Berge in Ketten. Kritische Gedanken zum Klettersteigboom
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Berge in Ketten. Kritische Gedanken zum Klettersteigboom

Berge in Ketten

Klettersteige liegen im Trend. Innerhalb von zehn Jahren sind allein in der Schweiz rund 30 neue Steige eingerichtet worden, teilweise mit grossen Mengen an Eisen. Wohin soll das führen? Wollen wir unsere Berge komplett in Eisen legen? Die Umweltkommission des SAC wünscht, dass mehr nachgedacht, diskutiert, kritisch hinterfragt und die Entwicklung in gewissen Grenzen gehalten wird.

« Und jeden Sommer gibt es wieder ein paar Dutzend neue Steige zwischen Wienerwald im Osten und den Alpes Maritimes im Südwesten des weiten Alpenbogens », steht in einem neuen Klettersteigführer. 1 In den Schweizer Alpen waren Klettersteige vor zehn Jahren noch praktisch unbekannt, obwohl es einzelne « Eisenwege » schon länger gab. Seither wurden rund 30 neue, unterschiedlich dimensionierte Klettersteige gebaut mit schätzungsweise ca. 30 km Stahlkabel, unzähligen Eisenleitern und weiteren Bauwerken. Allein am 2001 errichteten Klettersteig Eggstock/Braunwald 2 wurden 5 t Eisen verbaut, inklusive Hängebrücke. Am Daubenhornsteig ob Leukerbad waren es über 2 km Stahlseile und 210 m Leitern. Das « Virus » hat auch den SAC erfasst: Klettersteigtouren erfreuen sich zunehmender Beliebtheit.

Gibt es denn ein Problem? Klettersteige ergänzen das touristische Sommerangebot, was für manche Destination im Alpenraum bedeutend ist. Klettersteige erzeugen keinen Lärm und produzieren keine Schadstoffe. Sie führen zudem Menschen in die Berge, die etwas für ihre Gesundheit tun und daran ihren Spass haben. Trotz dieser positiven Auswirkungen gibt es kritische Aspekte, die in zwei Richtungen gehen: eine wert-bezogene Dimension, die sich mit der Art des Bergsteigens auseinander setzt, und eine umweltbezogene, die nach der Berglandschaft fragt. 3 Hier soll vorwiegend der Umweltaspekt dargelegt werden.

Die Natur einrichten Mit Klettersteigen werden Berge und Felsen zu künstlichen Erlebnis- und Abenteuerwelten umfunktioniert. Seit jeher richtet der Mensch die Natur ein, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Immer wieder hat er dabei auch übertrieben und musste im Nachhinein kor-rigierend eingreifen. Gästeumfragen im Alpenraum zeigen: Gesucht und gewünscht werden die ursprüngliche und unverbaute Natur, Ruhe, Stille, Naturerlebnis usw. Wird ein zunehmendes « Einrichten » der Berge mit Eisenwegen diesen Wünschen gerecht? Sollen die neben Siedlungen, Bergbahnen, Strassen und Häusern verbleibenden Berglandschaften wirklich mit einem dichten Netz von Klettersteigen überzogen werden?

Welche Bergnatur wollen wir? « Ein paar Dutzend neue Steige pro Jahr » in den Alpen mit zunehmender Tendenz – wo führt das in einigen Jahren hin? Bald mehr als tausend Eisenwege in den Alpen, ein paar hundert in der Schweiz? Eine derartige « Möblierung » hätte einschneidende Auswirkungen auf die Gebirgslandschaft, vor allem wenn die Tendenz zu immer massiveren Einrichtungen, etwa Hängebrücken, anhält. Fast zwangsläufig werden wir an die Entwicklung beim Klettern der Fünfziger-bis Siebzigerjahre erinnert, als mit dem « Artif-Klettern » und dem Einsatz von Bohrmaschinen zur Fortbewegung aal-

1 Hüsler Eugen E.: Erlebnis Klettersteig. Bruckmann Verlag, 2002 2 Vgl. ALPEN 5/2002 3 Dazu kommt noch eine dritte Dimension, diejenige der Sicherheit und Haftung, die hier vollständig ausgeklammert wird.

Klettersteig-Virus: Tonnen von Eisen, Kilometer von Stahlkabeln Fo to :A rc hi v « keep w ild » Zür ic h DIE ALPEN 11/2002

glatte, überhängende Wände « erschlossert » wurden. Das Klettern wurde erst dann wieder spannend, als freiwillig ein Schritt zurück vollzogen und der Bohrhaken rein nur noch zur Sicherung verwendet wurde.

Sollten wir uns nicht gut überlegen, wo und wie Berge mit Eisenwegen versehen werden? Ob es vielleicht Kriterien gibt, die als Richtschnur dienen könnten? Ob wir bestimmte Gebiete bewusst von dieser Entwicklung ausklammern möchten, um sie als « Gebirgswildnis » nahezu ohne menschliche Einrichtungen zu bewahren? Was ist uns solch unerschlossene Natur wert? Wie ist das vereinbar, wenn sich Bergsteigerkreise und der SAC gegen andere Erschliessungen wie Bahnen, Staumauern, Strassen usw. in den Bergen wehren, selbst aber ohne Einschränkung die Berge mit Klettersteigen überziehen?

Gesetzliche Bewilligungspflicht Im Fall der Klettersteige ist nach zwei juristischen Ausmarchungen 4 heute klar, dass ein Klettersteig eine Baute oder Anlage ausserhalb der Bauzone ist, die einer kantonalen Baubewilligung bedarf. Der Kanton Wallis hat diese Bewilligungs-pflicht sogar nachträglich auf schon bestehende Klettersteige ausgedehnt. Es ist uns jedoch nicht bekannt, ob die Bewilligungspflicht bei allen bestehenden Neueinrichtungen eingehalten wurde. In Schutz- oder Inventargebieten darf ein Klettersteig zudem den Schutzzielen nicht widersprechen bzw. hat sich diesen unterzuordnen. Dies führte für den in der Klus von Moutier geplanten Klettersteig zu einer Ablehnung, da dies ein BLN-Gebiet 5 ist.

Mehr Zeit zum Nachdenken Klettersteige sind eine Trenderscheinung. Gemäss allgemein gültigen Marketing-regeln müssen Trends früh erkannt werden, damit man sie ausnützen und in Wert umsetzen kann. Sollen wir es mit den Klettersteigen wirklich auch so halten? Oder sollten wir uns Zeit lassen zum Innehalten, zum Nachdenken? Sollten wir nicht versuchen, aktiv auf die Entwicklung Einfluss zu nehmen, um die Zukunft der Bergwelt und des Alpintourismus mitzugestalten? Der Direktor des Biosphärenreservats Entlebuch, Theo Schnider, formulierte dies so: « Gefragt sind Tourismusunternehmen, die selbstbewusst, mutig und klar positioniert im Markt auftreten und den Kunden als gleichwertigen Partner und nicht als König behandeln; die dem Kunden Visionen bieten, ihn proaktiv führen, Verantwortung übernehmen und Vorbildfunktion wahrnehmen. » Warum sitzen die « Players » im « Klet-tersteigbusiness » nicht zuerst einmal zusammen, möglichst regional bis national, um – statt sofort die nächsten Eisenwege in Angriff zu nehmen – der Entwicklung ein Profil zu geben, die weitere Einrichtung der Berge gemeinsam und zurückhaltend zu planen?

Wo steht der SAC? In den neuen Umweltrichtlinien ist die Haltung des SAC auch im Bereich der « alpinistisch-technischen Erschliessungen » und Klettersteige festgelegt. 6

Diesen sollen Grenzen gesetzt und die Hochgebirgswildnis von ihnen frei gehalten werden. Der SAC soll für das Thema sensibilisieren, die Entwicklung kritisch hinterfragen und nach Möglichkeit eine Koordinations- und Vermittlerrolle einnehmen, notfalls auch das Beschwerderecht anwenden. Mit diesen Positionen macht es sich der SAC zur Pflicht, die Entwicklung mitzugestalten – so gut er dies auch immer kann. Unser Wunsch geht an alle SAC-Mit-glieder und -Sektionen, dieses Thema zu diskutieren – eine Klettersteigtour könnte ja durchaus den Anlass dazu bieten. Wir regen an, im jeweiligen Stamm- oder Hüttengebiet das Gespräch mit jenen Kreisen zu suchen, die in der Regel Klettersteige einrichten: lokale Tourismus-organisationen wie Verkehrsvereine usw. und Bergführerkreise. Der Wunsch richtet sich im Speziellen an Bergführer. Für sie ist es noch wichtiger zu überlegen, wie ihr « Arbeitsplatz », die Bergwelt, in 10 bis 20 Jahren aussehen soll. a

Jürg Meyer, SAC-Umweltbeauftragter 4 Ablehnung eines Gesuches für einen Klettersteig bei Moutier in einem BLN-Gebiet; Beschwerde gegen den neuen Klettersteig bei Nax ( VS ). Informationen dazu beim Autor des Beitrages. 5 BLN ist das « Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung », das seit 1977 besteht und sich auf den Natur- und Heimatschutz stützt. 6 Die SAC-Position im Wortlaut: « Auch der alpi-nistisch-technischen Erschliessung sollen Grenzen gesetzt werden können. Hochgebirgswildnis hat einen hohen Erlebniswert und soll von technischen Einrichtungen frei gehalten werden. Ein Rückbau bestimmter Anlagen ist begrüssenswert. Markierungen sollen zurückhaltend und wenn möglich mit traditionellen Methoden angebracht werden. Technische Eingriffe bei Wanderwegen sind auf ein Minimum zu beschränken. Auf neue Wanderwege in empfindlichen oder ungeeigneten Räumen ist wenn möglich zu verzichten. Grössere technische Einrichtungen ( z.. " " .B. Klettersteige, Ausrüstung von Canyons ) sind einer gesetzlichen Bewilligungs-pflicht unterstellt, für deren Einhaltung sich der SAC einsetzt. » Klettersteige machen Spass – aber wie weit wollen wir die Berge « einrichten »?

DIE ALPEN 11/2002

Alpine Geschichte, Kultur, Erzählungen

Storia, cultura, letteratura alpina

Histoire, culture et littérature alpines

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