritten Interglacialzeit stammen Löß im Rheintal und Aaretal, Schieferkohlen von Dürnten, Wetzikon, Uznach und Mörschwil, Kalktuff von Flurlingen bei Schaffhausen, Tone von Re und Calprino im Tessin, ferner die Höttinger-Breccie bei Innsbruck etc. Es gab damals schon die meisten unserer heutigen Laub- und Nadelbäume, und zeitweilig herrschte ein wärmeres Klima als heute. Neben dem Ur-elefanten, dem Merckschen Rhinoceros, Riesenhirsch, Höhlenbären, Wolfe u.a. trat auch der Mensch in der Schweiz auf, wie namentlich Funde in der Wildkirchlihöhle im Säntis lehren. Dazu gesellen sich südsibirische Steppentiere und -pflanzen.

8. Aus der vierten Vergletscherung oder Würm-Eiszeit stammen die wohlerhaltenen Jung-Endmoränen und der frisch aussehende, nicht lehmbedeckte Niederterrassenschotter, nach welchen die Grenzen der alten Gletscher genau angegeben werden können. In der Schweiz waren wiederum Rhone- und Rheingletscher am mächtigsten entwickelt: Der Südwestarm des Rhonegletschers reichte bis in die Nähe von Lyon, der Nordostarm endete bei Herzogenbuchsee, während der Westrand des Rheingletschers bei Schaffhausen lag. Nach einem Maximalstande wichen die Gletscher 5-10 km. zurück, um von neuem Halt zu machen und sogenannte Rückzugsmoränen aufzuwerfen, so der Aaregletscher bei Bern, der Linthgletscher bei Zürich, der Saanegletscher bei Bulle. Den zurückweichenden Gletschern folgten auch arktische Tiere und Pflanzen in die Alpen hinauf nach. Beträchtlichere Rückzüge wurden durch ruckweise Hebungen der Schneegrenze um je rund 300 m. verursacht, so daß von drei verschiedenen Rückzugsstadien gesprochen werden kann, vom Bühlstadium — damals warf der Reußgletscher Endmoränen im Vierwaldstättersee, der Linthgletscher bei Horgen im Zürichsee auf — ferner vom Gschnitzstadium — der Aaregletscher endete bei Meiringen — und endlich vom Daunstadium: damals bedeckte der Saanegletscher das Gebiet des Sanetschpasses, und der Wildstrubelgletscher reichte bis zur Stufe der Engstligenalp. Das Daunstadium ist älter als die Bronzezeit. Seit dem Bühlstadium sind rund 20,000 Jahre verflossen, und danach läßt sich schließen, daß die Dauer des gesamten Eiszeitalters auf mehrere hunderttausend Jahre zu veranschlagen ist. Es kann demnach nicht wundernehmen, daß die Alpen in erheblicher Weise durch die Gletscher abgetragen worden sind, und zwar haben letztere ganz eigenartige Erosionsformen geschaffen: Sie haben die ehemaligen Flußtäler tiefer und breiter gemacht; durch die mächtigen Eisströme wurden die Haupttäler stärker eingetieft, als die kleineren Nebentäler; letztere münden daher heute mit Stufen, ihre Flüsse mit Wasserfällen; in dem Boden der Täler entstanden Becken, die sich als Seen darstellen, und zahlreiche Hochseen liegen in ehemaligen Firn- und Gletschermulden, in Karen. Die großen Talseen erweisen sich als Zungenbecken, in denen die Gletscherzungen lagen; denn entgegen der namentlich von Alb. Heim verfochtenen Ansicht, daß die Alpen zurückgesunken und die Seen aus verbogenen Flußtälern entstanden seien, kommen Penck und Brückner zum Ergebnis, daß sich die Alpen seit dem Pliocän nicht gesenkt, sondern stellenweise um 300-500 m. gehoben hätten. Von gewisser Seite wird den Verfassern vielfach der Vorwurf gemacht, daß sie die Erosionswirkung des fließenden Wassers unterschätzen. Daß dies nicht zutrifft, beweist folgendes: Nach den von Penck und Brückner erkannten Talsohlen zu schließen, sind die Alpentäler um mindestens 2/s ihrer Tiefe durch das Wasser und um höchstens 1/a durch die Gletscher ausgefurcht worden.

Eine gewaltige Summe von Arbeiten, Studien und Beobachtungen ist in dem Werke enthalten, und groß ist die Bedeutung der Ausführungen hinsichtlich der Morphologie der Gebirge überhaupt. Bei der Fülle des zu verarbeitenden Materials und der Größe des Untersuchungsgebietes ist nicht zu vermeiden gewesen, daß sich in der Darstellung gelegentlich auch Irrtümer eingeschlichen haben oder daß die Verfasser Ansichten verfechten, die noch näherer Begründung bedürfen. Referent möchte nur eine Frage herausgreifen, die die Ursache der Eiszeit betrifft. Penck behauptet, pag. 1142, daß die Firnfelder während der Eiszeit nicht voller waren als heute, und kommt zum Schluß, daß die eiszeitliche Gletscherentwicklung aus der heutigen nicht durch eine Mehrung der Niederschläge hergeleitet werden könne, die Eiszeit sei „ unmöglich durch Niederschlagsänderungen zu erklären " ( pag. 1145 ), sondern sie sei „ als Periode der Temperaturerniedrigung " aufzufassen. Es mag auf zweierlei aufmerksam gemacht werden: bisher wurde allgemein die gegenteilige Ansicht ver- fochten, so auch von Brückner in der Berner Rektoratsrede von 1900 „ Die schweizerische Landschaft einst und jetzt ", und mit Recht hat man hinsichtlich der Erscheinungen in subtropischen Steppengebieten von einer „ Plurialzeit " gesprochen; zweitens ist daran zu erinnern, daß bei der tiefen Lage der eiszeitlichen Schneegrenze sämtliche Hochtäler und ihre Seitengehänge zum Nährgebiet der Gletscher gehört haben mußten, dasselbe also viel größer war und deshalb auch viel bedeutendere Niederschlagsmengen auffangen konnte, als es heute geschieht. Demnach dürfte Pencks Behauptung noch nicht als erwiesen betrachtet werden.

Dr. F. Nußbaum ( Sektion Bern ).

Feedback