Kinder und Höhe. Eine «never ending story»
Unterstütze den SAC Jetzt spenden

Kinder und Höhe. Eine «never ending story»

Kinder und Höhe

Ob man Kinder in die Höhe mitnehmen soll oder nicht, wird immer noch kontrovers diskutiert. Eine internationale Expertengruppe hat 2001 eine Konsensus-Empfehlung für Ärzte herausgegeben. 1 Viele der darin enthaltenen Angaben sind für alle, die sich mit Kindern in die Berge begeben, von Interesse.

Auch heute noch gibt es nur ganz wenige wissenschaftliche Studien, die sich mit dem vorübergehenden, relativ kurzen Höhenaufenthalt von Kindern befassen. Viele Empfehlungen, vom streng erhobenen Drohfinger bis zur ekstatischen Befürwortung solcher Unternehmungen, sind aus der Erwachsenen-Höhenfor-schung abgeleitet. Die Höhe kann im menschlichen Körper drei verschiedene Störungen oder Krankheiten auslösen: die akute Bergkrankheit, international als « acute mountain sickness AMS » beschrieben, das Höhenlungenödem oder « high altitude pulmonary edema HAPE » und das Höhenhirnödem oder « high altitude cerebral edema HACE ». 2

Risikofaktoren

Die Wahrscheinlichkeit ( « Inzidenz » ), an einer solchen Höhenkrankheit zu erkranken, ist gemäss dieser internationalen Empfehlung für gesunde Kinder und Erwachsene ungefähr gleich. In Bezug auf die Risikofaktoren für Höhenkrankheiten werden drei Situationen hervorgehoben, die kindspezifischer sind: Akute oder erst kürzlich erlebte Erkrankungen der Atemwege ( Erkältung, Bronchitis, Lungenentzündung ) scheinen das Risiko, an einem Höhenlungenödem zu erkranken, zu erhöhen. Dies ist vor allem bei Kindern im Vorschulalter zu beachten. Für Kinder, die während des Geburts-verlaufs oder kurz danach von einer Regulationsstörung der Lungendurch-blutung betroffen waren, ist die Wahrscheinlichkeit, in der Höhe ein durch einen erhöhten Druck im Lungenkreislauf hervorgerufenes Lungenödem zu erleiden, grösser. Diese Situation ist selten. Im Zweifelsfalle sollten sich die Eltern mit jenem Kinderarzt in Verbindung setzen, der ihr Kind während und kurz nach der Geburt betreute. Ein spezielles Augenmerk sollte auf jene Kinder gerichtet werden, die in den ersten Lebens-tagen beatmet werden mussten. Kinder, die an einer Trisomie 21 ( Down-Syndrom, Mongolismus ) leiden, scheinen eher an einem Höhenlungenödem zu erkranken als andere Kinder. Dies hängt vermutlich mit den häufigen Veränderungen in verschiedenen Organen ( Herz, Lunge, Immunsystem ) dieser Kinder zusammen.

Es gibt noch eine vierte Situation, die jedoch in unseren Breitengraden wenig häufig ist: Kinder, die ihr Leben lang in der Höhe wohnen – über 3000 m – und dann kurzzeitig ins Tiefland absteigen, haben beim Wiederaufstieg ein erhöhtes Risiko, ein Höhenlungenödem zu erleiden. Dies ist auch bei Erwachsenen bekannt, vor allem aus den Andengebieten. 3

Anzeichen oder Symptome

Ältere Kinder zeigen mit grosser Wahrscheinlichkeit die gleichen Anzeichen einer Höhenkrankheit wie die Erwach- senen. Bei kleineren Kindern kann das Entstehen einer Höhenkrankheit schwierig zu entdecken sein, da Kinder unter ungefähr acht Jahren nicht « symp-tomspezifisch » klagen können: Ihre Aussagen stimmen nicht immer mit den wirklichen Befindlichkeiten des Körpers Wer mit Kindern in der Höhe unterwegs ist, muss darauf achten, dass sie nicht überanstrengt werden. Charcha-La, 5000 m, Ladakh Oberstes Gebot einer Unternehmung mit Kindern in der Höhe ist: Das Kind muss « dä Plausch ha ». Ritt durch die Nymaling-Hochebene bei Ladakh, in 4600 m Höhe überein. Deshalb wurde für kleine Kinder ein speziell angepasstes Punktesystem – « Lake Luise Score for preverbal children » – entwickelt, das auf Anzeichen wie allgemeine Unruhe, Essensunlust, vermin-dertes Spielverhalten und Schlafstörun-gen basiert. Wie bei den Erwachsenen beginnen die Symptome erst 4 bis 48 Stunden nach Höhenanstieg. Generell sollte jedes Symptom oder jede Verhaltens-änderung bei kleinen Kindern in Höhen über ca. 2500 m als Höhenkrankheit gewertet werden, und es muss abgestiegen werden. Kinder setzen sich im Gebirge oder während der Reise dorthin noch anderen Gefahren aus, die eventuell zu Situationen führen können, die einer Höhenkrankheit ähnlich sind: Vergiftung durch Beeren, Pflanzen und Pilze oder das Einatmen eines kleinen Fremdkörpers, das dann als Höhenlungenödem fehlgedeu-tet werden kann.

Behandlung

Die Behandlung der Höhenkrankheit bei Kindern ist gleich wie bei Erwachsenen. Das wichtigste Element ist der Abstieg, solange der Patient noch selber gehen kann. Ernsthaft kranke Kinder müssen getragen werden, um die körperliche Anstrengung möglichst klein zu halten. Die Medikamente Dexamethason, Nife-dipin und Acetazolamid ( Diamox R ) können, altersentsprechend dosiert, angewandt werden. Auch der Überdrucksack kann Anwendung finden, wobei kleine Kinder mit einem Elternteil zusammen im Sack Platz finden. Die Rucksackapotheke der Personen, die kleine Kinder in die Höhe mitnehmen, sollte entsprechend ausgerüstet und mit einer gut verständlichen Gebrauchsanweisung ausgestattet sein.

Vorbeugung

Zur Vorbeugung von Höhenproblemen mit Kindern sind drei Elemente entscheidend: der langsame Anstieg, die Vermeidung körperlicher Überanstrengung und die kindergerechte Organisation der Unternehmung. Wie beim Erwachsenen wird empfohlen, ab 2500 bis 3000 m die Schlafhöhe pro Tag nicht um mehr als 300 bis maximal 500 Höhenmeter zu steigern. Alle 1000 Höhenmeter sollte eine zusätzliche Nacht auf der gleichen Höhe zur Akklimatisation verbracht werden. Eine mässige körperliche Aktivität unterstützt die Akklimatisation. Jede Überanstrengung jedoch erhöht das Risiko einer Höhenkrankheit. Das gilt vor allem für kleine Kinder. Ebenso sollte das Kind genügend essen und trinken. Dabei ist auf den Appetit, das allgemeine Verhalten und das Schlafverhalten im Vergleich mit dem Tiefland zu achten. Alleroberstes Gebot einer Unternehmung in der Höhe ist jedoch, dass das Kind « dä Plausch » hat, sich wohl fühlt und nicht dem Rekorddenken der Eltern ausgeliefert ist. Längere « langweilige » Tagesetappen müssen durch eine Übernachtung unterbrochen werden, und der natürliche Spieltrieb der Kinder sollte an jeder Wegecke neu befriedigt werden. 4 a Urs Wiget und Susi Kriemler Wiget, Uitikon Waldegg 1 Pollard A.J., Niermeyer S., Barry P., Bartsch P., Berghold F., Bishop R. A., Clarke C., Dhillon S., Dietz T. E., Durmowicz A., Durrer B., Eldridge M., Hackett P., Jean D., Kriemler S., Litch J. A., Murdoch D., Nickol A., Richalet J. P., Roach R., Shlim D. R., Wiget U., Yaron M., Zubieta-Castillo G., Sr., Zubieta-Calleja G. R., Jr.: Children at high altitude: an international consensus statement by an ad hoc committee of the International Society for Mountain Medicine, March 12, 2001. High Alt Med Biol 2001; 2:389–403. 2 Erklärungen zu diesen Erkrankungen finden sich u.a. in Erste Hilfe für Wanderer und Bergsteiger von B. Durrer, H. Jacomet und U. Wiget aus dem SAC-Verlag Bern, 2. Auflage, 2000. 3 Vgl. ALPEN 6/2004 4 Anfragen für spezifische Auskünfte sind zu richten an die Schweizerische Gesellschaft für Gebirgsmedizin, E-Mail info(at)forum-alpinum.ch, die über die entsprechenden Spezialisten verfügt.

Wichtig ist, dass der natürliche Spieltrieb der Kinder immer wieder befriedigt wird. Häufig sollten Pausen eingelegt werden, damit sich die Kinder erholen können.

Sind Kinder in der Höhe mit dabei, muss die Organisation auf sie ausgerichtet sein.

Fotos: Urs W iget

Feedback