Frauen, Fels und Fördergeist
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Frauen, Fels und Fördergeist Weibliche Seilschaften am Berg

Vor knapp 40 Jahren hatten Frauen keinen Zutritt zum SAC. Heute sind sie am Fels und im Eis gleichberechtigt. Nicht zuletzt dank ­engagierten Frauen wie Verena Jäggin und Kathrin Nägeli. Beide setzen sich auf ihre ­Weise für die Förderung der Frauen ein.

Verena Jäggin sitzt im Bahnhofbuffet Olten. Die grauen ­Haare kurz, die Haut braungebrannt, ihr Lachen herzhaft und ansteckend. Wenn die 65-jährige Baselbieterin von vergangenen Bergtouren erzählt, dann blitzen ihre Augen auf. In ganz Europa klettert sie Wände hoch. Auch in den USA ist sie unterwegs: Zu ihrem 60. Geburtstag hat sie sich einen Traum erfüllt und den «El Capitan» bezwungen. Sechs Tage hat sie in der Wand biwakiert. In diesem Jahr will sie mit einem Kollegen eine grosse Tour im Tessin durchziehen. Langes Stillsitzen ist nicht das Ihre. Sie habe von jeher «Ameisen unter dem Füdli», sagt Jäggin lachend. Ähnlich umtriebig ist Kathrin Nägeli. Bereits als kleines Kind faszinierten sie hohe Gipfel und unberührte Natur. Für ihre Masterarbeit kletterte sie in der Arktis auf und unter das Eis. Heute zieht es die 30-jährige ambitionierte Glaziologin dorthin, wo spannende Forschungsprojekte sind. Im Moment ist sie in Aberystwyth, Wales, stationiert. Davor war sie während ihrer Dissertation vor allem im Wallis unterwegs. Sie war bei vielen Messungen beim Findelengletscher mit vor Ort und untersuchte die Eisschicht dort.

Jäggin und Nägeli: zwei Frauen, zwei Generationen – Jäggin könnte die Mutter von Nägeli sein. Dennoch schlagen ihre Herzen für ein ähnliches Anliegen: die Vernetzung, die Förderung von Mädchen und Frauen in den Bergen, auf dem Eis. Während sich Jäggin für das Netzwerk Rendez-vous Hautes Montagnes (RHM) engagiert, das in diesem Jahr das 50-Jahr-­Jubiläum feiert (vgl. Box), steckt Nägelis Projekt «Girls on Ice Switzerland», das sie mit Kolleginnen ins Leben gerufen hat, noch in den Kinderschuhen. Im vergangenen Sommer wurde die Woche in der Schweiz das erste Mal durchgeführt.

Auftauen im Eis

«Die erste Durchführung war ein voller Erfolg», bilanziert Nägeli. Rund 30 junge Mädchen zwischen 15 und 17 Jahren hatten sich für die zehntägige Expedition beworben. Neun erhielten die Chance, mit drei Glaziologinnen und einer Bergführerin zehn Tage in der Natur rund um den Findelengletscher zu verbringen. Dort lernten sie den Gletscher kennen, machten Experimente, suchten Antworten auf wissenschaftliche Fragen, seilten sich in Gletscherspalten ab und bestiegen Gipfel. «Es war faszinierend, zu sehen, wie selbst schüchterne Mädchen mit der Zeit auftauten, sich immer mehr zutrauten und selbstbewusster wurden», erzählt Nägeli.

Ziel des vor drei Jahren gegründeten Vereines ist es, junge Mädchen für Naturwissenschaften zu begeistern. Die Idee stammt ursprünglich aus den USA. Dort wurde «Girls on Ice» vor 19 Jahren erstmals erfolgreich durchgeführt. Danach bildeten sich Ableger in Alaska und neu in der Schweiz. Unterstützt wird das Projekt unter anderem vom Schweizerischen Nationalfonds. Als Nägeli und ihre Kolleginnen vor drei Jahren mit dem Fundraising begannen, stiessen sie auf offene Ohren. «Mädchen für Wissenschaft zu begeistern, ist ein aktuelles Thema», so Nägeli. Für die Mädchen ist das ­Lager kostenlos. «Es soll wirklich für jedes Mädchen zugänglich sein – egal mit welchem familiären Hintergrund.»

Ist «Girls on Ice» aus der Wissenschaft heraus entsprungen, ist «RHM» ein alpinistisches Projekt. Und zwar eines mit einer Geschichte: Die mittlerweile verstorbene Baronin Felicitas von Recznicek wollte Bergsteigerinnen aus dem Osten den Zugang zu den Alpen gewähren. 1968 organisierte sie das erste Treffen in Engelberg. 70 Frauen kletterten eine Woche gemeinsam in der Zentralschweiz. Fortan trafen sich die Frauen jedes Jahr. Bezahlt wurden die Kosten aus einem Solidaritätsfonds.

Erbe einer Baronin

1978 las Verena Jäggin in der «Annabelle» einen Artikel über die Vereinigung. Sie schloss sich den Frauen an und wurde später deren Präsidentin. 30 Jahre lang organisierte sie die jährlich stattfindenden Haupttreffen im Sommer und half im Winter bei den Skitouren und Eisklettertagen mit. Eine Zeit, in der sich das Netzwerk immer wieder verändert hat. «Das Ende des Kalten Krieges, die bessere Stellung der Frauen, der Trend hin zum Sportklettern – das alles hat RHM beeinflusst», erzählt Jäggin, die bis heute kein einziges Sommertreffen verpasst hat. «Früher mussten wir uns in den Bergen gegen kritische Männerblicke und knurrige Sprüche wehren. Das ist heute passé. Frauen treten viel selbstbewusster auf und übernehmen Verantwortung am Fels.»

Männerdomäne Gletscher

Dennoch trifft das Angebot von RHM nach wie vor einen Nerv der Zeit: Seit Jahren ist die Teilnehmerzahl in den Lagern konstant bei rund 40 Frauen. Als Jäggin vor fünf Jahren als Präsidentin zurücktrat, haben zwei junge Italienerinnen das Amt übernommen – Nachwuchs ist also vorhanden. «Frauen schätzen das Klettern unter ihresgleichen im internationalen Umfeld. Zudem geht es in den Lagern lustig zu und her: Wir sind ein Haufen Individualistinnen, die die Leidenschaft für die Bergen teilen», erzählt Jäggin. «Die Geschlechterfrage selbst ist in den Jahren eher in den Hintergrund gerückt.»

Noch am Anfang des Gleichstellungsprozesses steht hingegen die Naturwissenschaft: «Das Eis ist nach wie vor eine Männerdomäne», sagt Kathrin Nägeli. Oft sei sie die einzige Frau unter einer Horde Forscher. Deshalb findet sie Projekte wie «Girls on Ice» wichtig: «Wir wollen damit klassische Geschlechterrollen im Bergsteigen und in der Wissenschaft sprengen.»

Zwei Treffen nur für Frauen

Rendez-vous Haute Montagnebietet jährlich mehrere Treffen an. www.rhm-climbing.net.

Girls on Ice ist ein jährlich stattfindendes Lager für Mädchen zwischen15 und17 Jahren. www.inspiringgirls.org/switzerland

50 Jahre Rendez-vous Haute Montagnes

In diesem Sommer feiert Rendez-vous Hautes Mon­­tagnes seinen 50. Geburtstag. Das Jubiläumstreffen findet vom 4. bis 11. August 2018 in Innertkirchen, Schweiz, statt. Der Jubiläumsanlass wird für die Öffentlichkeit zugänglich sein. Weitere Informationen folgen unter www.rhm-climbing.net.

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