Krisenintervention bei Bergunfällen. Psychische Traumatisierung
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Krisenintervention bei Bergunfällen. Psychische Traumatisierung

Psychische Traumatisierung

Krisenintervention bei Bergunfällen

Bedrohliche Ereignisse lösen bei den Betroffenen unterschiedliche Reaktionen aus. Erste Hilfe bei einem Unfall bedeutet oft Krisenintervention. Auch für Laien gibt es dazu ganz bestimmte Regeln, die, richtig eingesetzt, eine wichtige Hilfe im Heilungs-prozess darstellen.

Im Kalenderjahr 2004 wurden in den Schweizer Alpen und im Jura 1471 Personen evakuiert, gerettet oder geborgen. Gut zwei Drittel waren verletzt, ca. ein Drittel musste hospitalisiert werden. 1 Über die psychischen Probleme der in einen Bergunfall verwickelten Personen liegen hingegen nur wenige Studien vor.

Kletterunfall am Montblanc du Tacul

Bergführer Arno bestieg mit einem Kunden den Pilier Gervasutti am Montblanc du Tacul bei idealen Bedingungen. Die ersten 600 Höhenmeter waren in etwas mehr als zwei Stunden zurückgelegt. Als Arno erneut den Standplatz verliess, rutschte er mit einem im Schnee verborgenen Steinblock in die Tiefe und verletzte sich dabei. Seinem Kunden war es gelungen, den Sturz Arnos mit dem Seil abzubremsen. Zudem konnte eine benachbarte Seilschaft, die den Sturz beobachtet hatte, die alpine Rettung alarmieren. Die Evakuation verlief erfolgreich, die Verletzungen waren marginal. In den folgenden Nächten träumte Arno mehrmals pro Nacht von seinem Unfall und wachte jedesmal im Moment Aus verschiedenen Gefahrenquellen ergeben sich Bergunfälle, die bei den Betroffenen psychische Probleme auslösen können. Ein grosser Teil der Symptome, die auf Stress-reaktionen zurückzuführen sind, verschwinden ohne therapeutische Hilfe.

Foto: Kur t Saur er 1 Vgl. ALPEN 5/2005 « Bergnotfälle in der Schweiz » des Sturzes auf. Tagsüber dachte er jedoch nicht ständig an den Unfall, ausser wenn er davon sprach. Eine Woche später nahm er seine Arbeit wieder auf und ging drei Wochen danach mit demselben Kunden erneut auf Tour. An seinen Sturz und die damit verbundene Todesangst erinnert sich Arno auch heute noch, er kann aber ohne Angstgefühle darüber sprechen.

Psychische Störungen nach Bergunfällen

Arnos Reaktion ist typisch, denn unerwartete bedrohliche Ereignisse bewirken bei 75% der Betroffenen eine adaptive Stressreaktion. Dank einem komplizierten Zusammenspiel von Sinnesreizen und körpereigenen Stresshormonen wird der Körper in Alarmbereitschaft versetzt und befähigt, aussergewöhnliche Leistungen zu vollbringen. Da diese Stressreaktion die körpereigenen Energiereserven mobilisiert, wirkt sie ermüdend und kann, wenn sie über längere Zeit andauert oder sich mehrmals ohne ausreichende Erholungszeit wiederholt, zur körperlichen und psychischen Erschöpfung führen. Deshalb fühlen sich Betroffene nach einem Ereignis oft ausgelaugt und psychisch angeschlagen. Andere reagieren auf die intensive Gefühls-last mit Weinen, Muskelzittern, Kopfschmerzen oder Übelkeit und brauchen eine gewisse Zeit, um sich von dem Erlebnis zu lösen und in ihren Alltag zu-rückzufinden. Diese Symptome sowie vorübergehende Schlafstörungen verschwinden gewöhnlich innerhalb einiger Tage.

Bei 25% der Betroffenen löst das Ereignis eine derart hohe Stressreaktion aus, dass sie nicht mehr in der Lage sind, die bedrohliche Situation ohne fremde Hilfe zu bewältigen. Die Betroffenen zeigen sich oft reaktionslos und erstarrt Gefahrenquelle Bergwandern. Unerwartete bedrohliche Ereignisse wie ein Bergunfall rufen bei einem grossen Teil der Betroffenen so genannte adaptive Stressreaktionen hervor. Im Calancatal Gefahrenquelle Schlechtwettereinbruch. Zur Kriseninterven-tionshilfe gehört auch die Unterstützung bei administrativen Gängen wie eine Zeugenaus-sage. Am Fluchthorn, Saas Fee Gefahrenquelle Eisbruch. Der wichtigste Aspekt der Krisen-intervention ist das Vermitteln von Sicherheit. Im Gletscherbruch Weissmies oder aber reagieren mit motorischer Unruhe, Verwirrtheit, Aggressivität oder gar panikartiger Flucht. Manche tun in diesem Moment automatisch das Richtige, ohne sich dessen bewusst zu werden und oft ohne sich hinterher daran zu erinnern. All diese Personen bedürfen sofortiger therapeutischer Aufmerksamkeit, da diese dissoziativen Störungen ein Risiko für die spätere Entwicklung des psycho-traumatischen Belastungssyndroms ( PTBS ) bedeuten.

Krisenintervention

Bei der Krisenintervention in einem Notfall sollte den Betroffenen vor allem möglichst schnell Sicherheit vermittelt werden. Das bedeutet, dass sie baldmöglichst vom Unfallort entfernt und/oder über die Bergungsarbeiten informiert werden, vor allem auch, wenn Angehörige betroffen sind. Ausserdem sollte man ihnen als verständnisvoller Gesprächspartner zur Verfügung stehen, ohne sich aufzudrängen, insbesondere bei emotio-naler Starre, Rückzug und Apathie des Opfers. Eine zu frühe verbale Konfrontation mit der traumatischen Erinnerung kann nämlich zum erneuten Erleben des Unfalls führen und so das traumatische Erlebnis dauerhafter fixieren. Ausserdem können diese Personen von einer leichten medikamentösen Anxiolyse profitieren. Personen mit adaptiver Stressreak-tion kann die sofortige verbale Aufarbeitung ihres Erlebnisses angeboten werden. Hierbei muss jedoch behutsam vorgegangen werden, um die Betroffenen nicht zu überfordern. Abwehrmechanis-men, zu denen auch « verzerrte » Ereignis-berichte gehören, müssen in der akuten Phase immer respektiert werden, da sie den Betroffenen vor dem psychischen Zusammenbruch schützen. Schuldgefühle sind als Versuch der im Nachhinein gefundenen Situationsbewältigung zu verstehen und müssen unbedingt zum Ausdruck gebracht werden können.

Regeln der Krisenintervention

Wer in einen Bergunfall verwickelt ist, sollte die folgenden Kriseninterventions-regeln beachten. Das Wichtigste ist, aus einer ruhigen und taktvollen Grundhaltung heraus Sicherheit zu vermitteln, ohne psychisch zu überfordern. Der Helfer steht dem Unfallopfer als Begleiter zur Verfügung, aber er drängt nicht zum Erzählen. Vielmehr richtet er sich nach den Bedürfnissen des Opfers und hilft ihm unter anderem bei allen administrativen Gängen wie Zeugenaussage – möglichst erst nach einer ausreichenden psychischen Erholungszeit –, Krankenhaus-formalitäten, Arztbesuch usw. Natürlich kann diese Rolle auch von Familie und Freunden übernommen werden, sofern diese vor Ort und nicht selbst vom Bergnotfall betroffen sind. Je nachdem endet die Rolle des Helfers mit der Rückkehr der Opfer in ihren gewohnten Familien- und Freundeskreis. Falls die Verunglückten etwa zwei Wochen nach dem Unfall immer noch unter ständig wiederkehrenden Erinnerungen oder Albträumen leiden, innerlich abgestumpft sind und jeden Gedanken an den Unfall bewusst vermeiden, schlecht schlafen und unnatürlich gereizt sind, sollte unbedingt ein in Trauma-therapie spezialisierter Therapeut aufgesucht werden, um eine dauerhafte Fixierung des traumatischen Erlebnisses, wie beim PTBS, zu verhindern. a Elisabeth Weber, Psychologin, Crolles/F Gefahrenquelle steile Firnfelder. Ruhe und Takt sind die Eigenschaften, die das Verhalten in der Krisenintervention prägen sollen. Steilhang - querung im Eis am Nadelhorn Gefahrenquelle grosse Neuschneemengen. Wer sich nach den Regeln der Kriseninterven-tion verhält, ist eine wichtige Hilfe im Heilungsprozess. Winter im Saanenland/BE Fotos: Mar tin Gerber

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