Einen Meter weiter oben, tausend Meter weiter weg
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Einen Meter weiter oben, tausend Meter weiter weg Als die Taiga in unsere Berge kam

Ist Ihnen noch nie aufgefallen, dass die fabelhafte, riesige Taiga, die dreimal so gross ist wie der Amazonas, zu uns in die Berge in die Ferien gekommen und nie wieder gegangen ist?

Diesen Eindruck könnte man tatsächlich bekommen, wenn man die dichten Nadelwälder in unseren Bergen durchquert, die viele Biogeografen die «untere subalpine Höhenstufe» nennen. Obwohl die Zusammensetzung oft aus verschiedenen Arten besteht, werden sowohl die Taiga als auch unsere Bergwälder von säulenartigen Nadelbäumen dominiert und von Laubbäumen gesäumt.

Altehrwürdige Nadelbäume

Nadelbäume sind beeindruckende und unglaublich widerstandsfähige Bäume, die seit 300 Millionen Jahren auf unserem Planeten existieren. Nur zur Erinnerung: Nadelbäume belegen weltweit den ersten Platz im Wettbewerb um Langlebigkeit oder Grösse. Die altehrwürdige schwedische Fichte «Old Tjikko» feiert bald ihren 10 000. Geburtstag. Einige Mammutbäume weisen eine Höhe von 115 Metern auf, und eine mexikanische Zypresse verfügt über einen schmeichelhaften Taillenumfang von 36 Metern …

Kiefern, Fichten, Tannen und Lärchen sind auf der Nordhalbkugel am besten geeignet, um der Kälte, der Trockenheit, starken Schneefällen und dauerhaftem Licht- oder Sauerstoffmangel zu trotzen. Nähert man sich den hohen Breitengraden oder den hohen Höhenlagen bilden sie die letzten Baumbestände vor der Baumgrenze.

Aus Sicht des Geografen sind diese Pflanzenbestände in Bändern angeordnet. Das erste Band verläuft in der nördlichen Hemisphäre etwa um den 60. Breitengrad und erstreckt sich über mehrere Hundert Kilometer. Das zweite Band umwindet die Alpen zwischen 1200 und 1600 Metern über dem Meeresspiegel an den Nordhängen und zwischen 1600 und 2000 Metern im Süden.

Der Faktor 1000

Seit Langem hat man erkannt, dass die Vegetation entlang eines Meridians und entlang eines Berghangs in recht ähnlicher Weise variiert. Der Botaniker Heinz Ellenberg wies darauf hin, dass ein Meter Höhenunterschied vergleichbare Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Pflanzen hat wie die Distanz von einem Kilometer in Nord-Süd-Richtung. Dieser Faktor 1000 erklärt nicht nur die erstaunliche Vielfalt der Gebirgszüge, sondern verdeutlicht auch die aussergewöhnliche Zerbrechlichkeit der verschiedenen Vegetationsstufen.

Unsere «alpine Taiga» ist zauberhaft und lässt uns bisweilen vom Norden träumen. Zum Beispiel von Abenteuern in der borealen Natur, wie sie Dersu Uzala, der Held in Kurosawas Film Uzala der Kirgise, erlebt. Dieser aussergewöhnliche Schamane deutet das Sichtbare sowie das Unsichtbare und lebt im Einklang mit der Natur. Mit Respekt vor den Blumen und stummen Dingen lehrt er uns, das Zerbrechliche unserer Berge neu zu schätzen.

Doppelgänger

Es gibt sie nicht nur unter den Menschen, sie sind in der Natur auch sonst vorhanden. In dieser kleinen Serie, die dem Pflanzenreich gewidmet ist, lädt uns der Biologe, Bergführer und Wanderleiter Bertrand Gentizon ein, einige überraschende und manchmal gefährliche Ähnlichkeiten zu entdecken.

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