Die Besteigung des Vallunaraju in Peru. Bergführer mit nackten Füssen
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Die Besteigung des Vallunaraju in Peru. Bergführer mit nackten Füssen

Bergführer mit nackten Füssen

1948: Die Bergsteiger Europas erobern die Anden. Der einheimische Indianer Victorino Angeles versucht, zusammen mit vier Kameraden, den 5686 m hohen Vallunaraju in Peru zu besteigen. Barfuss. Die wahre Geschichte eines aussergewöhnlichen Mannes.

« Eine Wasserwand, eine wahre Flutwelle », erinnert sich Victorino Angeles. « Nie habe ich lauter geschrien als damals. » Am 13. Dezember 1941,. " " .Victorino ist elf Jahre alt, stürzt um 7 Uhr morgens ein riesiges Stück Gletscher in den auf 4900 m liegenden Palcacocha. Der See läuft über und überschwemmt Huaraz, eine Stadt in der peruanischen Cordillera Blanca. Die Flutwelle fordert 7000 Tote.. " " .Victorino, der von den entfesselten Fluten mitgerissen wird, überlebt wie durch ein Wunder. Seine vier Grosseltern, sein Vater und einer seiner Brüder aber sind tot. Sieben Jahre später, 1948, erobern die europäischen Bergsteiger die Anden. Sie kommen aus der Schweiz, aus Frankreich oder Deutschland. « Was suchen die da oben ?», fragt sich Victorino. « Warum provozieren sie unsere Götter ?» Niemand weiss eine Antwort. Gerüchte kursieren wie: « Sie suchen Gold, Silber, Smaragde. » Einige sagen gar, dort oben liege der Schatz der Inkas. Aber die Ausländer sind reich. Sie bezahlen die Träger und Maultiertreiber gut. Ein Taglohn entspricht einer Woche Lohn in den Feldern. Langsam weicht das Misstrauen, Vertrauen baut sich auf.

Im eiskalten Bach Im Juni 1948 arbeitet Victorino am Llaca-See in 4800 m Höhe. Der See liegt neben dem Tal, in dem sich 1941 das Drama abgespielt hat. Mit seinem Bruder Emilio und den drei Freunden Prudencio Oropeza, Apolonio Yanac und Nazario Gonzales gräbt er ein Überlaufbecken, damit der Wasserspiegel abgesenkt werden kann. Die fünf Kameraden stehen im eiskalten Wasser, hauen mit ihren Hacken auf den Fels und schaufeln den Dreck aus dem Bach. Nach einem Jahr Arbeit ist der Seespiegel schon beträchtlich gesunken. Huaraz braucht vor Eisabstürzen in den See keine Angst mehr zu haben. Sie machen eine Pause.. " " .Victorino setzt sich auf einen Felsen und starrt auf den Berg über ihm, den Vallunaraju, 5686 m. Die beiden weissen Gipfel, die in den Himmel ragen, faszinieren ihn. « Man nennt sie die Brüste der Pachamama », denkt er. Es sieht aus, als ob die « Göttin der Erde » ihre Milch dem Sonnengott Inti anbieten würde.

Auf einmal reisst ihn sein Bruder Emilio aus den Gedanken. « Da unten kommt Cesar Morales. » Als ob sie bei einem Streich ertappt worden wären, machen sich die Jugendlichen sofort wieder an die Arbeit. Irgendetwas Ernstes muss sich im Tal unten zugetragen haben, denn der Chef, der auch Journalist ist, steigt sonst nie zur Baustelle hinauf. Die fünf Freunde sind gespannt. In feierlichem Ton sagt ihnen Cesar Morales: « Wir werden ihnen beweisen, dass nicht nur Gringos in der Lage sind, unsere Gipfel zu besteigen. Ihr werdet die erste rein peruanische Seilschaft sein, die dort hinaufsteigt. Ich gebe euch drei

Arueycocha. Der Rinrjirca-Gletscher hat den Aruey-See, der sich neben dem Basecamp des Alpamayo befindet, gebildet. Zwei Tagesmärsche sind notwendig, um dorthin zu gelangen. Gut ersichtlich ist, wie sich der Gletscher zurückzieht und jene Seen bildet, die die darunter liegenden Täler gefährden, wenn Eismassen hineinstürzen und daraus Flutwellen entstehen. So geschehen 1941 im Huaraztal.

Arbeit in historischer Kleidung, nachgestellt durch die Söhne von Victorino Angeles Cherqui Der Vallunaraju, 5686 m, von Huaraz aus gesehen Fo to :J ea n Pi chon Foto: Jean Pichon Foto: Jean Pichon

Tageslöhne. » Cesar Morales zeigt auf den Vallunaraju. Der Vorschlag ist verlockend: drei Tage Vergnügen und die peruanischen Farben hochhalten. Die Gringos haben bis jetzt diesen Gipfel noch nicht erklommen. Zu wenig hoch für sie.

Rot, Weiss, Rot Fieberhaft macht sich das Team an die Vorbereitungen für die Besteigung. Ein grosses Blech wird in den peruanischen Farben Rot, Weiss, Rot bemalt. Es soll als Nationalflagge dienen. Bandera de Cala-mina nennen sie sie. Prudencio Oropeza schlägt vor, Stroh mitzunehmen. « Warum ?», wundern sich seine Freunde. « Um es auf dem Gipfel anzuzünden. Dann wissen die Leute im Tal, wenn wir auf dem Gipfel sind. » Petrollampen und Decken werden gepackt. Die schweren Pickel für die Feldarbeit dienen als Eispickel. Die dicken Seile, mit denen auf der Baustelle riesige Felsbrocken transportiert werden, sollen die peruanischen Bergsteigerlehrlinge untereinander verbinden. Und los gehts. Aber die Begeisterung und der Enthusiasmus verdecken nur notdürftig ihre Inkompetenz. Sie machen sich auf den Weg zu einem Fast-6000er und haben nichts von dem dabei, was für das Hochgebirge unerlässlich ist.

25. Juni, 16 Uhr, die Seilschaft ist unterwegs. Zwar müssen sie den Weg im Steilhang suchen, der zum Gletscher hinaufführt, aber das ist weiter kein Problem. Es wird gescherzt, die Stimmung ist locker. Die Nacht bricht herein. Die Petrollampen werfen nur einen schwachen Schein auf den hypothetischen Weg. Die kleine Gruppe macht Halt.

Mit blossen Füssen Drei Hand voll Mais sind ihre Mahlzeit, und dann schlafen sie auf dem blossen Boden, eingewickelt in ihre Decken. Jeder Satz löst ein Gelächter aus. Aber das Lachen ist verkrampft, voller Angst. Die Unruhe nagt im Magen. Morgen erwartet sie das Unbekannte, der Gletscher. Nazario zieht seine Flöte hervor und spielt eine bekannte Melodie, ein Lied aus dem Tal. Im Morgengrauen brechen die fünf Freunde auf und erreichen eine Viertelstunde später den Fuss des Gletschers. « Als wir den Schnee erreichten, realisierten wir, dass wir ja nur unsere einfachen Sandalen hatten », erinnert sich Victorino. Dennoch kommt Umkehren nicht in Frage. Es steht zu viel auf dem Spiel. « Wir versuchens mit unseren Gummi-sandalen », sagt Victorino. Und wird gleich zum Seilersten ernannt. Aber die Sandalen geben keinen Halt. Die jungen Leute haben Kopfschmerzen wegen der Höhe und sehen kaum mehr etwas, weil das Licht so hell ist. Zwei Stunden später beschliessen sie umzukehren. Am Abend sind die fünf Kameraden schneeblind. Während dreier Tage werden sie von ihren Müttern mit Wickeln aus Kot und Urin von Pizarro, dem schwarzen Esel des Hauses, gepflegt. Das ist so Sitte.. " " .Vier Tage später sind sie wieder an der Arbeit am See.

Die Wahl des Chefs Am 27. Juli taucht Cesar Morales wieder bei den jungen Leuten auf, diesmal mit einem Sack voller alter Armeeschuhe, Steigeisen ohne Frontzacken, Gletscherbrillen und richtiger Eispickel, allerdings nur für drei Personen. Die Wahl des Chefs fällt auf die drei mit der grössten Begeisterung. Victorino wird erneut der Seilerste sein. Sein Bruder Emilio und Nazario Gonzales begleiten ihn.

Der Zustieg zum Gletscher ist einfach. Die drei Freunde kennen ja den Weg. Die Nacht ist ruhig. Am nächsten Tag, am 28. Juli, schnallen die drei im Licht der ersten Sonnenstrahlen die Steigeisen an und wagen sich erneut auf den Schnee. Ein ungeschickter Schritt, das typische Knacken, dem Knöchel ist nichts passiert, aber die Hose ist zerrissen. Victorino schätzt sich glücklich. « Es ist gar nicht so einfach, mit den Dingern zu gehen », denkt er. Das Wetter ist aussergewöhnlich mild. Die drei Bergsteiger sinken bis zu den Knien im Schnee ein. Sie umgehen einige Spalten. Wind kommt auf, und Wolken hüllen die drei Freunde ein. Voller Angst steigen sie einen ziemlich steilen Hang hinauf und stehen am Bergschrund. Ein Pickel wird ins Eis geschlagen. « Seil strecken », schreit Victorino seinem Bruder zu, bevor er losklettert. Der Bergschrund ist überschritten. Die kleine Gruppe befindet sich in einem sehr steilen Hang. Unter ihnen tausend Meter Leere.. " " .Victorino bekommt Angst. « Ich sagte mir: Wir sind verrückt !», erinnert er sich. Aber die Anziehungskraft des Gipfels ist stärker. « Ich dachte, dass Emilio und Nazario aufgeben würden. Sie husteten und spuckten. Deshalb zog ich am Seil und munterte sie auf. Hopp, wir sind gleich oben. Noch dreissig Meter, noch zehn. » Schliesslich sind die 5686 m des Vallunaraju bezwungen. Auf dem Kalender steht der 28. Juli 1948.

Vom Träger zum Bergführer Die Besteigung verändert Victorinos Leben. Er widmet sich seiner neuen Leidenschaft, den Bergen. Sein Name wird auch in Übersee bekannt. Er ist weit herum gefragt als Träger fürs Hochgebirge. Er ist bekannt für seine Ernsthaftigkeit, seine Freundlichkeit und seine Kompetenz. « Eines Tages », erzählt er, « fragte mich ein Schweizer, ob ich ihn auf den

Die vier Brüder Angeles und die drei Brüder Yanac waren die Pioniere des peruanischen Bergsteigens. Der erste Aufstiegsversuch auf den Vallunaraju von 1948 wird nachgestellt. Ohne Ausrüstung und Erfahrung hatten die Andinisten keine Chance auf Erfolg.

Victorino auf dem Gletscher beim Aufstieg auf den Huascaran, 6768 m, im Jahr 1952 Foto: Archiv Victorino Angeles Cherqui Fo to :A rc hi v V ic to rino Angele s C he rq ui to :J ea n Pi chon DIE ALPEN 12/2003 Mit 74 Jahren führt Victorino Angeles Cherqui immer noch ausländische Alpinisten in die peruanischen Cordilleras.

Der Vallunaraju wurde am 28. Juli 1948 von Victorino Angeles Cherqui, seinem Bruder Emilio und Nazario Gonzales erstbestiegen.

Der Gipfel des Vallunaraju, 5686 m DIE ALPEN 12/2003

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Vallunaraju führen würde, meinen Berg. » Victorino führt zum ersten Mal. Später klettert er mit Lionel Terray und Walter Bonatti, als diese in den Anden unterwegs sind. Er klettert noch auf zahlreiche weitere Berge, darunter den Aconcagua, den höchsten Gipfel der Kordilleren. Er besteigt auch mehrmals den Huascaran, den höchsten Gipfel Perus, 6768 m.

Die vier Gebrüder Angeles und die drei Gebrüder Yanac sind die Pioniere des peruanischen Alpinismus. Victorino vererbt seine Leidenschaft an seine drei Söhne und vier Töchter. Die an der von Schweizer Alpinisten gegründeten Führerschule in Huaraz ausgebildeten Söhne sind alle als Bergführer oder Berginstruk-toren tätig. Im Alter von 74 Jahren führt Victorino immer noch Touristen mit sicherem Schritt in die Berge. Seine körperliche Verfassung ist erstaunlich. Davon können Bergsteiger des Schweizer und französischen Alpenclubs erzählen: Trotz ihrer guten Kondition muss Victorino des Öftern auf sie warten. a

Jean Pichon, Gruffy ( F ) ( ü ) Fo to s:

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