Vom Roththal über die Jungfrau zur Wengernalp
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Vom Roththal über die Jungfrau zur Wengernalp

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„.;. ri..,. Dr. Heinrich, JJubi.

Im Hintergrund des gespenstigen Roththals, in einem Winkel, wo nicht einmal Füchse und Hasen sich mehr gute Nacht sagen, und wo die Stille des Todes kaum durch den Schall der Sprünge der flüchtigen Gemse unterbrochen wird, liegt eine einsame Clubhütte 2700 m ü.M. Die Stelle, welche ihre Erbauer, die Lauterbrunnerführer derselben angewiesen, entspricht jedweder Forderung romantischen Berggeschmacks. Sorglich eingebettet zwischen zwei mächtige Grneiss-blöcke, die weithin kenntlich hervorragen aus dem Trümmergewirr, das sich aus verschiedenem Material und in mannigfaltigen Grossen von den Wänden der Jungfrau und des Silberhorns herunterpurzelnd hier zusammengefunden hat, beherrscht dieser vorgeschobene Kulturposteii die ihn umgebende Wildniss. Zu seinen Fussen breitet sich das Schneefeld in flachem Halbrund aus. welehem der Stufensteingletscher die Massen verdankt, die er vielfach gebrochen in schimmerndem Sturze an der Alp gleichen Namens vorbei in wüste Tobel schleudert.

Und schönere Wände kann kein Mächtiger dieser Erde in seinem Festsaale aufweisen, als die sind, welche den Tanzplatz der Roththalherren einschliessen.

Mit blendend weissem Firnhang, von wenigen dunklen Felsrippen durchzogen, strebt dem Beschauer gerade gegenüber die Ebnefluli empor, und es würde wohl harte und lange Hackarbeit erfordern, die stolze Feste von dieser Seite zu stürmen. Weniger abschreckend sind die Abstürze des Grletscherhorns anzuschauen und hier hat sich auch der kühne Muth und die ausdauernde Kraft der Söhne Albions einen Weg zum Aletschgletscher gebahnt, der schon durch den Namen « Lawinenthor » seinen Charakter sprechend verräth, die schmale, schwer passirbare Oeffnung unseres Eiskessels nach Osten. Aber in erdrückender Schroffheit starren dem Wanderer, der sich in diese Einöde gewagt hat nach Norden die Felsen des Silberhorns, der Jungfrau und des Roththalhorns entgegen, unbezwinglich scheinende Bollwerke von über 1200 m Höhe, deren schauerlichen Reiz eine düster-rothe Färbung noch e.rhöht. Gerne wendet sich das Auge wieder ab, um den eisblinkenden Abhängen des Mittag- und Grosshorn folgend sich im Hintergrund des Lauterbrunnenthaies zu erfreuen an der stattlichen Fülle der Formen des Breithorns, an der schlanken Eleganz des Tschingelhorns und mit Wohlgefallen zu verweilen auf den glänzenden Wölbungen der Wetterlücke und des Tschingelgletschers. Aber die schwarzen Wände der Blümlisalp und die finstern Zacken des Gspaltenhorns bringen wieder einen düstern Ton in das reiche Gemälde, welchen die freundlichen sonnigen Gefilde des Gimmelwaldplateau nur zu mildern, nicht aufzuheben vermögen.

Zu den Reizen, welche die Aussicht in 's Ferne und Nahe bietet, kommen aber, um diesen Winkel erst recht anziehend zu machen, alle Schauer der Romantik. Nicht nur ist es hier von Alters her nicht recht geheuer und haben die Roth thal-Herren auch seit dem Sonderbundsfeldzug nicht aufgehört zu schiessen, grausiger als die Spuckgestalten fast verklungener Sage sind die frischen Erinnerungen unserer Zeit. Die Roththalhütte, so jung sie ist, hat schon Schweres erlebt; sie ist getauft mit Blut und eingeweiht mit dem Stöhnen der Verzweiflung.

Die Männer aber, die am 21. Juli 1873 Abends das Feuer in dem Eisenofen dieses hochgelegenen Asyls schürten, nachdem sie bei glühendem Sonnenbrand Nachmittags von Lauterbrunnen dahinauf gestiegen waren, liessen sich nicht beirren durch die Geister, welche diese unheimliche Stätte umschweben. Sie waren vertraut mit dem Schrecken,, wie mit den Freuden des Bergs und hier, in fester Entschlossenheit den bösen Bann zu brechen durch kühne That mit Einsetzung ihres ganzen Daseins, aber auch mit Benutzung jeden Mittels, das Wissenschaft und Erfahrung dem Hochgebirgswanderer an die Hand geben. Ihre Stimmung war ernst, wie es sich geziemt inmitten einer Umgebung, die dem Menschen seine Winzigkeit eindringlich zu Gemüthe führt und am Vorabend einer schweren, ja gefährlichen Unternehmung; aber sie fühlten sich unter ihrem Obdach nicht unbehaglich und 326Dühi.

hatten alle Ursache dazu. Wenn man in einer Clubhütte überhaupt von Comfort reden kann, so darf man es hier, ein hölzerner Fussboden, gutes Mauerwerk, doppeltes Licht nach Ost und West, das Kochmaterial in denkbarster Vollzähligkeit und von tadelloser Beschaffenheit, Holz zum Feuern im Ueberfluss und trockenes Stroh auf geräumiger Pritsche: was bedurften sie mehr? Dazu ein sternheller, schöne Witterung für den kommenden Tag verheissender Himmel und eine massig frische Temperatur: gewiss ihr Nachtlager war ein beneidenswerth.es. Und wer waren die Glücklichen? Der Verfasser und zwei Lauterbrunner, Männer mit vortrefflichen Familientraditionen und aus tüchtiger Führerschule, Peter und Christian Lauener, Söhne jenes Christian, der einst als Begleiter Hugi's zuerst den kühnen Gedanken eines Uebergangs auf den Aletschgletscher und einer Ersteigung der Jungfrau vom Roththal aus zu verwirklichen strebte, Unternehmungen die damals weit gefährlicher und schwieriger waren, als heutzutage und leider auch nicht zur Ausführung gelangten.

Schon in frühern Jahren lag, wenn der Gedanke in mir aufstieg der Jungfrau einen Besuch abzustatten, dabei der Gedanke im Hintergrund dies vom Roththal aus zu thun, und als ich im Herbst 1872 mit Freund Wyss und Ober die neuerbaute Hütte inspicirte und dabei sehnsüchtig an den rothen Wänden den Weg auszufinden bemüht war, gedieh dieser Plan zur Reife. Ober, mein lieber Gefährte auf mancher schwierigen Fahrt, schüttelte den Kopf zu meinem Vorhaben. « Einmal jenes entsetzliche Couloir hinauf und nie wieder » '

sagte er, und es schien als schüttle es seine kräftige Gestalt noch in der Erinnerung an die tödtlicli lange Mittagsstunde, die er einst in diesem Lawinenschuss-kanal zugebracht. Und die furchtbare Katastrophe vom Juli 1872 schien ihm Recht zu geben. Aber ich verfocht schon damals hartnäckig die Sicherheit des Weges bei früher Tageszeit und guter Beschaffenheit des Schnees, und leider hat mein Freund den thatsächlichen Beweis für meine Behauptungen nicht mehr erlebt. Jetzt stand ich nach langem Harren^vor der Lösung meiner Aufgabe, die ich mir noch weiter gesteckt hatte. Es galt nun wo möglich in einem Tage die Jungfrau von Süd nach Nord zu überschreiten und Abends die gastliche Wengernalp zu erreichen ,'um dadurch die Vortheile, welche das Ausgehen von Lauterbrunnen und die Benutzung der Clubhütte in Beziehung auf Zeitersparniss und Sicherheit dem Jungfraubesteiger bieten, recht augenfällig zu machen. Leider war ich aus zufälligen Ursachen allein geblieben, ein Umstand der für das rasche Vorwärtskommen manchmal günstig, für die gemüthliche Seite der Sache aber immer störend ist.

Nachts 10 Uhr löschten wir mit militärischer Pünktlichkeit Lichter und bald umfing mich, wie in solchen Situationen zum Glück fast immer, ein ruhiger, stärkender Schlaf, aus dem mich aber in tiefer Nacht ein donnerartiges Dröhnen auffahren machte. * Es war ein Eisbruch im Gletscher unten » tröstete Peter und beruhigt legte ich mich wieder nieder.

Immerhin deutete das Zeichen auf Steigen der Temperatur und war somit wohl zu beobachten. Auch Morgens 2. Uhr 30 Min., als wir die Hütte " verliessen war es nicht eben kalt;

dass sich aber das Wetter den Tag über noch günstig halten würde, schien sicher. Noch im Finstern stolperten wir über die grossen und kleinen Blöcke, welche die nördliche Thalseite ausfüllen und es dämmerte kaum, als wir die ersten Felsterrassen in Angriff nahmen. Dieselben erwiesen sich gangbarer, als es von Weitem den Anschein hat. Sie sind freilich steil, aber ganz und rauh: so kommen wir rasch nach oben, « En einem kleinen, schneegefüllten, von Felsköpfchen umgebenen Winkel unterbrach Christian plötzlich das durch das anstrengende Steigen nothwendig gewordene Schweigen durch die Bemerkung: « Hier haben wir den Bischofhänsi gefunden ». Ich liess halten, und während die Beiden Bemerkungen über die Ursachen und Folgen jenes Unglücks austauschten, schweiften meine Gedanken rückwärts. Vor fünf Jahren blickten von dem zum ersten Mal besiegten Grosshorn vier Gesellen keck in die Welt hinaus. Drei davon hatten an dem jungfräulichen Gipfel ihre Sporen verdient, ihre Augen sprühten Jugendmuth und Zukunfts-freude, und heute stehe ich hier, der einzig überlebende, an der Todesstelle des Vierten, des Mannes der uns damals in der Blüthe der Jahre und der Kraft mit Gewandtheit und Ausdauer zum schweren Siege geführt hat und dem, um ein Führer ersten Ranges genannt zu werden, nur Eines mangelte, die Besonnenheit.

« Ja verwegen warst Du, wie das Sclmeiderlein im Mährchen, aber Du hattest nicht so viel Glück wie dein Bruder von der Nadel, Dich hat die Noth zur Tollkühnheit und in den Tod getrieben; was Du ge- Vom Roththal über die Jungfrau zur Wengernalp.

fehlt, hast Du schwer gebüsst und hier gerade sei es gesagt: Es thut mir Leid um Dich mein wackerer Pionir! »

Und die beiden Andern? Joseph Siegen, der vielversprechende junge Lötschthalerfülirer stürzte im Jahre 1870 in eine Spalte des Lötschengletschers und blieb auf der Stelle todt und Emil Ober liegt am Strande des Arno auf dem Kirchhof von Florenz, wo der tückische Typhus einem Leben ein Ende gemacht hat, das dem Tod im Gebirg oft in 's Auge sah. Wahrlich ein seltsames Geschick und werth einige Minuten « stiller Seelenmesse » ihm zu weihen. « Was soll Dein Loos sein? » fragte ich mich unwillkürlich. Wenn's sein kann, lieber Bergtod als Strohtod. « Vorwärts ». « Hier könnten wir in 's Couloir hinüber », meinte Christian. « Ist's durchaus nöthig ?» — Noch nicht. « Dann bleiben wir in den Felsen, so längs irgend angeht ». Und noch eine schöne Strecke kletterten wir aufwärts, bis endlich das Gehänge zu steil wurde. Jetzt musste das unvermeidliche geschehen und wir wandten uns rechts. Bevor wir aber diese « böse » Strecke betraten setzten wir uns zu einer wohlverdienten Stärkung nieder. Es mochte halb 6 Uhr sein und noch schien die Sonne nicht auf den hängenden Gletscher, der Sturz drohend die schmale Rinne beherrscht. Während dieser Pause donnerte eine gewaltige Lawine, die dem Schalle nach zu urtheilen am Roththalhorn oder Gletscherhorn niederging und uns deswegen unsichtbar blieb. Der Tag drohte warm zu werden und wir beeilten uns wieder aufzubrechen. Bald standen wir mit

dem Seil umgürtet am Rande des gefürchteten Couloirs.

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Steil, wie ein Thurmdach, schoss es zu misera Fussen ab und lange Furchen bezeichneten den Weg, welchen die Eisblöcke genommen hatten bei ihrer sausenden-Thalfahrt, aber uns gegenüber winkte, keine zwanzig Schritte entfernt, der unterste schützende Felskopf, in der Gabelung der Arme des Lawinenbettes. Alles fertig! Los! Blitzend fuhr das Beil in den massig harten Schnee, fest fasste der Fuss die flüchtig geschlagene Stufe und bald packte die Hand das schützende Gestein. Und ohne Aufenthalt weiter hinauf unter den zweiten, höhern Felsen. « So, jetzt kann 's unsertwegen losgehen, wenn es Lust hat, hier thut 's uns schwerlich Etwas ».Es geschah auch Nichts. Kaum 10 Minuten waren wir in Gefahr gewesen und sie waren mir verflogen wie ein aufregender Moment. Das Schwierigste^ war nun vorbei, aber noch drei Stunden angestrengtesten Steigens über steile Schneefelder und stark verwitterte Felsköpfe, dem rechten Arm des Couloirs folgend, erforderte es, um uns auf die Höhe des Roththalsattels zu bringen. Als wir uns demselben näherten, flogen uns Stücke gefrornen Schnees entgegen. Verwundert blickten wir in die Höhe, und kamen bald zu der Einsicht, dass dieselben von den Pickelschlägen einer Gesellschaft herrühren müssten, die damit beschäftigt war die gewaltige Gwächte, welche den Sattel gegen den Jungfraufirn zu überwölbt, zu durchbrechen, um dem gleichen Ziele wie wir zuzustreben. Diese « Zuvorkommenheit » war uns hoch willkommen, ersparte-sie uns voraussichtlich doch ein hartes Stück Arbeit am Jungfraugipfel. Unser Dankjauchzer erreichte ihr Ohr nicht, drang aber dafür in die Tiefe zu dem einiger Luftcurgäste von Gimmelwald, welche der schöne Tag in 's Roththal gelockt .hatte und die sich wiederum vergeblich durch Rufe mit uns in Verbindung zu setzen suchten.

Um 9 Uhr 30 Min. betrat ich den Roththalsattel, um mich sofort athemlos und fast erschöpft auf den Rücken zu legen. Das rasche Sinken meiner Kräfte erfüllte mich mit ernsten Besorgnissen für den weiteren Theil des Tages, und schwer fiel es mir auf 's Gewissen, dass ich ohne alle vorbereitende Uebung mich gleich an das höchste gewagt hatte. Die Thätigkeit der Lungen und des Herzens vermochte dem raschen Wechsel des Ortes und der Luft ( Samstags um die gleiche Zeit war ich noch in Bern gewesen, jetzt war 's Dienstag ) nicht zu folgen; dazu die siebenstündige Arbeit dieses Morgens mit einem freilich leichten Bergsack auf dem Rücken, die drückende Hitze, die von einem wolkenlosen Juli- Himmel herab und von den eingeschlossenen Firnfeldern zurückstrahlte, kurz meine körperlichen Funktionen waren nicht normal; ich litt an Appetitlosigkeit, Blut wallungen, Ohrensausen und Schläfrigkeit. Meinen Begleitern ging es nicht viel besser; Christian, der die schwere Arbeit des Vorangehenden bisher verrichtet hatte, klagte, er sehe Alles schwarz und konnte ebenfalls nichts geniessen; dennoch aber packten wir gegen 10 Uhr unsere kaum berührten Vorräthe resolut zu- sammen, um weiter zu steigen, gerade als unsere Vorgänger, eine Colonne von drei Mann, vom Gipfel zurückkehrten. Der Herr, ein Engländer, beantwortete meinen französischen Gruss mit einem verdriesslich klingenden Gebrumm und schreckte mich dadurch ab mein Bischen Englisch an ihn zu verschwenden, so kurios es mir vorkam, dass zwei gebildete Menschen, die 4000 m über Meer unerwartet zusammentreffen, nicht vollen Anlass haben sollten, sich dieser Begegnung herzlich zu freuen, auch wenn sie einander vorher nicht vorgestellt waren.

Mit seinen Begleitern dagegen, deren einer, Peter Rubi aus Grindelwald, eine alte Bekanntschaft von einer verunglückten Attake auf 's Gspalten-frorn her war, tauschten wir ein paar Worte. Sie kamen vom Faulberg und wollten noch über-das Mönchjoch. Mit herzlichem Händedruck und Glückwunsch schied ich von den Mannen, mit stummem Gruss und dem Gedanken « es muss auch solche Käuze geben » von ihrem Herrn, v

Langsam stiegen wir bergan, oftmals rastend, aber je höher wir kamen, desto mehr traten bei mir die körperlichen Uebel zurück vor dem überwältigenden Eindruck des glanzvollen Bildes, das sich dem staunenden Äuge in immer weitern Kreisen aufthat. Um eilf Uhr betrat ich den schneidend scharfen Gipfel mit jenem Hochgefühl des Entzückens, das jeder Darstellung spottet und deswegen dem Laien, der diese Reize nie selbst gekostet hat, nicht begreiflich gemacht werden kann. Auch die Gedanken und Gefühle, die am langersehnten Ziele sich regen, sind bei der Plötzlichkeit und Gleichzeitigkeit, mit der sie durcheinander schiessen und in blitzartiger Flucht sich kreuzen, streng genommen unsagbar. Meinen Zustand wenigstens in solchen Höhen möchte ich als eine Art von Rausch bezeichnen, der sich auch körperlich in einer ungeheuren, aber durchaus nicht unangenehmen Nervenaufregung, in einem Zittern aller Glieder äussert. Wie sich bei Vom Boththal über die Jungfrau zur Wengernalp.

diesem seelisch-körperlichen Processe Sinnliches und Geistiges durchdringen und mischen, das zu untersuchen und die Elemente des Vorgangs zu scheiden, dürfte eine interessante Aufgabe sein und mehr als eine Wissenschaft betreffen. Material zur Lösung der Frage kann gewiss noch mancher Montanist liefern, dem diese Zeilen zu Gesicht kommen, auch wenn er weder Professor der Psychologie noch Arzt ist.

Die Aussicht vom Gipfel der Jungfrau ist unermesslich und es kommt mir nicht in den Sinn, dieselbe hier auch nur leicht skizziren zu wollen. Andere haben das ausführlich und besser, als ich es vermöchte, schon gethan. Ich bescheide mich nur die äussersten Punkte des Riesenpanoramas anzugeben, um von dem grandiosen Eindruck desselben vielleicht eine schwache Vorstellung zu erwecken. Unser Auge beherrschte so ziemlich die ganze Schweiz. Die Details der Ebene waren natürlich undeutlich oder unkenntlich, aber der Jura und darüber hinaus Vogesen und Schwarzwald traten unverkennbar hervor. Die Bergwelt lag vom Montblanc bis zum Bernina deutlich und auch in der Ferne in scharfen Formen offen da. Ja über unsere Ostmark hinaus glaubte ich den Ortler und vielleicht sogar den Grossglockner zu erkennen. Das Wetter war das schönst-mögliche, die Temperatur ganz mild * ), die Luft von jener Durchsichtigkeit, die dem Regen vorauszugehen pflegt, ( Mittwoch Nachts traf auch wirklich ein heftiger

. ' ) Leider fehlten mir alle Instrumente, wie Thermometer,. Clinometer o.a. die ein alter „ Bergbruder ", der Familienverhältnisse halber ausblieb, hätte mitbringen sollen.

Sturm ein ) der Himmel tiefblau. Eine schwärzliche Färbung desselben, wie sie besonders ältere Reisende auf hohen Berggipfeln beobachtet haben wollen, korinte ich nicht entdecken und bin nicht abgeneigt, dieselbe auf Rechnung einer subjektiven Empfindung des durch das grelle Licht geblendeten Auges zu setzen.

Während ich in dem Reize dieser Umschau schwelgte, war eine Champagnerflasche geöffnet worden und bald durchdrang der prickelnde Schaumwein, der in den Bergen aufhört Luxus zu sein, feurig unsere Adern, die gesunkenen Lebensgeister mächtig hebend. Angestossen! Was wir lieben da unten im Thal und hier oben auf den Bergen. Plötzlich stösst einer von uns einen überraschten Ruf aus: Was kraucht denn da am Mönch herum? Und wirklich ameisenartig anzusehen strebt eine kleine Gesellschaft diesem Gipfel zu. Unser Zuruf ist nicht minder herzlich, wenn er auch keine Aussicht hat, von ihnen vernommen zu werden, und unsichtbar schlang sich über die Kluft, die unüberbrückbar uns trennte, ein Band gemeinschaftlichen Interesses zwischen mir und dem kühnen Herrn Burkhardt von Basel da drüben, der kurz vorher die Jungfrau von der Wengernalp aus erstiegen und, ohne es zu ahnen, so mein Unternehmen gefördert hatte, noch bevor es entstand. Unser mürrischer Engländer aber wand sich tief unter uns durch die Schrunde des Jungfraufirns; so fehlte es auch in dieser öede nicht an dem wohlthuenden Gefühl menschlicher Zusammengehörigkeit.

Doch die Zeit verstrich, die Sonne näherte sich dem Zenith; wir hatten, mochten wir uns wenden, wo- hin wir wollten, noch einen weiten Weg und das untergehende Gestirn durfte uns nicht ohne Decken und vielleicht ohne Proviant auf dem Eise verlassen.

Peter, « der seit dem Sattel die Führung übernommen hatte, mahnte dringend zum Aufbruch. Nach erfüllten Formalitäten nahmen wir Abschied von dem herrlichen Gipfel, ich wahrscheinlich für immer, und schlugen mit -der nöthigen Vorsicht den schmalen Rückweg ein. Einige Minuten unter dem Gipfel fragte der an der " Spitze gehende Führer mich noch einmal ernstlich, ob ich darauf beharre die weite, schwierige und nicht un-.gefährliche Descente nach der Wengernalp zu versuchen. Auf mein kurzes Ja schwenkte der brave Mann wortlos ab und bald sausten wir den prächtigen Firnteppich des Hochthälchens zwischen Jungfrau und Silberhorn hinunter der Silberlücke zu.

Der Grat, welcher das Silberhorn mit dem vordem, « östlichen Jungfraugipfel verbindet, ist stark zacken-förmig ausgewittert und erinnerte mich an die fatalen Thürmchen am Gspaltenhorn; er mag auch, wenn er ganz « ausgeabert » ist, eine heikle Passage sein, und Petern war er vom vorigen Jahr her, wo er mit Herrn Tucket, glaub ich, diese Descente gemacht hatte, in böser Erinnerung; aber heute kamen wir ohne grosse Schwierigkeiten vorwärts, nur aufgehalten durch starkes Nasenbluten, das sich bei mir in Folge der Erhitzung -einstellte, aber durch energische Schneebehandlung bald curirt war. 12 Uhr 30 Min. standen wir auf der Silberlücke und übersahen mit einigem Bangen ob unseres Nachtquartiers den noch zu machenden Weg. Zur Silbermulde hinunter führte zunächst eine infam steile Finiwand von so jähem Geftill, dass man bei möglichem Ausgleiten sich der tröstlichen Hoffnung erfreuen konnte, über den Bergschliind hinweg zu fliegen, der darunter weit offen gähnte.

Dieser gleichzeitige, stille Gedanke liess uns muthig: ans Werk gehen. Immerhin erforderte der Abstieg die peinlichste Sorgfalt und viel Zeit, da die Zikzak fast parallel gehackt werden mussten. Die Stufen, die Herrn Burckhardt zum Aufsteigen gedient hatten, konnten uns, da sie zu kurze Wendungen machten, nicht dienen. Unten angekommen erforderte es noch einen tüchtigen Sprung, um auf angenehmeres Terrain zu gelangen. Wir hatten, da wir nur Schritt um Schritt vorrücken und uns jedesmal fest einhacken mussten, für die kurze Strecke eine volle Stunde gebraucht.

Nach kurzer Rast und Stärkung ging es weiter. Die Schrunde hinter dem « kleinen Silberhorn », wie Peter es-nannte, bevor man auf die untere Firnterasse des Giessengletschers kommt, hielten uns weniger auf, als wir von -oben gefürchtet hatten und behaglich trollten wir uns dem Gipfel des Schneehorns zu, vor uns die imposanten Wände des Mönchs, zur Rechten das schimmernde Jungfraujoch. Aber meine Gemüthsruhe wurde arg gestört, als nun mein Auge hinabsah in den Guggigletscher. Einen so gräulichen Wirrwar von Schrunden,. einen mit so boshafter Consequenz ausgebildeten Sérac hatte dasselbe nie erschaut, so weit ich schon auf Gletschern herumgekommen bin. Und da durch müssen wir. Na nu! Jetzt begriff ich erst Peters Frage an dem Scheidewege, die mich dort fast geärgert hatte,, und die Bedenken regten sich von Neuem, ob ich heute

noch mein müdes Haupt auf einen welchen Pfühl niederlegen würde.

Hastig rutschten wir ohne Rücksicht auf unsere Toilette über die Schneehornfelsen hinunter und stürzten uns mitten in 's Gewühl, aber nicht blindlings, sondern sorgsam auf die Fährte Derer achtend, die vor uns denselben Weg gewandelt. Sie führten uns an den Rand eines ungeheuren Absturzes und unten jenseits des klaffenden Höllenrachens, in welchen die glitzernde Wand auslief, war deutlich der Schnee zerstampft von Menschen, die eine Zeitlang rathlos hin und her gesucht haben mussten, wie hinüber und hinaufkommen. Aber unsere Verlegenheit war um so viel grösser, als das Abwärtsklettern schwieriger und gefährlicher ist, als das Emporklimmen.

Jetzt ging der rechte Tanz erst alles Ernstes los. Das bisherige war Spielerei gewesen gegen das, was uns jetzt bevorstand. Das « opferlammartige », wie ein bekannter Montanist das Gehen zwischen zwei Führern bezeichnet hat, fiel hier entschieden weg. Meine selbst-thätige Mitwirkung war unbedingt nöthig und ich freute mich dessen. Mit kurzgehaltenem, straff angespanntem Seil gings in die gefährliche Wand hinein. Das Bedenklichste war, dass sie Falten und Ausbuchtungen zeigte und stellenweise das blaue Eis unter dem dünnen Schneeanflug hervortrat. Einem Zuschauer unsrer Situation wäre wohl das schöne Lied von der Flieg'an der Wand in den Sinn oder aber das Grausen angekommen, je nach Sinnesart und Temperament. « Gib Acht auf den Herrn », mahnte Peter, während er die erste harte Ecke bearbeitete, « wenn er uns entgeht, reisst er uns Beide nach!

» Das wusste ich selbst, aber auch, dass ich keine Mahnung nöthig hatte. Als die Arbeit nothdürftig beendet war, wagte ich den bösen Schritt. Es ist niemals angenehm mit dem Fusse einen Standpunkt suchen zu müssen den man nicht sieht; wenn dieser Standpunkt aber eine Eisstufe in fast senkrechter Wand ist, so wird der Versuch noch heikler, und helfen konnte mir keiner der Beiden. Doch gings leidlich rasch. Eine zweite stärker vorspringende Ecke kam. « Da bringen wir den Herrn nicht durch, » klagte Peter, « es stösst uns ab. » Die Kante war überhängend und wir waren alle Drei bepackt. « Dann probiren wirs an einem andern Ort, » klang die ruhige Antwort zurück. Wir drehten uns mühsam vom Bauch auf den Rücken und concentrirten uns rückwärts. Oben auf dem Rand wieder angekommen, wandten wir uns mehr gegen das Schneehorn zu. Vergebliche Mühe! Hier war vollends Alles zusammengebrochen; ein einzelner Eisthurm ragte Einsturz drohend aus der grausigen Tiefe empor. Es war ein erschütternder Anblick auch für einen völlig schwindelfreien Kopf. Stumm und etwas niedergeschlagen kehrten wir an unsern alten Platz zurück. Was jetzt? « Weiter rechts gehts nicht! das weiss ich vom vorigen Jahr her. Hier oder gar nicht. » Christian und ich wiesen auf die Fussspuren. « Ja freilich, da sind sie herauf und da kommen wir auch herunter, » stiess Peter energisch heraus. Jetzt war ich von dem Gelingen tiberzeugt. Hie Grindelwald! Hie Lauterbrunnen! Und mit zornigem Eifer hieb der Wackre ins Eis, dass die Stücke nur so flogen. Das Selbstvertrauen war uns zurückgekehrt und nun wurde auch die zweite Kante ohne Unfall umgangen.

Einmal so weit, verminderten sich die Schwierigkeiten Schritt für Schritt und nach harter Arbeit standen wir vor dem letzten Wagniss. Ueberhängend fiel die Wand zu unsern Füssen 12-15 Fuss hoch in den Schrund ab, der jenseitige Rand der Spalte mochte ebensoweit entfernt sein; jetzt galts die volle Kraft noch einmal zusammenzuraffen. Peter band sich los und im gewaltigen Schwung war er drüben. Ich warf ihm Seilende und Pickel nach und sprang ihn fast über den Haufen. Weniger glücklich war der Flug Christians, der sich auf dem Rande das Haupt so derb aufschlug, dass es ihm noch lange nachher drin dröhnte. Froh endlich das Schlimmste überstanden zu haben, ruhten wir einige Minuten aus, während deren Peter versicherte, das sei noch alles nichts gegen die Schwierigkeiten am Jungfraujoch, worüber ich wie billig in einiges Staunen gerieth, wenn ich dachte, dass eine Dame, Miss Walker, vor wenig Tagen diese Passage gemacht hatte. Zu einer Entgegnung kam ich aber nicht, da wir eilends wieder aufbrachen. Die Sonne war stark im Sinken und noch waren wir « von menschlicher Hülfe so fern. » Es hiesse die Geduld des Lesers ebenso ermüden, wie es unsere Beine ermüdete, wollte ich die Kreuz- und Quersprünge beschreiben, die wir in dem verwünschten Guggigletscher noch thun mussten. Wir waren froh denselben endlich an der gewöhnlichen Eingangsstelle verlassen zu können, wo wir die Spuren des Bivouac des Herrn Walker fanden; den kreisrunden Eindruck seines Zeltes und die Ueberreste des Feuer-heerdes konnte man noch deutlich erkennen. Wir benutzten den gutgewählten Platz, das lästige Seil abzulegen und unserm Wein den Eest zu geben, unbekümmert um die Zukunft.

Dann eilten wir dem Fuss des Mönchs entlang den bekannten und sichtbaren Weg weiter. Beinahe hätte uns der Eigergletscher zu guter Letzt noch genarrt. Der Pfad durch sein Spaltengewirr war anfangs nicht deutlich und die Nacht brach mit Riesenschritten herein. Schon in den Moränen des Guggigletschers hatte ich die unangenehme Entdeckung gemacht, dass, sei es aus Ermüdung, sei es weil ich fast sämmtliche Schuhnägel verloren, oder aus beiden Ursachen, mein Fuss den gewohnten Tritt verloren hatte. Die Zeit war nicht dazu angethan, falscher Scham zu fröhnen, ich liess mich von Christian am Handgelenk fassen und von Kante zu Kante springend erreichten wir das rechte Ufer und mit dem Eintreten völliger Finsterniss die Höhe der Gandeke. Wie ich den Rasen der Alp unter mir spürte, liess die moralische Spannkraft, die den durch Anstrengung, Aufregungen und Mangel an Nahrung erschöpften Körper bisher aufrecht erhalten hatte, nach; ich knickte widerstandslos ein und war einige Minuten lang unwohl. Den Rest der Quälerei über die grossschollige holprige Alp bedeckte mit ihrem Schleier mitleidsvoll die Nacht. Auch die Lauener hatten genug von dem Tag. Um neun Uhr betrat ich das ersehnte Hotel auf Scheideck. Von dort hatte man unsre Evolutionen an der Silberlücke und im Guggigletscher mit Spannung beobachtet und empfing mich mit offenen Armen und trockenen Kleidern, was mir beides sehr wohl that. Doch liess mich mein körperlicher Zustand nur etwas Thee ge- niessen und ich verbrachte eine unruhige, fieberhafte Nacht zum grossen Theil schlaflos, trotz und vielleicht gerade wegen der Uebermüdung, die sich besonders in schmerzhafter Spannung der Brustmuskeln zeigte.

Diese Ursachen dieser mir nach meinen bisherigen Erfahrungen auffallenden Einwirkung liegen theils in dem Obengesagten, theils in der Thatsache, dass wir eben doch mit geringen Rasten mehr als 18 Stunden auf den Beinen gewesen waren und unsere Glieder tüchtig geregt hatten. Der Morgen fand mich trotzdem ziemlich frisch und nach 9 Uhr entzogen wir uns den theilnehmenden und neugierigen Fragen, um nach Lauterbrunnen hinunterzusteigen, wo wir in dem Punkte freilich vom Regen unter die Traufe geriethen. Mein Plan war trotz meiner Zurückhaltung ruchbar geworden, die Spannung war gross gewesen und freudig die Aufregung, als man um Mittagläuten herum unser auf dem Gipfel ansichtig wurde. « Das Fernrohr ging von Aug zu Aug, » erzählte der freundliche Wirth zum Staubbach, « und auf meiner Laube ging es aus und ein wie in einem Taubenschlage. » Gerne nahm ich die Glückwünsche der wackern Leute entgegen im stolzen Bewusstsein einen Weg neu eröffnet zu haben, der mit Unrecht in Verruf gekommen war und diesem schönen Thale seine Bedeutung für den Zugang zu unserm herrlichsten Gipfel gewahrt zu haben. Mögen recht viele der Clubgenossen meinen Spuren folgen, wozu ich ihnen meine Begleiter aus vollster Ueberzeugung als unbedingt zuverlässige Führer empfehle.

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