Professor Melchior Ulrich
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Professor Melchior Ulrich

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Schon hat der Schweizer Alpenclub das dritte Decennium seines Bestehens hinter sich und kann auf eine reiche, von den damaligen Gründern kaum geahnte Entwicklung und Blüte zurückblicken. Die Reihen der Männer, welche sich einst in heiligem Eifer zusammenschlössen, um den Club zu gründen, der heute in allen Gegenden der Schweiz und auch im Auslande thatkräftige Glieder zu gemeinsamem Wirken vereinigt, fangen an sich zu lichten. Noch ist kurze Zeit verflossen, seitdem die Berner ihren Studer, ihren Lindt verloren haben; im Laufe des letzten Jahres wurden auch unserer Sektion zwei Mitglieder entrissen, welche in der Geschichte des S.A.C. stetsfort unter den ersten werden genannt werden. Beide, ganz verschieden in ihrem Wesen, der eine ( Müller-Wegmann ) eine kindliche Natur in des Wortes bester Bedeutung, der andere eine stramme Gestalt, haben jahrelang ihre Thätigkeit in die Dienste des Alpenclubs gestellt und schon vorher die Entstehung desselben eingeleitet. Das Lebensbild des einen ist vor wenigen Wochen von berufener Hand gezeichnet worden, die Pflicht erfordert es, auch des andern eingehend zu gedenken.

Wir dürfen nie vergessen, daß wir die Freuden und Genüsse, welche uns die Wanderungen in den Alpen bieten, zu einem Teil den Veteranen des Clubs zu danken haben, welche mit dem Mute des Entdeckers, ohne Zeit und Mühe zu achten, das Dunkel der Hochgebirgswelt lichteten und die Quellen erschlossen, welche uns die reichen Schätze der Natur in unerschöpflicher Fülle spenden. Jede Schöpfung, welche des Menschen Hand gegründet hat, kann nur gedeihen, wenn die Tradition festgehalten wird und die Stufen der Entwicklung bei den kommenden Generationen nicht in Vergessenheit geraten.

So möge es mir von diesem Standpunkt aus erlaubt sein, weit zurückzugreifen, über den eigentlichen Anfang des Alpenclubs hinaus, in jene Zeit, wo die Kenntnis der Alpen noch nicht ein Gemeingut der Naturfreunde war, sondern nur von wenigen, aber von diesen wenigen mit einer Beharrlichkeit und Begeisterung erstrebt wurde, welche aus frühem Zeiten nicht bekannt ist.

Professor M. Ulrich hat, was das Alter betrifft, die meisten von uns um mehrere Generationen überragt. Viele erinnern sich noch der hohen Gestalt des Verstorbenen, der bis in die letzten Jahre aufrecht und mit seltener Rüstigkeit durch die Straßen der Stadt und auf den Spazierwegen dahin wanderte, aber die wenigsten haben wohl mit ihm verkehrt. Auch aus diesem Grunde rechtfertigt sich ein eingehenderes Lebensbild, um so mehr, als bei dieser Gelegenheit einige Streiflichter auf die Anfänge des Schweizer Alpenclubs und insbesondere der Sektion Uto geworfen werden können.

Bevor ich zu meiner Hauptaufgabe übergehe, die Verdienste des Verstorbenen, die er als Alpenclubist sich erworben hat, zu schildern, sei es mir gestattet, den äußern Lebensgang in Kürze zu skizzieren. Ich bediene mich hierbei zum größern Teil eines Nekrologes, welchen Herr O. P. in der „ Züricher Freitagszeitung " ( 1893, Nr. 30 ) veröffentlicht hat.

Als Sohn des Stiftsverwalters Ulrich am 24. April 1802 geboren, hatte er die niedern und höhern Schulen seiner Vaterstadt durchlaufen und sich dann dem Studium der Theologie zugewandt. Vom Herbst 1824 bis zum Frühjahr 1826 studierte er in Berlin unter Schleiermacher und Neander. Als er nach Zürich zurückgekehrt war, stand er dem damaligen Chorherrn Cramer am Großmünster zur Seite und predigte aushülfsweise. Bei der Eröffnung der Hochschule im Jahre 1833 habilitierte er sich als Privatdocent und bekleidete von 1837—1856 eine außerordentliche Professur für neutestamentliche Fächer und Kritik. Später widmete er sich humanitären Bestrebungen, insbesondere als Förderer der Hülfsgesellschaft und ihrer Zweiganstalten, der Sparkasse und anderer. Schon im Jahre 1840 war er in diese Gesellschaft eingetreten, von 1842—1856 war er Quästor und seit 1861 Präsident derselben. Der Jahresbericht der Hülfsgesellschaft für 1893 schreibt: „ Der Verewigte war mit der Hülfsgesellschaft und der von derselben gegründeten Sparkasse der Stadt Zürich aufs engste verbunden, und er drückte beiden Anstalten während seiner langjährigen Thätigkeit an denselben den Stempel seiner Persönlichkeit auf. Beide Anstalten erreichten unter ihm einen hohen Grad der Blüte und setzten ihre für weite Kreise unserer Bevölkerung segensreiche Wirksamkeit erfolgreich fort. " Während einer längern Reihe von Jahren gehörte er der Kirchenpflege Groümünster an, und erst die Beschwerden des hohen Greisenalters veranlaßten ihn, aus dieser ihm liebgewordenen und mit großer Pünktlichkeit und Gewissenhaftigkeit besorgten Thätig- keit auszuscheiden. In der Küustlergesellschaft gehörte Ulrich lange Jahre zu den regelmäßigsten, ja auf die Minute reglierten Mitgliedern. Im Jahre 1836 trat er als Mitglied in die naturforschende Gesellschaft von Zürich ein und war lange Zeit im Vorstande derselben.

Ein lebhaftes Interesse zeigte Ulrich für die Bestrebungen der „ Gesellschaft für vaterländische Altertümer ". Er gehörte sogar zu jenen sechs Männern, welche ( 1832 ) nach Öffnung der sogenannten Hünengräber im Burghölzli die Gesellschaft gründeten, und von Anfang an bekleidete er während längerer Zeit die Stelle eines Aktuars und Quästors. Es ist ein bemerkenswertes Zusammentreffen, daß unter den Männern, welche damals zur Förderung und Entwicklung der Gesellschaft für vaterländische Altertümer wesentlich beitrugen, gerade mehrere hervorragende und begeisterte Freunde von Alpenwanderungen sich befanden; neben M. Ulrich nenne ich Regierungsrat Hirzel, Junker Dürler, Heinrich Zeller, Hardmeier.

Ulrich's Lebensabend war ein ruhiger und freundlicher, und dem Tode sah er bei vollem Bewußtsein ohne Furcht entgegen. Er starb am 22. Juli 1893. In einem Tagebuch hat der Verstorbene alle seine Reisen notiert, meistens mit Angabe der Zeiten, der Begleiter, des Wetters, aber ohne viele andere Bemerkungen.

Die erste Reise fällt in das Jahr 1814 ( oder 1815 ) und führte über Zug auf den Rigi, nach Vitznau hinunter, dann weiter das Reußthal hinauf nach Realp, auf das Furkahorn, nach Altorf zurück und über Schwyz, den Hacken und den Etzel nach Zürich. Der kurzen Skizzierung der Reise ist die Notiz beigefügt, daß dieselbe mit der Knabengesellschaft unternommen worden sei. Es war dieses eine von gebildeten Männern gegründete Gesellschaft* ), welche sich das Ziel setzte, den jugendlichen Sinn der Knaben zur Vaterlandsliebe und zu einer edeln Denkweise anzuleiten, in erster Linie durch Aufführung vaterländischer Schauspiele, dann auch durch kleinere Reisen.

Daß die Lust, die Thäler des Hochgebirges zu durchstreifen, schon manchen Zürcher der altern Zeit angelockt hat, kann uns nicht befremdlich vorkommen. Wer den edelgeformten Kranz des Gebirges, welcher mit den kühnen Gipfelformen über dem anmutigen Gelände des Sees und den grünen Vorbergen sich erhebt, tagtäglich vor Augen hat, dessen Herz mußte, wenn anders er Sinn für die Schönheit der Natur besaß und ihm vor den Schrecknissen derselben nicht bangte, durch eine geheimnisvolle Kraft in die Ferne gezogen werden. Um von frühern Schweizerreisen und den Verdiensten Konrad Gesners nicht zu reden, will ich nur der im 18. Jahrhundert herrschenden Sitte Erwähnung thun, daß oft eine Anzahl junger Leute, meistens angehende Theologen, unter der Leitung eines altern, bereits in Amt und Würde stehenden Mannes kleinere oder größere Reisen in die Schweiz unternahmen.

Es bietet großes Interesse, die Art und Weise, wie diese Reisen unternommen wurden, mit den heutigen Gebirgswanderungen zu vergleichen. Leider verbietet uns die kurz zugemessene Zeit, darüber mehr zu berichten, so wie wir auch bei den Reisen Ulrichs nur dann etwas einläßlicher erzählen können, wenn die Notizen fur die Geschichte des Reisens in frühern Zeiten wichtigere Anhaltspunkte geben.

Eine zweite fünftägige Reise im Jahre 1817 führte mit der Knabengesellschaft ins Klönthal, über den Pragel und auf den Rigi. Im Jahre 1818 wurde eine Tour über Weesen nach der Luziensteig, dem Rheinthal, dem Bodensee unternommen, mit einem Abstecher nach dem Appenzellerland ( Gäbris ). Das Jahr 1819 führte den jungen Ulrich mit einigen Freunden, darunter Ferd. Keller, über den Brünig ins Berneroberland, nach Meiringen, Scheideck, Grindelwald, Wengernalp, Lauterbrunnen, Unterseen. Und im Jahre darauf wurde mit auswärtigen Freunden, König in Bern und Heim in Gais, der westliche Teil der Schweiz durchforscht, indem die 14tägige Reise durchs Entlebuch nach Bern, sodann nach Neuenburg, Chaux-de-Fonds, Biel, Basel und den Bötzberg wieder zurückführte. Im Jahre darauf drang man in die Gebirge der Urschweiz ein: der Surenen- und der Klausenpaß werden überschritten. Auf dem Rückweg geht es dann von Weesen über den Ammoner Berg ins Toggenburg und von Wildhaus „ neben dem Säntis " vorbei ( offenbar über den Krai-alppaß ) nach Weißbad. Mit der Lust des Wanderns und dem Verständnis, das durch die zahlreichen Reisen gewonnen wurde, wuchsen auch die Ziele. Im Jahre 1822 unternahm Ulrich bereits eine 18tägige Reise, welche über den Brünig und die Gemmi ins Wallis und von dort über den Col de Balme nach Argentière und Prieuré führte, wo auch das Mer de glace besucht wurde. Die Rückreise vollzog sich über Genf, Lausanne, Freiburg, Bern und Aarau.

Schon aus diesen kurzen Notizen, bei denen nichts als die Hauptstationen angegeben sind, kann man einen Schluß auf den Zweck der Reisen ziehen. Wir sehen in großen Linien die ganze Schweiz durchzogen, alle größern Gebiete mit Ausnahme der Kantone Graubünden und Tessin sind durchreist. Einen Überblick über das Ganze wollte der junge Fußwanderer in erster Linie sich verschaffen. Nicht das Gebirge allein erweckt Interesse, auch die Städte in der Ebene und im Hügelland werden aufgesucht. Im besonderen ist der Rigi ein Lieblingsziel, eignet sich doch derselbe ganz besonders als Orientierungspunkt. Mit den Reisen werden verschiedene Nebenzwecke verbunden, Besuche bei Verwandten in Bern, dann auch die Teilnahme an den Studentenversammlungen in Zofingen. Daß die Touren fast ausschließlich zu Fuß gemacht wurden, zumal im Gebirge, versteht sich von selbst. Wie oft zog man damals hinaus über den Albis oder über den Schnabel und auf den Rigi, in einer Tour, ohne irgendwo längern Aufenthalt zu nehmen. Man fühlt sich in alte Zeiten zurückversetzt, wenn man im Tagebuch von einer Fußtour um den ganzen Zürichsee ( Auffahrt 8. Mai 1823 ) liest und es dabei heißt: Morgens um 3 Uhr zogen wir durch die Stadelhoferporte hinaus und abends 8 Uhr 50 zogen wir durch die Wollishoferporte wieder in die Stadt zurück.

Auch die näherliegenden Gebiete des eigenen Kantons wurden nicht vernachlässigt, so ist z.B. aus dem Jahre 1823 eine viertägige Tour verzeichnet, die auf das Bachtelhorn ( so wird der Berg an einigen Stellen genannt ), das Hörnli, nach Kyburg und weiter in das äußere Amt nach dem Rheinfall und Schaffhausen führt.

Nun tritt ein längerer Stillstand in den Schweizerreisen ein. Um ihre Studien zu vollenden und zu vertiefen, und um eine umfassendere Kenntnis der Menschen und der Welt zu gewinnen, pflegten die jungen Zürcher, sofern es die Mittel irgendwie erlaubten, nach der Vollendung der Studien an den Schulen der Vaterstadt, eine längere Reise ins Ausland zu unternehmen. Wir haben schon erwähnt, daß der junge Ulrich vom Herbst 1824 bis Frühjahr 1826 in Berlin theologischen Stadien oblag; längere Zeit hat er sich damals auch in Leipzig aufgehalten. Von Berlin aus wurden, wie das heutzutage noch zu geschehen pflegt, Ausflüge nach Hamburg, Stettin, Swinemünde, Stralsund, Rügen und nach wichtigern Orten im Innern des Landes, wie Hannover, Braunschweig und Magdeburg, nach Küstrin und Frankfurt a./O. unternommen. Im Herbst 1826 hatte das Studium in Berlin seinen Abschluß gefunden, aber die Rückkehr in die Heimat erfolgt erst in der ersten Hälfte des Jahres 1827. Von Berlin aus reist Ulrich nach Frankfurt und Wiesbaden und dann den Rhein hinunter an den klassischen Stätten vorbei nach Holland, besucht die berühmten Orte von Utrecht und Amsterdam bis Rotterdam, um dann über Brüssel, Namur, Rheims nach Paris zu gehen, wo er längere Zeit verweilt. Wie es dem Sinne des wanderlustigen Jünglings entsprach, wurde zum Abschluß eine große Reise in Frankreich herum ausgeführt, in weitem Bogen von Paris über Orléans nach Bordeaux, Toulouse, Montpellier und Marseille, und zurück über Avignon und Lyon nach Genf. Und hier sei auch bemerkt, daß gleich das folgende Jahr ( 1828 ) zu einer Reise nach Italien verwendet wurde. Auf dem Hinweg kamen zum erstenmale größere Teile von Graubünden und Tessin in den Gesichtskreis des Reisenden, für den Heimweg wurden die Pässe Großer St. Bernhard, Rawyl und Brünig gewählt, die Reise in Italien selbst beschränkte sich auf Oberitalien, Mailand, Pavia, Genua, Turin und die Seen. Wie sehr oft bei frühern und spätem Reisen, so wurde vor der Rückkehr in die Vaterstadt dem lieben Rigi ein Besuch abgestattet, und dann zog man erst noch auf einem Umwege, etwa über den Hacken oder die Hohe Rhone, zurück. Es kommt einem oft vor, wie wenn die Reiselust gar keine Grenzen gefunden hätte.

Man kann wohl sagen, daß mit der Rückkehr aus der Fremde eine zweite Periode des Reisens beginne, deren Eigentümlichkeiten darin zu suchen sind, daß die in den frühern Jahren durchzogenen Gegenden je nach dem größern oder kleinern Interesse, das sie bieten, von neuem aufgesucht, und daß die bisher nur in großen Zügen gewonnene Kenntnis des Schweizerlandes vertieft wird. Es handelte sich vor allem um eine eingehendere Durchforschung des Bündnerlandes, welcher in den Jahren 1834, 1837 und 1839 größere Reisen gewidmet werden; Reisen, die der Zeit nach zu den längsten gehören, die Ulrich ausgeführt hat. Wie früher, werden auch bei diesen Forschungen die Touren ohne nennenswerte Unterbrechung Tag für Tag fortgesetzt und auf diese Weise weite Strecken des Vaterlandes kreuz und quer durcheilt. Um einen Begriff von der Einrichtung derselben zu geben, dürfte es am Platze sein, eine solche Reise größern Stils in einigen Details vorzuführen. Im Jahre 1834 wurde Zürich verlassen mit den Freunden Zeller und Hardmeier. Der erste Tag bringt sie auf dem Umwege über die Forch nach Rapperswyl, Lachen bis Niederurnen, der zweite Tag über Glarus nach Stachelberg, wo ein Aufenthalt von zwei Tagen gemacht wurde. Am fünften Tag wird die Reise fortgesetzt über die Sandalp und den Sandgrat bis zur Ruseinalp, am folgenden Tag bis Brigels, über den Kistenpaß zurück nach Stachelberg. Hier gönnt man sich wieder einen Ruhetag. Über den Richetlipaß geht 's nach Elm, das Sernfthal hinaus nach Schwanden und Weesen, zu Schiff nach Wallenstadt, weiter nach Pfäffers und Chur. Das Bündnerland wird in folgenden Tagesstrecken durchreist: Lenzerhaide, Bergün; Albulapaß, St. Moritz; Julier, Stalla; Oberhalbstein, Schyn, Thusis; Tschappina, Safienthal, Ilanz; Panixerpaß, Elm; Glarus, Rapperswyl; Meilen, Zürich. Der Zweck dier Reise bestand nicht bloß in der Durchquerung des Bündnerlandes, sondern es sollten die verschiedenen Übergänge zwischen Glarus und Bünden kennen gelernt werden, der Sandpaß, Kistenpaß und Panixerpader Segnespaß war bereits drei Jahre früher überschritten worden. Als weiterer Beweis für das Streben, möglichst viele Paßübergänge kennen zu lernen, welche ganz besonders sich eignen, größere Gebirgsgruppen auf die Leichtigkeit des Begehens zu prüfen, will ich ganz kurz die Reise vom Jahre 1837 skizzieren. Diesmal wird das Dampfschiff bis Rapperswyl und bis Nuolen ein gewöhnliches Schiff benutzt und von dort die Fußwanderung mit dem Tornister auf dem Rücken angetreten. Sie fuhrt durchs Wäggithal, über die Schweinsalp, über den Pragel nach Brunnen und Treib, weiter nach Seelisberg hinauf, ins Isenthal nach der Oberalp, über das heutzutage selten begangene Rothgrätli zur Plankenalp und nach Engelberg. Nun geht 's nicht etwa über den Jochpaß zur Engstlenalp, sondern über den Juchlipaß ins obere Melchthal, zur Alp Tannen ( die Frutt wird nicht erwähnt ), ins Genthal und Nesselthal nach Gadmen, am folgenden Tag über den Sustenpaß nach Amsteg, von wo aus ein Abstecher zum Hüfigletscher und {jiolzernsee gemacht wird; jetzt die Gotthardstraße hinauf, aber nicht zum Hospiz, sondern zur Prosaalp, Nerohöhe und das Canariathal hinab nach Airolo, von hier zum Ritom-See, über den Col del Uomo nach Sta. Maria und Disentis, nach Ilanz, durchs Lugnetz und über den Valser -berg nach Hinterrhein, zurück nach Andeer, ins Avers hinein, über Valletta ( Stallerberg ) nach Stalla und über Tiefenkasten, Chur nach Hause. Die Reise vom Jahre 1839 war ganz dem Bündnerlande gewidmet und dehnte sich auf die entlegensten Gegenden desselben aus: von Chur durchs Schanfigg, über den Strela nach Davos, über den Flüela ins Unterengadin, dann eine Strecke weit ins Tirol, von Nauders über die Malserhaide nach Mals, das Münsterthal hinauf, über den Ofenpaß nach Zernetz und Brail, über den Scaletta nach Davos, über die Maienfelder Furka nach Arosa, über Carmena und den Augstberg nach Parpan, nach Alvaschein, Solis, Unter- und Obermutten, Zillis, Hinterrhein. Hier dringt der Reisende bis zur Rheinquelle vor. Dann geht er über den Valserberg nach Vais und Vrin, über die Disrut Furka nach Olivone, Biasca, Airolo ins Bedrettothal, zu den Tosafällen, über den Griesgletscher ins Oberwallis, über die Furka in das Reußthal und auf dem bekannten Umweg über den Rigi nach Zürich zurück.

Diese Beispiele mögen, zumal wenn man die Strecken auf der Karte verfolgt, ein genügendes Bild von dem kühnen Flug geben, der alle diese Reisen beseelt hat, in einer Zeit, wo nur wenige ins Gebirg reisten und diese wenigen meist nur auf den gewohnten breiten Pfaden. In der Urschweiz giebt es wenige Pässe, die Ulrichs Fuß nicht betreten hätte, und auch die Bergspitzen suchte er mit der Zeit immer mehr auf, wie den Titlis ( 1833 ), Urirothstock, Engelberger-Rothstock, Drusberg, Roßstock, die letztern alle im Jahre 1846.

Dem Berner Oberland sind zwei größere Reisen gewidmet, von denen die erste, im Jahre 1832, nur bekanntere Punkte sich zum Ziele setzte, den Rhonegletscher, das Sidelhorn, den Rosenlaui- und Grindelwaldgletscher, das Lauberhorn, Faulhorn, den Gießbach u. s. w., während allerdings im Jahre 1841 das Streben weiter in die Thäler hinein und höher hinauf auf die Berge dringt. Das Brienzer-Rothhorn, der Niesen, das Stockhorn werden bestiegen, von der Steinbergalp wird der Übergang über den Tschingeltritt ins Gasterenthal gewagt; ein Versuch, durch das Kienthal vorzudringen, muß wegen der Ungunst der Witterung aufgegeben werden.

Das Appenzellerland war von jeher durch seine Lieblichkeit berühmt, und oft hat Ulrich, auch in spätem Zeiten, sich gerne dort auf- Jahrback des Schweizer Alpenclub. 29. Jahrg.14 gehalten. Von Gais wurden dann immer Ausflüge in das Säntisgebirge ausgeführt, auf den Hohen Kasten und Kamor, die Ebenalp, und sogar auf den Säntis bereits in den Jahren 1829 und 1830.

Selbst der Jura wird von dem unparteiischen Bewunderer des Heimatlandes nicht vernachlässigt. Eine größere, im Jahre 1842 unternommene Reise führt über den ganzen langen Zug dieser Kette, auf die Frohburg, den Weißenstein, Chaumont, bis ins Waadtland hinein, und weiterhin auf den Moléson. Noch in den spätem Jahren scheinen diese Höhen den Greisen angesprochen zu haben, und zwar nicht bloß aus dem Grunde, weil deren Besteigung mit geringem Schwierigkeiten verbunden ist, sondern weil dieselben einen umfassenden Ausblick auf die Alpenkette bieten.

Um das Volk und die Einrichtungen in den verschiedenen Gebietsteilen der Schweiz kennen zu lernen, besuchte Ulrich gerne die Landsgemeinden. So nahm er im Jahre 1833 an derjenigen von Zug teil; Hin- und Rückweg wurden natürlich ganz zu Fuß gemacht. Im folgenden Jahre pilgerte er zur Landsgemeinde nach Trogen; bis Rapperswy] wurde die Post benutzt, aber von dort zog er zu Fuß in einer Tagestour über den Hummelwald, Peterzell, Hundwil nach Appenzell und Gais.

Wintertouren waren damals noch nicht auf der Tagesordnung; um so bemerkenswerter ist es, daß Ulrich im Winter 1827 während mehrerer Tage auf dem Rigi verweilte.

Es darf an diesem Orte nicht unerwähnt bleiben, daß die Reiselust nicht auf die Schweiz sich beschränkte, oft schweiften die Blicke in weitere Fernen. Im Frühling des Jahres 1835 wurden bei Gelegenheit der Hochzeitsreise die bedeutenderen Städte Bayerns besucht und im Jahre 1846 folgte gleichsam als Fortsetzung eine kleinere Reise nach Stuttgart, Tübingen, Sigmaringen und den benachbarten Gebieten.

Von größerm Werte ist es für uns, zu erfahren, daß Ulrich auch einen, freilich nur flüchtigen, Blick in das Ostalpenland geworfen hat. Der Arlberg wurde überschritten, um das Innthal bei Landeck zu erreichen; von Innsbruck ging 's über den Brenner nach dem schönen Südtirol, aber alles auf der Landstraße, vielfach zu Fuß. Von Bozen aus wurde ein Ausflug auf den nicht sehr hohen Ritten gemacht. Im Rückweg, der natürlich durch das Vintschgau und über das Stilfserjoch zunächst ins Veltlin führte, wurde wieder nicht die direkteste Route gewählt, sondern es mußte die Gelegenheit ergriffen werden, einige neue Thäler und Pässe kennen zu lernen; so Puschlav, Bernina, Oberengadin, Maloja, Bergell, Splügen und zuletzt den Kunkelspaß, Für solche Touren übte man sich ein durch zahlreiche kleinere Ausflüge nach den schönern Punkten des Zürcher Hügellandes, die, eine Zeit lang fast vergessen, heutzutage wieder mehr gewürdigt werden. Daß auch der nahe Ütliberg jedes Jahr häufigen Besuch erhielt, könnten wir uns ohne weiteres vorstellen, auch wenn im Tagebuche die Zahl der jährlichen Besuche nicht besonders notiert wäre.

Wir haben bei verschiedenen Gelegenheiten erwähnt, daß den vielen Reisen, welche, wenn sie einzeln auf der Karte gezeichnet würden, oft ein eigentümliches Bild bieten müßten, ein bestimmter Plan zu Grunde gelegen habe. In besonderm Maße war dieses der Fall bei den bahnbrechenden Reisen, welche Ulrich in das Wallis ausgeführt hat. Dieselben fallen zunächst in den Zeitraum von 1847—1852, nur für das eine Jahr 1851 findet sich keine Walliser Reise aufgezeichnet. Es scheint angemessen zu sein, gleich zum voraus in derjenigen Kürze, welche Ulrich eigen war, über die Veranlassung und den Zweck derselben zu berichten. Wir wollen ihn in erster Linie selbst reden lassen: „ Da ich schon von früher Jugend an Freude an Bergpartien hatte, so mußte namentlich auch das Wallis mit seinen Bergkolossen bedeutende Anziehungskraft für mich haben. Ich hatte mir für das Jahr 1836 einen Plan ausgedacht, nach welchem ich vom Simplon bis zum Großen Bernhard im Hintergrund der Thäler über alle die Gletscher gelangen wollte, ein großartiger Plan, den ich später wirklich auszuführen das Glück hatte.... Ich beschäftigte mich mit diesem Plane mit solchem Interesse, daß er selbst Gegenstand meiner Träume war, und ich erinnere mich noch ganz deutlich, so lebhaft war der Traum, daß ich einmal glücklich den Paß zwischen dem Täschhorn und dem Grabenhorn ( Dom ) bezwang, und daß merkwürdigerweise die Gegend, die ich noch nie gesehen, so ziemlich mit der Wirklichkeit übereinstimmte, nur freilich mit dem Unterschiede, daß, wegen der steilen Felswände, ein Übergang hier rein unmöglich ist.... Schlechtes Wetter und Mangel an Begleitern verhinderten in jenem Jahre ein weiteres Eindringen in jene dunkeln Regionen. "

Im besondern wurde Ulrich durch Regierungsrat Hirzel-Escher angeregt, die Walliser Berge und Thäler zu erforschen. Hirzel hat in seiner Rundreise um den Monte Rosa, Wanderungen durch die Schweiz, Zürich, 1829, manche schätzbare Aufklärung über das Wallis geliefert. Ihm, der selbst ein trefflicher Bergsteiger war, kommt das Verdienst zu, jüngere Leute, z.B. auch den jezt noch lebenden Herrn Zeller-Horner, zu Bergreisen ermutigt und angeleitet zu haben.

Ulrich schreibt dann weiter: „ Es mag nicht außer Wege sein, diese Seitenthäler mit ihren Gebirgen etwas näher zu schildern. Dabei bleibt natürlich alles, was in die Geologie, Mineralogie und Botanik einschlägt, völlig beiseite, da ich als Laie kein Urteil darüber habe; hingegen erlaube ich mir, in Bezug auf die Topographie einige Aufklärungen zu geben, als Resultat eines zweimaligen Besuches dieser Gegenden im Jahre 1847 und 1848. " Dieses Programm erhält später eine Erweiterung da- durch, daß jeweils auch geologische Notizen allgemeiner Art hinzugefügt werden, und auf den Bergspitzen werden oft Höhenbestimmungen vermittelst des Barometers gemacht. Aber nach wie vor bleibt die Erweiterung der topographischen Kenntnisse der Hauptzweck, abgesehen von der Freude überhaupt, im Hochgebirge zu wandern.

Weil in jenen Zeiten noch kein Alpenclub bestand, so trug Ulrich seine Reiseberichte in der naturforschenden Gesellschaft vor. Er hat dieselben in den Mitteilungen dieser Gesellschaft, und zwar, soweit sie das Wallis betreffen, in vier Aufsätzen niedergelegt.

Im ersten Aufsatz, „ die Visperthäler ", folgt auf die ausführliche Schilderung des Saas- und Nikolaithales die Beschreibung einiger interessanter Touren. Als ständigen treuen Begleiter sowohl im Wallis als später bei der Ersteigung des Tödi und Glärnisch hatte Ulrich den Johannes Madutz aus Matt mitgenommen, den gleichen Madutz, welcher auch den Geologen Escher von der Linth auf seinen Gebirgstouren zu begleiten pflegte. Aber immer mußte noch ein mit der Gegend vertrauter Mann mitgehen. Ohne diese weise Maßregel wäre ein Gelingen unter keinen Umständen möglich gewesen.

Schon der erste Feldzug ( 1847 ) war mit Erfolg gekrönt. Es galt, die Übergänge über den Saasgrat, von Saas nach dem Zermatterthal, zu erobern. In Begleitung des bergkundigen Pfarrers Imseng aus Saas wurde zuerst der Übergang vom Saasthal über den Allalin-Gletscher ( Allalinpaß oder Täschjoch ) nach Täsch und Zermatt glücklich ausgeführt. Die Tour war nicht ganz neu, da Imseng dieselbe früher schon gemacht hatte. Eine eigentliche Entdeckungsreise ist aber der Übergang von Saas über den Ried-Gletscher nach St. Nikiaus zu nennen ( 1848 ). Bei dieser Gelegenheit wurde eine Bergspitze, das sogenannte Kleine Mischabelhorn ( 3929 m ), erstiegen, welches nunmehr und in alle Zeiten nach dem Entdecker Ulrichshorn genannt wird. Im Jahre 1847 war Ulrich in Zermatt mit zwei Professoren aus Besançon zusammengetroffen, welche den ersten Versuch gemacht hatten, die höchste Spitze des Monte Rosa zu besteigen, und es wurde damals in ihm der Wunsch rege, das Wagnis zu wiederholen. Das Nachtquartier wurde in der Gadmen, am nördlichen Rand des Gorner-Gletschers, bezogen. Ohne große Schwierigkeiten erreichte man den Grat zwischen der Dufourspitze und dem Nordend, aber ein eisiger Wind machte ein weiteres Vordringen nicht ratsam. Immerhin wagten es die beiden Führer Madutz und Mathias zum Taugwald, der Dufourspitze auf den Leib zu rücken, und ihr Unternehmen war von Erfolg gekrönt. Sie erreichten den östlichen Zacken ( heute Grenzgipfel genannt ), der von der westlichen Spitze allerdings noch um 22 Fuß überragt wird. Die erste Besteigung dieser höchsten Spitze gelang zum erstenmal den Engländern Smith im Juli 1855, und am 13. August desselben Jahres folgten ihnen die Herren J. J. Weilenmann von St. Gallen und Alt-Nationalrat Bucher von Regensberg.

Im Jahre 1849 wagte Ulrich einen zweiten Versuch, diesmal in Begleitung von G. Studer in Bern, der auch an den folgenden Walliser Reisen teilgenommen hat, und von G. Lauterburg, stud, med., welchem wir mittelbar die geologischen Notizen in Ulrichs Berichten verdanken. Der Grat wurde wieder, wie das erste Mal, erreicht, aber ein Sturm auf das Nordend, der versucht wurde, schlug fehl. Dagegen gelang bald darauf der Übergang über den Adlerpaß, der, soweit sich erkennen läßt, früher noch nie begangen worden war. Der Alphubel ( heute Alphubeljoch genannt ) sollte im Jahre darauf in Angriff genommen werden, aber Pfarrer Imseng riet von diesem Unternehmen ab, indem ein Übergang vom Fee-Gletscher nach Täsch nicht möglich scheine und auch nie versucht worden sei.

Die Erforschung des Saasgrates war so ziemlich zum Abschluß gelangt, und beim Monte Rosa hatten die beiden Versuche zu dem Resultate geführt, daß der Ersteigung, abgesehen von den Witterungsverhältnissen, keine zu großen Hindernisse im Wege stehen. Jedenfalls werden diese Versuche, die höchste Spitze des Monte Rosa-Massivs zu ersteigen, in der Geschichte des Bergsteigens immer in hohen Ehren gehalten werden.

Nun wurde aber das Interesse der Alpenforscher auch auf den Hintergrund der südlichen Walliserthäler gelenkt, welche durch Gletscherpässe miteinander verbunden sind, und zwei Reisen galten der Erforschung derselben. Die erste ( 1849 ) führte über das Stockje, die Tête Blanche nach Evolena und Aroila, über den Pas de Chèvres ins Val Hérémence, sodann über den Col de Cheillon und den Col du Mont Rouge nach Gétroz und Chable im Bagnethal. Drei Jahre später sollte ein Streifzug in umgekehrter Richtung die auf der ersten Reise gewonnenen Kenntnisse ergänzen. Von Barma im Hérémencethal wurde wieder über den Col du Mont Rouge der Hintergrund des Bagnethales erreicht. Von hier an werden neue Gebiete durchstreift. Die Reisenden überschreiten den Col de Crête sèche, um ins Val Pelline zu gelangen. Von Prarayen, das im obern Teile des Thaies liegt, wenden sie sich über den Col de Collon wieder heimatlichen Gefilden zu und gelangen über den Gletscher nach Arolla. Im gleichen Jahre waren einige Pässe, welche die Thäler Hérens, Eifisch, Turtmann und St. Nikiaus verbinden, aufs Programm genommen worden, aber ungünstige Witterung trieb die Wanderer jeweils wieder das Thal hinaus ins Rhonethal. Dagegen gelang zum Schluß der Aufstieg von Findelen zum Weißthor mit Abstieg über den Schwarzenberg-Gletscher ins Saasthal.

Es bleibt nun noch die Reise aus dem Jahre 1850 nachzutragen, welche mit den übrigen in weniger engem Zusammenhang steht. Während heutzutage die Hochtouristen, welche dem Wallis zueilen, in kür- zester Zeit mit der Eisenbahn über Lausanne in das Herz des Hochgebirges gelangen, ging damals die Sache nicht so einfach. Ulrich wählte jedesmal einen neuen Paßübergang aus dem Kanton Bern ins Wallis und hat auf diese Weise alle diese Pässe, die damals irgendwie in Betracht kommen konnten, von der Grimsel bis zum Sanetsch begangen, so auch ( 1852 ) den vorher noch nie betretenen Geltengrat, der zwischen Rawyl und Sanetsch von Lauenen ins Thal der Morge führt. Diesmal kam der Lötschenpaß und das Lötschenthal an die Reihe und dann sollte, als Hauptaufgabe, der Kamm, welcher das Saasthal vom Simplon scheidet, überschritten werden. Zuvor lockt das schöne Wetter zu einer Besteigung des Westgipfels des Monte Leone, welche vom Hospiz aus mit gutem Erfolg ausgeführt wird. Auch der Hauptzweck gelingt. Über Zwischbergen und den Portiengrat ( heute Zwischbergenpaß genannt ) wird das Saasthal erreicht. Auf dem Heimwege mußten die stolzen Diablerets bezwungen werden, vermittelst einer Traversierung von Creux de Champ ( Ormond ) über den Zanfleuron-Gletscher nach dem Sanetsch und Gsteig.

An der Reise über den Allalinpaß ( 1847 ) hatten auch Pfarrer Heinrich Schoch ( Dielstorf ) und Antiquar Siegfried von Zürich teilgenommen, der letztere auch an der vorhin skizzierten Reise des Jahres 1850.

Am Schlüsse des letzten Aufsatzes über das Wallis schreibt Ulrich, daß seine Mitteilungen über das Wallis für einmal geschlossen seien. Was er wollte, das war in den Hauptzügen erreicht, d.h. eine möglichst genaue Darstellung der topographischen Verhältnisse in den südlichen Thälern. In einer spätem Schrift: „ Die Seitenthäler des Wallis " kommen auch die vorher nicht geschilderten Thäler zur Behandlung, aber ohne daß von den durchreisten Gebieten viel Neues gesagt wäre. In den verschiedenen Aufsätzen, welche die „ Berg- und Gletscherfahrten " enthalten, sind dann freilich mit Rücksicht auf die Leserwelt viel mehr Einzelheiten über die persönlichen Erlebnisse niedergelegt, während die topographische Seite eher in den Hintergrund tritt.

Nachdem so eines der erhabensten Gebiete der Alpen durch mehrjährige Reisen erforscht war, wandte sich Ulrich neuen Aufgaben zu, deren Erfüllung ihm auch örtlich näher lag.

Von Zürich aus gesehen, sind es neben anderen markanten Berggestalten besonders der Glärnisch und der Tödi, welche das Auge fesseln, der erstere durch sein breites, mächtiges Massiv, der letztere durch seine einfachen, schönen Linien, welche ihm in Vereinigung mit der Höhe das Gepräge feierlichen Ernstes geben. Oft, wenn an schönen Sommerabenden das Alpenglühen erloschen ist und eine fahle Blässe über den Kranz der Gebirge sich gelegt hat, sehen wir noch die höchste Spitze des Tödi von der scheidenden Sonne erleuchtet. Ein letztes Aufblitzen der Strahlen und auch dieser König der Berge wird bezwungen und von den Geheimnissen der Nacht eingehüllt. Es ist kein Zweifel, daß diese Erscheinung schon in frühen Zeiten auf viele Herzen, welche für die Schönheiten der Natur empfänglich waren, einen tiefen Eindruck ausübte. Kein Wunder, daß der Tödi in verhältnismäßig entlegener Zeit das Ziel kühner Bergfahrer gewesen ist, umsomehr, als in den früheren Zeiten das Streben dahin ging, in erster Linie die höchsten Berge zu besteigen. Um die Besteigung des Tödi hat sich außer dem ersten Pionier Placidus a Specha hauptsächlich der Zürcher Staatsrat Hegetschvveiler die größten Verdienste erworben, indem er in vier Versuchen, von denen der erste ins Jahr 1819 fällt, die Kenntnis der einzuschlagenden Route wesentlich förderte. Erst im Jahr 1837 wurde der Tödi nachweisbar durch einige Führer, zuerst allein, dann bei einer zweiten Besteigung auch durch Herrn von D lirler bezwungen. Es ist der gleiche Herr v. Dürler, welcher später am Ütliberg den Tod fand, indem er bei einem Spaziergang im Winter an einer abschüssigen, mit Eis überzogenen Stelle ausglitschte.

Schon im Jahre 1831 war Ulrich bei Gelegenheit eines Aufenthaltes im Stachelbergerbade, wo er immer gerne verweilte, über die Pantenbrücke hinaus zur unteren und oberen Sandalp vorgedrungen, offenbar nur um für einmal zu rekognoszieren. Ein ernstlicher Versuch sollte im Jahre 1834 gemacht werden. Mehrere Hirten aus Linthal hatten behauptet, daß ihnen eine Besteigung von der Ruseinalp gegen den Stock -gron hin gelungen sei. Ulrich wollte nun in Begleitung der Herren H. C. Hardmeier und Zeller-Horner auf diesem Wege sich auf den Tödi führen lassen. Die Ruseinalp war über den Sandgrat bereits erreicht, da trat schlechtes Wetter ein, welches jeden Versuch vereitelte. Am Schlüsse des Berichtes heißt es: „ So endigte diese Expedition auf den Tödi, bei welcher indessen die Führer den Vorteil hatten, daß sie nicht von ihren falschen Angaben überführt wurden. " Diese Expedition wäre aber für den geistigen Leiter derselben beinahe verhängnisvoll geworden: Beim Abstieg vom Sandgrat gegen die Ruseinalp gelangten sie zu einem steilen Schneefelde mit hartem Schnee. Ulrich glitschte aus und riß einen Führer mit. Während dieser, durch die Spitzen des Räfes von hinten gehalten, sich bald wieder aufrichten konnte, schoß Ulrich schnell in die Tiefe und rutschte in ein paar Minuten über die Schneehalde hinunter, die, wie er selbst sagt, am besten mit der Faletsche am Ütliberg verglichen werden kann. Zum Glücke flachte sich der Schnee nach und nach aus, so daß ein Anhalten möglich wurde. Diese Rutschpartie muß auf die Begleiter einen unvergeßlichen Eindruck gemacht haben.

Volle 19 Jahre verstrichen, bis Ulrich eine neue Expedition unternahm ( 1853 ), diesmal in Begleitung der Herren G. Studer in Bern und Antiquar Siegfried. Eine Besteigung des Reiselstockes ( Grieset ) vom Stachelbergerbad aus diente als Vorübung. Der Angritf auf den Tödi selbst war mit einem vollständigen Sieg gekrönt. Sowohl Ulrich als Studer schreiben, daß bei dieser Expedition zum ersten Male die eigentliche Spitze des Tödi ( Glarner Tödi ) erreicht worden sei, indem Dürler und seine Führer, Thomas Tb ut und Gabriel Vögeli, nach der Aussage dieser selbst nur bis zum obersten Plateau gelangten.

Kaum war dieser Sieg errungen, so sollte auch eine andere, nahe gelegene Festung erstürmt werden. „ Von den drei Gipfeln des Glärnisch, schreibt Ulrich, sind der Rüchen und der Bächistock schon öfters erstiegen worden, und sollen nicht bedeutende Schwierigkeiten darbieten. Anders verhält es sich mit dem Vrenelisgärtli. " Er meint ferner, dieses lasse sich nicht wohl vom Rüchen her vermittelst des Furkeli erreichen, sondern sei nur von Süden her zugänglich. Am 12. August 1854 führten Ulrich und Studer mit Madutz die Besteigung des Vrenelisgärtli aus, indem sie in ziemlich direkter Linie von der Guppenalp aus emporkletterten. Diese Tour scheint eine der unangenehmsten gewesen zu sein von allen, welche Ulrich ausgeführt hat. Der Ruhm der ersten Besteigung des Vrenelisgärtli ( 1848 ) gebührt Herrn Antiquar Siegfried.

Beim Abstieg über die steilen Felssätze vom Gipfel auf den Guppenfirn hatte Ulrich das linke Knie derart verletzt, daß für einige Zeit die Berge im Stiche gelassen werden mußten.

Endlich in den Jahren 1858 und 1859 konnte ein neues Ziel, das ins Auge gefaßt worden war, verfolgt werden, die Erforschung des Cla-riden- und Hüfl-Gebietes. Johannes Madutz und Thomas Thut waren die einzigen Begleiter. Sie zogen von Linthal über den Kammerstock, welcher als Orientierungspunkt diente, zur Bärenbodenalp und am Tage darauf über den Gemsfayrenstock auf den Claridengletscher und über Altenoren zurück. Da durch diese Exkursion nur der östliche Teil des Clariden-zuges klar geworden war, so mußte im folgenden Jahr auch die westliche Verzweigung erforscht werden. Auf der Sandalp trat schlechtes Wetter ein. Es lag nun nicht in der Natur Ulrichs, unthätig zu warten, bis das Wetter sich bessern würde oder auch nicht, sondern rasch entschlossen übersteigt er den Sandgrat, um nach Disentis und von dort über den Kreuzlipaß und das Etzlithal nach Bristen zu gelangen und das Unternehmen von jener Seite in Angriff zu nehmen. Unter der geschickten Führung des Urners Frei erreichte Ulrich mit seinem Jüngern Sohne und den zwei Glarner Führern sein Ziel. Am 18. Juli 1859, vormittags 4 Uhr, verließen sie Bristen und trafen abends 9 Uhr ohne Unfall bei den Sennen in der unteren Sandalp ein. Für uns Zürcher ist es interessant zu erfahren, daß Hegetschweiler schon im Jahre 1822 den Claridenfirn zwischen Altenoren und der oberen Sandalp begangen hat, und daß Zeller-Horner der erste war, der im Jahre 1835 die Firnhöhe zwischen dem Clariden-, Sand- und Hüfifirn erreichte * ).

Eine eingehende Schilderung dieser Touren findet sich in dem Neujahrsblatt der Naturforschenden Gesellschaft auf das Jahr 1860. „ An die zürcherische Jugend " stand damals auf dem Titelblatt jener Neujahrs-blätter. Diesem Zweck angemessen ist die Beschreibung gehalten. Was dort in der Einleitung über die Vorbereitungen zu den Bergreisen, Über die Ausrüstung und Ernährung gesagt wird, kann auch heutzutage gelten. Zuverlässige Führer, ein Bergstock, starke Schuhe und auf Gletschern ein Seil sind Grundbedingungen zum guten Gelingen einer Reise, denen daher eine ausführliche Darstellung gewidmet wird. Ein mäßiges Quantum roten Weines und Kirschwasser mit Zucker waren damals die unentbehrlichen Vertreter der Alkoholika, die nun heutzutage von vielen auch für Reisen als durchaus überflüssig bezeichnet werden. Unter den Speisen ist so ziemlich alles aufgeführt, was man bequem mittragen kann. Damals pflegten eben nur solche Leute auf die Berge zu steigen, die einen guten Magen hatten, und die Wanderer richteten ihre Exkursionen von vornherein vernünftig ein. Es wurden keine Hetzjagden veranstaltet, deshalb konnten sie, auf der Höhe angelangt, mit körperlichem Wohlbehagen den Lohn für die Strapazen genießen. Ulrich pflegte sich, wenn er eine Bergspitze erobert hatte, mit Vorliebe eine Cigarre anzuzünden.

Das Neujahrsblatt gehört auch aus dem Umstände zu den bemerkenswertesten Schriften Ulrichs, weil er in der Einleitung und am Schluß über den Wert des Bergsteigens spricht. „ Gehört es doch zu den schönsten Genüssen, in der reinen Luft der Berge sich zu erlaben und von ihren hohen Zinnen in die Flächen hinunter zu blicken, und über Seen und weite, mit zahlreichen Dörfern und Städten überdeckte Ebenen und Hügelreihen den Blick streifen zu lassen. Noch erhabener ist der Genuß, wenn die Thäler vor unsern Blicken verschwinden und wir in das stille Gebiet der Hochalpen uns versetzt sehen, einzig von Felsen und Eis umgeben, wo nur das Tosen der Gletscherbäche und der Sturz der Lawinen die Stille der Natur stört, und wir mitten unter den mit Eis belasteten Berggipfeln uns über die ganze Welt erhaben fühlen. Ein solcher Ausflug in die Hochalpen stärkt Geist und Körper und verleiht neue Kräfte für die Arbeiten des Alltagslebens. Übrigens sind solche Gletscherwanderungen nicht Sache der unreifen Jugend. Es bedarf dazu einer Ausdauer und nachhaltigen Kraft, wie sie erst in den reifern Jahren sich ausbildet. Dagegen kann man sich in Jüngern Jahren auf solche Wanderungen vorbereiten, von den leichtern zu schwerern fortschreiten und nach und nach in der Besiegung der vorkommenden Schwierigkeiten eine solche Übung erlangen, daß man ohne Gefahr, aber natürlich nur in Begleit von ganz zuverlässigen Führern, sich auch an schwierigere Partien machen kann. Dabei erwartet uns ein Genuß, der zu den schönsten gezählt werden darf, die der Mensch auf dieser Erde sich verschaffen kann. " Wenn diese vernünftigen, schönen Worte immer beherzigt würden, manches Unglück würde weniger geschehen, und häufiger könnten die Berggänger jenen edeln Genuß empfinden.

Es ist nach den bisherigen Ausführungen leicht zu begreifen, daß Ulrich bei der Gründung und Entwicklung des Schweizer Alpenclub eine hervorragende Stellung einnahm. In Zürich wurde zwar die Sektion Uto erst gegen Ende des Jahres 1863 gegründet, nachdem schon am 19. April der S.A.C. ins Leben getreten war. Aber Ulrich hatte in Begleit von Zeller und Müller bereits am 16. Mai in Aarau eine Zusammenkunft mit Studer, zu welcher offenbar die Gründung des S.A.C. Anlaß bot. Es heißt in einem Jahresbericht, daß am 19. April 1865 der früher etwas lockere Verband, welcher unter den Mitgliedern geherrscht hatte, enger angezogen worden sei und die Sektion Uto sich definitiv konstituiert habe. Zum Präsidenten wurde Prof. Ulrich gewählt und er blieb in dieser Stellung, bis ihm 1866 die größere Ehre zu teil wurde, als Centralpräsident dem Gesamtclub vorzustehen. Er bekleidete dieses Amt bis 1869. Als am 29. Februar 1872 der langjährige Präsident der Sektion Uto, Herr Siber-Gysi, starb, übernahm Prof. Ulrich neuerdings die Leitung der Geschäfte, aber nur für kürzere Zeit. Trotz des vorgerückten Alters hat er an den Bestrebungen des Vereins den lebhaftesten Anteil genommen. In den ersten Jahren machte er die Sektionstouren fast ohne Ausnahme mit. Man begnügte sich freilich in der Regel mit Rundtouren im Kanton herum, so finden wir nachstehende Touren verzeichnet, die alle bei Prachtwetter, wie der Bericht ausdrücklich notiert, ausgeführt worden sind: Im Jahre 1865 Schnebelhorn ( 30. April ), eine Tour, bei welcher volle 121/a Stunden auf die Fußwanderungen fielen, Hohe Rhone und Gottschalkenberg ( 28. Mai ), Ütliberg ( 28. Juni ), Ütliberg-Sihlbrücke ( 24. September ); im Jahr 1866 Irchel ( 3. Juni ), Rooterberg ( 15. Juli ); im Jahr 1867 Schänniserberg ( 30. Juni ) und 1868 Etzel, Schönboden ( 6. Juni ).

Im Dienste des Schweizer Alpenclubs führte Ulrich in den Jahren 1867—1869 drei größere Alpenreisen im Wallis aus. Als Centralpräsident hatte er die Aufgabe auf sich genommen, die verschiedenen Exkursionsgebiete, die in die Zeit seines Präsidiums fielen, selbst zu bereisen, und es war ihm so die gewünschte Gelegenheit geboten, jene geweihten Stätten, wo er 20 Jahre zuvor seine Entdeckungsfahrten begonnen hatte, nochmals zu schauen.

Beim Durchgehen dieser Berichte muß man in der That staunen, mit welcher Rüstigkeit Ulrich, der nun schon gegen die 70 Jahre rückte, seine Aufgabe erfüllt hat. Daß er es an Gewissenhaftigkeit nicht fehlen ließ, kann bei seinem Charakter von vornherein nicht in Frage kommen. Außer den Führern begleiteten ihn auf diesen Forschungsreisen einigemal die Herren Anton von Torrente, Forstinspektor, Professor Otto Wolft " und Rafael Ritz aus Sitten. Die zweite Reise machte auch Herr Siber-Gysi aus Zürich mit.

Gehen wir nun in schnellem Gedankenflug den damals durchforschten Pfaden nach. Im Jahre 1867 wurden von Evolena aus die nach Osten gelegenen parallel laufenden Thäler und Höhenzüge bis nach St. Nikiaus durchquert, über den Col Torrent, den Pas de la Forcletta und den Augstbordpaß. Von dem ersten und dritten dieser Pässe aus wurden der Sassenaire ( 3259 m ) und das Schwarzhorn ( 3207 m ) bestiegen. Auf dem letztern, sowie vorher in Zinal, traf Ulrich mit dem Präsidenten des englischen Alpenclubs, Herrn Leslie Stephen, zusammen. Von St. Nikiaus drang er dann noch in die Eiswelt des Monterosagebietes ein, begnügte sich aber mit dem Stockhorn und der Cima di Jazzi.

Im folgenden Jahre sollte die große Tour vom Hintergrunde des Bagnethales über die Gletscher nach Zermatt ausgeführt werden. Das Bagnethal wurde von Sitten aus über Vex, die Sittener Maiensässe, das Val Nendaz und den Col Louvi erreicht. Ein Übergang über den Col de Fenêtre schlug infolge schlechten Wetters fehl, um so besser fiel die Tour über den Otemmagletscher und den Glacier Zigiore nouve nach Arolla aus.

Von hier marschierte die Expedition gleich am folgenden Tage über den Glacier Vuibez, Col de Collon, Col du Mont Brulé, Col Val Pelline und das Stockje nach Zermatt. Fünfzehn Stunden waren die Reisenden auf dem Wege, die Ruhepausen nicht eingerechnet. Vom Stockje bis Zermatt brauchten sie beinahe 6 Stunden, was wohl zum Teil daraus zu erklären ist, daß sie von der Nacht überfallen wurden. Um 5 Uhr morgens waren sie aufgebrochen, nachts 11 Uhr langten sie in Zermatfr an. Im Monterosagebiet beschränkte man sich auf den Gornergrat, dagegen sollte ein Problem ausgeführt werden, das von den altern Walliser Reisen her noch rückständig geblieben war. Ulrich hatte damals den Gassenried-, Allalin- und Adlerpaß, ja sogar das Weißthor glücklich überschritten, vor dem Begehen des Alphubeis, d. fa. des Alphubeljoches, war er gewarnt worden. Jetzt, zwei Decennien später, wurde auch diese Lücke glücklich ausgefüllt. Eine weitere Querfahrt führte von Saas über den Simelipaß ins Nanzthal und über den Siervoltenpaß nach Simpeln. Ein Ausflug nach den italienischen Seen und dem Monte Generoso schloß die interessante Reise.

Von anderer Art war die Expedition des Jahres 1869, welche der Erforschung eines eng umgrenzten Gebietes galt. Gegen früher hatten sich die Verhältnisse gewaltig geändert. Um das Wallis zu erreichen, wählte man jetzt, falls die Zeit zusammengehalten werden mußte, nicht mehr die Pässe vom Berneroberland aus, sondern den Weg mit der Eisenbahn, welche in jenem Jahre bereits bis Siders reichte. Bevor Ulrich an seine eigentliche Aufgabe herantrat, benutzte er in Brieg die Gelegenheit, die Bellalp und das Eggischhorn zu besuchen, damit er von dort aus schon einen Überblick über das Exkursionsgebiet erhalte. Als solches war das Biunenthal bestimmt. Die Erforschung wurde mit einer Energie ausgeführt, die ihresgleichen sucht. An vier aufeinander folgenden Tagen überschritt der rüstige Greis je einen der vier Pässe, welche das Binnenthal mit Italien verbinden. Über den Albrunpaß gelangte er nach Ca-delago und zur Alp Devero, dann über den Geißpfadpaß wieder nach Binn zurück, nun neuerdings ins Italienische über den Ritterpaß und den Passo del Alpetta nach Bondoler und über den Kriegalppaß zurück. Das sind Leistungen, die wir hoch anschlagen müssen; sie erscheinen noch um so größer, wenn wir berücksichtigen, daß die Unterkunft, namentlich in den italienischen Alphütten, eine unanmutige war. Aber Ulrich achtete dessen nicht. Er stand im Dienste des Schweizer Alpenclubs, und als dessen getreuem Pionier war ihm die Erfüllung seiner Pflicht das erste Gebot. Vom Binnenthal aus bestieg er dann noch das Bettlihorn, den Schweifengrat und andere Höhen, und über das Blinnenthal kehrte er in das Rhonethal zurück. Damit hatten die Walliser Reisen ihren Abschluß erlangt.

Die Resultate dieser Forschungsreisen wurden in den drei Ttinerarien verwertet, welche aus Ulrichs Feder herrühren: 1. Vom Col de Colon bis zum Lyskamm 1868: 2. vom Lyskamm bis zum Monte Leone 1869; 3. das Binnenthal 1870. Die Itinerare sind sehr kurz und knapp gehalten, aber ein umfassendes Material, zum großen Teil aus eigener Anschauung gewonnen, ist hier auf einen kleinen Raum zusammengedrängt, und als Übersicht über das behandelte, oft recht verwickelte Gebiet dürften diese Itinerare heutzutage noch vortreffliche Dienste leisten. In den Jahrbüchern IV—VI finden wir denn auch, abgesehen von den interessanten Jahresberichten oder Chroniken, insbesondere die Berichte über die Fahrten im Exkursionsgebiet, so fürs Jahr 1867: Vom Grand Combin bis Mont Colon ( Jahrbuch IV, 569—599 ); für 1868: Vom Mont Colon bis Lyskamm ( V, 668—703 ), und für 1869: Vom Lyskamm bis Monte Leone ( VI, 509—527 ).

Als Centralpräsident entwickelte Ulrich auch nach andern Seiten hin eine rege Thätigkeit. Zu wiederholten Malen reiste er nach Bern, um persönlich mit dem topographischen Bureau in betreif der Exkursionskarten zu unterhandeln und den Fortgang in den Arbeiten zu überwachen. Er veranstaltete Konferenzen bald in Bern, Basel oder anderswo, in denen neben den Geschäften, welche dem Club gewidmet waren, auch die freundschaftlichen Beziehungen der Sektionen und Mitglieder untereinander gefördert wurden.

Insbesondere ist zu erwähnen, daß er im Jahre 1868 die Initiative ergriff, damit den Wasserbeschädigten auch durch den S.A.C. Hülfe geleistet werde.

Von wichtigeren Bergreisen haben wir noch zwei Touren ins Bündnerland aus den Jahren 1862 und 1863 nachzutragen. Die erste bewegte sich hauptsächlich im Berninagebiete, und es wurden die gewöhnlichen Touren ausgeführt: Piz Languard, Diavolezza, Forcia Fex und andere. Die zweite setzte sich höhere Ziele.Von Klosters wurde der Übergang über den Silvretta-Gletscher nach Guarda gemacht, und ein kurzer Aufenthalt in Pontresina gab Veranlassung zu einer Besteigung des Piz Morteratsch, und zwar in Begleitung der Herren G. Studer und Abi. Ein eingehender Bericht über diese zwei Touren ist in den beiden ersten Jahrbüchern des S.A.C. enthalten. Auch das Gotthardgebiet wurde in zwei aufeinanderfolgenden Jahren noch einmal bereist. So wurden die Fibbia ( 1870, mit Arnold Nüscheler ) und der Pizzo Lucendro und Pizzo Centrale ( 1871 ) bestiegen.

Das waren die letzten größeren Bergtouren in den Alpen. Freilich die Liebe zu den Bergen blieb unerschütterlich, und mehrmals noch trieb den Unermüdlichen die Sehnsucht in seinem hohen Alter, jene Pfade wieder aufzusuchen, die er einst in der Vollkraft seiner Jahre gewandelt war. Im Jahr 1878 ging er noch bis zur Pantenbrücke hinauf, wo früher die Welt für gewöhnliche Leute aufgehört hatte, und machte den Übergang über das Richetli nach Elm. Und einige Jahre später ( 1880 ) sehen wir ihn nach Altenoren und zur Gamsalp emporsteigen. Auch andere Ausflüge wurden von Stachelberg oft ausgeführt. Im übrigen kamen jetzt die kleinern Berge an die Reihe, welche früher in den Hintergrund getreten waren, so der Mythen, das Stanserhorn, der Frohnalpstock, dann im Kanton herum der Schauenberg, der Gottschalkenberg und mit besonderer Vorliebe der Pfannenstiel und die Lägern. Hie und da wurde ein längerer Aufenthalt gemacht, unter anderm in Obstalden, auf dem Gurnigel und in Baden. Längere Zeit an einem Orte zu bleiben, war sonst nicht eine Liebhaberei des Freundes weiter Reisen gewesen, man kann daher annehmen, daß eine vier Wochen dauernde Kur in Kissingen, die ins Jahr 1861 fällt, nur auf dringendes Anraten der Ärzte ausgeführt worden sei.

Wir hätten noch von manchen Reisen ins Ausland zu berichten, nach Paris und Lyon ( 1859 ), nach Leipzig und andern bedeutenden Städten Deutschlands ( 1864 ). Bemerkenswerter ist eine Fahrt mit der Gotthardbahn nach Mailand und den italienischen Seen im Jahre 1882.

Obschon Ulrich von jeher ein rüstiger und leidenschaftlicher Fußgänger gewesen war, so verfolgte er doch die Neuerungen im Verkehrswesen mit großem Interesse. Er erwähnt ausdrücklich, daß er im Jahre 1835 zum erstenmal eine Dampfschiffahrt auf dem Zürichsee mit dem Schiff „ Minerva " ausgeführt habe, und an den Einweihungsfeierlichkeiten der Eisenbahn Zürich-Baden ( 1847 ) und der Reppischbahn ( 1864 ) nahm er persönlich teil. Er scheint auch den Bergbahnen durchaus nicht abhold gewesen zu sein, wenigstens machte er noch im Jahre 1887 mit der Technischen Gesellschaft einen Ausflug nach Alpnachstad, um die Arbeiten an der Pilatusbahn in Augenschein zu nehmen.

Zu jeder Zeit hat Ulrich gerne Verwandte mit auf seine Reisen genommen, besonders in den spätem Jahren, und schloß sich oft den Ausflügen der Gesellschaften an, denen er zugehörte, so der Künstlergesellschaft.

Eine Menge kleinerer Reisen ins Berner Oberland, nach der Urschweiz, in den Schwarzwald ( Höhenschwand etc. ) habe ich nicht erwähnt. Viele wird es aber noch interessieren, zu vernehmen, daß Ulrich schon im Jahre 1853 die Göscheneralp besucht hat.

Bis in die letzten Jahre nahm Ulrich regen Anteil an der Entwicklung der Sektion Uto und des S.A.C. In seinem Tagebuche finden wir ausführliche Schilderungen über die Einweihungsfeier der Orientierungstafel auf dem Ütliberg ( 20. Januar 1877 ) und andere Anlässe, welche zum Teil in den Protokollen der Sektion Uto nicht verzeichnet sind, weil aus dem ersten Decennium derselben keine solchen existieren. Selbst die Sitzungen der Sektion Uto besuchte er noch lange, wenn auch mit immer längeren Zwischenpausen. Es paßte ihm nicht mehr, daß die Sitzungen etwas spät und nicht pünktlich anfingen. Zum letztenmal sahen wir ihn in der Sitzung vom 14. März 1890.

Wo immer es anging, wurden die Jahresfeste des S.A.C. besucht, so dasjenige in Bern ( 1883 ), bei welchem Anlaß er mit seinem Freunde G. Studer den Ausflug auf die Rafrüti mitmachte, ferner das Jahresfest in Altorf ( 1884 ) und zuletzt das in Zürich ( 1889 ), bei welchem ihm das Ehrenpräsidium übertragen wurde.

Wir haben die Thätigkeit Ulrichs als Alpenwanderers in kurzen Zügen vorgeführt. Viele mögen einiges, welches dargestellt worden ist, als weniger bedeutend ansehen; man darf aber nicht vergessen, daß ein beträchtlicher Teil dieser Reisen in eine Zeit fällt, in welcher die Berge noch wenig bekannt waren und selten besucht wurden. Es ist kein Zweifel, daß es einer großen Energie bedurfte, um auf jene gefürchteten Eisregionen, die noch kaum eines Menschen Fuß betreten hatte, hinaufzusteigen, und daß an die Entsagung eines Mannes große Anforderungen gestellt wurden, in einer Zeit, da es in den Alpenthälern kaum Wirtshäuser gab, und die Unterkunft überhaupt sehr zu wünschen übrig ließ.

Es möge mir nun gestattet sein, zum Schlüsse die Bedeutung der geschilderten Reisen im Lichte der Gegenwart zu beleuchten. Wenn wir alle dieselben, die in einen Zeitraum von mehr als 60 Jahren fallen, überblicken, so fällt uns gleich die große Mannigfaltigkeit auf. Die Berge und die Landschaft der Ebene mit den Städten werden, ich will nicht sagen mit gleicher Liebe, aber doch beides aus innerm Bedürfnis und mit Interesse aufgesucht. Für die reiche Abwechslung, welche die Naturbilder unserer Schweiz bieten, besteht ein lebhaftes Verständnis. Die Vielseitigkeit, die wir hier in Ulrichs sonst gemessenem Wesen entdecken, führte dahin, daß er mit der Zeit sozusagen die ganze Schweiz durchsuchte. Als Einschränkung könnte vielleicht geltend gemacht werden, daß das Berner Oberland in Hinsicht auf die Pässe und Thäler zwar sehr oft das Ziel kleinerer oder größerer Reisen gewesen ist, aber nennenswerte Hochtouren wurden dort keine oder nur ganz wenige ausgeführt, vielleicht weil Ulrich nicht in Gebiete eingreifen wollte, welche andere als ihre Domäne betrachten konnten.

Im Anfange wählte er die bekannten Ziele aus, die wir aus dem Anfange dieses Jahrhunderts in Bild und Wort verherrlicht finden, Orte wie der Kigi, die Pantenbrücke, das Appenzellerland, die berühmten Wasserfälle und Gletscher des Berner Oberlandes und andere mehr. Nun war auch schon durch die Aufklärung jener Zeiten der Bann gebrochen, der des Menschen Fuß von den Schrecken des Gebirges fern gehalten hatte; man wagte es, in immer engeren Kreisen um die Berge herumzugehen. Seiner Zähigkeit bewußt, drang Ulrich weiter, mitten hinein in die gefürchtetsten Eiswüsten, und hat so im Verein mit dem Berner Gottlieb Studer das unvergeßliche Verdienst, zur Erschließung der großartigsten Alpengebiete wesentlich beigetragen zu haben. Die Entdeckung der Übergänge über den Saasgrat, die Erforschung des Gletschergebietes im Hintergrunde der südlichen Walliserthäler vom Bagnethal bis zum Saasthal, und der verschiedenen Verbindungen dieser Thäler untereinander, sind Errungenschaften, welche wir der Initiative Ulrichs verdanken. Ihm gebührt auch zum großen Teil der Ruhm, den Beweis geleistet zu haben, daß die Besteigung des Tödi und die Überschreitung des Firngebietes zwischen Lintthal und Maderanerthal keine unüberwindlichen Schwierigkeiten bieten. Er hat mit Hülfe Gleichgesinnter und unter der Leitung verständiger Führer die Wege gebahnt, auf denen nun alljährlich Tausende, in stiller Bewunderung der schönen, gewaltigen Natur, wandeln, ohne der Mühen und Schwierigkeiten zu gedenken, welche den Entdeckern im Wege standen. Diese Verdienste wurden anerkannt und nach Gebühr gewürdigt. Die Sektion Uto ernannte Ulrich am 31. März 1882 zu ihrem Ehrenmitgliede, und die gleiche Ehre wurde ihm am Clubfest zu Altorf im Jahre 1884 zu teil, indem die Generalversammlung ihn zugleich mit G. Studer, Fr. v. Tschudy und Rütimeyer als Ehrenmitglied des S.A.C. bezeichnete.

Ulrich war keineswegs ein Gipfelstürmer, so wenig als G. Studer, obschon dieser bei weitem mehr Gipfel bezwungen hat als Ulrich. Es wäre ihm nach seinen Berichten oft ein Leichtes gewesen, vom Gletscherpaß aus diesen oder jenen Berg zu besteigen. Aber das lag nicht in seiner Aufgabe. Sein Ziel ging dahin, die Topographie in den verwickelten Gebirgssystemen genau zu studieren, und diesem Zwecke dienten die Kreuz- und Querwanderungen eher als ein Überblick von einem Gipfel aus. Die topographische Kenntnis war aber nicht das einzige Ziel, denn beim Tödi war ja diese schon längst gewonnen. Vielmehr sollte auch der Beweis geleistet werden, daß die Eisregionen nicht so unzugänglich seien, wie die Tradition überliefert hatte. Es ist eine Eigentümlichkeit jener Anfänge des Bergsteigens, daß es die Eis- und Firnregionen waren, welche die Clubisten anzogen, und nicht schwierige Felspartien. Sie wollten nicht ihre Kraft an einem kleinen Objekte einseitig vergeuden, sondern große Gegenden kennen lernen und dabei auch genießen.

Ulrich hat seine Reisen sehr zweckmäßig eingerichtet und dürfte heute noch in dieser Hinsicht als Muster hingestellt werden. Am Morgen wird immer bei Zeiten aufgebrochen, die Rasten sind ziemlich zahlreich, werden aber nie zu lange ausgedehnt. Über Verproviantierung, Ausrüstung und Ähnliches ist schon früher gesprochen worden. Da Ulrich auch in gewöhnlichen Zeiten eine vernünftige Lebensweise führte, so brauchte er sich über sein Verhalten im Gebirge nicht lange den Kopf zu zerbrechen, wie es heutzutage nur zu viel geschieht.

Hier mag noch erwähnt werden, daß Ulrich bis in die letzten Jahre regelmäßig im See zu baden pflegte, und zwar bis tief in den Herbst hinein. Auch auf den Touren nahm er oft die Gelegenheit wahr, in einem Bergsee oder Bach ein Bad zu nehmen.

Führerlose Touren unternahm er keine, im Gegenteil, bei schwierigem Fahrten mußten immer zwei Führer mitgehen. Die Hülfsmittel freilich waren noch mangelhaft. Die Gletscherseile hatten eine geringe Länge, und es ist gut, daß ihre Dauerhaftigkeit nicht oft auf die Probe gestellt wurde. An Stelle des modernen Pickels bediente man sich eines kleinern Eishammers. Die Touren wurden nicht forciert, sondern wenn es sein mußte, beugte man sich vor der Gewalt der Elemente. Wenn au Stellen, die nicht gerade sehr schwierig sind, das Seil umgebunden wird, so nannte man das Vorsicht und nicht Furchtsamkeit. Trotz einiger kleiner Unfälle, die Ulrich erlebt hat und die sich bei jenen Anfängen des Bergsteigens leicht entschuldigen lassen, dürfen wir ihm das Lob großer Umsicht vollauf zollen. Stellen wir uns vor, daß damals schon größere Katastrophen sich ereignet hätten, wie leicht würden sie für längere Zeit hemmend auf die Entwicklung des Bergsteigens eingewirkt haben.

In den Reiseberichten, welche Ulrichs Feder entstammen, spiegelt sich sein Wesen vollständig. Alles ist mit einer gewissen Knappheit gehalten. Die persönlichen Erlebnisse treten zurück, dafür werden die topographischen Verhältnisse in einer Weise geschildert, die der verwöhnten Neuzeit nicht mehr mundet. Für jene Zeit waren sie notwendig, und wir dürfen sie mit Recht hoch anschlagen, da sie durchaus zuverlässig sind und der Wissenschaft wichtige Dienste geleistet haben. Die Erzählung ist ungeschminkt, und doch merkt der Leser aus dem bloßen Ton, oft durch ein einfaches Wort, daß aus dem Ganzen eine tiefe Liebe zu den Bergen atmet, und daß alle die Eindrücke einen für die Schönheit der Natur empfänglichen Sinn treffen. Ich erinnere mich, daß neben den überaus anziehenden und farbreichen Schilderungen Weilen -tnanns die strenge Art, welche Ulrichs Schreibweise eigen ist, stets einen mächtigen Eindruck in mir hinterlassen hat. Übrigens konnte er auch warm werden. Man lese z.B. nach, wie die Aussicht vom Tödi geschildert wird, oder der unerwartete Ausblick, den man vom Zwisch-bergenpaaus genießt.

Ich kann meine Betrachtung nicht schließen, ohne auch der vielen freundschaftlichen Bande zu gedenken, welche Ulrich mit geistesverwandten Männern nah und fern verbunden haben. Mit Bergsteigern des Auslandes verkehrte er weniger, nähere Beziehungen hatte er zu dem bekannten Panoramazeichner Steudel aus Ravensburg, welchen er bisweilen besuchte. Dafür schloß er sich enger an seine Freunde und Mitarbeiter in Zürich und der übrigen Schweiz an, von denen ich jetzt nur Gottlieb Studer, Weilenmann, Müller-Wegmann, Zeller-Horner erwähne. Insbesondere pflegte « r die Freundschaft mit G. Studer in rührender Treue; so ließ er es sich nicht nehmen, im August 1884 nach Bern zu reisen, um seinen langjährigen Freund bei dessen 80. Geburtstag persönlich zu begrüßen. Wahre Lichtblicke für den greisen Mann waren die Zusammenkünfte der Clubveteranen, die fast alle Jahre in Ölten oder Aarau sich vereinigten, um ihrer gemeinsamen Arbeit im Dienste des S.A.C. sich zu erinnern und an der treuen Freundschaft sich zu erwärmen. Bern sandte in der Regel ein großes Kontingent: Studer, Lindt, Stuber, Abi, Kernen, Fellenberg. Basel war hauptsächlich durch Hoffmann, Stäheli, Raillard vertreten. Aus Zürich erschienen Ulrich, Müller, Zeller, Bucher, denen sich einmal Güßfeldt als Gast anschloß. Auch Freuler aus Ennenda und andere könnten genannt werden. Gewöhnlich wurde mit dieser Vereinigung eine kleinere oder größere Tour in den nahen Jura verbunden, auf die Gislifluh, Wasserfluh, Frohburg, das Sälischlößli, den Wiserberg oder Bölchen.

Wir dürfen diese Pflege treuer Freundschaft auch als einen Lichtblick in unserm Alpenclub betrachten. Sie hat viele Früchte gezeitigt, welche wir jetzt froh genießen; sie soll der jungen Generation ein Sporn sein, in gleicher Weise zusammenzuhalten, wo die Bestrebungen des Alpenclubs auf dem Spiele sind. Diese Tradition edler Freundschaft sollen wir als ein Vermächtnis heilig wahren, jetzt, wo von den Veteranen einer nach dem andern von uns scheidet, damit wir uns unserer Vorgänger als würdig erweisen.

Wohl haben die Alpenwanderungen eine Ausdehnung erlangt, die alle Erwartungen übersteigt, eine Flut von Karawanen strömt alljährlich durch die Thäler in das Hochgebirge ein, wenige Gipfel haben ihre Jungfräulichkeit bewahrt, und wo selbst im fernsten Weltteile ein Hochgebirge entdeckt wird, so eilen ihm kühne Eroberer zu. Überall entstehen Alpenvereine, und in die breitesten Schichten der Völker wird die Begeisterung und Liebe zu den Bergen gepflanzt. Die Schilderungen von Bergtouren sind zu einer Flut angewachsen, die kaum mehr bewältigt werden kann; Bilder, Panoramen und Karten sind durch die Bestrebungen der Alpenvereine zu einer hohen Blüte gefördert worden, und die Wissenschaften, die das Gebiet der Alpenkunde berühren, werden nicht nur von Fachleuten, sondern auch von Laien eifrig gepflegt. Das alles ist recht erfreulich, und es ist erhebend, zu sehen, wie im großen und kleinen mit Energie und Begeisterung dem einen Ziele zugestrebt wird. Aber mit der quantitativen Verbreitung der alpinen Bestrebungen hat die Tiefe der Auffassung nicht immer Schritt gehalten, und manche Auswüchse, welche durch ein falsches Streben in That und Wort zum Ausdruck gebracht worden sind, müssen wir bedauern.

Wie wohlthuend ist es dann, wenn der Blick von maßlosen Ausschreitungen mit Unwillen sich abwendet, Erholung zu suchen in den schlichten Erzählungen jener ehrwürdigen Männer. Ihre Ziele waren edel, das Streben kühn, aber die Ausführung von weiser Vorsicht getragen, welche die Grenzen des Könnens sicher abmißt, und die Berichte tragen den Stempel einfacher Wahrheit. Mit einem Wort, im ganzen Thun und Trachten dieser Männer steckt ein gesundes Wesen, und auf diesem beruhen die Wurzeln der starken Kraft, welche unsern Alpenclub begründet und auf lange Dauer lebenskräftig gemacht hat.

 

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