«Erst der Anfang»
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«Erst der Anfang» In Schutzgebieten können bald auch Wind­räder stehen

Landschaftsschützer Raimund Rodewald über die Konsequenzen der Energiestrategie 2050.

Das neue Energiegesetz besagt, dass erneuerbare Energie nach einer Interessensabwägung auch in den Naturperlen der Schweiz, den BLN-Gebieten, genutzt werden kann. Bedroht die Energiestrategie nun die letzten natürlichen Landschaften?

Das ist ganz klar eine Bedrohung. Die Auswirkungen sind noch unklar, weil eine solche Interessenabwägung noch nie vorgenommen wurde. Noch fehlen die Gerichtsentscheide. Wir finden: Die Energiewende darf nicht auf Kosten des Landschaftsschutzes gehen.

Was ist so schlimm daran, wenn auf dem Berg ein paar Wind­räder stehen? Für viele ist das auch ein schöner Anblick.

Es geht nicht darum, ob einem Windräder gefallen. In den 162 BLN-Gebieten geht es um die ungeschmälerte Erhaltung der Landschaft. Und die Windräder wären erst der Anfang: Wenn man hier Ausnahmen macht, macht man sie bald auch anderswo, etwa in der Landwirtschaft oder beim Tourismus.

Mit dieser Haltung steht der Landschaftsschutz der Energiewende im Weg.

Mit Sicherheit nicht. Da sind ganz andere Anstrengungen nötig, als ein paar Windräder aufzustellen. Vergessen wir nicht: Etwa die Hälfte der zusätzlich benötigten Energie soll bis 2050 durch Einsparungen frei werden. Die bislang getroffenen Massnahmen, etwa bei Gebäudesanierungen, sind völlig ungenügend. Hier muss man zuerst ansetzen.

Sie fokussieren stark auf die im BLN aufgeführten Gebiete. Was ist mit Landschaften, die nicht im Inventar sind? Gegen das geplante Grosskraftwerk im Triftkessel setzen Sie sich nicht zur Wehr.

Ich kann persönlich nur schwer damit leben. Doch uns fehlen die rechtlichen Mittel. Das Projekt zu bekämpfen, wäre aussichtslos. Weitere werden folgen: Bereits wird darüber nachgedacht, beim Gornergletscher zu stauen, wenn der Gletscher bis Mitte des nächsten Jahrhunderts abgeschmolzen sein wird. Das ist eine bedenkliche Vision: die Schweizer Alpen als Batterie Europas.

Die Energiestrategie ist vom Volk klar angenommen worden, trotz der Bedenken des Landschaftsschutzes. Politisieren Sie neben dem Volk vorbei?

Die Kommunikation war bei diesem Thema noch nie einfach. Was wir schützen wollen, kann man schlecht in Franken und Rappen berechnen. Uns geht es um die unverbaute Natur, um das Kulturerbe und die Ästhetik. Wir wollen die Schönheit der Landschaften erhalten, die die Schweiz weltweit berühmt gemacht haben. Seit den 1970er-Jahren wurde das im Umweltbereich vernachlässigt, der technische Umweltschutz ist in den Vordergrund getreten. In Abstimmungen hat die Landschaft aber immer einen hohen Stellenwert.

Schönheit liegt im Auge des Betrachters.

Sie ist aber auch ein kultureller Wert. Schönheit bindet uns Menschen an unseren Lebensraum. Ohne ästhetische Natur­erfahrung wären wir einsam auf dieser Welt. Und es geht um Stolz.

Das müssen Sie erklären.

Wir Schweizer haben uns immer stark mit unseren Bergen identifiziert. Wir waren stolz auf sie. Dieser Stolz scheint uns abhandengekommen zu sein. Heute sind wir stolz auf unsere Bauwerke, etwa den Gotthardbasistunnel. Aber es gibt einen Stolz, der nicht auf Leistung beruht, sondern auf Liebe und Achtsamkeit. Auf Liebe zu den Bergen, Freude an der Landschaft. Dieser Stolz stiftet Identität. Und deshalb ist er wichtig.

Raimund Rodewald

Die Natur liegt Raimund Rodewald nicht nur beruflich am Herzen. Der 1950 als Sohn deutscher Vertriebener Geborene war schon als Kind von Pflanzen und Tieren fasziniert, studierte später Biologie und brachte es zum Doktor, bevor er zur Stiftung Landschaftsschutz stiess. Diese war 1970 von Pro Natura, Heimatschutz, Vereinigung für Landesplanung, dem Tourismusverband und dem SAC ins Leben gerufen worden. Dort entdeckte Rodewald seine zweite Begabung: den Sinn für das juristisch und politisch Mögliche. Rodewald machte sich bald einen Namen als einer der profundesten Kenner des Raumplanungsrechts und erhielt dafür von der Universität Basel die Würde eines ­Ehrendoktors. Raimund Rodewald ist Autor zweier Bücher über Landschaftsästhetik und privat als Chorsänger auch kulturell engagiert.

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