Die vielen Gesichter der Dent d'Hérens. Einer der schönsten Viertausender
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Die vielen Gesichter der Dent d'Hérens. Einer der schönsten Viertausender

Die vielen Gesichter der Dent D' HÉRENS

Einer der schönsten Viertausender

Hochgebirge wagten. So wurden die Berge südlich der Vispertäler Ende des 18. Jahrhunderts als « schweizerisches Grönland » und die « scheusslichste Wildnis der Schweiz » beschrieben. 4 Kartografen waren zudem bei der einheimischen Bevölkerung gar nicht gern gesehen und wurden sogar tätlich angegriffen. 5 So nahmen sie die hohen Gipfel öfters aus der Ferne, etwa von der Gemmi, auf. Von dort aus liegt die Dent d' Hérens ziemlich genau hinter der Dent Blanche, weshalb Erstere vielleicht gar nicht gesichtet wurde.

Namen sind Glückssache

Aber wie kam es, dass die eine den Namen der anderen trägt, aber gleichzeitig die Eigenschaften vice versa passender wären? Die apere Nordwestfl anke der Dent Blanche war wohl auch während der Kleinen Eiszeit weder weiss noch vergletschert. Höchstens die Nordostfl anke, die aber von keinem bewohnten Tal aus sichtbar ist, dürfte früher mehr Eis gehabt haben. Interessanterweise enthielt der Woerl-Atlas von 1842 den Namen « Dent Noir ». Um 1850 wird dieser Gipfel zwischen dem Val de Fer pècle und Val de Zinal als Dent Blanche kartiert, und die Dent d' Hérens in derselben Zeit als Dent de Rong eingezeichnet. Seit der Dufourkarte werden nur noch die heutigen Namen verwendet.

Aber offensichtlich waren sich nicht nur die Kartografen uneinig, sondern auch die einheimische Bevölkerung. Während die Dent d' Hérens von den Bewohnern vorne im Tal Dent Blanche genannt wurde, war sie im Hintergrund des Tals unter dem Namen Dent de Rong oder Dent d' Erins bekannt.

Exotik im Schatten des Matterhorns

Im Gegensatz zur Namensgeschichte ist die geologische Entstehung der Dent d' Hérens weitgehend klar. Sie gehört wie das Matter-, Gabel-, Rot- und Weisshorn zu jener tektonischen Decke, die den Namen Dent Blanche trägt. Während der Alpenbildung wurden die Gesteinsmassen durch die Kollision der tektonischen Platten von Afrika und Europa als Decken übereinander geschoben. Je weiter südlich der Ursprungsort der Gesteine, desto höher liegen sie heute im Deckenstapel der Alpen. So kommt es, dass man auf den hohen Grattouren dieser Viertausender den

Die Dent d' Hérens ist mit dem Matterhorn über einen vier Kilometer langen Grat verbunden. Blick vom Südgrat der Dent Blanche aus bei Sonnenaufgang Foto: Françoise Funk-Salamì

DIE VIELEN GESICHTER DER DENT D' HÉRENS

Abfahrt über den Glacier des Grandes Murailles, im Hintergrund die Dent d' Hérens Aufstieg zur Ostschulter der Dent d' Hérens bei Vollmond. Morgengrauen über dem Col du Mont Brulé und erste Sonnenstrahlen am Grand Combin Die Dent d' Hérens vom Gipfel der Dent Blanche aus Les Grandes Murailles und der Gipfel der Dent d' Hérens bei Sonnenuntergang Auf dem Gipfel der Dent d' Hérens. Im Hintergrund Matterhorn und Monte Rosa Fotos: Fr ançoise Funk-Salamì

festen kristallinen Gneis des afrikanischen Urkontinents in den Händen hält. Trotz ihrer geologischen Verwandtschaft könnten das weltberühmte Matterhorn und die beinahe vergessene Dent d' Hérens nicht unterschiedlicher sein. Sie gehören aber zusammen wie Bruder und Schwester, verbunden über den Liongrat des Matterhorns und den Ostgrat der Dent d' Hérens, einen der längsten Grate der Alpen.

Dass die Dent d' Hérens zu den geheimnisvollsten Viertausendern der Alpen gehört, hängt damit zusammen, dass sie sich immer wieder « versteckt »: Vom Val d' Anniviers und vom Mattertal aus erblickt man Weisshorn, Zinalrothorn Obergabelhorn und Dent Blanche, nicht aber die Dent d' Hérens. Im Eifischtal – wie das Val d' Anniviers auf Deutsch heisst – versteckt sie sich hinter den Gipfeln dieser « Kaiserkrone », und selbst auf dem Gornergrat liegt sie genau hinter dem « Horu ». Der Anblick der Dent d' Hérens muss also verdient werden, am besten bei einer Bergwanderung auf dem historischen Pfad von Zermatt über Zmutt nach Schönbiel. Bereits zur Römerzeit wurde er genutzt, als wegen des geringen Glet-

Holz und Geranien vermitteln eine heimelige Stimmung.

Grimentz im Val d' Anniviers oder – auf Deutsch – Eifischtal. Typisch sind die sonnenverbrannten Fassaden.

Fotos: Fr ançoise Funk-Salamì

scherstandes eine wichtige Nord–Süd-Verbindung vom Rhonetal über den Col d' Hérens und den Theodulpass ins Val Tournanche führte.

Vom Handelsweg zur Patrouille des Glaciers

Im Mittelalter benutzten hauptsächlich die Walser diesen Gletscherpass. Von Zermatt aus gründeten sie im Val d' Hérens Tochterkolonien. Die verwandtschaftlichen Beziehungen waren zu Beginn so stark, dass selbst die Toten aus dem Val d' Hérens über den Gletscherpass nach Zermatt zu Grabe getragen wurden. Mit dem starken Gletschervorstoss in der Kleinen Eiszeit setzte die langsame Verödung des Passes ein, der nur noch unter grossen Schwierigkeiten überquert werden konnte. Die an der Abzweigung der Saumpfade vom Theodulpass zum Col d' Hérens und Col Durand sich befindende Alpe Tiefenmatten wurde zuerst durch einen Bergsturz verschüttet und schliesslich vom Zmuttgletscher überfahren.

Heute ist die Gegend um den Col d' Hérens Teil der berühmten Haute Route zwischen Zermatt und Chamonix. 1943 wurde sie, um die Einsatzfähigkeit der Gebirgsbrigade während des Zweiten Weltkriegs zu erproben, erstmals in einer Etappe zurückgelegt. Als beim dritten Patrouillenlauf sechs Jahre später eine Seilschaft auf dem Glacier Mont Miné in eine Gletscherspalte stürzte und erst acht Tage später geborgen werden konnte, blieb der Wettkampf über dreissig Jahre verboten. 1984 wurde die legendäre « Patrouille des Glaciers » 6 erneut ins Leben gerufen, und die Schnellsten schaffen die Distanz mittlerweile in weniger als acht Stunden. Dabei ist die Strecke auf dem Zmuttgletscher vor den Kulissen des Matterhorns und der Dent d' Hérens wohl eine der eindrücklichsten Etappen der Haute Route.

Historisches Haus in Les Haudères 6 Die Patrouille des Glaciers 2006 findet vom 26.–30. April 2006 statt.

Auf der Grenze

Das ausgedehnte Massiv der Dent d' Hérens mit der imposant vergletscherten Nordwand, die 1925 durch Welzenbach und Allwein erstbestiegen wurde, erstreckt sich fast vier Kilometer vom Colle Tournanche zum Tiefmattenjoch und bildet dabei die Grenze zwischen der Schweiz und Italien. Vor dieser grossartigen Hochgebirgsszenerie liegt auf der gegenüberliegenden Talseite die Schönbielhütte wie auf einem aussichtsreichen Podest. Im Gegensatz zur im Tal von Zinal gelegenen, 1870 erbauten Cabane du Mountet wurde die Schönbielhütte SAC, eine unter vielen familienfreundlichen SAC-Hütten, erst 1955 erstellt. Trotz der Nähe zu Zermatt ist es auf dieser Seite wesentlich ruhiger, denn die Besteigungen der grossen Berge sind alle lang und anspruchsvoll.

Routen im Wandel

Erst wer die Besteigung der Dent d' Hérens ins Auge fasst, wird sich ihrer Abgelegenheit richtig bewusst. Die Zustiege sind von allen Seiten her lang. Die Normalroute von der Zermatter Seite führt über die vereiste WNW-Flanke auf den Gipfel. Die Erstbegehung erfolgte 1906 im Abstieg durch Ryan mit den Führern Franz und Josef Lochmatter nach der Erstbesteigung des 2,5 km langen Ostgrates. Diese schwierige Grattour in brüchigem Fels gehört zu den längsten der Alpen. Die Begehung der WNW-Flanke, die stark vom Zustand der Vergletscherung abhängt, ist wegen der Ausaperung in den letzten Jahren zusehends problematisch geworden. Aus diesem Grund wird die Dent d' Hérens immer öfters über die Normalroute von Italien her bestiegen. Vom Rifugio Aosta 7 führt die Normalroute, 1863 erstbegangen, über die Südflanke und den Westgrat auf den Gipfel. Dieser ist ein wahrer Logenplatz inmitten eines grossartigen Panoramas, in dem sich das « Horu » von einer äusserst imposanten Perspektive zeigt. Diese Tour kommt einer kleineren Expedition von normalerweise drei Tagen gleich. Wer die lange Reise über den Grossen Sankt Bernhard ins Valpelline scheut, gelangt vom Col de la Division zum Rifugio Aosta. Den Col de la Division erreicht man am besten von Arolla über das Refuge des Bouquetins und den Col du Mont Brulé bzw. von der Cabane de Bertol und Col de Valpelline. 8

Auf Ski rund um die Dent d' Hérens, 4171 m

Die Frühjahrsskitour rund um die Dent d' Hérens ist eine imposante, aussichtsreiche Viertagestour abseits vom

7 Das Rifugio Aosta wurde nach seinem Bau im Jahr 1907 durch Lawinen und Unwetter beschädigt und schliesslich 1995 zum zweiten Mal wiedereröffnet. 8 SAC-Führer von Herman Biner: Hochtouren im Walllis. Vom Trient zum Nufenenpass, SAC-Verlag, Bern 2002 Fotos: Fr ançoise Funk-Salamì Welcher Berg ist welcher? Blick vom Blanc de Moming auf Dent Blanche ( r. ) und Dent d' Hérens ( l. ) Nur im Winter weiss: die Dent Blanche im hinteren Val d' Hérens bei La Forclaz Das Gleiche auf einer Ansichtskarte um 1940 Schönbielhütte SAC und Dent d' Hérens 2004

grossen Rummel der klassischen Haute Route. Die Besteigung des Skigipfels der Dent d' Hérens lohnt sich, da man mit den Ski bis auf 4040 m gelangen kann ( Ostschulter ) und danach 1200 m Abfahrt in optimal geneigtem Gelände geniessen kann. Aber auch eine Besteigung des anspruchsvollen Hauptgipfels ist bei guten Verhältnissen im Frühjahr wegen der geringen Ausaperung empfehlenswert. Zur Ausrüstung gehören Seil, Eispickel und Steigeisen; LK 1:50 000, Blatt 284 S Mischabel und Blatt 283 S Arolla; LK 1:25 000, Blatt 1347 Matterhorn. Literatur: Feller Eugen/Mathier Roger, Skitouren Oberwallis, vom Bishorn zum Gross Muttenhorn, SAC-Verlag 2002. Albasini Stéphane, Ski alpin Bas-Valais. Du lac Léman au Vallon de Tourtemegne, SAC-Verlag 2003 Bern, nur französisch.

Route Rundtour

Zermatt, 1616 m–Schönbielhütte SAC–Col de Valpel-line–Col de la Division–Rifugio Aosta–Dent d' Hérens ( Ostschulter oder Hauptgipfel)–Rifugio Aosta–Col Bella Tza–Cervinia–Zermatt

Aufstiegszeit: 4–5 Std./Schönbielhütte; 4 Std./Col de Valpelline; 1½ Std./Rifugio Aosta; 5–6 Std./Dent d' Hérens; 2–3 Std./Rifugio Aosta; 5 Std./Cervinia

Schwierigkeit: ZS

Route Dent d' Hérens

Rifugio Aosta Glacier des Grandes Murailles–Ostschulter, 4075 m, oder in der Nähe von Pt. 3772 m Traverse der Südflanke–Westgrat–Hauptgipfel, 4171 m

Aufstiegszeit: 4 Std./Ostschulter, 6 Std./Gipfel Schwierigkeit: ZS ( Ostschulter ) bis S ( je nach Schnee- und Eisverhältnissen ) exponierte Grattour ( III ) am Schluss a

Steinbock in der Morgensonne Auf dem Weg zur Schönbielhütte SAC Blumen am Wegrand Fotos: Fr ançoise Funk-Salamì Bergbach auf dem Weg zur Schönbiel- hütte SAC Hauswurz – Bergfrühlings-bote auf dem Weg zur Schönbielhütte SAC Alter Stall am Weg nach Zmutt Die imposante Nordwand der Dent d' Hérens

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