In die Berge mit oder ohne Erdöl?
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In die Berge mit oder ohne Erdöl? Innovationen gegen die Abhängigkeit vom Rohstoff

Knapp 90% der Bergsportausrüstung bestehten aus Erdöl. Was also passiert, wenn der Rohstoff knapp wird? Hersteller und Forscher suchen nach Alternativen. Das grössere Problem aber, so Fachleute, werde die Anreise in die Berge darstellen.

Angetrieben von technischen Innovationen hat sich der Alpinismus in den letzten Jahrzehnten rasant entwickelt. Die vielleicht grösste Revolution war die Einführung des Kernmantelseils in den 1950er-Jahren. Statt gedrehten, daumendicken Hanfseilen sollten von diesem Zeitpunkt an immer dünnere, leichtere und dynamischere Seile aus Polyamid zum Einsatz kommen, die auch neue Schwierigkeitsgrade erreichbar machten – es ist kaum denkbar, den 11. Schwierigkeitsgrad mit einem schweren Hanfseil zu bezwingen.

Und mit der 1976 eingeführten Gore-Tex-Membran stand erstmals ein atmungsaktives und zugleich wasser- und winddichtes Produkt zur Verfügung. Eine mehrtägige Skitour in den Alpen ohne leichte und funktionelle Schutzkleidung mit Membrantechnologie kann man sich heute kaum mehr vorstellen. Und natürlich haben auch die ausgefeilten Sicherungsgeräte, das hochpräzise Schuhwerk und die ausgeklügelten Trainingsmethoden ihr Quäntchen dazu beigetragen, die Leistungsgrenze immer weiter hinauszuschieben.

 

Welcher Rohstoff, wenn nicht Erdöl?

Hier stellt sich die Frage: Werden die kommenden Jahrzehnte ähnliche Innovationen im Bereich der alpinen Ausrüstung hervorbringen wie die letzten? Und in Anbetracht des knapper werdenden Erdöls muss man sich fragen: Wird die alpine Ausrüstung bald aus biobasierten Rohstoffen hergestellt? Adrian Huber, Leiter Corporate Responsibility der Mammut Sports Group, schätzt, dass rund 95 %aller Mammut-Produkte erdölbasiert sind.

Die nähere Zukunft lässt sich noch ganz gut erahnen. Laut Huber ist aktuell die Nachhaltigkeit ein wichtiger Innovationstreiber. So steht insbesondere der Einsatz von Chemikalien zur Erlangung des Wasserperleffekts bei Textilien am Pranger. Denn wegen ihrer Langlebigkeit belasten diese Chemikalien die Ökosysteme. «Da ist eine ganze Industrie gefordert, die gewünschte Funktionalität auf eine umweltschonendere, nachhaltigere Weise zu erreichen», sagt Huber.

Bei den Membranen gebe es einen Trend hin zu mehr Elastizität und besserer Dampfdurchlässigkeit bei Wahrung des Wetterschutzes. In diese Richtung geht etwa die aus Nanofasern aufgebaute NeoShell von Polartec. Eine weitere Novität sind adaptive Membranen, die je nach Temperatur oder Luftfeuchtigkeit ihre Permeabilität verändern. Ein Beispiel ist die C-Change-Membrane von Schoeller: Wenn die Temperatur oder die Aktivität des Bergsportlers steigt, wird die Membrane laut Schoeller durchlässiger.

 

Jedem Zentimeter Haut das richtige Klima

Ein grosses Thema ist laut René Rossi, Leiter der Abteilung «Schutz und Physiologie» der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa), derzeit das sogenannte Bodymapping. Dabei wird versucht, unterschiedliche Körperzonen bedarfsgerecht gegen Wettereinflüsse zu schützen, aber gleichzeitig eine zonengerechte Transpiration zu ermöglichen. Laut Marcel Halbeisen von der Abteilung «Advanced Fibers» der Empa könnte das Bodymapping in Zukunft so aussehen, dass ein Kunde im Bergsportgeschäft ein Körperprofil erstellen lässt und die Kleider dann massgenau für ihn gefertigt werden. «Das beginnt im Spitzensport und wird dann irgendwann zum Konsumenten kommen», sagt Halbeisen.

 

Material, das sich selber repariert

Die Empa forscht auch an selbstheilenden Materialien. Wird ein Polymer verletzt, gibt es Substanzen ab, die das Polymer reparieren. Diese selbstheilenden Membranen, seien bis heute aber nicht atmungsaktiv, sagt Rossi. «Das ist eher noch Grundlagenforschung. Der Zeithorizont beträgt mindestens zehn Jahre.» Näher bei der Anwendung seien Textilien, die Medikamente oder Duftstoffe abgeben, etwa damit die Socken nicht so stinken.

Getüftelt wird auch an der Integration von Elektronik in die Kleidung. Es gibt heute stromleitende Fasern, mit denen sich zum Beispiel ein EKG-Sensor in die Funktionsunterwäsche integrieren liesse. Laut Halbeisen wäre das insbesondere für Extremexpeditionen interessant: Der Bergführer könnte ständig überprüfen, ob seine Klienten beim Aufstieg auf den 8000er noch eine genügend hohe Körperkerntemperatur haben und der Kreislauf stabil ist. Die EMPA hat laut Halb-eisen bereits EKG-Sensoren entwickelt, die waschbar sind. «Den Akku müsste man aber vor dem Waschen entfernen.»

 

Kaputte Seile ändern die Farbe

Interessante Entwicklungen deuten sich auch bei der Seiltechnologie an. Viel dünner werden die Seile wohl nicht mehr werden, meint Halbeisen. «Denn je dünner das Seil, umso kleiner die Bremswirkung im Sicherungsgerät. Da gibt es Grenzen.» Aber man könne sich sogenannte «End-of-Life-Indikatoren» vorstellen: Wird das Seil überdehnt, beschädigt oder stellt sich eine altersbedingte Ermüdung ein, ändert sich die Farbe. «Die Techniken dafür sind vorhanden», sagt Halbeisen. Bis zur Anwendung bräuchte diese Technologie laut Rossi noch ein paar Jahre. Angedacht wird auch die Kommunikation durch das Seil mithilfe stromleitender Fasern. Das würde die Kommunikation der Seilpartner ohne Sichtkontakt und bei Sturm erleichtern.

 

Holz, Stroh oder Stärke statt Erdöl

Nicht nur Jahre, sondern mehr als ein Jahrzehnt dürfte vergehen, bis das knapper werdende Erdöl bei der Bergsportausrüstung eine Rolle spielen wird. Dennoch beschäftigt sich fast jeder grosse chemische Player mit dem Thema Biopolymere, wie Gernot Jäger von Bayer Material Science sagt. Dabei wird untersucht, wie sich die für Polymere benötigten Basischemikalien statt aus Erdöl eben aus Holz, Stroh, Stärke, Zucker oder Fetten gewinnen lassen. Da die biobasierten Basischemikalien teils etwas andere Strukturen besitzen als die petrobasierten, können die Eigenschaften der resultierenden Biopolymere etwas abweichen. «Die Eigenschaften müssen aber nicht unbedingt schlechter sein», sagt Jäger, «sie könnten sogar besser sein.»

Doch gegenwärtig hinkt die Qualität der Biopolymere derjenigen der erdölbasierten Vorbilder noch weit hinterher. Mammut hätte schon Fasern aus Milchproteinen angeschaut und diverse Bioelastomere, sagt Huber. «Diese sind aber weit davon entfernt, den Anforderungen für Seile zu genügen.» In Anbetracht der enorm hoch entwickelten Technologie hätten biobasierte Substitute daher vorerst kaum eine Chance.

Nach wie vor ist daher laut Empa-Forscher Halbeisen bei der Ausrüstung das langlebigste Produkt zugleich das nachhaltigste.

 

Anreise ist das grössere Problem

Ohnehin ist das für Fasern oder Membrane eingesetzte Erdöl gesamthaft betrachtet von untergeordneter Bedeutung. Laut Huber macht es wenige Prozent vom weltweiten Erdölverbrauch aus. Der Druck, Erdöl zu sparen, werde daher bei jenen Anwendungen vehementer sein, die substanziell Erdöl verbrauchen: beim Heizen und beim Verkehr. Der Weg in die Berge stellt daher für Huber das grössere Problem dar als die erdölbasierte Alpinausrüstung. Und selbst wenn das knapper werdende Erdöl dereinst substanziell teurer wird: Die Rohstoffkosten sind bei Spezialprodukten wie der alpinen Ausrüstung gering. «Es wird sicher noch 30, wenn nicht 40 oder 50 Jahre dauern, bis wir vom erdölbasierten Produkt Abschied nehmen», sagt Huber.

Innerhalb des Strategiehorizonts von zehn Jahren zeichnen sich laut Huber jedenfalls keine Systeminnovationen ab, die das Verständnis von der Ausübung des Alpinismus wirklich fundamental verändern würden. Dennoch entwickle sich der Alpinismus kreativ und dynamisch weiter. Huber rechnet mit der Entstehung neuer Disziplinen, so wie aktuell ein Trend in Richtung selber absichern der Routen zu erkennen ist, oder etwa mit der Erschliessung des 11. Grads in 8000er-Wänden. Und von dieser Diversifizierung des Alpinismus würden Innovationen angestossen, um die jeweils optimale Ausrüstung bereitzustellen.

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