Lawinenunfälle in den Schweizer Alpen. Unfallberichte in neuem Layout
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Lawinenunfälle in den Schweizer Alpen. Unfallberichte in neuem Layout

Lawinenunfälle in den Schweizer Alpen

Am Eidg. Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF, Davos, werden alle in der Schweiz bekannt gewordenen Lawinenunfälle mit Per-sonen- oder Sachschäden in einer Datenbank erfasst. Das Studium der Unfallberichte kann als Lernschrift bei der Lawinenausbildung oder fürs Selbststudium eingesetzt werden.

Mit fast 12 000 registrierten Lawinen liegt eine sehr umfassende, weltweit einmalige Schadenlawinendatenbank vor, die als Grundlage für verschiedene statistische Auswertungen und zur Beobachtung von Trends dient. Pro Jahr werden durchschnittlich etwa 100 Lawinen registriert, bei denen rund 120 Personen erfasst werden. Durchschnittlich sterben jährlich rund 25 Personen in Lawinen, und ebenso viele werden dabei verletzt. Der häufig vermutete Trend zu mehr Unfällen mit Variantenfahrern gegenüber Tourenfahrern wird aus den Daten nicht bestätigt. Es kann aber festgestellt werden, dass die Variantenfahrer deutlich jünger sind als die Tourenfahrer. Rund 75% der tödlichen Lawinenunfälle ereignen sich bei Gefahrenstufe « erheblich » und « mässig ».

Die Schadenlawinendatenbank stellt auch die Grundlage der Unfallberichte 1

1 Die von Stephan Harvey und Benjamin Zweifel verfassten Unfallberichte basieren auf den wertvollen Rückmeldungen diverser Tourenfahrer, Bergführer, Rettungsleute, Patrouilleure, Beobachter und Beteiligter. Nur dank möglichst vieler Informationen über Lawinenunfälle aller Art, auch glimpflich verlaufene, können aussagekräftige Auswertungen mit Wirkung für die Zukunft gemacht werden. Die Unfallberichte werden neutral verfasst, und beteiligte Personen bleiben anonym. 2 Stand der Auswertungsdaten Ende August

dar. Mit der gleichzeitigen Veröffentlichung der Unfallberichte für die Winter 1999/2000 und 2000/2001 im letzten Herbst nahm das SLF die Reihe der Unfallberichte nach einem dreijährigen Unterbruch wieder auf und wird sie mit der Ausgabe 2002/2003 fortsetzen. Erste Datenauswertungen vom Winter 2003/04 zeigen, dass die Anzahl der erfassten Personen etwa im langjährigen Durchschnitt lag, die Zahl der Opfer mit 11 Personen 2 hingegen deutlich unter

dem Schnitt.

Anhand einer Reihe ausgewählter und lehrreicher Fälle wird auf typische Probleme und Unfallabläufe hingewie-

Lawinenrelevante Daten von verschiedenen Messstationen

Datum Neuschnee Neuschnee Max. Windspitzen Mittlere ( cm ) ( cm ) ( km/h ) Lufttemperatur ( °C ) 8 Uhr 8 Uhr

4 BP ( 1670 m ) 4 FY ( 1500 m ) BOV 1 ( 3212 m ) BOV 1 ( 3212 m )

4. 1. 2003 20 18 22 –12 5. 1. 2003 16 10 16 –19 6. 1. 2003 5 3 28 –15 Angaben zu den Stationen: – 4 BP: Vergleichsstation Bourg-St-Pierre, 1670 m; 2,3 km vom Unfallort entfernt – 4 FY: Vergleichsstation Fionnay, 1500 m; 11,. " " .1 km vom Unfallort entfernt – BOV 1: IMIS-Windstation Pointe de Boveire, 3212 m; 5,5 km vom Unfallort entfernt

Angaben zur Lawine

Lawine LK-Nr. 1345 Länge ( m ) 1200 Breite ( m ) 160 Anrissmächtigkeit min. ( cm ) 30 Anrissmächtigkeit mittel ( cm ) 50 Anrissmächtigkeit max. ( cm ) 70 Gelände Exposition WSW Höhe ü. M. 2750 Hangneigung Karte40 Geländeform kammnah, Mulde Infos zur Auslösung Auslöseart Ski Anz. Auslösepersonen 3 Anz. erfasste Personen 3 Abstände – Tätigkeit Abfahrt, Tour Spuren unbefahrener Hang Schaden Schaden Verschüt-Verschüt- tungsart tungsdauer 1. Person tot ganz verschüttet 2 Tage 2. Person tot ganz verschüttet 2 Tage 3. Person tot ganz verschüttet 2 Tage Umriss der Unfalllawine in der Südwestflanke der Pointe de Penne vom 6.1.2003 mit der Aufstiegsspur und den Fundorten der drei Opfer ( LK 1:25 000, Blatt 1345 Orsières ). Farbig hinterlegt sind die aus dem digitalen Geländemodell ( DHM 25 ) berechneten Hangneigungen.

Reproduziert mit Bewilligung swisstopo ( BA046532 ) DIE ALPEN 12/2004

sen, was sowohl beim Selbststudium als auch bei der Lawinenausbildung dienen kann. Bei den Fallbeispielen sind jeweils die auf verschiedenen Messstationen la-winenrelevanten Daten sowie die Informationen zur Lawine selber angegeben ( vgl. Kasten ).

Unfallbeispiel aus dem Winter 2002/2003 Pointe de Penne ( Combe du Valsorey ), Bourg-St-Pierre, 6. 1. 2003: Drei Skitourenfahrer werden von einem Schneebrett erfasst und verschüttet. Nach zwei Tagen können sie nur noch tot geborgen werden.

Unfallhergang und Rettungsaktion

Die drei Freunde fuhren am Morgen des 6. 1. 2003 nach Bourg-St-Pierre, um eine Skitour zu unternehmen. Niemand kannte ihr genaues Ziel. Sie liessen ihr Auto in Bourg-St-Pierre stehen und stiegen zur Pointe de Penne auf. Anschliessend fuhren sie gemeinsam durch die steile Südwestflanke ab. Dabei erfasste sie ein Schneebrett, das ihnen zum Verhängnis wurde.

Am 7. 1. 2003 wurde nachmittags der Kantonspolizei Wallis das Verschwinden der drei Tourenfahrer gemeldet, die in der Folge eine Vermisstmeldung herausgab. Am nächsten Morgen ( 8. 1. ) entdeckte man in Bourg-St-Pierre das Auto der drei Skitourenfahrer. Auf einem Suchflug in der Region stiess man gegen 11 Uhr auf eine Lawine an der Pointe de Penne, worauf man beim Überflug Skier, einen Skistock und einen Rucksack entdeckte. Die auf dem Lawinenkegel abgesetzten Bergführer konnten mit Hilfe von LVS schon bald zwei Opfer ausgraben. Das dritte Opfer konnte später mit Sondieren geortet und anschliessend geborgen werden. Für alle drei kam jede Hilfe zu spät.

Wetter- und Lawinensituation

Ein Tief über Nordeuropa brachte ab dem Jahreswechsel bis zum 4. 1. 2003 feuchte und milde Luft an die Alpennordseite und auch ins Unterwallis. Im westlichen Unterwallis fiel in dieser Periode mit einem Weststaueffekt besonders viel Schnee. Mit mässigen Winden aus verschiedenen Richtungen bildeten sich vor allem in Kammlagen heikle Triebschneeansammlungen. Am 4. 1. 2003 gab es einen Kaltlufteinbruch, dann blieb es kalt und trocken. Wegen

Übersicht und Umriss der Unfalllawine vom 6.1.2003 an der Pointe de Penne mit den Fundorten der drei Opfer Anrissbereich der Lawine an der Pointe de Penne. Man sieht deutlich, dass die drei Skifahrer fast am selben Ort in den Hang einfuhren. Im obersten Bereich brach das Schneebrett innerhalb der Schneedecke an, riss dann aber weiter unten teilweise die ganze Schneedecke bis auf den Boden mit.

Fo to s: zv g/ Ka nt on spoli zei VS

Pointe de Penne

Anriss Einfahrtsspuren

Alpine Geschichte, Kultur, Erzählungen

Storia, cultura, letteratura alpina

Histoire, culture et littérature alpines

der sehr tiefen Temperaturen konnten sich die Triebschneeansammlungen kaum verfestigen. Die Unfalllawine brach ziemlich sicher als Triebschnee-brett an, wobei in der steilen Sturzbahn auch der Altschnee – stellenweise bis auf den Boden – mitgerissen wurde.

Lawinenbulletin

Das Lawinenbulletin für die Unfallre-gion enthielt folgende Angaben: Erhebliche Lawinengefahr. Gefahrenstellen an Steilhängen aller Expositionen oberhalb von rund 2000 m. Hinweis: Lawinen können durch Einzelpersonen ausgelöst werden.

Aus Unfällen lernen Im Unfallbericht 2002/2003 werden 35 Lawinenunfälle in dieser Form vorgestellt. 3 Auch diese Beispiele sollen mithelfen, sich mit dem eigenen Handeln und den eigenen Entscheidungen beim winterlichen Unterwegssein auseinander zu setzen. Dabei darf man nicht vergessen, dass bei einer Beurteilung im Nachhinein nie alle Aspekte und Hintergründe, die zu einem Unfall geführt haben, beleuchtet werden können. Aus Unfällen oder Erfahrungen anderer Leute kann man aber für das eigene Verhalten ler-nen. a

Benjamin Zweifel, SLF, Davos 3 Die Unfallberichte Winter 1999/2000, Winter 2000/2001 und Winter 2002/2003 können im neuen Layout zu Fr. 32.– bezogen werden beim Eidg. Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF, Bibliothek, Flüelastr. 11, 7260 Davos Dorf, bibliothek(at)slf.ch, www.slf.ch/media/shop/bestell-pub-de.html.

Die Stadt Tegernsee, Austragungsort des noch jungen internationalen Bergfilmfestivals, liegt am gleichnamigen lieblichen See.

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