Den Film im Kopf korrigieren
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Den Film im Kopf korrigieren Gespräch mit der Sportpsychologin Maura Graglia

Seit einem Jahr unterstützt die Sportpsychologin Maura Graglia die jungen Schweizer Sportkletterer im mentalen Bereich. Im Interview erzählt sie, wie sie mit Stresshühnern, Trainingsweltmeistern und Motivationslöchern umgeht.

Maura Graglia: Zum einen mache ich Schulungen, an denen alle teilnehmen. Was ist Konzentration? Wie geht man mit Stress um? Zu diesen Themen sage ich etwas, dann machen wir Übungen. Zum anderen coache ich individuell. Dabei gehe ich auf die Bedürfnisse und Probleme der einzelnen Athletinnen und Athleten ein. Neben dem Gespräch gibt es auch hier Übungen.

Ein paar Beispiele: Es kommt vor, dass die jungen Leute in ein Motivations-loch fallen. Daran können der erste « Schatz » schuld sein, aber auch Probleme in der Schule oder Knatsch mit den Eltern. Auch wenn sich jemand die Hand gebrochen hat und wieder einsteigt, kann er sich an mich wenden. Dann haben wir einige « Stresshühner », die sich von allem ablenken lassen. Die « Trainingsweltmeister » wiederum haben Mühe, ihr Können im Wettkampf umzusetzen.

Es kommt darauf an, wie der Athlet funktioniert. Nehmen wir die gebrochene Hand. Es gibt jene, die in der Vergangenheit hängen bleiben und immer wieder an den Unfall zurückdenken. Andere schauen voraus. «Könnte es mir wieder passieren?» Beides ist für die Leistung nicht gut. Es geht darum, imHier und Jetzt zu sein. Ich versuche, den Film im Kopf zu korrigieren.

Ich arbeite mit der Vorstellungskraft. Eine grosse Rolle spielt die Sprache. Denn Sprache schafft Wirklichkeit. Darum ist das Formulieren von Zielen wichtig. Es macht einen Unterschied, ob man sagt « Vielleicht qualifiziere ich mich für den Final » oder « Ich erreiche den Final ». Die verbale Bestimmung des Ziels ist ein Element. Die Athleten bekommen aber auch die Aufgabe, es in einem Bild darzustellen, sich vorzustellen, wie das Ziel riecht, wie es tönt, wie es sich anfühlt. Es geht darum, Bilder zu kreieren, die auch unter Druck wieder abgerufen werden können. Was auch helfen kann, sind Rituale für den Wettkampf. Zusammen mit den Athleten stelle ich solche Rituale zusammen. Schliesslich gibt es auch noch Methoden wie Gesichtsmassage, Klopftechniken oder bestimmte Musik, die den Kopf frei machen.

Sie machen im Training alles richtig. Sie befassen sich zuerst mit sich selber, dann mit der Route und danach klettern sie los. Im Wettkampf stellen sie die Reihenfolge auf den Kopf. Sie sehen die Wand, und die Route kommt ihnen wahnsinnig schwierig vor. Sie haben den Fokus verloren. Man muss zuerst zu sich kommen und dann erst losgehen. Das üben wir.

Wir haben Anfang August eine Wettkampfsimulation durchgeführt. Dabei habe ich mich auf Elemente gestützt, wie sie die Schweizer Sportpsychologenföde-ration für die Olympischen Spiele in Sydney erarbeitet hat. Unter anderem ging es darum, sich zu vergegenwärtigen, wo man hingeht. Wo liegt Sydney? Wie ist das Klima? Die Zielsetzungen wurden ebenfalls nochmals durchgegangen. Aus finanziellen Gründen konnte ich aber in Australien nicht dabei sein.

Katherine ist eine ruhige und sehr zielstrebige Sportlerin. Sie hat im physischen Bereich sehr grosse Fortschritte gemacht, und dies ermöglicht ihr auch, den Fokus aufrechtzuerhalten. Alle Teile müssen stimmen, damit ein solch schöner Erfolg möglich wird. Katherine nimmt genau die Dinge aus dem mentalen Bereich auf, die ihr richtig erscheinen. Dies ist sicher ein Grund für ihren Erfolg.

Eine Nachbearbeitung ist mit dem Trainerstaff vorgesehen. Von meinem Pensum her wird es kaum möglich sein, mit den einzelnen Athletinnen und Athleten über das zu sprechen, was sie erlebt haben. Wünschenswert wäre das allerdings. Beim Klettern ist nicht nur Muskel-, sondern auch Vorstellungskraft gefordert.

Eine zentrale. Wir tragen Glaubenssätze mit uns herum, die uns hemmen oder voran bringen. Der Satz « Das kann ich wohl eher nicht » ist leistungsein-schränkend. Wer mit der Überzeugung « Das kann ich » antritt, wird eher Erfolg haben. In meiner Arbeit geht es darum, Stolpersätze bewusst zu machen und sie in positive Glaubenssätze zu verwandeln.

Der Mensch ist ein bio-mental-soziales System. Wenn eine Athletin einfach zu klein ist, um an einen nächsten Griff heranzukommen, hilft alles mentale Training nichts. Am biologischen Teil des Systems, zu dem auch die Fitness gehört, kann ich nichts ändern. Oft scheitert man an einer Klippe aber wegen einer mentalen Blockade.

Ja. Wir machen auch etwas Teambildung. Das ist beim Klettern zwar nicht so wichtig wie in einem Mannschaftssport. Die Athleten spüren es aber schon, ob sie von den andern getragen werden oder nicht.Wir machen Übungen, in denen es darum geht, zusammen eine Leistung zu erbringen. Oder unternehmen Aktivitäten wie Kanufahren, bei denen man buchstäblich in einem Boot sitzt.

Zuerst muss geklärt werden, was der Grund ist. Hoher Erwartungsdruck zu Hause? Probleme in der Gruppe? Liebeskummer? Oder haben sich einfach die Interessen verschoben? Je nachdem kann ich intervenieren. Aber wenn jemand nicht will, kann man ihn nicht zurückholen. Mit halbbatzigem Einsatz kommt man nirgends hin. Ab und zu muss man dann einfach sagen: «Es muss nicht Spitzensport sein.» Diese Erkenntnis kann schmerzhaft sein. Es platzt ein Traum. Es kann aber auch sein, dass jemand bloss eine unklare Zielsetzung hat. Gelingt es ihm, sich ein klares Ziel zu setzen, ist das gut für die Motivation.

Klar. Es gibt Berührungsängste. «Ich habe doch keinen Knall», denken sich einige. Darum ist es wichtig, dass ich nicht als «Problemtante» wahrgenommen werde. Sehr hilfreich sind deshalb die Schulungen für alle. Da sehen sie, was ich mache. Ich vergleiche die Herausforderungen, mit denen sie im Klettern konfrontiert sind, immer wieder mit alltäglichen Situationen: Bei der Lehrabschlussprüfung, im Beruf oder zu Hause ist es ebenfalls wichtig, konzentriert zu sein.

Überhaupt nicht. Die Prinzipien, mit denen ich arbeite, lassen sich in allen Lebenslagen anwenden. Ich coache eine ganze Reihe von Sportlern und Sportteams. Zu meinen Kunden gehören aber auch Betriebe. Ausserdem ist Prüfungsangst ein Thema, mit dem ich mich intensiv auseinandersetze. Leistung ist ein zentrales Thema für mich, aber überhaupt nicht nur im Sport.

Maura Graglia

Die fünfzigjährige Maura Graglia hat in Zürich Psychologie studiert und zahlreiche Weiterbildungen absolviert, u.a. in Sportpsychologie. Seit 1991 führt sie eine Praxis für Coaching, Schulung und Beratung. In 20 bis 30% ihrer Arbeitszeit ist sie als Sportpsychologin/Mental-trainerin für Spitzensportler und Teams tätig. Sie betreut seit einem Jahr die Jugend- und Juniorennationalmannschaft der Sportkletterer. Das Projekt wird von Swiss Olympic unterstützt. Schon länger arbeitet Graglia mit der Spitzenkletterin Alexandra Eyer zusammen.

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