Weniger tödliche ­Unfälle
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Weniger tödliche ­Unfälle Bergnotfälle 2017

Letztes Jahr mussten in den Schweizer ­Alpen und im Jura 2712 Personen von der Bergrettung gerettet oder geborgen ­werden.1 Beim Bergsport im engeren Sinne2 sind 103 ­Menschen tödlich verunfallt, 8% weniger als im Jahr zuvor.

Ein extrem schneearmer Winter, Hitzeperioden, aber auch Kaltlufteinbrüche im Sommer sowie markante Schneefälle im Dezember dürften die Tourenaktivitäten eher negativ beeinflusst haben. Dies zeigt auch die Statistik der SAC-Hütten («Die Alpen» 06/2018): Gegenüber dem Jahr zuvor waren 2017 rund 5% weniger Übernachtungen zu verzeichnen. Werden weniger Touren unternommen, gibt es auch weniger Unfälle, was sich in der Notfallstatistik widerspiegelt: 2017 mussten die Bergrettungsorganisationen in den Schweizer Alpen und im Jura 2712 Personen retten oder bergen. Eingerechnet sind auch die unverletzt Geretteten und die Erkrankten. Dies ergibt im Vergleich zum Vorjahr (2828 Beteiligte) einen Rückgang von 4%. 931 Personen konnten gesund oder nur leicht verletzt gerettet werden. Bei den klassischen Berg­sportarten waren nur beim Bergwandern mit 1237 Beteiligten (Vorjahr 1196) mehr Notfälle zu verzeichnen. Auf Hoch- und Skitouren sowie beim Felsklettern gerieten hingegen weniger Menschen in Bergnot.

Auch gab es weniger Todesfälle: Beim klassischen Bergsteigen kamen bei 93 Unfällen 103 Personen ums Leben, 8% weniger als im Jahr zuvor. Mit 54 Toten (Vorjahr 43) ist wiederum nur beim Bergwandern eine Zunahme zu verzeichnen. Bei den anderen Kategorien waren es zum Teil deutlich weniger Tote: Hochtouren 21 (Vorjahr 31), Skitouren 10 (Vorjahr 18), Felsklettern 2 (Vorjahr 4).

Hochtouren: weniger Notfälle und tödliche Unfälle

Der Sommer begann mit einem heissen Juni. Die Nullgradgrenze lag während fast zweier Wochen oberhalb von 4000 Metern über Meer. Im Juli und August gab es aber im Hochgebirge mehrmals Neuschnee und im September wiederholt Schnee bis in mittlere Lagen. Dies veranlasste das Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) im Sommer 2017 dazu, insgesamt elf Lawinenbulletins zu publizieren. Durch die Wettersituation waren die Tourenaktivitäten eingeschränkt, was sich auch auf das Not- und Unfallgeschehen auswirkte: 2017 sind auf Hochtouren 367 Alpinisten in eine Notlage geraten, 33 weniger als im Jahr zuvor. Am zahlreichsten mit 161 Beteiligten waren wiederum Blockierungen. Solche Notlagen entstehen häufig wegen Zeitmangel oder Überforderung. 2017 waren sie nicht selten darauf zurückzuführen, dass sich Alpinisten wegen Neuschnee oder eines drohenden Gewitters nicht mehr weitergetrauten.

Von einem Sturz oder Absturz waren 99 Personen betroffen. Bei 15 dieser Unfälle fanden 18 Personen den Tod. Drei der Ereignisse sind als Mitreissunfälle einzustufen, dies am Grand Combin und am Mönch mit je 2 und am Biancograt des Piz Bernina mit 3 Todesopfern. Demgegenüber sind6 Personen tödlich abgestürzt, die trotz Begleitung auf den Seilgebrauch verzichtet haben. Des Weiteren starb eine Alpinistin durch einen Blitzschlag auf dem Gipfel des Matterhorns sowie je ein Alpinist durch eine Gerölllawine an der Fuorcla da Boval und auf dem Challifirn am Eiger.

Klettern: Sturzunfälle und Blockierungen

Auch beim Klettern im Fels sind mit 118 Personen im Vergleich zum Vorjahr (130) weniger Personen in eine Notlage geraten oder verunfallt. In gut abgesicherten Mehrseillängenrouten im Plaisirbereich waren es 50 Kletterer, auf alpinen Touren 36, in Klettergärten 28 und im Extrembereich 4. Es fällt auf, dass 2017 fast 20% aller Beteiligten an denselben zwei Bergen in eine Notlage geraten oder verunfallt sind:12 Personen im Bereich des Miroir de l’Argentine an der Arête de l’Argentine in den Waadtländer Voralpen und 11 am Pizzo Badile im Bergell. Der Pizzo Badile nimmt mit seinen sehr langen und alpinen Touren seit Jahren einen Spitzenplatz in den Notfallstatistiken ein. Auch der Miroir de l’Argentine hat mit einer Wandhöhe von rund 400 Metern und dem erforderlichen längeren Fussabstieg durchaus alpinen Charakter, doch die meisten Routen in dieser Wand sind eher noch dem Plaisirbereich zuzuordnen. Ist es ein statistischer Ausreisser, dass sich im Jahr 2017 die Unfälle hier gehäuft haben, oder hatten die betroffenen Kletterer zu wenig Erfahrung in solchem Gelände? Dies kann mit den vorhandenen Informatio­nen nicht beantwortet werden.

Insgesamt konnte wiederum mehr als ein Drittel der Beteiligten gesund oder nur leicht verletzt gerettet werden. Ihre Notlagen waren meist Blockierungen: Drohender Wettersturz, einbrechende Dunkelheit beim Fussabstieg und verklemmte Seile beim Abseilen waren auch 2017 häufig. Durch einen Sturz verletzten sich 52 Kletterer, die meisten angeseilt und im Vorstieg. Davon erlitten 38 Personen leichtere bis mittlere Verletzungen, 14 wurden schwer verletzt.

Tödlich verunfallt sind 2 Kletterer (Vorjahr 4). In einem Fall geschah der Unfall beim Zustieg im steilen Schrofengelände auf der Südseite der Kreuzberge. Der zweite tödliche Unfall ereignete sich beim Abseilen an der Wandflue im Gastlosengebiet. Vermutlich waren die beiden Seilstränge ungleich lang, wodurch das kürzere Seil am Ende durch das Abseilgerät glitt. Dadurch war nur noch ein Strang belastet, die Seile fädelten sich aus der Verankerung, und das Opfer stürzte mit den Seilen ca. 70 Meter bis an den Wandfuss ab. Einmal mehr hätte ein Knoten in den Seilenden einen solchen Unfall höchstwahrscheinlich verhindern können.

Skitouren: markant weniger Lawinentote

Auch im Winter 2016/2017 gab es erst im Januar 2017 genügend Schnee für vernünftige Skitouren. Mit einer stark schwankenden Schneefallgrenze, häufigen Föhnlagen und – abgesehen vom Januar – sehr milden Temperaturen hatte es sehr wenig Schnee. Obwohl es im April nochmals bis in ­tiefe ­Lagen schneite, schritt die Ausaperung rasch voran. Dieser Winter zählt damit gemäss SLF zu den schneeärmsten und kürzesten seit Messbeginn.

Wenig Schnee bedeutet nicht unbedingt tiefere Lawinengefahr. Denn bei einer dünnen Schneedecke kann sich die Zusatzbelastung durch Schneesportler bezüglich Lawinenauslösungen in tieferen Schwachschichten stärker auswirken.3 In den Wintermonaten Januar bis April war dieses Altschneeproblem weniger ausgeprägt, und in den Bulletins des SLF wurde die Gefahrenstufe 1 (gering) deutlich häufiger, die Stufe 3 (erheblich) jedoch seltener prognostiziert als im Jahr zuvor. Demzufolge waren auch Ereignisse bei Lawinenunfällen gegenüber dem Vorjahr viel seltener. Von Januar bis April 2017 waren insgesamt 20 Skitourengänger in Lawinenunfälle involviert, bei denen die Bergrettung beigezogen werden musste, 4 davon starben. Im Jahr zuvor waren es im gleichen Zeitraum 58 Betroffene mit 13 Todesopfern. Diese günstige Bilanz wurde jedoch auf Ende 2017 hin getrübt. Im Gegensatz zum Vorjahr hielt der Winter im Dezember 2017 kräftig Einzug und ermöglichte einen frühen Saisonbeginn. Während der schönen Tage vor Weihnachten bis zum Jahres­ende waren die Tourenaktivitäten hoch. Allein in diesem Zeitraum waren bei 5 Lawinenunfällen 12 Personen beteiligt. Dabei fanden 3 Skitourengänger den Tod.

Auch 2017 war ein Sturz oder Absturz mit 151 Betroffenen die häufigste Unfallursache. Dabei zogen sich 138 Personen nur leichtere bis mittlere Verletzungen zu, 10 erlitten ­schwere Verletzungen, und 3 verunfallten tödlich.

Auch bei Variantenabfahrten (Freeriden) sind mit 171 Beteiligten weniger Akteure in eine Notlage geraten oder verunfallt. Es handelte sich um 148 Skifahrer und 23 Snowboarder. Die häufigste Unfallursache mit 92 Betroffenen war ein Sturz oder Absturz, wobei 2 Personen tödlich verletzt wurden. Wie bei den Skitouren waren Lawinenunfälle auch hier mit 25 Beteiligten deutlich weniger zahlreich als im Jahr zuvor; 4 Personen kamen dabei ums Leben.

Auch Schneeschuhläufer waren wegen des schneearmen Winters vermutlich weniger unterwegs. So ist die Notfall­bilanz mit 30 Personen hier ebenfalls deutlich besser (Vorjahr 42). Ungewöhnlich ist allerdings die Verteilung der Ursachen: In den Jahren zuvor waren Blockierungen oder Verirren am zahlreichsten, Lawinenunfälle hingegen eher selten. 2017 allerdings waren 10 Schneeschuhläufer davon betroffen, 3 kamen dabei ums Leben. Bei den 3 Lawinenunfällen mit je einem Todesopfer hatten die Teilnehmer von zwei der betroffenen Gruppen keine Lawinenverschüttensuchgeräte dabei.

Bergwandern: mehr Notfälle und tödliche Unfälle

Unter den klassischen Bergsportarten war das Bergwandern im Jahr 2017 die einzige Kategorie, bei der mehr Personen in eine Notsituation geraten (2016: 1196 Personen, 2017: 1237) oder tödlich verunfallt sind (2016: 43, 2017: 54 Personen). Allein der Bergsturz im Val Bondasca im Bergell mit dem daraus resultierenden Murgang kostete 8 Bergwandernden das Leben. Doch auch ohne dieses tragische Ereignis ist die Zahl der tödlich Verunfallten noch etwas höher als im Jahr zuvor. Die Ursachen lassen sich nicht auf einen einfachen Nenner bringen. Beim Bergwandern sind die Wetterverhältnisse ein weniger limitierender Faktor als bei anderen Disziplinen, und so waren auch bei wechselhafter Witterung viele Bergwandernde unterwegs. Durch die häufigen Gewitterlagen mit zum Teil kräftigen Niederschlägen blieben ­viele Wege und Pfade oftmals länger feucht und damit rutschig. Deshalb konnte auf einem exponierten Weg bereits eine kurze Unachtsamkeit zu einem Stolpern führen. Besonders bei älteren Personen, deren Reaktionsvermögen nachlässt, kann ein solches Straucheln oder Ausrutschen zu einem fatalen Absturz führen. 2017 war beispielsweise mehr als die Hälfte aller tödlich abgestürzten Bergwanderer über 60 Jahre alt. Ebenso hoch ist alljährlich der Anteil der Alleingänger, die beim Bergwandern tödlich verunfallen: 2017 waren es 28, also knapp 52%.

Des Weiteren sind wegen Steinschlag 2 Bergwandernde ums Leben gekommen, eine Person verirrte sich und starb an Erschöpfung, eine Wanderin wurde vom Huf eines scheuenden Pferdes am Kopf getroffen, und bei 2 Betroffenen ist die Ursache unbekannt, sie werden vermisst.

Weitere Bergsportaktivitäten

Im Vergleich zum Vorjahr waren beim Canyoning (30), auf Klettersteigen (38), während der Jagd (34) und beim Mountainbiken (202) mehr Akteure von Notfällen betroffen. Es fällt auf, dass stets mehr Biker involviert sind: Ihre Zahl hat sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt. Am zahlreichsten waren 2017 wiederum Stürze mit 189 Ereignissen, 2 Beteiligte sind dabei tödlich verunfallt. Zwei Biker starben nach einem medizinischen Notfall, und einer wurde als Folge einer Kollision tödlich verletzt. Interessant ist auch ein Blick auf die Demografie der involvierten Personen: 162 davon, also 80%, waren Männer, und die Alterskategorie der 51- bis 60-Jährigen ist mit 42 Betroffenen am zahlreichsten vertreten.

Gefahren wegen des Klimawandels?

Das Bergjahr 2017 wurde vom tragischen Ereignis im Val Bondasca überschattet, bei dem Ende August 8 Bergwanderer im Abstieg von der Sciorahütte des SAC bei einem verheerenden Bergsturz ums Leben gekommen sind. Vor allem das Ausmass des daraus resultierenden Murgangs war kaum vorhersehbar. Es stellt sich die Frage: Wird das Berg­steigen durch die Klimaerwärmung, das damit verbundene Schwinden des Permafrostes und den Gletscherrückgang gefährlicher?

Aus den Daten der Bergunfallstatistik des SAC ist bisher kein eindeutiger Trend zu höheren Unfallzahlen wegen Berg- und Felsstürzen erkennbar.4 So ist ausser dem folgenschweren Ereignis im Val Bondasca im Sommer 2017 in den letzten 30 Jahren nur ein weiterer Unfall bekannt: Im Sommer 2006 kamen am Obergabelhorn 2 Alpinisten durch ausbrechende Felsmassen ums Leben. Die Seltenheit solcher Unfälle dürfte nicht zuletzt darauf zurückzuführen sein, dass sich Felsstürze häufig in abgelegenen Geländekammern oder ausserhalb der Tourensaison ereignen. Insgesamt betrachtet wird für den Bergsport im Sommer vor allem der Gletscher- und Firnschwund im hochalpinen Gelände immer problematischer: Heikle Übergänge von Fels zu Eis, hohe Berg­schründe und breite Randklüfte sowie ausgeaperte Firn­felder erschweren vielerorts Routen, weswegen sich die Unfallgefahren wegen Sturz oder Absturz erhöhen.

Quellen

Die Zusammenstellungen und Auswertungen dieses ­Berichtes stützen sich auf die Angaben und die Mitarbeit folgender Personen und Institutionen: Elisabeth Müller und Andres Bardill, Alpine Rettung Schweiz; Daniel Breitenmoser und Mario Tissi, Rega; Annick Charbonnet und Pierre-Alain Magnin, KWRO; Monique Walter und Mirjam Studer, bfu; Marcia Phillips, Frank Techel und Benjamin Zweifel, slf; Anjan Truffer, Bergrettung Zermatt; Marc Schertenleib, Rettungsstation Kandersteg; Urs Schäfer, Rettungsstation Lauterbrunnen; Paul ­Broger, Kapo Appenzell Innerrhoden; Sonja Thöni, Air Glaciers Lauterbrunnen; Marco Bomio, Bergführer Grindelwald; Corinna Schön, Institut für Rechtsmedizin, Universität Bern.

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