Vorsteigen und lächeln
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Vorsteigen und lächeln Was gegen Sturzangst hilft

Vorsteigen statt Toprope, ruhen statt hängen. Das sind Strategien, die Kletterinnen und Kletterer mit der Zeit glücklicher machen. Bei unserem Autor jedenfalls wirkt es.

Klettern macht Freude. Und doch sieht man in den Wänden nicht nur glückliche Gesichter. Anspannung oder gar Angst zeichnen nicht selten die Züge der Kletternden, besonders im Vorstieg. Die Angst vor dem Stürzen ist nicht ganz fehl am Platz, vor allem aus­serhalb der Halle: Ein Felsvorsprung kann den Sturz gefährlich machen; ist der Fels brüchig, kann er Steine lösen; es gibt Sicherungen, die nicht bombensicher sind. An einer Stelle, wo man besser nicht stürzen sollte, die Ruhe zu bewahren, ist schwierig. Aber Dank dieser Ruhe würden sich schwerere Routen klettern lassen, und das erst noch mit weniger Risiko.

Woher kommt die Angst?

Beim Mentaltraining zum Vorsteigen geht es nicht darum, einfach die Risikofreude zu erhöhen, sondern seine tatsächlichen Grenzen besser kennenzulernen. Dazu muss man sich erst einmal fragen, woher die Sturzangst kommt. Angst vor einem Sturz ist natürlich und normal. Sie hat schon manchen Unfall verhindert. Aber sie ist nicht immer berechtigt. Stürzen ist in den meisten Fällen gefahrlos. Der wichtigste Grund für die irrationale Angst ist mangelndes Vertrauen: in den Partner (Sichert er mich richtig?), in die eigenen Füsse (Hält der Schuh? Finde ich Tritte, die gross genug sind?), in die Ausrüstung (Hält der Haken? Ist das Seil nicht zu alt?).

Am gewichtigsten – und am schwierigsten zu beheben – ist aber mangelndes Vertrauen in die eigene Kraft. Das zu korrigieren, erfordert Zeit und die Bereitschaft, die eigenen Gewohnheiten beim Klettern anzupassen.

Bremst: Toprope und Reinhängen

Es gibt ein paar Verhaltensweisen, die einen negativen psychologischen Effekt haben. Diese Laster sind sowohl im Klettergarten als auch in der Halle weitverbreitet. Aus verständlichem Grund: Sie nehmen einem sofort die ganze Angst. Das Problem: Die Angst vorzusteigen bleibt gross, der Fortschritt wird gebremst.

Was am wenigsten weiterhilft: Toprope-Klettern. Beim Top­rope-Klettern ist man zwar völlig entspannt, weil man nie an die ganze Route denken muss. Man klettert einfach so lange, bis man nicht mehr mag. Das Gehirn lernt aber nicht, die Reserven und die Fähigkeiten seines Besitzers zu fühlen. Im Nachstieg klettern die meisten schlampiger und weniger effizient.

Während des Kletterns immer wieder ins Seil reinhängen hilft auch nix. Das ist die Strategie des Vorsteigers, der nie fallen will: Er klettert bis zum nächsten Haken und prüft kurz, ob er müde ist und wie weit der nächste Haken entfernt ist. Dann macht er erst mal eine Pause. Mit diesem Kletterstil pendelt man ständig zwischen zwei Extremen: emotionslos am Seil hängen oder in Angst klettern. Die Haken steuern die Emotionen, von flüssigem Klettern kann keine Rede sein. Wenn man eine schwierige Route mit vielen Pausen klettert, kann man nicht wissen, ob die nächste Route im selben Grad machbar ist und wie lange die Armkraft hält. Fortschritte beim Klettern kommen immer erst, wenn man leicht über seine bisherigen Grenzen geht. Das passiert nie, wenn man sofort damit aufhört, sobald man müde ist (oder denkt, es zu sein). Ein weiterer Nachteil: Wer so klettert, «trainiert» den Partner, statisch zu sichern, was wiederum für den Kletterer gefährlich sein kann.

Hilft: Sturztraining und Rasten

Um Fortschritte zu machen, gibt es zwei Hauptstrategien: als Erstes das Sturztraining. Damit lernt man, dass Stürzen in vielen Fällen schmerzlos ist. Zum einen, weil es dem Körper zeigt, dass Stürzen normal ist. Zum anderen, weil man zugleich den Sicherungspartner daran gewöhnt, dynamisch zu sichern. Es muss regelmässig gemacht werden, nicht nur einmal im Jahr, weil man ja diesen blöden Überlebensinstinkt dämmen will.

Wichtig: Sturztraining ist mehr als Sprungtraining. Bewusst über den Haken klettern und dann (eventuell sogar nach Abmachung) bis drei zählen und ins Seil springen, senkt die Angst vor dem Flug. Das ist ein guter Anfang. Besser ist es jedoch, wirklich zu stürzen, nicht zu springen. Man kann es besonders in der Halle sehr gut üben, indem man klettert, bis die Hände nicht mehr halten, ohne den Partner zu warnen, ohne zu entscheiden: «Jetzt gehts nicht mehr, ich muss fallen.» Die Hände entscheiden, nicht der Kopf. Der Hauptvorteil dieser Methode ist, dass man damit sein Kletterniveau erhöhen kann, weil das Gehirn lernt, dass die physischen Grenzen des Körpers weiter sind, als man dachte.

Als Zweites gilt es, das Ruhen oder «Resting» effektiv einzubauen. Darunter versteht man das Ausruhen in der Route, ohne ins Seil zu hängen. Richtig ruhen zu lernen, ist eigentlich noch viel wichtiger als Sturztraining, weil es den Kletterer automatisch dazu bringt, seine Mentalität zu ändern: Statt von Haken zu Haken, klettert er von Ruhepunkt zu Ruhepunkt. Die Haken verlieren an Wichtigkeit. Man lernt, dass man weiterklettern kann, auch wenn man müde ist, weil man später ausruhen wird. So ist es möglich, in einen geistigen Zustand zu kommen, in dem der Körper, der Fels, der Geist und vielleicht sogar die Seele alle an einem Punkt sind, und zwar genau hier, für die ganze Route.

Üben, Rastpunkte zu finden

Gute Ruhepunkte zu finden und effizient zu nutzen, ist eine eigene Kletterkunst, die Kreativität und Übung erfordert. Ruhen muss eine Gewohnheit werden. So bekommt man langsam das Bewusstsein, dass müde zu sein, noch nicht kritisch ist. Diese Überzeugung braucht man dann, um locker über dem Haken klettern zu können. Eine neue Dimension ist erreicht, wenn man merkt, dass sich sehr häufig Rastpunkte finden lassen, egal in welchem Schwierigkeitsgrad. Es gibt immer Stellen, die leichter sind als der Rest der Route. In schwierigeren Routen braucht man einfach etwas mehr Kreativität. Allerdings kommen diese Stellen oft unerwartet. Steigt man zum ersten Mal durch eine Route, ist es am besten, sie gleich zu benutzen, auch wenn man noch nicht erschöpft ist. So lernt man, Rastpunkte im Fels zu erkennen. Alles, was die Arme temporär entlastet, gilt als Resting. Die Grundregeln beim Ruhen sind: das Gleichgewicht suchen und wenn nötig die Füsse umplatzieren, die Arme gestreckt, die Griffe locker halten.

Rast für das Gehirn

Auch unser Kopf wird beim Klettern müde. Die Spannung beim Vorsteigen braucht psychische Energie, die wie Muskelkraft limitiert ist. Bei einem guten Resting kann man, wenn nötig, nochmals die Atmung kontrollieren, die nächsten Züge studieren und sich darauf vorbereiten oder sogar das Panorama kurz geniessen. Diese Strategien helfen, um schwierigere Routen zu meistern, aber auch um diese Routen glücklicher zu klettern. Und wenn es in der Route trotzdem noch zu spannend wird: einfach singen!

Tipps und Tricks fürs effiziente Rasten

Beine weit spreizen: einer der einfachsten und häufigsten Tricks. Er ist in Kaminen oder Verschneidungen, aber auch in Platten anwendbar.

Klemmen: Risse für Hand-, Fuss- oder Fingerklemmen sind die Picknickplätze der Kletterrouten. Mit guter Klemmtechnik kann man sich bei einem Riss mit minimaler Muskelkraft komplett ausruhen.

Hände wechseln: links schütteln, wechseln, rechts schütteln, wechseln. Wenn es nicht mit dem gleichen Griff möglich ist, muss man bei jedem Wechsel oft auch die Füsse wieder umplatzieren. Rasten ist Arbeit!

Knieklemme, Fersenhaken, Zehenhaken: Diese Techniken machen spezielle Felsstrukturen zu Restingpunkten, auch wenn sie sich am Anfang ein wenig komisch anfühlen. Sie benötigen allerdings mehr Erfahrung und mehr Körperspannung.

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