Spuk am Mont-Soleil
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Spuk am Mont-Soleil Ein Schneeschuhbummel im Jura

Gespenstisch, wenn es aus dichten Nebelschwaden ächzt und stöhnt. Der Sound gewaltiger Windräder wird von den Baumhainen geschluckt, die den Höhenrücken des Mont-Soleil in eine Parklandschaft verwandeln. Wie gemacht für Schneeschuhtouren.

Winterzauber zu erleben, auch dann, wenn wenig Schnee liegt, das funktioniert am Mont-Soleil. Zur klirrenden Kälte gesellt sich der Windchill hinzu. Mächtige Nadelbäume, die wie Kathedralen in den Himmel ragen, zeigen sich eisverkrustet. Manchmal stehen sie einzeln und dann wieder in Hainen. Ein Märchenwald in Puderzucker. Man kann sich kaum sattsehen. Aber die Kälte zehrt. Sie dringt in jede Ritze. Die Kleider am Körper knarren und knirschen bei jeder Bewegung, wie bei einem Zombie. Ebenso unheimlich tönen die Windräder. Rund 100 Meter ragen sie in den Himmel. Furchteinflössend. Wenn uns bloss kein Eisfall von den mächtigen Rotorrädern trifft. Wir halten gebührenden Abstand zu den Windturbinen, die sich auf dem Höhenzug der Montagne du Droit verteilen. Immer wieder eröffnen sich prächtige Blicke in die Weite. Die Landschaft verströmt einen Hauch Freiheit, was sich auch in ihrem Namen verankert: Freiberge.

Frei und fromm

Schon die Anreise fängt gut an. Die Landschaft immer leerer. Ein paar verstreute Einzelhöfe, hie und da ein Dorf. Dann, als würde man am Ende der Welt entlassen, Station La Chaux-d’Abel. Der Zug rauscht weiter, und wir stehen mitten in der Pampa.

«Die Freiberge sind Urlandschaft. Der Jura singt hier das epische Lied der Unendlichkeit. Von einem Weltende zum andern streichen die niedrigen Kämme, scheinbar ziellos und endlos in ewiger Wiederholung der Motive», beschrieb es der Journalist Siegfried Streicher 1949 in der Monatszeitschrift DU. Als Freiberge wird ein 200 Quadratkilometer grosses Plateau auf rund 1000 Metern Höhe zwischen dem Doubs-Tal und dem Vallon de St-Imier bezeichnet. Seine Weite gibt viel Raum, genau richtig für ausgedehnte Schneeschuhtouren. Südöstlich wird das Plateau von der Montagne du Droit begrenzt – einem Höhenrücken, der nordöstlich im 1268 Meter hohen Mont Crosin und südwestlich im 1291 Meter hohen Mont-Soleil kulminiert. Seit 2001 zählt er zum Naturpark Chasseral. Es ist ein einmaliger Aussichtsbalkon, der sich mit der Standseilbahn vom Uhrenstädtchen St-Imier aus auch ohne Anstrengung erreichen lässt. Wir aber wollen ihn über seine gemächliche Nordwestseite ersteigen. An der Bahnstation ziehen wir unsere Schneeschuhe an und stapfen ostwärts, auf eine Anhöhe zu, auf der ein einsames Haus thront: das Hôtel de la Chaux d’Abel. Man würde sich nicht wundern, hier eine Kutsche vorfahren zu sehen.

Die Freiberge wurden auch zur Heimat der Mennoniten und Wiedertäufer, Gruppierungen, die sich im 16. Jahrhundert von den Reformisten separierten. Unter anderem, weil sie die Kindertaufe und jegliche Gewalt, also auch den Militärdienst, ablehnten. Über Jahrhunderte gejagt, gefoltert oder gehängt, fanden viele Zuflucht in abgelegenen, einsamen Gebieten. Auf den Jurahöhen, versprach dazumal der Bischof von Basel, könne er den Mennoniten Sicherheit garantieren. Über 30 Jahre wurde auch das Hôtel de la Chaux d’Abel von Mennoniten geführt.

Der Energieberg

Die rauen Höhenwinde macht man sich an der Montagne du Droit zunutze: 16 Windräder bilden hier den grössten Windpark der Schweiz. Der Strom von jährlich rund 70 Millionen Kilowattstunden versorgt an die 21 000 Haushalte. Auch die Sonne bleibt nicht ungenutzt: Eine Fotovoltaikanlage am Mont-Soleil – nomen est omen – sammelt Energie für 120 Haushalte. Ein Energielehrpfad (Sentier des Monts) verbindet den Mont-Soleil und den Mont Crosin der Krete entlang. Wir schwenken immer wieder weit ins Gelände aus, das durch die «pâturages boisés», die sogenannten Wytweiden, mit ihren Solitärtannen wie eine Parklandschaft wirkt – einmalig und nur im Jura zu finden. Endlose Trockensteinmauern fädeln sich hindurch. Ewig könnten wir so wandern.

 Praktische Infos

Die Freiberge eignen sich hervorragend für Schneeschuhtouren auf eigene Faust oder auf ausgeschilderten Routen. Ein praktisches Faltblatt mit Übersichtskarte liegt in den Tourismusbüros vor Ort auf.

Haltestelle La Chaux-d’Abel (995 m)–Mont-Soleil (1291 m)–Mont Crosin (1268 m)–Les Breuleux (1020 m)

Eckdaten: WT2, 6 h 30, ↗ 420 Hm, ↘ 390 Hm

Route: Von der Bahnstation La Chaux-d’Abel bei La Ferrière geht man in östlicher Richtung durch das kupierte Gelände zum Hôtel de la Chaux-d’Abel. Vom Hotel folgt man erst der Loipe nach SO und sucht sich dann seinen Weg bergwärts. Auf dem Höhenrücken hält man sich östlich und geht bis zur Auberge Mont-Soleil Chez l’Assesseur. Von dort kann man schliesslich dem ausgeschilderten Schneeschuhtrail erst zum Mont Crosin, dann nach Les Breuleux folgen.

Anreise

Mit dem Zug von Bern via La Chaux-de-Fonds nach La Chaux d’Abel.

Karten

LK 1: 25 000, Blätter 1124 Les Bois und 1125 Chasseral

LK 1: 50 000, Blatt 232 Vallon de St-Imier

Literatur

P. Burnand/G. Chevalier/R. Houlmann: L’Arc jurassien/Jura, Excursions en raquettes et à skis/Schneeschuh- und Skitouren, SAC Verlag, Bern, 2011

Übernachtung

Hôtel de la Chaux-d’Abel bei La Ferrière, 032 961 11 52, www.hotellachauxdabel.ch.

Auberge Mont-Soleil Chez l’Assesseur, 032 941 23 60, www.montsoleil.ch

Hôtel Restaurant Chalet du Mont-Crosin, 032 944 15 64, www.chalet-montcrosin.ch

Informationen

Jura Tourisme Saignelégier, 032 420 47 70; Verkehrsverein Berner Jura in St-Imier, 032 942 39 42, www.juratourisme.ch

Mehr zur Energiegewinnung am Mont-Soleil: www.societe-mont-soleil.ch, www.juvent.ch. Es werden auch Führungen angeboten.

Warum Freiberge?

Über Jahrhunderte gehörte die Region dem Fürstbistum Basel. Um einen Anreiz zur Besiedlung der Einöde zu geben, setzte der Bischof von Basel am 17. November 1384 einen Freibrief auf, in dem er jedem Bewohner und Kolonisten der Gegend die Befreiung von jeglichen Steuern versprach. Deshalb also Freiberge. Am Wiener Kongress 1815 wurde das Land dem Kanton Bern zugesprochen, bis sich 1977 der Kanton Jura als jüngster und am dünnsten besiedelter Kanton der Schweiz herausbildete. Amtssprache ist Französisch, demzufolge heissen die Freiberge Franches Montagnes. Nichtsdestotrotz wird mal französisch, mal deutsch gesprochen oder auch beides. Der Südostrand des Plateaus, wo sich der Hügelwall des Mont-Soleil, des Sonnenbergs, aufschwingt, gehört immer noch zum Kanton Bern.

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