Streifereien im Clubgebiet: I. Rossenjoch und östliche Rossenhörner
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Streifereien im Clubgebiet: I. Rossenjoch und östliche Rossenhörner

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Von Dr. A. Körber ( Section Oberland ).

I. Rossenjoch und östliche Rossenhörner.

Schon zweimal hatten Sturm und Schneefall meinen Plan, dem Finsteraarhorn einen Besuch abzustatten, zu nichte gemacht. Das eine Mal, im Vorsommer 1884,. konnte ich wenigstens das Oberaarhorn eintauschen,, das andere Mal, im Juli 1885, kam unsere Gesellschaft nur gar nicht zur Oberaarhütte. Wir sahen, daß bei der herrschenden Witterung da oben für un » keine Lorbeeren zu pflücken seien, und zogen una daher rechts zum Pavillon Dollfus, um eventuell unsern Rückzug über das Gauligebiet zu bewerkstelligen; aber auch hier trieb uns der fallende Schnee-am andern Morgen kurzweg zur Grimsel zurück. Mit drei Züricher Club- und Schicksalsgenossen gründeten: wir hier den „ Club der Pechvögel ", der bei Papa Nägeli's trefflichem Keller wirklich gletscherhaft gedieh.

Mit dem Grundsatz „ nit nahiah gwinnt " machte ich mich auch am 12. Juli 1886, dem ersten recht Streifereien im Clubgebiet.63- schönen Sommertage, wieder auf den Weg zur Grimsel, nahm unterwegs in Willigen meinen Freund und Führer Hans von Bergen mit und engagirte, oben angekommen, als zweiten Begleiter den Grimselknecht Kaspar Abplanalp. Trotzdem das Barometer etwas sank,, wurde Proviant gerüstet und der Abmarsch für morgen früh festgestellt, denn es war Föhn im Land und der konnte das schöne Wetter vielleicht noch 2—3 Tage halten. Unheilverkündend standen am nächsten Morgen zahlreiche „ Schäfchen " am Himmel, als wir um 4 Uhr abmarschirten; nichtsdestoweniger wurde frisch ausgeschritten; um 11 Uhr langten wir bei der Clubhütte am Oberaarjoch an.

Soviel ich mich erinnere, war ich der zweite Besucher in diesem Jahr; ein großer nasser Fleck in der Mitte der Decke überzeugte mich, daß der erste einen hübschen Haufen Schnee unter dem Dache getroffen haben müsse, der durch die Wärme des Herd-feiiers ganz oder theilweise geschmolzen sei. Ich weiß, wie schwer es ist, dem feinen Schnee der höhern Regionen den Zutritt zu verwehren; ich glaube aber doch, hier sollte im Interesse der Erhaltung der Hütte durch Anbringen einer Leiste längs des Dachrandes der Versuch gemacht werden. Ebenso haben mich zwei in der Oberaarhütte durchwachte Föhnnächte überzeugt, daß eine doppelte Thüre kein Luxus und ein frisches Ausstopfen der Zwischenräume zwischen den einzelnen Balkenlagen mit Heu oder Moos sehr nützlich wäre. Denn die Thüre schlottert und hämmert bei jedem Windstoß ganz bedenklich, und zu den Ritzen der Wände bläst sehr bemerkbar der Wind GiA. Körber.

hinein. Im Uebrigen ist diese Hütte ein wahres Kleinod und möchte ich nur wünschen, daß durch stete Versorgung derselben mit Holz von Seiten der überwachen-den Section, wie sie vor 2 Jahren durchgeführt war, allfälligen durch die Noth herbeigeführten Beschädigungen vorgebeugt werde.

Während wir ein „ Chacheli Warms " präparirten und genossen, waren die Witterungsauspizien nicht günstiger geworden. Unser Ziel hatte sich sogar sehr ungnädig mit einem schwarzen Wolkenmantel umgeben, der nichts Gutes weissagte. Wir machten daher während des Nachmittags eine Recognoscirung über den Nollen, an dem die Hütte liegt, gegen das Oberaar-rothjoch und Oberaarrothhorn zu. Leider folgte ich dem Rath von Bergens nicht, letzteres gleich zu besteigen, was voraussichtlich nicht zu schwierig gewesen wäre; ich wollte meine Kräfte für den nächsten Tag schonen. Bereits um 8 Uhr krochen wir auf 's Lager; denn um 1 Uhr sollte aufgebrochen werden. Aber bald fing der Föhn an, sein Unwesen um die Hütte in einer Weise zu treiben, daß von Schlafen nicht viel die Rede war. Der Witterungsbericht von 12 Uhr lautete auf überall aufziehenden Nebel, Finsteraarhorn ganz schwarz eingehüllt; also wird fortgeschlafen. Um 4 Uhr hatten wir statt Sonnenschein wirbelndes Schneegestöber. Der Uebergang über die Galmilücke ( s. Jahrbuch XIX, pag. 112 ) nach Münster, den wir für den Fall des Rückzugs geplant und als unser heutiges Ziel in 's Clubhüttenbuch bereits eingetragen hatten, schien uns unter sothanen Umständen, da auch der Fieschergletscher sich mit Nebeln anzufüllen be- gann, nach den Erfahrungen von Fellenbergs ( ibid., pag. 86 u. ff. ) auch nicht gerade einleuchtend, und so entschlossen wir uns nach Verlassen der Hütte am Ende zur Rückkehr auf dem gesicherten Pfade des Oberaargletschers.

Wie wenn Petrus nur auf unsere Umkehr es abgesehen hätte, fing jenseits der Himmel bald an, ein freundlicheres Gesicht zu machen, und nach einer kleinen halben Stunde marschirten wir im hellen Sonnenschein, während hinter uns die Höhe des Oberaarjochs noch immer mit drohendem Gewölk verbarri-cadirt war. Ungefähr bei Punkt 2899 machten wir « inen kurzen beschaulichen Halt. „ Wäre da nicht rechts über jenes Joch hinüber in 's Wallis zu kommen, damit wir wenigstens auch etwas Anderes gemacht hätten, als die gewöhnliche LandstraßeJa wohl, da geht 's schon, über die Schrunde, die wir dort sehen, finden wir schon einen Weg. " „ Also vorwärts !" Wir wandten uns nach rechts, erst noch einige Minuten horizontal an den Rand des Gletschers, dann gegen das Rossenjoch ( 3108 m ) schräg aufwärts. Gewaltige Schrunde, wie sie in der Excursionskarte eingezeichnet sind und von denen ( ibid., pag. 111 ) Ingenieur Becker angibt, daß sie diese Passage {wenigstens in umgekehrter Richtung, also abwärts ) wohl unmöglich machen dürften, zerklüften den Abhang. Doch der Juni hatte als Brückenbauer Erkleckliches geleistet, und der Ueberblick, den man von unten herauf hatte, gestattete es, die beste Zugangsroute auszuspähen. Allerdings „ langsam vorwärts ", das Seil stets fest angespannt, Tritt für Tritt in den schon bedenklich weichen Schnee erst vorsichtig aber sicher eingestampft, damit nicht der Fuß durchbreche, wenn das Gewicht des Körpers darauf lastet; denn auf Strecken von 10—15 Fuß Länge geht der Pickel Schritt für Schritt durch wie „ durch Ankena und „ da unten ist 's fürchterlich ". Doch Alles hat ein Ende; auch der Bergschrund, der von unten am schlimmsten aussah, ist überwunden, und schon winken die Felsen der Rossenhörner in nächster Nähe als Erlösung aus der Schneestampferei. Es ist aber auch Zeit, bereits pfeift ein durch die Sonnenwärme von den Felsen oben losgeschmolzener Stein etwas unangenehm nahe bei meinem Gesichte vorbei. Eine kurze Kletterei und dann noch ein kleines ebenes. Schneefeld bringen uns bald zum Rossenjoch, ca. 1'/a Stunden nach unserm Abgang von Punkt 2899.

Wollen wir nun da hinüber? Trotzdem Nebel vom Wallis her gegen das Joch auftreiben und uns zur Eile zu mahnen scheinen, sind wir doch einstimmig der Ansicht, einen Gipfel sollten wir noch haben. Da unsere Marschrichtung eigentlich gegen die Grimsel zu geht, so machen wir uns an den zunächst östlich vom Joch liegenden. Leider zeigen uns später sowohl der Ausblick als die Karte, dalJ nicht dieser, sondera der westliche der höhere ist. Aus steil, in einer Neigung von 50 und mehr Grad gegen das Wallis abfallenden Gneißschichten bestehen diese Bursche. Am Grat und Gipfel haben sie sich zu lose aufeinander liegenden Platten auseinandergespalten. Nur die starke Reibung der Gesteinsart scheint das Abrutschen der verschiedenen Schichten gegen die Wallisseite zu ver- hindern. Es gibt daher eine lustige Kletterei, bald seiltänzerartig über die schmale Kante einer fast senkrechten Platte, bald in großen Sprüngen von der einen zur andern, die mich lebhaft die langen Beine meiner Begleiter beneiden ließen. Doch der Fels ist vortrefflich und bald sind wir auf dem ersten Nollen ( 3133 ln ). Unweit davon östlich ist ein zweiter, scheinbar gleich hoher; auch der wird genommen, erweist sich aber an Ort und Stelle als der niedrigere ( 3115 m ). Ein Windstoß zerreißt den Nebel unter uns für einen Moment und zeigt uns, daß an dieser Stelle bequem in die Tiefe zu kommen ist, aus der uns am Ende eines langgestreckten Thals die Häuser von Münster entgegenwinken. Wir machen hier einen Halt zur Umschau und zum wohlverdienten Frühschoppen. Letzterer schmeckt vortrefflich, erstere ergibt in Anbetracht der Witterungsverhältnisse nicht viel Bemerkenswerthes. Nur ein Spiel der Naturgewalt fesselt einen Augenblick unsere Aufmerksamkeit: Auf einer fast senkrechten Platte des Gipfelgrates von etwa 40cm Dicke liegt horizontal, so hoch, daß wir nicht hinauflangen können, eine zweite, etwa lm breite und 1,5 ' " lange. Wie mag dieser Tisch da aufgestellt worden sein?

Noch wird ein Fläschchen mit unsern Namen an sicherer Gratstelle deponirt und dann geht 's abwärts. Nach l a stündiger leichter Kletterei haben wir den Nebel hinter uns und sind wir auf dem Schnee des Plateau's „ bei den Rossen ", vielleicht etwas weiter östlich. Einige kleine Rutschpartien bringen uns in die Nähe von „ auf dem Platt ' '. Gerade vor uns liegt das schnurgerade verlaufende Münsterthal, nach oben abgeschlossen und von uns getrennt durch eine ziemlich halbkreisförmige Stufe von etwa 600 m Höhe, die auf der Ost- und Nordseite ( also in unserer Marschrichtung ) gebildet wird von fast senkrechten, zum Theil vom Schneerutsch geglätteten, zum Theil von Bachrunsen zerklüfteten Felswänden, auf der Westseite aber von dem Absturz des rechts von uns vom Hinter Galmihorn und Oberaarrothhorn herkommenden Miinstergletschers. Wie kommen wir da am besten in 's Thal hinunter? Drüben, jenseits des Gletschers, ist dies ganz gut möglich. Der ebene Theil desselben ist gut zu traversiren und dann zieht sich dort eine steile Geröll- und Grashalde nach unten. Doch das gäbe einen Umweg von 1—IV2 Stunden. Noch größer und mühsamer aber wäre derselbe, wenn wir die vor uns liegenden Felswände im Osten längs des Löffelhorngrates zu umgehen versuchten. Probiren wir darum einstweilen geradeaus! Bald entdeckt das findige Auge von Bergens, der so wenig als ich oder Abplanalp jemals hier oben gewesen, den Schatten einer Spur eines abgewaschenen Schafwegli's. Es führt uns, oft lange unterbrochen, so weit nach links, bis wir uns in vollständig gerader Linie mit der Thalrichtung befinden, und von da steil über treppenartige Grasbändchen im Zickzack in die Tiefe zum Endpunkt der in 's Thal auslaufenden Gletscherzunge. In dieser Linie liegt die einzig mögliche direkte Verbindung zwischen Rossenjoch und Münster. Wer dagegen vom Oberaarrothhorn herkommt, wird besser südlich vom Münstergletscher absteigen.

Nach kurzem Halt ging 's rasch thalauswärts.

Münster rechts liegen lassend, zogen wir uns längs eines jener bekannten Walliser Bewässerungsgräben gegen Gesehenen aufwärts und erreichten, durch einen kleinen „ Hock " beim liebenswürdigen Herrn Guliel-minetti in Gletsch gestärkt, Abends 8 Uhr bei strömendem Regen das Grimselhospiz. Der nächste Tag führte mich wieder nach Hause.

Erst durch 's Itinerarium für 1885 und 1886 von E. von Fellenberg erfuhr ich, daß die Besteigung der Rossenhörner und des Rossenjochs sehr wahrscheinlich durch Touristen vorher noch nie ausgeführt worden war. Gemsjäger und Strahler mögen diese Felsen wohl schon erklettert haben, die Passage vom Oberaargletscher zum Münsterthal dürfte aber auch von solchen kaum je gemacht worden sein, da sie nur bei ausnahmsweise günstigen Schneeverhältnissen und auch dann nur mit größter Vorsicht möglich ist.

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