Gefährliche Magermode
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Gefährliche Magermode Richtige Ernährung beim Klettern

Mit weniger Kilos kommt man leichter die Wände hoch. Darum gibt es unter Kletterinnen und Kletterern einige, die zu wenig essen. Das kann verhängnisvolle Folgen haben. Denn nach einem kurzen Leistungsschub folgt ein Tief. Der Körper laugt rasch aus, die Verletzungsgefahr nimmt zu.

Federleicht schwingen sich die Besten der Welt an kleinsten Griffen hoch. Topkletterinnen und -kletterer wie Adam Ondra, Dave Graham, Sasha Digiulian oder Mina Markovic haben kein Gramm zu viel auf den Rippen. Sie sehen schlank aus, sehr schlank.

Die Vorbilder der Weltelite färben auf Normalkletternde ab. Das Gewicht ist auch da ein häufiges Thema. Wer hat es nicht schon erlebt, dass nach einer Magen-Darm-Grippe plötzlich die 6b in der Halle mühelos ging? Wer kennt nicht Sprüche wie: «Wäre ich nur zwei Kilo leichter, dann könnte ich endlich eine 7a klettern!»

Dabei ist das Körpergewicht nur einer von vielen Faktoren für eine Leistungssteigerung. Wer trotz wenig Trainingszeit Erfolge mit besserer Technik oder mehr Kraft erreichen will, braucht aber viel Geduld und Konsequenz über Wochen, Monate oder sogar Jahre. Und welcher Normalkletternde hat da nicht schon einmal über die verlockende «Abkürzung» durch eine Diät sinniert?

 

Es ist eine gefährliche Abkürzung: Gelegenheitskletterer, die längere Zeit untergewichtig sind, laugen ihren Körper aus. Die fehlende Energie holt sich der Körper dann aus den Muskeln. Statt diese beim Training aufzubauen, zehrt der Körper von ihnen. Bald fehlen auch essenzielle Nährstoffe, die Regenerationszeit nimmt zu, die Leistung fällt ab. «Sogar das Verletzungsrisiko steigt massiv an», erklärt Urs Hirsiger, ein bergsporterfahrener Ernährungsberater HF. Bekommt der Körper etwa zu wenig Kohlehydrate, leidet die Konzentration, der Muskeltonus ist schlechter, und es entstehen koordinative Defizite. Das alles erhöht die Gefahr von Stürzen und Fehlbelastungen. Der gefürchtete Riss des Fingerringbandes kann auch damit zusammenhängen. Dauert die Mangelernährung längere Zeit an, beeinträchtigt dies die Qualität von körpereigenen Geweben, was sie für Verletzungen anfälliger macht.

 

Gesund währt länger

Doch es geht auch anders. «Gesunde Ernährung wäre eigentlich ganz einfach», sagt Urs Hirsiger. Für Kletternde gelten diesbezüglich die gleichen Regeln wie für alle anderen Sportler (siehe Infoteil). Viele wüssten eigentlich auch, wie sie sich am besten ernähren sollten – tun es dann aber doch nicht. Ein Grund dafür dürfte die zentrale Bedeutung des Körpergewichts sein. Der Zusammenhang zwischen Kilos und Leistung ist den Kletternden bewusst, und entsprechend geben sie der Ernährung einen hohen Stellenwert. Mit einer Umfrage unter Mitgliedern der Kletternationalmannschaften der Schweiz, Österreichs und Deutschlands hat Amanda Rohner – selber Mitglied der Schweizer Nationalmannschaft – herausgefunden, dass Kletternde sich mehr mit der Ernährung auseinandersetzen als zwei Vergleichsgruppen (Spitzensportler anderer Sportarten und Gymnasiasten). So verzichten sie etwa deutlich häufiger auf gewisse Nahrungsmittel wie Fast Food und Süssigkeiten, wobei dies bei Frauen stärker der Fall ist.

Rohner vermutet, dass die Kletterinnen versuchen, den biologisch bedingt höheren Fettanteil in ihrem Körper durch gesunde oder auch restriktive Ernährungsweise tief zu halten. Bemerkenswert ist ein weiteres Resultat der Umfrage: Sportkletterinnen sind signifikant zufriedener mit ihrem Gewicht als die Vergleichsgruppen (und als die männlichen Sportkletterer, die sich für zu dünn halten!). Rohner nimmt an, dass dies so ist, weil die fitten Kletterinnen sowohl dem gesellschaftlichen als auch dem sportlichen Schlankheitsideal entsprechen.

 

BMI und FAT

Solche Ideale und Vorbilder bergen aber Gefahren. Es kommt vor, dass Kletterinnen und Kletterer zu wenig essen oder gar eine Essstörung entwickeln. Gemessen am Body-Mass-Index (BMI) sind viele Spitzenkletterinnen und -kletterer untergewichtig. Das zeigt auch ein kurzer Blick auf die Weltelite, die auf der Website www.8a.nu die obersten Ränge anführt. Unter den ersten zehn sind fünf krass untergewichtig, zwei am Limit und nur zwei normalgewichtig.

Der auf Spitzensport spezialisierte Ernährungswissenschaftler Christof Mannhart relativiert allerdings die Bedeutung des BMI: «Im Spitzensport ist er nicht relevant.» Es gebe natürlich dünne Menschen. Weil Schlanksein fürs Klettern eine gute Voraussetzung ist, trifft man sie in diesem Sport überdurchschnittlich häufig an. Mannhart weiss jedoch, dass Essstörungen im Klettersport vorkommen. Zusammen mit Ärzten und Psychotherapeuten hat er auch schon Betroffene betreut. Unter dem Namen Female Athlete Triad (FAT) wird ein Symptomkomplex zusammengefasst, zu dem die Essstörung, das Ausbleiben der Menstruation und eine Störung des Knochenstoffwechsels gehört. Letzteres kann sich in Ermüdungsbrüchen zeigen und später zu Osteoporose führen.

 

«Fast ein Tabu»

Hanspeter Sigrist, Chef Leistungssport des SAC, weiss Beispiele von eher zu dünnen Mitgliedern der Schweizer Nationalmannschaft – auch in jüngerer Zeit. «Es ist ein ganz heikles Thema, auch weil man ganz falsch liegen kann», sagt er. Es erfordere höchste Sensibilität der Trainer, um die Problematik anzusprechen. Dem pflichtet auch Christof Mannhart bei, der weiss, dass einige Betroffene ihr Problem geschickt zu verbergen suchen. Das gelinge zuweilen recht gut, weil sich die Psychogramme von Topathletinnen und Magersüchtigen nicht unähnlich seien: «Beide streben auf ihre Art nach Perfektion.» Amanda Rohner ist der Meinung, aus Furcht, jemanden zu verletzen, werde zu wenig über das Gewicht gesprochen: «Es ist fast ein Tabu.» Für Christof Mannhart gibt es ein Signal, auf das die Trainer achten können: «Wenn jemand stark abnimmt, müssen die Lämpchen aufleuchten.» Je früher man eine Essstörung entdecke, desto besser: «Die Heilungschancen werden mit der Dauer schlechter.»

Immerhin sind sich alle Experten darin einig, dass der Trend, dünn sein zu müssen, eher auf dem Rückzug sei. «Die Routen werden heute so gebaut, dass sie mehr Athletik erfordern», sagt Hanspeter Sigrist, und beim Bouldern sei eine stabile Muskulatur sowieso schon immer vorteilhaft gewesen. «Die Tendenz zum anorektischen Kletterer ist vorbei», zeigt sich Ernährungsberater Hirsiger zuversichtlich.

Grundsätze und Tipps zur richtigen Ernährung

1. Die Lebensmittelpyramide

Die Ernährungsgrundsätze sind in der Lebensmittelpyramide der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung (SGE) anschaulich zusammengefasst (www.sge-ssn.ch). Die Pyramide gibt an, welche Mengen an Kohlehydraten, Fetten, Proteinen und Flüssigkeit ein gesunder Mensch pro Tag zu sich nehmen sollte. Das «Swiss Forum for Sport Nutrition» (http://www.sfsn.ethz.ch" target="_blank">www.sfsn.ethz.ch) hat eine spezielle Lebensmittelpyramide für Sportlerinnen und Sportler entwickelt. Sie basiert auf der Pyramide der SGE und gilt für Erwachsene, die fünf Stunden oder mehr pro Woche trainieren. Der Hauptunterschied zur Standardpyramide: Sportlerinnen und Sportler sollten mehr essen und trinken. Das gilt auch fürs Sportklettern, man braucht jedoch wegen der häufigen Pausen wenig zusätzliche Energie – ausser in Mehrseillängenrouten.

2. Mehr trinken

«Zu wenig trinken ist der häufigste Fehler», sagt Urs Hirsiger. Die Getränke bilden die Basis der Lebensmittelpyramide, auf der die übrigen fünf Stockwerke ruhen. Flüssigkeitsmangel ist der wichtigste leistungsbegrenzende Faktor. Pro Stunde Sport sollten zusätzlich pro Tag 0,4 bis 0,8 Liter getrunken werden. Bei leichtem Training bis zu einer Stunde trinkt man am besten Wasser. Für jene, die länger und intensiver trainieren, empfiehlt sich ein Sportgetränk. Wird es vor, während und nach der Belastung getrunken, verbessert es Leistung und Regeneration messbar. Ein solches Getränk enthält idealerweise einen Kohlehydratgehalt von 60 bis 80 Gramm pro Liter. Bei Wettkämpfen, Trainings von mehr als zwei bis drei Stunden oder auf Mehrseillängenrouten sollte es zudem pro Liter 1,2 bis 2 Gramm Salz enthalten. Der Salzgehalt von gekauften Sportgetränken liegt oft tief. Nachsalzen sei nicht verkehrt, «maximal so viel, dass man es gerade noch gerne trinken mag», rät Urs Hirsiger. Sportdrinks lassen sich leicht auch selber zubereiten (vgl. Kasten).

3. Mehr essen

Kohlehydrate füllen die Energiedepots. Sie stecken vor allem in Broten, Müesli, Reis, Teigwaren, Kartoffeln, Hülsenfrüchten. Pro Stunde Sport braucht es eine Portion mehr als im «Normalbetrieb», wobei eine Portion zum Beispiel 75 bis 125 Gramm Brot, 180 bis 300 Gramm Kartoffeln oder 45 bis 75 Gramm Teigwaren/Mais/Reis (Rohgewicht) entspricht. Kohlehydrate liefern auch Riegel, Kohlehydratgels oder ein Regenerationsgetränk.

Öle, Fette und Nüsse sind die dritte Gruppe von Nahrungsmitteln, von den Sportlerinnen und Sportler mehr brauchen als Otto Normalverbraucher. Pro Stunde Sport ist eine halbe Portion zusätzlich empfohlen. Eine Portion entspricht 2 bis 3 Teelöffeln Speiseöl wie Raps- oder Olivenöl, 10 Gramm Butter oder Margarine oder 20 bis 30 Gramm Nüssen.

4. Vor dem grossen Effort

Nahrungsmittel mit viel Fett, Proteinen und Nahrungsfasern sind eher schwer verdaulich und sollten deshalb nicht kurz vor Wettkämpfen, harten Trainings oder langen Routen gegessen werden. Drei bis vier Stunden vor der Belastung sind Kohlehydrate angesagt: Zum Z’morge Weissbrot mit Honig, Cornflakes, Haferflocken, Getreidebrei. Geht es erst später am Tag los, verdrückt man einen grossen Teller Spaghetti, Reis oder Mais. Rückt der Einsatz näher, sollte sich die Ernährung immer mehr verflüssigen. Sportriegel, Weissbrot oder Biberli liegen aber häufig noch drin. Die Erfahrung muss zeigen, was der Magen noch mitmacht.

Information und Literatur

Swiss Forum for Sport Nutrition: Schweizer Kompetenzzentrum für Sporternährung. Infoblätter zu Sporternährung, aktuell und wissenschaftlich fundiert. http://http://www.sfsn.ethz.ch" target="_blank">www.sfsn.ethz.ch (d/e)Corinne Spahr, Christof Mannhart: Müesli und Muskeln. Essen und Trinken im Sport. Ingold Verlag 2008.Günter Wagner, Uwe Schröder: Essen. Trinken. Gewinnen. Praxishandbuch der Sporternährung. Pala-Verlag 2009.

Sportdrinks und Müeslitaler

Der Himbeerige

1 l Wasser oder Tee

30 g Zucker oder Himbeersirup

50 g Maltodextrin

1,5 g Kochsalz

 

Der Orange

7 dl Wasser oder Tee

3 dl Orangensaft

20 g Maltodextrin

1,5 g Kochsalz

 

Müeslitaler (ca. 20 Stück)

90  g Haferflocken

30 g Sonnenblumenkerne

20 g gehackte Nüsse oder Mandeln

30 g Rosinen

30 g Trockenobst (z.B. Aprikosen)

40 g Weizenvollkornmehl

1 Prise Salz

1 Messerspitze Zimt

2 kleine Eier

100 g Honig

Haferflocken, Sonnenblumenkerne und Nüsse bei grosser Hitze in einer Pfanne ohne Fett rösten, bis Mischung knusprig wird. Abkühlen lassen. Mit übrigen Zutaten vermischen. Je einen Esslöffel auf ein mit Backpapier ausgelegtes Backblech geben und zu Talern formen. 15 Minuten bei 200°C backen.

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