Blockbauten in den Alpen. Aus bestem Holz
Unterstütze den SAC Jetzt spenden

Blockbauten in den Alpen. Aus bestem Holz

Aus bestem Holz

Blockbauten in den Alpen

Holzbauten in den Alpen haben eine lange Geschichte, können doch die ältesten erhaltenen Gebäude bis ins 12. Jahrhundert zurückverfolgt werden. Denn der Werkstoff Holz ist allen landläufigen Vorstellungen zum Trotz äusserst langlebig. Holzbauten sind aber auch Ausdruck von Wirt-schafts- und Sozialgeschichte der Alpenbewohner.

Die von der Sonne dunkel gebrannte Fassade eines Stützelspeichers 1 vor der Kulisse des Matterhorns mit den charakteristischen runden Steinplatten, die nimmersatte Mäuse von Käse oder Ge-treidevorräten abhalten sollen, ist der Inbegriff der schweizerischen Alpenwelt. In der Tat gehört der Blockbau zu den dominierenden Bauformen in den Schweizer Bergen. Die Geschichte zeigt, dass man bei ausreichendem Vorkommen Holz als Baumaterial dem Stein vorzog.

Nur beschränkte Lebensdauer?

Lange Zeit war man der Meinung, dass Holzhäuser aus Materialgründen nur etwa 400 Jahre alt werden könnten. Umso mehr überraschte das Haus « Bethlehem » in Schwyz: Das noch fast völlig in seinem Originalzustand erhaltene Wohnhaus geht auf das Jahr 1287 zurück – und ist somit älter als die Eidgenossenschaft. Später entdeckte man sogar noch zwei Häuser aus dem 12. Jahrhundert, beide jedoch nicht mehr am ursprünglichen Standort. Die Altersbestimmung mittels Dendrochronologie, der Holzaltersbe-stimmung anhand der Jahrringe, ergab allein in der Innerschweiz über 50 spätmittelalterliche Bauten. Das Rezept für 500 bis 800 Jahre alte Häuser beruht auf der Kombination von traditionellem Wissen der Handwerker gepaart mit sorgfältigem Umgang mit dem Baumaterial: von der Auswahl des richtigen Baumes über die Technik des Aufbaus bis zum so genannten konstruktiven Holz-schutz wie weit ausladende Vordächer, Schutzdächer über den Fenstern oder Bretter- und Schindelverkleidungen.

500-jährige Sennhütten im Berner Oberland

Als Archetyp der Holzbauten gilt sicher die einfache Alp- oder Sennhütte. Sie ist Teil des in verschiedenen Regionen der Schweiz vorhandenen bergbäuerlichen Dreistufensystems von Talbetrieb, Maiensäss und Alp: Im Lauf der Sömmerung wandern Mensch und Vieh dem Fortschreiten des Graswuchses folgend Stufe um Stufe aufwärts, um dann in der zweiten Hälfte der Alpzeit wieder zum Ausgangspunkt zurückzukehren. Auf der Litschentellti oberhalb von Axalp, 1850 m ü. M., wurden zwei 500-jährige Sennhütten gefunden, ein Kantholz- Ein typisches Landschaftsbild in der Innerschweiz: Engelberg mit Titlis Bergbauernhof im Melchtal/OW: in Harmonie mit der Natur Am Mutterschwandenberg/NW: Schutzdächer und Bretter-verkleidungen schützen den Kernbau.

Haus « Bethlehem » in Schwyz: Mit seinen über 700 Jahren ist dies einer der ältesten Blockbauten des Alpenraums.

Fotos: Edwin Huwyler blockbau von 1501 und ein Rundholz-bau von 1519. Sie gehören zu den letzten erhaltenen Exemplaren dieses ältesten Bautyps von Sennhütten. Extreme Klimaverhältnisse und Naturgewalten führten dazu, dass nur wenige Alpgebäude aus dem 16. und dem 17. Jahrhundert vollständig erhalten geblieben sind. 2 Das Charakteristische dieser hölzernen Ein-raumhäuser war der Melkstand unter dem Vorgiebel für jeweils eine Kuh, die der Senn durch ein Holztürchen in den Melkstand führte, molk und auf der anderen Seite wieder hinausliess. Eine genial einfache Vorrichtung. Der Senn blieb unter dem Vorbau vor der Witterung geschützt und konnte den vollen Melkeimer direkt in die Sennhütte zum Käsekessel tragen. Die feste Einrichtung im Innern bestand lediglich aus der offenen Feuerstelle mit dem Turner ( Galgen ) für den Käsekessel. Daneben fanden sich die Utensilien zum Käsen, ein Molkentrog und ein Spaltstock, der zum Holzspalten und als Tisch oder Sitzgelegenheit verwendet wurde. Über eine Leiter erreichte man das Nachtlager der Sennen im Vor-giebel über dem Melkstand. Dem Reiseschriftsteller Johann Rudolf Wyss schienen diese einfachen Hütten doch recht primitiv gewesen zu sein. In seinem 1817 erschienenen Buch Reise in das Berner Oberland schrieb er u.a., dass dies eher die Wohnung eines Wilden sei, ohne Stuhl, Bett, Geräte und metallene Werkzeuge. Der Boden sei bloss festgestampfte Erde und das Dach lückenhaft. « Der kurze Aufenthalt in den Sennhütten allein, und die feste Gesundheit der Hirten sind wohl Ursache, dass Manches so ganz sorgenlos angelegt ist. »

Extra- und introvertierte Bauernhäuser

Sowohl die äussere Gestaltung und die Grösse von Bauernhäusern als auch die innere Ausstattung standen nicht nur in einem engen Zusammenhang mit dem Können der Handwerker und dem Zeit-geschmack, sondern vor allem mit der wirtschaftlichen Lage. Es gab Zeiten, da gings den Bauern in den meisten Regio- 1 Stützel sind kurze, senkrechte Balken, die den Unterbau eines Speichers tragen und ihn zum Schutz vor Ungeziefer und zur besseren Durchlüftung vom Boden abheben. 2 Während eines der Gebäude, obwohl schon seit Jahrzehnten nicht mehr genutzt, an Ort fachgerecht restauriert wurde, konnte das andere ins Freilichtmuseum Ballenberg versetzt werden. 3 Unter Vorkragungen versteht man das Vor-springen eines Bauteils über die darunterliegende Wand.

nen der Alpentäler recht gut, so exemplarisch im 17. Jahrhundert. Das Klima stand für gute Ernten, und der Handel im In- und Ausland florierte. Die aus dieser Zeit stammenden interessanten Unterschiede im Hausbau sind noch nicht geklärt. So setzte man damals im Berner Oberland auf prunkvolle Fassaden, während die Innerschweizer mehr auf die innere Ausstattung achteten.

Die Simmentaler Prachtfassaden

Zu den prachtvollsten Gebäuden im gesamten Alpengebiet gehören sicher die Simmentaler Bauernhäuser mit einem reichen Formenschatz an Dekorations-malerei und Schriftbändern sowie einer einmaligen architektonisch plastischen Gestaltung der Fassaden. Gut geschützt unter einem weit ausladenden Vordach, das an der Untersicht der Frontseite manchmal mit Sonne, Mond und Sternen dekoriert an ein Firmament erinnert, ist auch die Fassade mit Vorkragungen 3 und Schnitzereien reich gestaltet. Der im 15. Jahrhundert einsetzenden plastischen Gestaltung folgte im 17. Jahrhundert die Dekorationsmalerei, mit absolutem Blick ins Innere einer Sennhütte in Beckenried/NW. Dieser Archetyp der Holzbauten ist Teil des bergbäuerlichen Dreistufen-systems von Talbetrieb, Maiensäss und Alp. Alphütten waren ursprünglich Einraumhäuser. Wandschmuck in einer Alphütte von Emmetten/NW Archaische Sennhütte ob Grindelwald. Sie bildet als Titelbild den Blickfang auf der Publikation « Schweizerische Architektur » von 1844.

Höhepunkt im 18. Jahrhundert. Die Inschriften sind reiche Informationsquellen wie etwa am Haus « Obere Walke-matte » in Diemtigen, das von Zimmermeister David Lörtscher 1757 erbauten wurde, oder am Prachtshaus Sälbeze, ebenfalls in Diemtigen, mit der Inschrift: « Christen Jantzs und sein Ehegemahl Susanna Hildtbrand lassen bauen hie har Jm 1738 Jahr ».

« Gute Stube » im Innerschweizer Bauernhaus

Im traditionellen Innerschweizer Bauernhaus gehörte die Wohnstube zusammen mit der Küche zu den wichtigsten Räumen. Ihre Ausstattung widerspiegelt den sozialen Stand des Besitzers am deutlichsten. Im Innern des Hauses spürt man nichts mehr von der Zurückhaltung, die bei der Gestaltung des Äussern deutlich zu beobachten ist. 4 Die Wohnstube, früher der einzige heizbare Raum im Bauernhaus, diente als Arbeits- und Esszimmer, als Schlafraum sowie als Kult- und Festraum. In kalten Winternächten fanden gar Kleintiere, vor allem Hühner und junge Schweine, ein warmes Plätzchen. Bauern-stuben, deren gesamte Inneneinrichtung einer bestimmten Zeitepoche zugeordnet werden kann, sind selten anzutreffen. Im Gegenteil, die grosse Vielfalt von Möbeln und Gegenständen der Ausstattung und der Wohnkultur prägen die Atmosphäre dieser Räume. Sowohl die fest eingebauten Bestandteile wie Öfen, Täfer, Türen und Büffet als auch das eigentliche Mobiliar wie Tische und Stühle, Truhen und Kommoden unterscheiden sich meist in Stil, Alter und Herkunft.

Das Prunkstück der Stube war zweifelsohne das Einbaubüffet, seit dem 17. Jahrhundert fester Bestandteil fast aller Bauernhäuser in der Innerschweiz. Häufig verziert mit Schnitzereien und Einlegearbeiten und meist aus dem edleren Nussbaumholz gefertigt, waren sie Einzelstücke, in der Regel von einem einheimischen Tischler in die Wohnstube eingepasst. Der Wandschmuck prägte in seiner bunten Vielfalt wesentlich den Gesamteindruck der Bauernstube, wobei religiöse Elemente in den katholischen Gebieten dominierten. Die Kultecke, Herrgottswinkel genannt, eines der ältesten Elemente der Bauernstube, war ursprünglich lediglich mit einem schlichten, hölzernen Kruzifix ausgestattet. Später türmten sich in dieser « heiligen Hinterecke » oft eine ganze Palette von Andachtsbildern und Heiligenfiguren aus verschiedenen Zeitepochen.

Das Schweizer Chalet als Exporthit

Im Sog der europäischen Noblesse, die im 19. Jahrhundert in die Schweiz strömte 5 und in ausführlichen Reisebe- 4 Der Chronist Aloys Businger beschreibt sie 1836 mit folgenden Worten: « Im Innern der Häuser herrscht ziemliche Ordnung und eine Reinlichkeit, die vielleicht nur von den Appenzellern und Toggenburgern übertroffen wird. Die Fenster sind fast überall mit Vorhängen versehen: die Wände mit einigen Tafeln, Spiegeln, mit Schränken, mit so genannten Kantrummen und Buffeten, und die Ecke mit einem Kruzifix geziert. Auch hier pickt ( sic !) im engen Thürmchen die Schwarzwälderuhr mit traurigem Schlage den Takt der Zeit, sowie bei der Thüre das Weihwasserkesselein nirgends vergessen ist. » 5 Vgl. ALPEN 12/2003; 2/2004; 6/2004; 10/2004 « Hotelträume » Das « Mälchhiisli » aus dem Jahre 1519, ein Rundholzbau. Es stammt von der Axalp, Berner Oberland, und gehört zu den letzten erhaltenen Beispielen dieses ältesten Bautyps von Sennhütten. Heute steht es im Freilichtmuseum Ballenberg.

Eine Gruppierung von Holzbauten im Färmeltal/BE, das touristisch noch immer wenig erschlossen ist Foto: Ernst Zbären richten von der Schönheit der Natur romantisierend schwärmte, entdeckten auch Architekten die Ästhetik der Schweizer Chalets. In aufwändig gestalteten Büchern werden vor allem die Fassaden von Holzbauten im Berner Oberland als bewundernswertes Anschauungsmaterial einer heilen Welt wiedergegeben.

Zwei typische Exponenten dieser « romantischen » Architekten sind die beiden Berner von Graffenried und Stürler, die 1844 das Werk Schweizerische Architektur oder Auswahl hölzerner Gebäude aus dem Berner Oberland herausgaben mit der Erklärung, dass der Begriff Architektur eigentlich grössere Steinbauten und nicht solche bescheidenen Holzbauten bezeichne. 6 Dem Zeichen der Zeit entsprechend wollten die beiden Autoren unter anderem Grundlagen für Kreationen von Schweizer Chalets bieten und damit einen Beitrag zur Befruchtung der neueren Baukunst leisten. Das Werk war 6 Einleitend halten sie fest: « Wir glauben aber, dass eine ganz eigenthümliche, aus Denkweise, Sitten und Bedürfnissen des Volkes hervorgegangene, mit dem Clima und Charakter des Landes harmo-nisierende, und unstreitig vielfache Motive zur Anwendung und Veredlung in sich tragende Bauart billig solche Betrachtung verdient; und zwar umso eher, da sich dagegen die städtischen Wohnhäuser in der Schweiz keineswegs in Hinsicht auf eigenthümlichen Wert und Character mit demjenigen der Gebirgsbewohner messen können. » Die « Sälbeze » im Diemtigtal gehört zu den schönsten Bauernhäusern des Berner Oberlandes. Typisch für die Simmentaler Bauernhäuser ist der weit vor-gezogene « Dachhimmel », der die reich gestaltete Fassade schützt. Bauernhaus in Diemtigen, Berner Oberland Das 1757 von Zimmermeister David Lörtscher erbaute Haus Obere Walkematte in Diem- tigen, Berner Oberland. Die Inschriften dieser reichen Deko-rationsmalerei sind eine eigentliche Informationsquelle.

Fotos: Edwin Huwyler denn auch ein wichtiger Beitrag für die Entwicklung dieses künstlichen Bautyps, der sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem Exporthit entwickelte.

Und künftig?

Bereits von Graffenried und Stürler äusserten aber ihre Bedenken über das Verschwinden der « echten » ländlichen Bauweise. Sie wähnten sich Mitte des 19. Jahrhunderts in einer « Endzeit », in der es gerade noch möglich sei, traditionelle Bauernhäuser vor ihrem endgültigen Untergang zu analysieren. Was würden die beiden Architekten wohl heute sagen? Die traditionellen Haustypen im Alpenraum kommen in Bedrängnis, sei es durch Abbruch, Zerfall oder durch Einbinden in gesichtslose Architektur. Doch es gibt auch Lichtblicke: Einige wenige Architekten aus verschiedenen Landesteilen konnten ihren Ruf für hervorragende ländliche Architektur über die Landesgrenze hinaustragen. Als Beispiel sei hier der Bündner Architekt Gion Caminada genannt. Ihm ist es gelungen, in seinem weit abgelegenen Heimatdorf Vrin die Architektur im engen Dialog mit der einheimischen Bevölkerung zu einem Gesamtwerk zu entwickeln. Seine in traditioneller Blockbauweise ausgeführten Bauten überzeugen durch eine moderne und innovative Formensprache und fügen sich nahtlos in das über Jahrhunderte gewachsene Dorfbild ein. Dadurch konnten der Charakter der Siedlung erhalten und gleichzeitig die Existenz dieses abgelegenen und vom Aussterben bedrohten Dorfes gesichert werden. 7 a Edwin Huwyler, Freilichtmuseum Ballenberg, Brienz 7 Vrin, im bündnerischen Lugnez auf 1448 m gelegen, ist heute ein « Wallfahrtsort » für angehende Architekt/innen, und Caminada hält Vorlesungen an der ETH Zürich.

Im Gegensatz zu den Fassaden der Simmentaler Bauernhäuser sind jene der Innerschweizer Bauernhäuser einfacher gestaltet. Im Bild Bauernhaus in Wolfenschiessen/NW Blick in die « gute Stube » in einem Haus in Kerns/OW aus dem 17. Jahrhundert. Eines der Prunkstücke dieses reich ausgestatteten Wohnraumes aus dem Jahr 1798 ist das eingebaute Büffet.

Blick auf Vrin/GR mit seinen in traditioneller Blockbauweise ausgeführten modernen Bauten, die sich nahtlos in das über Jahrhunderte gewachsene Dorfbild einfügen.

Fotos: Edwin Huwyler Foto: Lucia Degonda, Zürich

Feedback