Mit den Steigeisen zum Einkaufen
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Mit den Steigeisen zum Einkaufen Unterwegs mit einer Hüttenwartin

Die Bordierhütte SAC liegt auf 2886 Metern über Meer. 2200 Meter tiefer liegt Visp, wo die Hüttenwartin alle zwei Wochen einkaufen geht. Ein aussergewöhnlicher Einkaufsweg.

Es ist fünf Uhr morgens, die Bordierhütte liegt ganz still zwischen den Gipfeln und Gletschern der Mischabelgruppe. Meine Gäste sind schon alle unterwegs. Die ersten sind um halb drei Uhr gestartet – zur längsten und anspruchsvollsten Tour von unserer Hütte, zum Nadelgrat: vier Viertausender mit Eisflanken und Blockkletterei, oft nur fussbreiten Gratstellen, grandiosen Tiefblicken und atemberaubenden Weitblicken zu den Bergriesen des Wallis. Die nächsten Gäste sind um halb fünf Uhr Richtung Balfrin losgezogen, mit knapp 4000 Meter ein fantastischer Aussichtsberg. Und einige sind unterwegs zur Mischabelhütte, um dann ins Saasertal abzusteigen. Es ist Hochsommer und die beste Hochtourenzeit. Der Riedgletscher ist noch gut eingeschneit, und die Spaltenzone in der Früh problemlos zu überqueren.

Die Nacht war kurz für mich, aber ich liebe diese besondere Stimmung, wenn die Bergsteiger voller Anspannung, Vorfreude und Adrenalin zum Frühstück kommen. Der Kaffeegeruch zieht durch die Stube, die Müeslischalen klappern. Es wird wenig geredet und auch wenig gegessen um diese Zeit. Viele verabschieden sich und bedanken sich für die Gastfreundschaft. Ich wünsche ihnen eine schöne Tour und beneide sie ein wenig um das tolle Bergerlebnis, das sie erwartet. Eisschrauben und Karabiner klimpern im Vorraum, dann verschwinden die Lichter der Stirnlampen in der Dunkelheit. Das Wetter ist perfekt, es wird einen Traumtag geben.

Wichtiges vergessen ist verboten

Heute ist Donnerstag, alle zwei Wochen mein Einkaufstag in Visp. Am Samstag bringt dann der Heli meinen Einkauf herauf, meistens zwei bis drei Netze voller Getränke, Obst, Gemüse und Fleisch und hoffentlich mit allem, was ich die nächsten zwei Wochen brauche. Etwas Wichtiges vergessen ist verboten. In Gasenried habe ich ein Lager, dort richte ich alles in Kisten her. Am Samstag lädt mein Mann dann die Ware in die Transportnetze. Meinen Rucksack mit Kühltaschen, Einkaufsliste, Geld und Steigeisen habe ich schon am Vorabend gepackt. In die Kühltaschen kommen Milchprodukte und Fleisch. Da der Heli nur die Netze ausklinkt und dann wieder wegfliegt, trage ich die Kühltaschen jeweils wieder hinunter. Sollte ich wirklich einmal etwas Wichtiges vergessen oder sollte sich ein Flug nicht rentieren, trage ich natürlich auch Ware auf die Hütte. Aber nicht mehr als zehn Kilogramm, es sind doch 1200 Höhenmeter. Die Bergsteiger benötigen dafür in der Regel vier Stunden, ich brauche nur zweieinhalb.

Vorfreude auf einen Kaffee in Visp

Die Luft ist wundervoll würzig und frisch hier oben. In Visp, über 2200 Meter tiefer, wird es mittags um die 40 °C heiss sein! Über Leitern gehts hinunter zum Gletscher, das Eis ist noch pickelhart, und ich ziehe vorsichtshalber die Steigeisen an. Jetzt sind die Gletscherbäche noch gefroren, aber am Nachmittag braucht es hier ein paar beherzte Sprünge, wenn die Schmelze das Wasser anschwellen lässt. Mein Blick geht hinauf zu den riesigen Séracs. Die ersten Sonnenstrahlen haben das Stecknadelhorn erreicht. Unglaublich schön ist die Nordwand des Hohbergs. Sie ist in zartes Rosa getaucht, der Himmel drüber strahlt hellblau.

Jetzt sollten die Seilschaften das Selle-Couloir hinter sich haben, denn mit der Sonne kommt der Steinschlag. Ich schicke ihnen ein paar gute Gedanken. Es sind erfahrene Alpinisten, darunter zwei Frauenseilschaften: coole junge Frauen! Im Blockfeld nach dem Gletscher deponiere ich meine Steigeisen für den Rückweg unter ein paar Steinen. Inzwischen kenne ich fast jeden Stein am Weg ins Tal. Ich freue mich auf einen Kaffee in Visp. Der Pfad verläuft in vielen Serpentinen parallel zum Gletscher. Der Rückgang der Gletscherzunge ist extrem, vor 30 Jahren reichte der Gletscher noch 300 Höhenmeter weiter hinunter. In den drei Jahren, seit ich Hüttenwartin bin, habe ich das schnelle Abschmelzen beobachten können: Das Gelände verändert sich von Woche zu Woche. Den Zustieg haben wir im oberen Teil schon einige Male verlegen müssen. Am Moränenrand sehe ich oft Steinbockgeissen mit ihren Jungen. Sie kommen nicht zur Hütte herauf. Oben tummeln sich dafür die jungen und alten Böcke und lassen sich von den Bergsteigern und natürlich auch von mir bewundern.

Weiter unten führt ein kleines Brücklein über den Gletscherbach. Ich werfe einen Blick zurück auf das imposante Bild des riesigen Riedgletschers und der Viertausender. Dort oben, auf fast 3000 Metern, sind die Bordierhütte und die Fahne zu sehen, winzig klein von hier. Die Sonne hat jetzt das Tal erreicht. Beim Auto angekommen, tausche ich Berghose und schwere Schuhe gegen Shorts und Sandalen. Es wird heiss heute. In Visp und im Supermarkt erwartet mich eine andere Welt. Aber in ein paar Stunden bin ich zurück in meinem Adlerhorst hoch über den Gletscherspalten.

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