Das tödliche Risiko Lawinen. Pilotstudie zu Gefahren bei Skitouren und Variantenskifahren
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Das tödliche Risiko Lawinen. Pilotstudie zu Gefahren bei Skitouren und Variantenskifahren

Das tödliche Risiko Lawinen

Skitourengänger und Variantenfahrer kommen immer wieder durch Lawinen ums Leben. Forscher des Eidg. Instituts für Schnee- und Lawinenforschung SLF Davos versuchten in einer Pilotstudie, das Risiko für einen solchen tragischen Unfall abzuschätzen, indem sie erstmals systematisch die Aktivität abseits der Pisten massen. Dabei fanden sie auch Unterschiede im Verhalten zwischen den zwei Sportlergruppen in verschieden gefährlichen Situationen.

Skitouren und Variantenskifahren bergen Risiken. Denn wer diese Sportarten ausübt, kann von Lawinen verschüttet werden, was häufi g tödliche Folgen hat. In den letzten 20 Jahren starben in der Schweiz pro Jahr durchschnittlich 14 Personen auf Skitouren und 7 bei Variantenabfahrten in Lawinen. Doch wie hoch ist das individuelle Risiko, einen solchen Unfall zu erleiden, und wie lässt es sich mit anderen tödlichen Risiken vergleichen? Diese Fragen zu beantworten, ist in der Praxis alles andere als einfach, da zuerst Zahlen zur Aktivität abseits der Pisten erhoben werden müssen. Dies versuchten die Forscher Philippe Wäger von der Universität Bern und Benjamin Zweifel vom SLF Davos.

Mit Fragebögen und Lichtschranken

Die Forscher wählten für die quantitative Abschätzung der Aktivität den Raum Davos aus. Im Tourengelände von Monstein und Tschuggen im Flüelatal stellten sie Tafeln mit Fragebögen auf, auf denen sich Tourenfahrer eintragen konnten. Um die « Eintragequote » zu bestimmen, überprüften die Wissenschaftler an 16 Tagen, wie hoch der Anteil jener Tourengänger ist, die sich auch effektiv eintragen. Aufgrund dieser Stichproben und den Eintragungen auf den Tafeln von allen Tagen rechneten sie auf die Gesamtanzahl der Tourengänger hoch. Die Erhebung im Variantenbereich erfolgte am Rinerhorn. Mit zwei Lichtschranken sowie Zählungen vom Rettungsdienst des Skigebiets Jakobshorn von der gegenüberliegenden Talseite her wurden die Fahrer auf den drei Haupt-abfahrten erfasst. Natürlich entstand bei der Abschätzung der Gesamtzahl an Abfahrten auch hier eine gewisse Unsicherheit, da nur bei guter Sicht gezählt werden konnte und die Lichtschranken bei einzelnen Sturmperioden mit Schnee-drift Probleme verursachten.

Lawinenbulletin beeinfl usst Tourenfahren

Die in den letzten zwei Jahren durchgeführte Erhebung führte zu folgendem Bild: Knapp 11 000 Personen unternahmen in den zwei Wintern Skitouren in der Messregion. Dabei war die Tourenaktivität im Winter 2006/07 deutlich höher als im Vorjahr, was wahrscheinlich auf den Schneemangel in tieferen Lagen zurückzuführen ist. Am Rinerhorn wurden in beiden Wintern je knapp 3000 Variantenabfahrten unternommen. Als die Forscher die Daten der beiden Wintersportaktivitäten in Bezug zur Lawinengefahr und zu den Schneeverhältnissen setzten, stiessen sie auf bemerkenswerte Unterschiede: So waren bei der Gefahrenstufe « erheblich » nur halb so viele Skitourengänger unterwegs wie bei « mässig ». Nicht so bei den Variantenfahrern: Hier bewegten sich bei « erheblicher » Lawinengefahr sogar etwas mehr Personen abseits der Pisten als bei « mässig » ( siehe Grafi k ). Für die Variantenskifahrer scheinen die Schneeverhältnisse entscheidender zu sein: Bei gutem Schnee sind fast viermal mehr von ihnen unterwegs als bei schlechtem. Dieser Faktor hat dagegen keinen Einfl uss auf die Skitourenaktivität.

Risiko klein, aber vorhanden

Doch wie gross ist das Risiko eines tödlichen Lawinenunfalls? Um dieses Risiko abzuschätzen, betrachteten die Forscher die letzten 20 Jahre. In dieser Zeit starben im untersuchten Gebiet drei Personen auf Touren und vier auf Varianten. Das individuelle Todesrisiko lässt sich bestimmen, indem man diese Zahlen durch die Anzahl der in diesem Zeitraum unternommenen Touren bzw. Variantenabfahrten teilt. Dass sich die Touren- und Variantenaktivität in diesem Zeitraum verstärkt hat, was beispiels weise aus Hüttenübernachtungszahlen hervorgeht, musste ebenfalls berücksichtigt werden. Eine Abschätzung unter Experten ergab, dass sich die Aktivität über die letzten 20 Jahre um jährlich durchschnittlich 4,5 Prozent im Variantenbe-reich bzw. 1,5 Prozent im Tourenbereich auf den Wert vom Winter 2006/07 erhöht hat. Aus dieser Berechnung resultierte ein Todesrisiko in Lawinen für eine einzelne Variantenabfahrt von 10 pro 100 000 bzw. von 3 pro 100 000 für eine Mittlere Aktivität pro Tag in den Wintern 05/06 und 06/07 im Vergleich zu Lawinengefahrenstufen des nationalen Lawinenbulletins. Es wurden nur die Lawinengefahrenstufen « mässig » ( 2 ) und « erheblich » ( 3 ) berücksichtigt, weil sie an 219 von insgesamt 240 Tagen vorherrschten. Gr afi k: SLF/Philippe Wäger und Benjamin Zw eifel Gefahrenstufen Tour. Das heisst, bei 100 000 Touren kommt es zu 10 bzw. 3 tödlichen Lawinenunfällen. Da Variantenfahrer oft mehrere Abfahrten pro Tag unternehmen, Tourengänger dagegen meist nur einen Gipfel pro Tag besteigen, steigt das Risiko für Erstere. Diese Zahlen deuten darauf hin, dass Variantenfahren gefährlicher ist als Skitouren. Doch sollte man diesen Schluss nicht vorschnell ziehen. Denn die Anzahl Todesopfer während der letzten 20 Jahre in der Messregion ist mit 3 bzw. 4 so klein, dass sich ein einzelnes Ereignis sehr stark auswirkt. So waren beim Variantenfahren 3 der 4 Todesopfer in den letzten vier Wintern zu beklagen. Oder man kann sich fragen, wie die Tourenstatistik aussehen würde, wenn die Lawine am Büelenhorn ( siehe Bild ) etwas früher oder später abgegangen wäre und eine ganze Gruppe verschüttet hätte.

Nur 9 tödliche Lawinenunfälle pro 100 000 Touren

Um die statistischen Auswirkungen einzelner Unfälle zu reduzieren, betrachteten die Forscher in der Folge die ganze Schweiz während der letzten zehn Jahre. Für diesen Vergleich mussten sie die Begehungszahlen von Davos auf die ganze Schweiz übertragen. Für Touren wie für Varianten veranschlagten sie pro Person jährlich sieben Tage Aktivität. Das ergab schliesslich, dass das individuelle Risiko Der beliebteste Skiberg in Monstein ist zugleich ein berüchtigter. Nach einem grösseren Schneefall wurde das Büelenhorn am 29. Januar 2007 erstmals bestiegen.

Zwei Tage später wurden in der Abfahrt zwei Schneebrettlawinen durch geringe Zusatzbelastung fernausgelöst. Sie verschütteten einen grossen Teil der Aufstiegsspur und diverse Abfahrtsspuren. Foto: Matthias Langenegger Foto: SLF/Mar cia Phillips eines tödlichen Lawinen unfalls in der Schweiz für einen Tourengänger pro Jahr 9 pro 100 000 und 12 pro 100 000 für einen Variantenfahrer beträgt ( siehe Tabelle ). Lawinen bilden bei den zwei untersuchten Sportarten zwar mit Abstand die häufi gste Todesursache, aber daneben werden andere Risiken im winterlichen Gebirge gern unterschätzt: Stürze, Gletscherspalten, Wechtenabbrüche oder Blockierungen waren in den Jahren 1998 bis 2003 für über 40 Prozent der Todesfälle verantwortlich, und zwar auf Touren wie auch auf Varianten. Bezieht man diese Werte über die zehn Jahre in die Berechnungen ein, so beträgt das individuelle Todesrisiko 17 pro 100 000 auf

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Lehrpfad für Tourengänger in Davos Tourengehen braucht die Vorbereitung zu Hause. Doch genauso wichtig ist die richtige Umsetzung im Gelände. Beide Aspekte kann man dank einer Website und einem Tourenlehrpfad des SLF in Davos üben. Für die Vorbereitung der Tour am Vortag steht ein interaktives Planungstool unter http://tourenlehr-pfad.slf.ch zur Verfügung. Der Touren-lehrpfad selbst führt von Tschuggen ( 1964 m ) an der Flüelapassstrasse auf das Sentischhorn ( 2827 m ). Entlang der Route werden an fünf Schautafeln das Einschätzen der Lawinengefahr und weitere tourenrelevante Fertigkeiten geübt. Der Aufbau des Pfades folgt dem sogenannten 333-System. Der Touren-lehrpfad, der im Winter 2005/06 erfolgreich getestet wurde, richtet sich an Tourengänger, die eigenverantwortlich unterwegs sein können, ihre Kenntnisse aber erweitern möchten.

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