Die Stadt als Spielplatz
Unterstütze den SAC Jetzt spenden

Die Stadt als Spielplatz Bouldern im öffentlichen Raum

Das Bouldern an Fassaden, Mauern und Objekten im urbanen Raum ist eine Spielart des Kletterns. In der Schweiz gibt es in den meisten Städten aktive Stadtboulderer – in Glarus und Lugano gibt es sogar offizielle Wettkämpfe.

Schon mal versucht, um eine Parkbank zu bouldern? Will heissen: die Bank komplett zu umrunden, ohne den Boden zu berühren. Was im ersten Moment einfach klingt, stellt sich – sobald man mit dem Rücken wenige Zentimeter über dem Boden schwebt – als trickreiche Angelegenheit heraus. Oder wie wäre es mit der Natursteinmauer, an der man regelmässig auf dem Nachhauseweg vorbeikommt? Würden sich die feinen Vorsprünge und Strukturen bei genauer Betrachtung nicht prima zum Klettern eignen? Diese Fragen stellen sich Kletterer, die regelmässig mit der Bouldermatte in der Stadt unterwegs sind. Denn genau darum geht es beim Stadtbouldern: Objekte und Strukturen im urbanen Raum aus einer anderen Perspektive – sozusagen durch die Kletterbrille – zu betrachten.

Glarus neu entdecken

«Es ist spannend, Boulder in der Stadt zu definieren. So entdecke ich Glarus ganz anders», sagt Patrick Hess. Der Glarner organisiert heuer zum vierten Mal den City Boulder Event in der Kantonshauptstadt. «Ich bin zufällig auf die Anlässe in Italien und im Tessin gestossen und dachte mir: Das müsste man auch bei uns organisieren», erklärt der leidenschaftliche Kletterer. Seine ursprüngliche Idee war, das Bouldern als eigenständige Sportart in der Region bekannter zu machen. Und damit das Projekt Boulderhalle Näfels zu unterstützen, das er zu diesem Zeitpunkt mit dem Verein Kletteranlagen Linthgebiet auf die Beine stellte. «Die Gemeinde Glarus fand die Idee mit dem Wettkampf super», erinnert sich Patrick Hess. Und so fand 2015 der erste City Boulder Event statt. «Zunächst war es ein kleiner Anlass», erzählt der Initiant. Das ist inzwischen anders: Mit 70 Kletterern im Jahr 2019 ist die Veranstaltung an ihre Kapazitätsgrenzen gestossen. «Die Teilnehmer kommen aus der ganzen Schweiz. Sie sind begeistert, dass sie Gebäude offiziell beklettern dürfen», erklärt der Veranstalter. In Gruppen von fünf bis acht Personen sind die Boulderer einen Tag lang mit Matten und einem Schiedsrichter unterwegs und versuchen, acht Probleme zu lösen. Mitmachen können Kletterbegeisterte aller Altersstufen. «Bei uns geht es um den Plausch und das Miteinander», erklärt Patrick Hess. Die Bewilligung fürs Klettern holt er für jedes Gebäude einzeln ein. «Die meisten Besitzer machen gerne mit.» Patrick Hess freut sich bereits auf die Austragung im August: Neu werden auch Gebäude im benachbarten Ennenda einbezogen.

Offizielles Angebot in Bern

Auch in anderen Schweizer Städten wird seit längerer Zeit gebouldert, etwa in Biel, Bern, St. Gallen, Genf, Zürich oder Lugano. Für Bern und Biel gibt es sogar Topos. In der Regel sind es Einzelpersonen, die sich selbst organisieren und mit der Bouldermatte die Stadt entdecken. Anders in Bern: Seit Anfang 2000 ist Citybouldern ein offizielles Sportangebot der Universität Bern. Die Idee dazu hatte Florian Mittenhuber, der damals Kletterkurse für Studierende leitete. «Bouldern war als Sportart ganz neu, und Hallen gab es in der Region noch keine», erklärt der Berner, der als Dr. Bäri mit seinem Kletterkollegen Dr. Bomb Anfang der 1990er-Jahre den Führer Bärnboulder herausgab. Die Uni Bern zeigte sich offen. Seither treffen sich 20 bis 25 Interessierte einmal wöchentlich und gehen – je nach Wetter und Saison – in die Stadt, an den Boulderblock im Neufeld oder in die Halle. Auf Gegenwehr stiessen die Stadtboulderer, als es darum ging, einen offiziellen Wettkampf durchzuführen: Diesen lehnte die Stadt ab, sie drohte der Uni sogar mit rechtlichen Schritten, als die Medien breit über das Citybouldern in Bern berichteten. Die Boulderer liessen sich davon nicht beirren: Sie nennen das Angebot seither Outdoorbouldern und meiden umstrittene Spots. «Wir besuchen unproblematische Orte wie die Bahnunterführung im Beaumont, die Badgasse, den Finkenhubelweg oder das Schulhaus im Breitfeld», erklärt Dominic Abplanalp, der das Angebot seit seiner Studentenzeit besucht und seit zehn Jahren leitet. Er betont: «Wir machen nichts kaputt.» Ein-, zweimal hätten Nachbarn die Polizei verständigt, die Begegnungen mit den Ordnungshütern seien jedoch stets problemlos verlaufen, erklärt der Berner.

Bewegung in der Grauzone

Obwohl Dominic Abplanalp lieber am Fels bouldert, schätzt er das Stadtbouldern als schöne Alternative für den Feierabend. Ihn reizt die Möglichkeit, künstliche Strukturen umzuinterpretieren. «Oft sind es Bewegungsprobleme und Spielereien, die Kreativität erfordern. Beispielsweise bei einer eineinhalb Meter hohen Mauer die Kante wegzudefinieren und im Sitzen zu starten», so der 39-Jährige. Auch die Frage, wem der öffentliche Raum gehört, ist für ihn spannend. Die Stadtkletterer bewegen sich hier in einer Grauzone.

Nicht so beim City Boulder Event in Glarus: Am 22. August dürfen Objekte im öffentlichen Raum mit offizieller Erlaubnis beklettert werden. Wer neugierig ist, sollte sich den Event nicht entgehen lassen. Oder aber: sich beim nächsten Spaziergang die Parkbank vornehmen.

Feedback