Kletterboom in Indien
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Kletterboom in Indien Ein Sport startet durch

Klettern in Indien ist bei Weitem nicht so populär wie im Westen, entwickelt sich aber an Orten mit starkem Wirtschaftswachstum wie Mumbai, Pune oder Bangalore. Andere Regionen wie der Himalaya oder Karnataka ziehen vor allem Ausländer an. Zwar steckt die Entwicklung des Kletterns noch in den Kinderschuhen, aber das Potenzial ist riesig.

Mumbai, Januar 2011. Kletterer aus allen Ecken des Landes messen sich vor einem Publikum, das sie fanatisch unterstützt. Die Passanten reiben sich ungläubig die Augen: Die Atmosphäre während der Girivihar International Boulder-ing Competition in der von mehr als 22 Millionen Menschen bewohnten Stadt ist toll. Der erste Durchgang findet an einer künstlichen, violett glänzenden Struktur im Zentrum von Navi Mumbai, einer der Satellitenstädte von Mumbai, statt. Der zweite auf Naturfels in einem Dschungel nahe bei der Stadt. Es ist das achte aufeinanderfolgende Jahr, in dem der Anlass von Girivihar, dem ältesten Kletterclub in Indien, organisiert wird. Die 1964 gegründete Vereinigung organisiert hauptsächlich Trekkings und Expeditionen im Himalaya, sie will aber auch das Klettern fördern. 113 Teilnehmende aus dem ganzen Land, aber auch aus Frankreich, Japan, Korea, Israel und der Schweiz stehen am Start. Chef der Routenbauer ist Vaibhav Mehta, ein sehr aktiver 31-jähriger Kletterer, der ein Jahr in Frankreich gelebt hat und in der Schweiz die Lizenz für internationalen Routenbau erworben hat.

 

Enormes Potenzial

Nach China ist Indien das Land mit der zweitgrössten Bevölkerung. 1,2 Milliarden Menschen leben hier. Die Mehrheit ist sehr arm und verwendet ihr Einkommen – wenn überhaupt eines vorhanden ist –, um die Grundbedürfnisse zu decken. Unter diesen Umständen könnte man meinen, die Upperclass sei eine Schicht wohlgenährter Menschen, die körperliche Anstrengung ablehnen. Wer denkt, das Klettern habe in Indien keinen Platz, liegt allerdings falsch. Die indische Gesellschaft kann nicht auf eine so simple Weise betrachtet werden. Der Hinduismus, die unumstösslich in allen Schichten der Gesellschaft verankerte Religion, die jedem seine eigene Vision der Welt ermöglicht, lebt Offenheit:

In Indien gibt es Platz für alles, auch für das Klettern. Bisher ist es zwar nur eine Randsportart. Aber sie boomt. Noch kennen die meisten Inder nur die Nationalsportart Cricket und nehmen allenfalls die olympischen Sportarten für voll. Nun beginnt die Regierung aber auch, «extreme Sportarten» offiziell anzuerkennen und ihre Entwicklung zu unterstützen. Doch das dauert, die Indian Mountaineering Foundation kann den Spitzenathleten noch kein begleitetes Training anbieten.

 

Leidenschaft als Motor

Ankit Sharma, der 21-jährige Gewinner des Boulderwettkampfs in Mumbai, lebt in Bikaner im Bundesstaat Rajasthan. Er gehört zu den einzigen drei Kletterern der Einmillionenstadt. Für ihn ist der Anlass eine seltene Gelegenheit, sich mit anderen Kletterern zu messen. Er trainiert fast völlig «allein» an seiner Wand, aber sein Fleiss, Talent und ein paar Informationen aus den Medien haben ihm genügt, um ein exzellentes Niveau zu erreichen.

Abhijit Burman und Franco Linhares, die Organisatoren des Anlasses, haben ihre Leidenschaft für die Berge und das Klettern vor beinahe 30 Jahren als Teilnehmer eines Lagers entdeckt. Die beiden sind Motoren der Entwicklung des Kletterns in Mumbai, arbeiten unermüdlich an der Organisation des Wettbewerbs. Die Herausforderung ist gross: Sie müssen 130 Personen Gratisunterkunft und Verpflegung sowie den Bau der Kletterwand mit den wenigen zur Verfügung stehenden Mitteln garantieren. «Der grosse Teil der Gelder kommt von Spendern, und der Wettkampf konnte dank ein paar wenigen Mäzenen stattfinden», sagt Abhijit.

 

Spiderman und seine Junger

Unter den Siegern ist auch der junge Mohamad Drafy, der beim Wettkampf in Mumbai den ersten Platz in der Kategorie Jugend belegt hat. Er hatte bereits das Glück, einen «Trainer» gefunden zu haben: Jyothi Raj, «Spiderman» genannt, hat ihn unter seine Fittiche genommen. Jyothi Raj wohnt in einer kleinen Stadt im Bundesstaat Karnataka im Süden des Landes. Er hatte nie vom Klettern gehört, aber schon immer den Gott Hanuman (Affengott) verehrt. Wie alle Anhänger dieses Gottes verehrt er die Affen. Er beobachtete sie, begann schliesslich selbst mit dem Klettern an den alten Festungen der Gegend und den benachbarten Felsen und entwickelte dabei einen spektakulären Kletterstil.

Überdies ehrt Jyothi die uralte Tradition der Wissensvermittlung: Er hat rund ein Dutzend Schüler, Kinder aus armen Familien seines Quartiers, in seine Obhut genommen. «Monkey man» arbeitet als Gerüstbauer und verdient etwa 200 Rupien, umgerechnet 5 Franken pro Tag. Aber dank einigen überraschenden Videos, die er auf YouTube platzierte, wurde er bekannt und fand Sponsoren, mit deren Hilfe er seine Schützlinge ausrüsten und unterstützen kann.

 

Explosion des Kletterns

Hampi, Februar 2011. Beim ersten Besuch in dieser Stadt des Bundesstaates Karnataka im Jahr 2000 wurde hier praktisch noch nicht geklettert. Nach fast zwei Wochen war ich flüchtig einem ersten Kletterer begegnet. Der Besuch des Gebietes im Jahr 2002 durch Chris Sharma und weitere Stars haben den Anfang seiner explosiven Ausdehnung markiert. Die Entwicklung des Boulderns in der ganzen Welt hat sicher auch dazu beigetragen. Heute ist Hampi ein Dreh- und Angelpunkt der Szene: Hunderte von Kletterern reisen jedes Jahr aus allen Ecken der Welt hierhin an. Diese Besucherexplosion begünstigt in erster Linie den Aufschwung des Tourismus und der Wirtschaft sowie die Entwicklung des Sportes selbst. Die Einführung und Anerkennung des Boulderns in Indien hat das Klettern dort vorangetrieben – sei es, was das Material angeht, sei es, was die Sicherheit betrifft.

 

Ein Franzose bei den Hindu

Manali ist eine Stadt im Herzen der Berge. Dieser ruhige Marktflecken ist heute ein Tourismusort. Der grösste Teil der indischen Touristen bleibt nur ein paar Tage. Ihr Programm beschränkt sich oft auf eine Jeepfahrt zum Rothang-Pass hinauf, um das erste Mal in ihrem Leben Schnee anzufassen oder auf einem Maultier einen kleinen Spazierritt zu unternehmen. Immer mehr Inder reisen auch wegen des Bergsports hierhin, der von Agenturen angeboten wird, die zumeist in ausländischer Hand sind.

Jean-Luc Jubert, ein in Indien und das Klettern verliebter Franzose, gehört dazu. Nachdem er das Land über zehn Jahre lang durchstreift hatte, beschloss er 2006, sich mit seiner Frau Sandrine und ihren zwei Töchtern in New Delhi niederzulassen. Er begann, Klettermaterial einzuführen, das in Indien zu jener Zeit noch praktisch unauffindbar war. Drei Jahre später, der Verschmutzung und des Klimas der Hauptstadt überdrüssig, zog die Familie nach Manali. Jubert richtete Klettergebiete ein, beging zahlreiche Canyons zum ersten Mal und erstellte eine künstliche Kletterwand. Bald konnte er dank dem Aufschwung seines Unternehmens lokale Führer ausbilden. Sie begleiten seither Kunden zum Klettern oder Canyoning. Und kürzlich erst wurde der Franzose mit der Ausbildung der Führer und dem Aufbau des Rettungswesens am «Institute of Mountaineering» in Manali betraut.

Kleiner Indien-Kletterf�hrer

Die wichtigsten Klettergebiete teilen sich auf zwei klimatisch sehr unterschiedliche Zonen auf: diejenigen in der Ebene (Nr. 1 bis 8) mit milden Wintern und glühend heissen Sommern (beste Jahreszeit zwischen November und März) und die Gebiete im Himalaya (Nr. 9 bis 12), die von März bis November zugänglich sind. Dieser Gegensatz ermöglicht es, das ganze Jahr über bei guten Bedingungen zu klettern, setzt aber einen mehrmonatigen Aufenthalt voraus, um beide Regionen zu besuchen.

 

Karnataka

1. Badami:Wunderbarer roter Sandstein und mit Abstand das interessanteste Klettergebiet, über 100 eingerichtete Routen von 5a bis 8c+, viele Möglichkeiten mit mobilen Sicherungsgeräten sowie zahlreiche Boulderblöcke. Anreise: von Mumbai (15 Std. mit Bus), Bangalore (12 Std.) oder Hampi (6 Std.).Klima: Die Temperatur steigt sehr schnell an, optimale Bedingungen im Dezember und Januar.

2. Hampi:Das Bouldermekka Indiens, prächtige Mondlandschaft voller Granitkugeln. Hampi ist auch ein wichtiger Hindu-Pilgerort und bekannt für seine in den Stein gehauenen Tempel, Überreste des Vijayanagar-Reichs (gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe). Anreiseund Klima: siehe Badami.

3. Turhalli:Sehr schönes «Blöckechaos», ein paar eingerichtete kurze Routen und viele Boulderpassagen. Anreise: Metro oder Rikscha von Bangalore (ca. 10 km). Klima: Gemässigter wegen der grösseren Höhe (ca. 1000 m), es kann von November bis März geklettert werden.

4. Antara Gange:Gebiet mit grossem Potenzial für das Bouldern, bekannt für seine Quellen und seine Fauna. Anreise: von Bangalore (90 km). Klima: siehe Turhalli.

5. Sawandurga:Wundervolle Granit­dome, nur drei eingerichtete Routen (jede 7 SL, 350 m lang, 6a–6c). Anreise: von Bangalore (60 km nach W).Klima: siehe Turhalli.

6. Ramnagar:Das am besten entwickelte Gebiet der Region (ca. 50 eingerichtete Routen), sehr schöner Granit. Klima: siehe Turhalli.

 

Madia Pradesh

7. Pachmarhi: Ein paar vor Kurzem eröffnete Routen und Boulder in der Nähe des Parks. Exzellenter Sandstein in einer «Dschungelbuch»-Atmosphäre in der Nähe von Jada Shankar (Shiva-Tempel). Anreise: von Mumbai (15 Std. im Zug), dann Kollektivtaxi vom Bahnhof Pipariya.

8. Dhauj:Keine eingerichteten Routen, aber viele Blöcke und Anstiege mit natürlichen Sicherungsmöglichkeiten. Anreise: von New Delhi (40 km nach S).

 

Himachal Pradesh

9. Raksham (Baspa-Tal): Ein paar kurze, sehr harte Routen, zum grössten Teil noch nicht frei begangen; alpine Mehrseillängenroute Trichul (7b/A2, 800 m) gerade oberhalb von Raksham; Boulder (5a–8b), unendlich viele Möglichkeiten. Anreise: von Delhi (2 Tage, schreckliche Strassen).Klima: recht gut vor dem Monsun geschützt (Juli–August), zugänglich von März bis November.

10. Manalsu:Weide voller Blöcke, ca. 30 eröffnete Boulderpassagen (6a–7c+), idyllische Umgebung und gute Felsqualität. Anreise: Durch das Tal über dem alten Manali hoch (1 Std. 30).

11. Solang:Kleine Skistation, die im Sommer von zahlreichen indischen Touristen besucht wird. Hunderte von Problemen (5a–8a) im Blockfeld links der Seilbahn. Anreise: von Manali (15 km, Bus am Morgen, Rückfahrt um 15.30  Uhr). Klima: Es kann von März bis November geklettert werden, doch aufgepasst vor dem Monsun (Juli–August).

12. Chattru (Laul-Tal, 3200 m):Riesige Möglichkeiten für das Bouldern und lange Routen (nicht eingerichtet) in einer hochalpinen Umgebung. Anreise: Der Rhotang-Pass, der einzige Zugang zum Tal, ist bis Mitte Mai unpassierbar und kann ab Mitte Oktober geschlossen sein. Klima: Im Sommer kühl und trocken, vor dem Monsun geschützt.

Weblinks

Vereinigung Girivihar: www.girivihar.org

Klettern bei Bangalore: www.dreamroutes.org

Klettern rund um Manali: www.toprockadventures.com

Klettern in Indien: www.rockclimbing.com

Jyothi Raj: www.youtube.com > «Jyothi Raj»

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