Klettern in Plagne. 350 Routen in der Nähe der Stadt Biel
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Klettern in Plagne. 350 Routen in der Nähe der Stadt Biel

Klettern in Plagne

Wer sich in den Fünfziger- bis Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts mit Klettern in klassischem Stil auseinander setzte, für den war Plagne ein Begriff. In diesem Klettergebiet in der Nähe der Stadt Biel wurde 1955 mit « Face de Plagne » die erste Route, eine kühne und luftige Kletterei, im Bereich des alten VI. Grades, mit einem Minimum an Haken ausgerüstet. Fast 50 Jahre später stehen 350 Routen zur Verfügung.

Das Klettergebiet Plagne, wenige Autominuten ausserhalb der Stadt Biel gelegen, erstreckt sich über eine Breite von zwei Kilometern. Man findet darin Routen zwischen 10 und 140 m Länge. Zudem erlaubt die allgemeine Orientierung nach Westen schön besonnte Abendklet-tereien. Ein einziger Wermutstropfen: Die Schlucht, in der die Kletterrouten liegen, wäre eine wahre Idylle, wenn sie nicht von einem monströsen Zement-steinbruch verunstaltet wäre. Ganz zu schweigen von der Autobahn und der Eisenbahnlinie, die sich durch den Engpass zwängen.

Die Felsqualität ist leider nicht mit jener in Südfrankreich zu vergleichen. Aber viele Routen führen dennoch durch generell kompaktes Gestein. Man kann sich auf die Farbe des Kalks verlassen: Wenn er grau oder schwärzlich ist, braucht man sich keine Sorgen zu machen; wenn er gelb ist und eine würfel-zuckerartige Struktur aufweist, müssen sich die Kletternden leicht machen und sich jedem Griff nur mit grosser Sorgfalt anvertrauen. Man kann aber auch sagen: Wer in Plagne klettern kann, kann überall klettern. Die grosse Premiere Mit « Dies ist eine Route der Wahrheit, die nur die Besten einwandfrei meistern können » beschrieb Maurice Brandt in seinem Kletterführer Jura von 1966 die Route « Face de Plagne ». Gewiss, die jungen Paul Girardin und Martial Perrenoud, genannt « der Stift », hatten die Messlatte hoch gelegt. Die mit einem Minimum an Material eröffnete, meist Rissen folgende Route, die mit dem damals zur Verfügung stehenden Material nicht immer leicht abzusichern war, bildete für Generationen von Kletterern eine Herausforderung. Obschon sie heute mit eingemauerten Haken abgesichert ist und zwei oder drei Sicherungspunkte dazugekommen sind, hat sie nichts von ihrem Charakter verloren. Zahlreich sind die Seilschaften, die Friends als Zwischensicherungen legen. Zugegeben, heute ist dieser abenteuerliche Stil nicht mehr gefragt, und viele Kletterer finden ihren Spass in Klettereien, wo das Wort Risiko klein geschrieben wird. Routen wie « Face de Plagne » sind aber ein ausgezeichnetes Trainingsfeld für jene, die sich auf alpine Routen vorbereiten wollen.

Die berühmte Face de Plagne, Schauplatz vieler Routeneröffnungen einst und jetzt

Alles noch zu erfinden Eine zweite markante Route wird im Jahr darauf, also 1956, eröffnet: « Grand-Vide ». Wenn man die « Face de Plagne » auf halbem Weg verlässt, führt eine raffinierte Querung halb frei, halb künstlich zu einem hübschen Dülferriss, der einem erlaubt, aus der Wand auszusteigen. Bewertung: gut VI und auch heute noch Respekt erheischend, vor allem wenn man die Gelegenheit hat, Girardin beim Erzählen zuzuhören, wie er die wenigen Haken der letzten Seillänge gesetzt hat. Ein anderer bekannter Kletterer verdient sich seine Sporen auf dieser immer wichtiger werdenden Spielwiese: Hugo Weber. Indem er eher Routen in künstlicher Kletterei wie « La Directe », « Le Grand Toit » oder « Les Martiens » eröffnet, sammelt er Erfahrungen, die ihm ermöglichen, interessante alpine Probleme zu lösen. Unter den zahlreichen anderen Premieren seien noch die « Face de Frinvillier » und die « Face de Rondchâtel » erwähnt. Letztere ist weniger ausgesetzt als « Face de Plagne » und ist daher die klassische Route dieser Wand.

Frei klettern Die nächste Generation von Kletterern wie Gérald Golay, Pierre-Alain Kohler, G. Thomet, G. Houlmann oder Etienne Gross entdeckt zu Beginn der Siebzigerjahre die letzten logischen Linien in traditioneller Kletterei, so « Croissant direct » ( 5 c ) oder « Hirondelles » ( 6a+/A0 ), wo die Haken benützt werden, um den letzten Überhang zu bewältigen. Frei hat ihn bis jetzt noch keiner geschafft.

Zu dieser Zeit geht den Kletterern in Plagne wie auch anderswo mangels Kreativität etwas der Schnauf aus. Die wenigen noch jungfräulichen, unzugänglichen Risse sind, ohne vorher von Hand die Löcher für Bohrhaken zu schlagen, nicht zu machen – für potenzielle Eröffner ein Hindernis. Die Zeit für ein neues Spiel ist da: Freiklettern! Anfang der Achtzigerjahre zeigt der ebenso talentierte wie kühne junge Klet-

Die Gebrüder Zambetti führen Lucien und Raphaël in die Geheimnisse des Klettergebiets ein. In den Routen « Cardinal » und « Directe » Die letzten Sonnenstrahlen am Ausstieg aus der Face de Plagne für Nicolas Zambetti Nicolas in der letzten, legendären Seillänge von « Grand Vide », 6a+. Was für ein kühnes Unternehmen bei der Eröffnung 1956!

Fo to s:

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terer Philippe Steulet, dass man die Routen auch ohne Strickleitern, also in freier statt in künstlicher Kletterei bewältigen kann. Wie denn? Steulet schlägt zunächst alle Haken heraus, die er für überflüssig hält. Polemiken kommen auf, doch dann ändert sich die Einstellung. Philippe Steulet überzeugt die Zweifler durch seine Begehung der dritten Seillänge von « Hirondelles » ( 7b ) ebenso wie durch den Onsight-Durch-stieg von « Tiramisù » ( 7 c+ ), einer grossartigen, stark überhängenden 20-Meter-Linie, die von Hanspeter Sigrist 1985 eingerichtet worden ist.

Andere Freiklettereien wie « Cardinale » ( 6b+ ), « Plume d' Ange » ( 6b ), « Nostradamus » ( 6 c ), « Crime of Passion » ( 7 c ) oder der Sektor Spigolo, mit vier Top-Rope-Routen in den Graden 7a bis 7b und sparsam ausgerüstet, kommen dazu. Die Möglichkeiten vervielfältigen sich, denn viele der neuen Routen führen nicht Rissen entlang, sondern über Platten und Mauern, wo der Fels ausgezeichnet sein kann.

Akteure und ihre Ethik Plagne wäre nichts ohne die beiden Söhne von Paul Girardin, Boris und Christophe. Sie haben anfänglich von Hand, dann mit der Bohrmaschine unzählige Spits und Haken gesetzt. So entstanden nach und nach ganze Sektoren wie zum Beispiel Face de Frinvillier. Wo zunächst jahrelang nur eine einzige gleichnamige Route durchführte, sind unterdessen 25 Routen entstanden. Das Gleiche gilt für die vier kleinen Wände des Nordteils von Plagne, die rund 100 Routen zwischen 10 und 20 Metern mit Schwierigkeiten zwischen 4 c und 7 c aufweisen – ausgezeichnete Beispiele für die Ausdauer der Gebrüder Girardin. Sie eröffnen auch grosse und schöne Routen wie « Stankill » ( 7a ), « Labyrinthe » ( 7a ) oder « Eureka » ( 6a ).

Andere Personen finden Gefallen am Spiel der Eröffnungen, denn es bleibt genug Platz für viele Projekte. Aber leider gehören nicht alle angewendeten Mittel zu den elegantesten. Das Schlagen von Griffen und der Einsatz von Sika gehörten zu den in Plagne üblichen Methoden. Gewisse Sektoren wie zum Beispiel die Boutonnière, wo ehemals grossartige Routen zwischen den Überhängen em-porführten, wurden durch eine Vermehrung von schweren Routen entwertet. Glücklicherweise sind diese Vorgänge keineswegs repräsentativ für das Klettern im Jura und auch nicht für den Eroberungsgeist gewisser Eröffner. Zwei Fragen stellen sich: Ist es der Fels, der sich dem Kletterer, oder der Kletterer, der sich dem Fels anpassen muss? Müsste man nicht künstliche Strukturen den Städten überlassen und damit arbeiten, was der Fels uns bietet, aus Respekt gegenüber unserer Umwelt?

Lifting und Sanierung Lassen wir doch diese ethischen Überlegungen beiseite und sprechen wir von den Sanierungen im zentralen Wandteil. Er ist durch seine Ambiance, die Steilheit

Boris Girardin, einer der fleissigsten Eröffner von Plagne, präsentiert die Bestandesaufnahme der neuen Routen.

Plagne verströmt fast ein wenig südliche Atmosphäre, dabei liegt es nur gerade 10 Minuten von Biel entfernt.

Im neu erschlossenen Sektor Tiramisù finden sich die schwereren Routen des Gebiets Plagne. Nicolas Zambetti in der Passage 7 c+ von « Tiramisù », einer der modernen Routen Fo to s:

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und die Höhe von 100 m charakterisiert. Die Sanierung von grossen Routen wie « Directe » ( 6b ), « L' Ecusson » ( 6 c+ ) oder « Grand Vide » ( 7a ) bietet die Möglichkeit, sich in Passagen voll zu engagieren, in denen unsere Vorgänger manchmal geradezu Heldentaten vollbringen mussten. Die kürzlich eröffneten Routen « The Wall », ( 6b+ ), « Pulse » ( 7 c ) erinnern – bei allen Unterschieden in den Proportionen – an die Wendenstöcke oder das Rätikon ebenso wie das bereits « Stop Sika » getaufte Projekt, das noch eines Bezwingers harrt. Die hoch und isoliert gelegene Route schreckt sicherlich einige Kletterer ab. Um noch ein paar zugänglichere Routen zu zitieren, sei auf folgende, in benachbarten Sektoren gelegene, lohnenswerte Klettereien verwiesen: « Milky Way » ( 5 c ), « Pour le Plaisir » ( 6a+ ), « Learning to Fly » ( 6b ) oder « Nids d' Aigles » ( 6a+ ), die alle gut ausgerüstet sind. Empfehlungen Der häufig nicht ganz einfach zu findende Zugang sowie das eng geknüpfte Routennetz machen ein gutes Topo unerlässlich. Escalade dans le Jura von Philippe Steulet aus dem Jahr 1995 ist in Bezug auf Plagne nicht mehr auf dem neuesten Stand, denn seither sind viele neue Routen dazugekommen. Bei anderen Führern muss man beachten, dass gewisse Autoren nicht aus der Region stammen und das Gebiet nicht gut kennen. Andere haben aus persönlichen Vorlieben gewisse Routen weggelassen. Der zuverlässigste Führer ist die kleine Broschüre Jura Biennois, Ausgabe 2003, für die mehrere Autoren aus der Gegend, darunter Christophe Girardin, zeichnen.

Wer im Auto anreist, soll den Wagen auf den in den Führern erwähnten Parkplätzen stehen lassen oder die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen. Die Felswand ist in einer knappen Stunde zu Fuss von den SBB-Bahnhöfen Frinvillier oder Péry-Reuchenette zu erreichen. Karte: LK 1:25 000, Blatt 1126 Büren a. A. Bitte auch die in den Topos eingezeichneten Zugangswege benützen. Gewisse Sektoren sind im Frühling zu meiden, vor allem dort, wo Vögel nisten. Selbstverständlich nimmt man auch alle Abfälle mit. Wer erst einmal in Plagne geklettert ist, verspürt vielleicht Lust nach anderen Klettereien im Jura. Le Schilt, Les Sommêtres, die Gorges de Court und Vaferdeau lohnen ebenfalls einen Besuch. Klettern, auch das Sportklettern, sollte allen den Horizont erweitern, wenn man sich die Mühe nimmt, sich umzusehen, was anderswo gemacht wird. a

Nicolas Zambetti, Tavannes ( ü ) Boris Girardin hat soeben die von ihm eingerichtete Absicherung in « Platine », 6b+, im Sektor Espace du désir, getestet und für gut befunden. Raphaël Gassmann sichert Lucien Wiser in « Confusion », 6a+.

Floriane Boss profitiert vom morgendlichen Schatten in « Mercure », 5 c.

DIE ALPEN 4/2004

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