Zeit der Versöhnung
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Zeit der Versöhnung Pater Didier Berthods Rückkehr zum Klettern

Vor 15 Jahren kehrte er seiner Leidenschaft den Rücken und wurde Priester. Nun meldet sich der ehemalige Walliser Elitekletterer zurück. In ganz neuer Form. Ein Gespräch.

Als wir uns im Juni 2018 in Vérolliez von ihm verabschiedeten, lag er in seinem weissen Gewand bäuchlings zu Füssen eines Heiligenbildes, das sein neues Leben symbolisierte. «Christus ist mein Leben», war da zu lesen. Drei Jahre nach seiner Weihe zum Priester besuchen wir den knapp 40-Jährigen in seiner Zelle in Collombey. Er ist so heiter wie bei unserem letzten Treffen, aber seine Bizepse zeichnen sich deutlich ab, und er hängt an seinen Mittelfingern vom Fingerbrett, das er über seiner Tür befestigt hat. Die Inschrift darüber könnte aus der Bibel stammen: «Je härter der Kampf, desto glorreicher der Sieg.» An der Wand hat er ein Trainingsprogramm befestigt. Didier Berthod, das ehemalige Wunderkind des Risskletterns, ist zurück. 15 Jahre nach seinem plötzlichen Rückzug aus der Kletterszene.

Was führt Sie nach 15 Jahren Abstinenz zum Klettern zurück?

Ich hatte 2006 das dringende Bedürfnis nach einer Pause. Eine schwere persönliche Krise hatte mich tief erschüttert. In Kanada erlebte ich eine intensive religiöse Erfahrung und begegnete einem spirituellen Mentor. Diese Erlebnisse öffneten mir den Weg zum klösterlichen Leben. Spirituelle Fragen hatten mich schon immer sehr beschäftigt, darum sah ich in diesem Schritt eine Kontinuität. Die Kehrseite war, dass ich diesen Weg in einer instabilen Situation einschlug und er mich zu einer radikalen christlichen Spiritualität führte, die intensiv, aber nicht sehr human war. Am Anfang half mir das sehr, aber angesichts einiger seelischer Abgründe blieb ich schliesslich dennoch hilflos. Nach und nach entdeckte ich eine humanistischere Form des Christentums. Schliesslich verliess ich meine Gemeinschaft, um mich in Toulon zum Priester weihen zu lassen. Dort begann ich dann wieder zu klettern, um mich mit mir selbst, mit der Klettergemeinschaft und mit den Menschen, die an mich geglaubt hatten, zu versöhnen.

Wie hat die kleine Kletterszene auf Ihr Comeback reagiert?

Ich spüre ein wohlwollendes Interesse. Viele freuen sich, den Didier von früher wiederzufinden. Es ist sogar die kleine Bewegung Didier’s back entstanden! Aber es gibt auch berechtigtes Misstrauen, und ich komme bescheiden zurück. Dieses Umfeld war wie eine Familie für mich gewesen und ich hatte alle Verbindungen zu ihr abgebrochen.

Im Sommer 2018 unternahmen Sie mit Ihrer Schwester Nicole und dem Bergsteiger Patrick Gabarrou, ebenfalls ein überzeugter Katholik, erste Streifzüge auf dem Petit Clocher du Portalet …

Wir nahmen uns die klassische grosse Südostwand vor. Ich kam dermassen ans Limit, dass ich mich in einer 6b an den Haken hinaufzog! Auf dem Gipfel segneten wir eine Marienstatue, und ich hielt die Messe. Einige befreundete Bergführer waren dabei, darunter Justin Marquis und Alan Tissière, die die Statue aufgestellt hatten.

Im letzten Sommer waren Sie dann erneut am Petit Clocher unterwegs und haben zwei neue Linien eröffnet. Wie kam es dazu?

Ich verbrachte den ganzen August zwischen der Cabane d’Orny CAS und den Felswänden am Petit Clocher: meine ersten Kletterferien seit 15 Jahren! Auf Fotos hatte ich einige potenzielle Linien ausgemacht, die man eröffnen oder frei klettern könnte. Ich hatte viel trainiert, aber das Abenteuer übertraf meine Erwartungen. Es begann mit Jean-Elie Lugons Begehung der unglaublichen Route Le dièdre à Steulet, deren 55 Meter noch nie frei geklettert worden waren. Der Schwierigkeitsgrad liegt bei 8a+. Dann gelang mir die dritte Seillänge von Les Piques-niqueurs, die einige künstliche Sicherungspunkte erforderte. Eine gute 7b+.

Darauf folgte die Eröffnung von La promesse de l’Aube in der Nordwand, einer Variante von Les Piques-niqueurs.

Ja. Die Schlüsselstelle erstreckt sich auf einer Länge von 45 Metern und grenzt an eine 8c. Die Eröffnung dieser ausserordentlichen Linie gemeinsam mit Fred Moix und Jean-Elie Lugon übertraf meine kühnsten Träume. Dann machte ich mich zusammen mit Fabian Borter daran, L’histoire sans fin zu erweitern. Diese Route hatten wir 2001 mit François Mathey mit einer ersten Seillänge eröffnet, einem wunderbaren Riss auf der rechten Seite des Nordostgrats. 2019 kamen Bertrand Martenet und Fabian Borter auf den Gedanken, dass eine Querung nach links bis zur Gratkante möglich sein müsste und dass man sich somit eine Route auf diesem unglaublichen Grat vorstellen könnte. Sie eröffneten mehrere Seillängen, hatten dann aber leider auf halber Höhe mit einem völlig glatten Abschnitt zu kämpfen. Dieses gewagte Vorhaben inspirierte mich, und ich wollte sehen, ob es nicht möglich wäre, eine frei kletterbare Variante zu finden. Genau das ist uns schliesslich gelungen! Die Route verläuft im Zickzack zwischen der Ostwand, dem Nordostgrat und der Nordwand und führt bis zum Gipfel. Der Schwierigkeitsgrad ist extrem, vor allem aber handelt es sich um eine Route von Weltrang, deren Name alles sagt …

Im Anschluss daran haben Sie mit Ihrer Schwester Nicole Toune d’automne in Angriff genommen, eine 7c-Route mit drei Seillängen am Südostgrat ...

Das war für mich wie ein Geschenk. Nicole und ich verstehen uns gut. Meine spirituelle Suche hat dazu geführt, dass ich mich von ihr und meiner Familie entfernt habe. Heute möchte ich diese Verbindungen neu knüpfen. Als wir uns aufmachten, diese neue Route zu eröffnen, tauften wir sie sofort Toune d’automne, nach einem Lied der Cowboys Fringants, das uns seit Jahren verbindet. Die Linie führt durch eine von René Buémi 1983 eröffnete Verschneidung auf der linken Seite der Ostwand. Dann folgt sie einem herrlichen Riss in einer leicht überhängenden Wand, der zum Grat führt. Hier mussten wir abbrechen, aber wir hoffen, dass wir gemeinsam zurückkommen werden.

Ist es auch Ihr Ziel, wieder ganz nach oben zu kommen?

Mein Wunsch wäre es, an mein etwas missratenes Karriereende anzuknüpfen. Vielleicht kehre ich zu Cobra Crack zurück. Warum nicht? Aber noch sind nicht alle Voraussetzungen dazu gegeben. Ich träume zudem von den Rissen in Utah oder davon, Salathé Wall am El Cap frei zu klettern. Aber es wäre auch nicht schlimm, wenn das nicht gelingen sollte. Ich schaffe gegenwärtig Routen im Schwierigkeitsgrad 8a+. Dieses Jahr hoffe ich, wieder auf 8c zu kommen, auch wenn ich immer noch nicht oft im Fels klettere. Einen guten Teil meines Trainings absolviere ich in der Halle, wobei mich ein Freund aus der Entfernung coacht.

Mit welcher Einstellung packen Sie diesen neuen Lebensabschnitt an?

Meine Leidenschaft galt zuerst dem Klettern, dann Gott und schliesslich dem Menschen, und genau das erlaubt es mir heute, Gott und das Klettern unter einen Hut zu bringen. Als 13-Jähriger bin ich für das Klettern entflammt. Mit 25 Jahren versagten die Bänder meines Knies in Cobra Crack. Darauf folgte eine mystische Erfahrung, und das führte zu meiner spirituellen Wende. Als ich mit 38 Jahren meine religiöse Gemeinschaft verliess, begann ein neuer Lebensabschnitt. Ich möchte mein gesamtes menschliches, sportliches und spirituelles Potenzial ausschöpfen.

Und Sie haben ein Schlüsselwort im Kopf, wie Sie sagen: Versöhnung …

Ja, Versöhnung, besonders mit zwei Personen. Auslöser der Krise, die ich vor meiner Lebensänderung durchmachte, war die überraschende Ankunft eines Kindes. Heute ist dieses Kind ein 14-jähriges Mädchen. Es lebt bei seiner Mutter in Kanada und ist eine sehr begabte Kletterin. Seine Geburt stürzte uns als Paar in die Krise. Wir trennten uns im Schmerz, und es blieb nur eine finanzielle Verbindung bestehen. Mein wichtigstes und vielleicht schwierigstes Projekt ist es, mich mit dieser Frau zu versöhnen und eine Beziehung zu unserer Tochter aufzubauen. Aber ich bin voller Hoffnung. Letzten Sommer habe ich von meiner Tochter diesen Brief erhalten. (Didier Berthod zeigt auf eine Karte auf dem Kaminsims, auf der handgeschrieben «Happy father’s day» steht und ein blühender Baum in der Sonne gezeichnet ist.)

Die neuen Routen am Petit Clocher:

«Ich nehme in Kauf, alles zu verlieren»

Auszug aus Didier Berthods Tagebuch vom 30. Juli 2020:

«Ich trinke meinen Kaffee. Ich bin total glücklich, denn heute steige ich auf den Clocher. Ich werde sicher drei Tage dort verbringen: zwei mit Jean-Elie und einen mit Justin. Ich bin auch ein bisschen besorgt, das ist klar: Wie wird das alles werden? Habe ich die Latte zu hoch gelegt, als ich mir vornahm, diese drei Projekte in Angriff zu nehmen? Ich werde darauf zugehen, wie man auf eine Pilgerreise geht: im Gebet und im Dank an Gott, mit ewiger Anbetung und grossem, unendlichem Respekt vor meinen Kletterpartnern [...]. Mich in ihren Dienst stellen, nichts überstürzen, nichts übereilen. Sie wichtiger nehmen als mich selbst. Mit grosser Freude, aber auch grosser Sorge. Allen Spott, alle Leichtfertigkeit, alle Ungerechtigkeit verbannen. Mir steht ein Platz zu da oben, aber den anderen ebenfalls [...]. Und ich nehme in Kauf, alles zu verlieren, nichts zu schaffen, nichts für meinen Ruhm zu erzwingen. Die anderen, die anderen, die anderen. Und natürlich du, Vater! Der Erste, dem ich diene, und das Ziel aller Dinge.»

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