Abschied von den Kunstgriffen
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Abschied von den Kunstgriffen Alpinistischer Nachwuchs Anita Kohler

Jahrelang gehörte Anita Kolar zu den besten Schweizer Juniorinnen im Sportkletterwettkampf. Mit 19 Jahren geht sie nun einen neuen Weg und zeigt als Alpinistin erstmals ihr Poten zial. Nicht nur war sie mit der Jugendexpedition des SAC an den Torres del Paine in Südpatagonien. Im Mai dieses Jahres kletterte sie zusammen mit Ines Papert, der langjährigen Eiskletter-Weltcupmeisterin, am Arwa Tower in Indien.

Alex Wydler: Ist dir die Lust an den Kunstgriffen vergangen?

Anita Kolar: Nein. ( Pause ) Nicht vollkommen, ich habe einfach mehr Lust auf alles andere bekommen, auf das Klettern am Fels und in den Bergen und der Natur zu sein. Was reizt dich am Alpinismus? Der Alpinismus ist vielseitiger und komplexer als das reine Sportklettern. Man muss eine gute Allrounderin sein, gut klettern alleine reicht nicht. Man muss den Bergsport schon in seiner gesamten Vielfältigkeit erfassen und verstehen. Und darin liegt für mich auch der Reiz. Spürst du einen Leistungsdruck? Früher bei den Wettkämpfen habe ich den Druck extrem gespürt. Die Freude ging dabei etwas verloren. Heute organisiere ich mich und mein Training selber und übernehme dadurch auch mehr Verantwortung. Den Druck, den mache ich mir höchstens selbst, weil ich meine Ziele erreichen möchte.

Wie sieht das in deiner Klettergeneration aus: Ist der Fels out und der Gipfel wieder in?

Schwierig zu sagen. Aber ich denke nicht. Wenn ich eine Tour plane, ist es für mich sehr schwierig, jemanden Gleichaltrigen zu finden. Vor allem in meinem Umfeld gibt es viel mehr Sportkletterer als Alpinisten. Vielleicht hat das damit zu tun, dass in und um Zürich das Sportklettern sehr populär ist. Welche Voraussetzungen muss man mitbringen, um an einer Expedition überhaupt teilnehmen zu können?

Teamfähigkeit und Eigenständigkeit sind sicher ganz wichtig. Man ist oft auf engstem Raum, und es gibt immer etwas zu tun. Da muss jeder seinen Beitrag leisten, sonst geht es nicht. Und natürlich muss man auch eine solide klettertechnische und konditionelle Basis mitbringen. Die holt man sich aber nur, wenn man jede freie Minute in den Bergen unterwegs ist. Bei der Jugendexpedition des SAC gab es zudem ein strenges Auswahl-verfahren. Von den zehn interessierten Frauen durften am Ende nur vier mit. Ihr wart vier Frauen unter acht Männern an der SAC-Expedition. Wurdet ihr akzeptiert?

Sie mussten uns akzeptieren ( lacht ). Nein, im Ernst, es war kein Problem. Wir leisteten das Gleiche wie die Männer, eine Extrawurst hatten wir nicht nötig. Das Lagerleben gehört zu den Expeditionen: die Kletterin in Patagonien Unterwegs mit der SAC-Expedition in Patagonien: Anita Kolar In der Halle startete Anita Kolar ihre Karriere. Hier klettert sie die Finalroute der Schweizer Meisterschaften 2006 in Schlie-ren/Zürich.

Footo: Alex Wydler Foto: zvg Foto: zvg

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Welchen Eindruck hast du von der Alpi-nistenszene im Bezug auf Männer/Frauen? Wenn jemand denkt, dass Frauen gegen Männer keine Chance haben, der soll mal mit Ines Papert 1 auf eine Tour gehen. Ich kenne einige Frauen, die ausgezeichnete Alpinistinnen sind. Man wird eigentlich voll akzeptiert, ich habe aber auch schon erlebt, dass man von Männern belächelt wird.

Wie meinst du das genau?

Als ich zum Beispiel einmal eine Männerseilschaft auf ein Risiko aufmerksam gemacht habe, wurde mir schnell klargemacht, dass ich mich um meine eigenen Sachen kümmern soll. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich noch sehr jung bin und man mir deshalb so respektlos begegnet ist.

Was hat bei dir in Patagonien den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen? Der Unfall von Christian Schmidheiny ( ALPEN 4/07 ) und wie dann die ganze Gruppe darauf reagiert und versucht hat, das Ereignis zu verarbeiten. Mir ist das Thema Tod viel näher gekommen. Der Respekt vor dem Berg und dem ganzen Sport ist sicherlich gewachsen. Vor allem beim Abseilen, da kontrolliere ich lieber alles zweimal.

Hast du dich da nicht zurückgesehnt in die warme, sichere Kletterhalle?

Nein! Nicht im Traum. Und übrigens sind viele Kletterhallen gefährlicher als man denkt, so sicher fühle ich mich dort auch nicht immer. Wie finanzierst du dich? Hast du Sponsoren?

Die Finanzierung ist schon eine grosse Belastung für mich und mein Konto. Bis jetzt habe ich eigentlich alles selbst bezahlt. Aber in Zukunft werde ich von Mammut unterstützt, so scheitert das Bergsteigen wenigstens nicht am Material ( lacht ). Ich bin sehr froh um die Unterstützung, das wird mir das Leben schon sehr erleichtern.

Wie kommt man als 18-Jährige nach Indien an den Arwa Tower und das noch als Kletterpartnerin von Ines Papert? 1 Ines Papert dominierte von 2001 bis 2006 den Eiskletterweltcup. Zudem kann die 33-jährige Deutsche inzwischen auf eine eindrückliche Sammlung von Erstbegehungen in Eis und Fels zurückblicken.

In jedem Gelände mit der entsprechenden Ausrüstung unterwegs: die Spitzenkletterin in La Stadera 6 c, Avegno, Tessin Die Kletterinnen Anita Kolar und Ines Papert ( Rücken ansicht ) sind bereit für den Arwa Tower, Indien. Foto: Alex W ydler Foto: Ines Papert, Selbstauslöser Foto: Anita Kolar Ines hatte mit Ralf Weber gesprochen, einem der Bergführer bei der SAC-Expedition in Patagonien. Sie fragte ihn, ob er ihr eine junge Alpinistin empfehlen könne. Er gab ihr meine Telefonnummer, und dann rief sie einfach an. Sie sagte noch, ich müsse mich schnell entscheiden, da die ganzen Formalitäten so rasch als möglich geschehen mussten. Nach dem Anruf war ich ziemlich aufgeregt. Aber ich habe mich wahnsinnig gefreut!

Ein deutsches Klettermagazin schrieb, dass ihr den Gipfel nicht erreicht habt, weil du wegen eines Höhenlungenödems absteigen musstest und ihr dadurch wertvolle Zeit verloren habt. Was genau geschah am Arwa Tower?

Ich bekam wirklich ein Höhenlungenödem, kurz nachdem wir im Basislager ankamen. Schon in der ersten Nacht musste ich mithilfe der anderen ( Ines Papert, Stephan Siegrist, Denis Burdet und Thomas Senf ) wieder absteigen. Im Tal erholte ich mich aber sehr schnell, und drei Tage später war ich wieder im Basislager. Viel Zeit hatten wir dadurch bestimmt nicht verloren. Ines und ich schafften es bis 200 Meter unter den Gipfel und mussten dann nur wegen des schlechten Wetters umkehren. Das stand nirgends geschrieben.

Seid ihr gescheitert?

Nein, die Natur war einfach stärker, das muss man akzeptieren. Es ist sehr schwer, so kurz vor dem Ziel aufgeben zu müssen, doch die Entscheidung der Umkehr hatte der Sturm für uns getroffen. Wir haben wirklich alles versucht.

Hattest du auch Schuldgefühle wegen deiner Erkrankung?

Es war mir überhaupt nicht recht. Ausgerechnet ich, die Jüngste, falle den anderen zur Last. Das war das Letzte, was ich wollte. Du besuchst in Zürich das Kunst&Sport-Gymnasium. Fühlst du dich dort als Exo-tin? Ich bin eine Exotin mit meinem Sport! Meine Mitschüler sind aber sehr interessiert, auch wenn es ihnen schwerfällt, zu begreifen, was ich eigentlich mache. Fragen wie « Warst du mit Sauerstoffflaschen unterwegs ?» hör ich immer wieder.

Wie kriegst du deinen Sport und die Schule unter einen Hut? Machst du eine Matura light?

Nein, überhaupt nicht. Die Matura ist die Gleiche wie bei allen anderen auch. Wir haben einfach ein Jahr mehr Zeit, dafür müssen neben den schulischen auch die sportlichen Leistungen stimmen, was nicht einfach ist. In weniger als einem Jahr bist du fertig mit der Schule. Was dann? Hast du bereits Pläne?

Konkrete Pläne habe ich noch nicht. Zuerst möchte ich einfach etwas Zeit für mich nutzen. Ich werde bestimmt nicht gleich an die Uni « secklen ». Wenn es sich ergibt und ich auf eine Expedition mitgehen kann, würde ich das sicher tun. a Inter view: Alex Wydler, Zürich Die Herausforderung im Überblick: der Arwa Tower mit Windfahne. Am rechten Grat verläuft die Franzosenroute, die Anita Kolar mit Ines Papert bis kurz unter den Gipfel beging.

Stilleben im Hochgebirge in der Franzosenroute am Arwa Tower, Indien. In der Franzosenroute: Anita Kolar kommt in leichteres Gelände.

Foto: Ines Paper t Foto: Ines Paper t

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