«Zu euch komme ich nie mehr!»
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«Zu euch komme ich nie mehr!» Die Versorgung der SAC-Hütten aus der Luft hat sich stark verändert

In den Fünfzigerjahren waren Versorgungsflüge mit Flächenflugzeugen ein riskantes Unterfangen. Mit dem Helikopter können die Hütten heute zuverlässiger, sicherer und schneller bedient werden. Das zeigt ein Blick in die Geschichte der Gspaltenhornhütte im Berner Oberland.

Die einmotorige Piper steht am oberen Rand des Gspaltenhorngletschers auf rund 2500 Metern. Der Motor heult auf, der Propeller beginnt zu drehen, die Maschine setzt sich in Bewegung. Sie rutscht auf den Kufen dem unteren Ende des Gletschers entgegen und hebt im letzten Augenblick vor dem dunklen Abgrund ab. Dann verliert sie an Höhe und verschwindet aus dem Sichtfeld, der Lärm des Motors bricht ab, die Maschine ist weg.

Vater und Sohn, die noch vor ein paar Minuten bei der Startvorbereitung geholfen haben, starren dorthin, wo die Piper verschwunden ist. «Das war zu knapp, der ist abgestürzt», meint der Vater. Doch plötzlich ist der Lärm zurück, die Piper steigt aus dem Tal auf. Der Pilot fliegt auf die beiden Beobachter zu und schreit aus der offenen Tür hinunter: «Zu euch komme ich nie mehr!»

 

«Auf dem letzten Zacken»

Ein paar Tage später sei der gleiche Pilot mit einer neuen Lieferung Lebensmitteln gelandet, als sei nichts gewesen, sagt Ernst Rumpf, der damals mit seinem Vater den abenteuerlichen Start erlebt hatte. «Es ist, als wäre es gestern passiert», lacht er. In der Zeit von den Fünfziger- bis in die Siebzigerjahre war zuerst sein Vater, dann er selber Hüttenwart auf der Gspaltenhornhütte. Schlechte Sicht oder starker Wind hätten die Landungen erschwert oder gar verhindert. Rumpf erzählt vom Mut der Piloten: «Bei den Versorgungsflügen haben sie oft auf dem letzten Zacken noch eine Landung oder einen Start versucht, auch wenn es eigentlich vernünftiger gewesen wäre, abzubrechen.»

Er und der Vater hätten jeweils geschätzt, wo die Piper nach dem Aufsetzen auf einer Schneezunge ungefähr zu stehen kommen könnte. «Verschätzen wäre fatal gewesen, weil wir das Flächenflugzeug nach der Landung in dem Augenblick, in dem es stillstand, am Heck packen und umdrehen mussten, sodass es quer zum Hang stand», erklärt er. «Dann haben wir den Flieger gekippt, damit der bergseitige Flügel die Maschine fixierte – wie ein Fahrrad, das man auf den Ständer stellt.» Erst dann sei der Pilot ausgestiegen.

 

Bodenunterstützte Luftversorgung

Und wie wurde die Hütte versorgt, wenn die Piloten nicht landen konnten, zum Beispiel im Herbst, wenn der Schnee fehlte? «Dann sind die Piloten oben auf dem Kanderfirn bei der Mutthornhütte gelandet», sagt Rumpf. Die Waren wurden dann in Rucksäcke gepackt und zu Fuss über die Gamchilücke getragen. Wegen der veränderten Verhältnisse auf dem Gamchigletscher wäre das heute gar nicht mehr möglich. «Manchmal haben uns auch Soldaten, die von der Mutthornhütte in die Gspaltenhornhütte wollten, Wein in ihren Rucksäcken mitgenommen, jeder zwei Flaschen.»

Und Frischprodukte wie Brot? Als sein Vater noch Hüttenwart gewesen sei, habe der ihn und seine Schwester jeweils am Samstag hinunter ins über 1000 Meter tiefer gelegene Golderli bei der Griesalp geschickt. Die beiden warteten dort auf das Postauto, das Brot lieferte, und trugen die Laibe in die Hütte hinauf.

 

Fliegender Tante-Emma-Laden

Paul Schär hat in den Sechziger- und Siebzigerjahren mit einer Piper Super Cub die SAC-Hütten im Berner Oberland versorgt – ein fliegender Tante-Emma-Laden. «Ich habe jeweils abgeschätzt, wie sich das Wetter in den nächsten Tagen entwickeln könnte und was die Hüttenwarte brauchen, dann bin ich los und habe Milch, Teigwaren und anderes dort eingekauft, wos gerade am günstigsten gewesen ist», erzählt er. Wenn das Wetter plötzlich umschlug und sich Salat und andere Frischprodukte bei ihm zu Hause stapelten, freuten sich die Nachbarn: «Ich habe die Sachen im Quartier verteilt.»

Den Entscheid, ob und wie er eine Hütte anflog, traf er immer vor Ort. Dabei durfte er nicht nur ans Landen denken: «Noch in der Luft musste ich mir klar darüber sein, ob ich auch wieder starten kann.» Ein Faktor war der Schnee. Er musste hart sein, sonst soff die Maschine ab. «Ich konnte nur starten, wenn die Kufen nicht einsanken.» Eine zweite Gefahr: Gletscherspalten. Die Farbe des Gletschers gab diesbezüglich wichtige Hinweise: «Spalten erkennt man an dunklen Stellen», erklärt Schär. Er brauchte genug spaltenfreie Fläche, um seine Maschine auf eine Geschwindigkeit von 45 bis 50 Stundenkilometern zu bringen, dann konnte er abheben. Die kürzeste Strecke, die er zum Starten je gebrauchte hatte, waren 40 Meter. «Aber das war schon die Ausnahme, so etwas gelingt nur ganz selten.»

 

«Eine Sache von Minuten»

«Damit eine SAC-Hütte wirtschaftlich arbeiten kann, ist sie auf eine zuverlässig funktionierende Versorgung angewiesen», sagt der aktuelle Hüttenwart Christian Bleuer. Die Helikopter fliegen die Gspaltenhornhütte jeweils am Freitag oder Samstag an. Dann kennt Bleuer die Wetterprognosen und kann abschätzen, wie viele Gäste die Hütte besuchen werden. Versorgungsflüge per Helikopter sind heute bei Bedingungen möglich, die früher die Landung eines Flächenflugzeugs verunmöglicht hätten. Und alles geht schneller. Der Heli fliegt an, ohne zu landen, und hält einen kurzen Augenblick über dem Platz mit dem grossen H. Die Hüttencrew hängt das Netz ab und fertig. «Das ist eine Sache von ein paar Minuten», beschreibt Bleuer die moderne Versorgung aus der Luft.

 Touren rund um die Gspaltenhornhütte

Viele Wege führen zur Gspaltenhornhütte (2455 m) und von ihr weg auf eindrückliche Gipfel. Eine Auswahl:

1 Zustieg von der Griesalp (1408 m)

Eckdaten: T3, 3 Std., ↗ 1100 Hm

Route: Von der Bushaltestelle «Griesalp Kurhaus» auf markiertem Bergweg via Gamchi in die Gspaltenhornhütte SAC.

Anreise: Mit der SBB bis Reichenbach im Kandertal, von dort mit dem Bus bis Griesalp.

2 Zustieg von Mürren (1638 m)

Eckdaten: T3, 6 Std., ↗ 1350 Hm, ↘ 600 Hm

Route: Von Mürren zur Rotstockhütte und weiter über die Sefinafurgga, eine kurze Passage mit Leiter.

Anreise: Mit der SBB bis Lauterbrunnen, von dort mit der Bergbahn Lauterbrunnen–Mürren nach Mürren.

3 Zustieg vom Schilthorn (2970 m)

Eckdaten: T3, 4 Std., ↗ 700 Hm, ↘ 1200 Hm

Route: Vom Schilthorn via Rote Härd und Sefinafurgga, einzelne Stellen mit Drahtseilen gesichert, eine kurze Passage mit Leiter.

Anreise: Wie in Tour 2 nach Mürren, ab dort die Luftseilbahn Stechelberg–Mürren–Schilthorn.

4 Hohtürli (2778 m)

Eckdaten: T3/T4, 7 Std., ↗ 1100 Hm, ↘ 1900 Hm

Route: Von der Gspaltenhornhütte zum Hohtürli (T4, 4 Std.) und weiter zur Bergstation der Gondelbahn Oeschinensee (ab Hohtürli T3, 3 Std.).

5 Bütlasse (3193 m)

Eckdaten: T5, 5 Std., ↗↘ 1100 Hm

Route: Von der Gspaltenhornhütte Richtung Sefinafurgga, bei Punkt 2628 in östlicher Richtung der Wegspur folgend über den Geröllhang aufsteigen, auf rund 2800 Metern in südlicher Richtung weiter unter den Felsen von Vorderi Bütlasse durch, im Schlussaufstieg von Westen zum Gipfel.

Variante: Über die Vorderi Bütlasse auf die Bütlasse. Bis zum Aufstieg in der Geröllhang auf 2800 Metern gleiche Route, dann in östlicher Richtung weiter bis zu den Felsen aufsteigen und in leichter Kletterei (II) zum Gipfel der Vorderi Bütlasse, weiter dem Grat entlang Richtung Bütlasse, im Schlussaufstieg von Westen zum Gipfel (T6, 3,5 Std., 900 Meter Aufstieg).

 

 

 

 

Karten

LK 1 : 25 000, Blatt 1248 Mürren

LK 1 : 50 000, Blatt 264 Jungfrau

Literatur

Ueli Mosimann, Wildhorn/Wildstrubel/Blüemlisalp. Vom Sanetsch bis Petersgrat, 2011.

Marco Volken, Remo Kundert, Freie Sicht aufs Gipfelmeer,50 Wanderdreitausender zwischen Genfersee und Unterengadin, 2003.

Übernachtung

Gspaltenhornhütte:Tel. 033 676 16 29, info(at)gspaltenhornhuette.ch, www.gspaltenhornhuette.ch.

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