Jung stirbt, wen die Götter lieben
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Jung stirbt, wen die Götter lieben Nachruf David Lama(1990–2019) und Hansjörg Auer(1984–2019)

Am 16. April verunglückten David Lama (28), Hansjörg Auer (35) und der Amerikaner Jess Roskelley (36) in einer Lawine im kanadischen Banff-Nationalpark. Mit den beiden Tirolern hat die alpine Kletterszene zwei ihrer besten und inspirierendsten Protagonisten verloren.

Es ist das unauflösbare Paradoxon des Alpinismus: Seine Träume in den Bergen zu verfolgen, spendet so viel Lebensfreude und Glück; doch manchmal fordert dieses Streben auch Leben und hinterlässt nur Trauer und Fassungslosigkeit. Hansjörg Auer und David Lama liebten die Berge, sie lebten für sie. Und sie reflektierten ihr Tun samt Risiken minutiös, inklusive des Worst-Case-Szenarios. «Ich denke daran, wie es wäre, wenn ich einmal nicht mehr zurückkäme, wenn ich den Preis für die Berge bezahlen müsste. Und doch kann ich es dann nicht lassen, mich der Herausforderung das eine ums andere Mal zu stellen», äusserte Hansjörg Auer sich 2015. Hasardeure waren die beiden Profikletterer aber definitiv nicht. Schritt für Schritt haben sie sich an die Herausforderungen des Extremalpinismus herangearbeitet und sind oft auch umgekehrt, ohne ihr Ziel erreicht zu haben.

Bekannt wurden David und Hansjörg auf sehr unterschiedliche Weise. Letzterer sorgte am 29. April 2007 mit der ersten Free-Solo-Begehung des legendären Wegs durch den Fisch (9-, 37 SL) an der Marmolada für eine Sensation. Der 23-Jährige hatte seinen Husarenstreich gar nicht an die grosse Glocke hängen wollen, doch war er von anderen Kletterern beobachtet worden – und wurde kurz darauf berühmt. In der Folge gelangen dem eher stillen Tiroler etliche extreme Felsrouten wie die erste Wiederholung von Pan Aroma (8c, 500 m) an den Drei Zinnen oder die erste freie Begehung der Hallucinogen Wall (8a+, 16 SL) in Colorado. Bald schon zog es den Bergführer auch auf die ganz grossen Gipfel. 2013 bekam er für die Erstbesteigung des Kunyang Chhish East (7400 m) im Karakorum gemeinsam mit seinem Bruder Matthias und Simon Anthamatten einen Piolet d’Or. Seine letzte spektakuläre Expedition führte Hansjörg wieder einmal nach Pakistan. Im Alleingang durchstieg er dort im Sommer 2018 als Erster die Westwand des Lupghar Sar West (7157 m).

Inspiration für viele Kletterer

Als Hansjörg Auer 2007 die Vorstellungskraft der Kletterszene sprengte, war der 16-jährige David Lama bereits ein Star. Keiner kletterte so intuitiv, elegant und präzise wie der Sohn einer Tirolerin und eines nepalesischen Trekkingguides. Mit zehn Jahren punktete er seine erste 8a, mit 13 die erste 8c. Zweimal wurde David Jugendweltmeister, dazu Europameister im Lead und im Bouldern. 2008 eröffnete er mit Jorg Verhoeven im Zillertal eine 800 Meter hohe Route im unteren neunten Grad – eine Erfahrung, die seinen Zugang zum Klettern veränderte. Mehr und mehr wandte David sich dem Alpinismus zu, und schon bald hatte er ein grosses Ziel: die berühmte Kompressorroute am Cerro Torre in Patagonien frei zu klettern. Sein erster Versuch scheiterte früh und sorgte zudem für harsche Kritik, weil sein Filmteam zusätzliche Bohrhaken gesetzt hatte. David übernahm die Verantwortung, kam wieder und schaffte das «Unmögliche»: Im Januar 2012 kletterte er die Kompressorroute im Grad 8a frei. Kurz danach schwärmte er mir vor: «Einen schöneren Berg kann es kaum geben! Ich glaube, mir geht es beim Klettern weniger um das Gefühl, mehr um das Künstlerische, um die Linie.»

Seither eröffnete David viele grandiose Linien, ob 2013 mit Dani Arnold am Moose’s Tooth in Alaska oder zuletzt im Oktober 2018 solo am Lunag Ri (6907 m) in Nepal. Auch mit Hansjörg Auer war David immer wieder unterwegs. 2014 versuchten sie sich an der 3500 Meter hohen Nordostwand des Masherbrum (7821 m), 2016 am 2500 Meter hohen Südostgrat der Annapurna III (7555 m), doch Wetter und Bedingungen verhinderten beide Male einen Erfolg. Die Durchsteigung einer der Linien hätte einen neuen Level im Alpinismus bedeutet. Als dessen letzter Quantensprung gilt die Erstbegehung des Zentralpfeilers an der 4100 Meter hohen Rupalwand des Nanga Parbat (8125 m) durch Steve House und Vince Anderson im Jahr 2005.

Für viele Insider der Szene waren Hansjörg und David die heissesten Kandidaten, um die nächste Entwicklungsstufe des Bergsteigens einzuläuten. Sie hatten die Kreativität und die Visionen für die «richtigen» Ziele, das Können und die Erfahrung sowie die nötige mentale Stärke, Geduld und Hartnäckigkeit, um ihre grossen Träume Realität werden zu lassen. Weil sie ihre Träume zudem so kompromisslos lebten und dabei bodenständig und sympathisch blieben, wurden David und Hansjörg zu einer Inspiration für viele Kletterer weltweit.

Steve House: «Sie waren Götter»

Was ihnen am 16. April 2019 in der Ostwand des Howse Peak (3295 m) im Banff-Nationalpark einzig fehlte, war das Glück der Erstbegeher der M16 (WI 7+, A2, 1200 m): Im März 1999 hatte die fünftägige Eröffnung dieser Route auch für Steve House, Scott Backes und Barry Blanchard beinahe in einer Katastrophe geendet. 20 Jahre später gelang David Lama und Hansjörg Auer mit Jess Roskelley die zweite Begehung der M16 an einem halben Tag – ein letztes Zeugnis ihres grandiosen Könnens, bevor eine Lawine sie beim Abstieg in den Tod riss. Wenige Tage später postete Steve House auf Instagram: «Diese Männer waren unermesslich. Sie waren keine Menschen, sie waren Götter, die unter uns lebten. Nun sind sie zurück, bei ihrem Gott. Unser Verlust ist unermesslich.»

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