Otto Zürcher: Jens Baggesens Parthenaïs
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Otto Zürcher: Jens Baggesens Parthenaïs

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Der heutigen Generation der Alpenfreunde und Liebhaber alpiner Literatur sagt wohl die von dem Autor selbst als „ Alpenreise, ein idyllisches Epos in neun Gesängen ", später als „ der Jungfrauen Wallfahrt zur Jungfrau " bezeichnete sentimentale Dichtung nicht mehr zu, die „ ihren Namen davon trägt, daß drei Jungfrauen, verschwisterte, liebenswürdige Bernerinnen, die hier Cynthia, Myris und Daphne heißen, mit ihrem Begleiter, und Baggesen ist selbst der begeisterte Nordfrank, auf ihrer Reise durch das Berner Hochgebirge die anmutigsten Abenteuer erleben ". Auch die älteren unter uns können sich nicht mehr in so altmodische Stimmungen und Erlebnisse wirklich versenken, und das mythologische Gewand vollends, in welches Baggesen seine Bernerinnen von 1790 kleidet, ist seit Spittelers „ olympischem Frühling " in der Epik unerträglich geworden. Und an dieser Abneigung wird die vorzügliche literarhistorische Studie, in welcher Dr. Otto Zürcher versucht, der Parthenais des im übrigen uns Schweizern und namentlich Bernern sympathischen Dänen eine Stellung neben Goethes Hermann und Dorothea und Vossens Luise anzuweisen, schwerlich viel ändern. Unser Geschmack ist nun einmal, ich will nicht sagen besser, aber jedenfalls anders geworden. Dennoch gibt uns das Buch Zürchers zu denken. Wir kehren mit ihm in die Zeit zurück, da „ der Urgroßvater die Urgroßmutter nahm ", und einen romantischen Reiz hat die Lektüre des alpinen Idylls heute noch, wenn wir bedenken, daß sich darin die Liebesbewerbung Baggesens um eine Enkelin des großen Haller spiegelt und daß faktisch ein gemeinsamer Besuch der Beatushöhle die Veranlassung zu dem Herzensbunde des Nordländers und der Berner Patrizierin und einem allzu kurzen Eheglück geworden ist, dessen Erinnerung noch in der „ Parthenais " nachzittert. Und schließlich hat Gottlieb Studer bekannt, daß ihn als Knaben die Lektüre dieses Gedichtes für das Bergreisen entflammte und speziell zu einer Schwalmerenbesteigung anreizte, und noch J. V. Widmann ist mit der „ Parthenais " in der Tasche über die Wengernalp gewandert und hat unterwegs an den naiven Schilderungen eine „ lachende Freude " gehabt. Man darf sich also wohl erlauben, aus dem neuesten Buche über Jens Baggesen das herzusetzen, was über den Berner Alpensinn und Berner Alpenreisen vor 1800 zu gewinnen ist. Wir benützen die Gelegenheit auch gerne, um unserseits durch Korrekturen und Hinweise die Resultate Zürchers zu verbessern. Der „ Petina ", welchen Baggesen 1789 auf seiner ersten Alpenwanderung, die ihn mit dem Grafen Adam Moltke und dem Hofapothekers-sohn Becker von Zürich über Gersau zur Tellskapelle und das Reußtal hinauf auf den Gotthard, über die Furka ins Wallis, über die Grimsel ins Haslital, über die Große Scheidegg nach Grindelwald und über die Kleine Scheidegg, den Tschuggen und die Wengernalp nach Lauterbrunnen führte, mit Lebensgefahr erstiegen hat, ist wahrscheinlich nicht der Pizzo Lucendro, sondern ein schon von Saussure erstiegener Vorgipfel desselben oder der Monte Pettano bei Piora. Ein ergreifender Ausbruch von Baggesens Alpensinn, verbunden mit dem Andenken an Sophie v. Haller, wird aus dem Tagebuch vom 14. August 1797 in Fraubrunnen zitiert: „ Es ist das 7. Mal, daß ich mich dem Himmel nähere, wo Reinheit, Höhe und Stille thront, meine Bewunderung ist siebenmal größer als das erste Mal, aber zugleich ist es der traurigste Gang und an diesem sonnenklaren Tage freue ich mich auf den Anblick von Bern. " Es geht nicht an, 1798 Rudolf Emanuel von Haller den „ bekannten Schatzmeister Napoleons " zu nennen. Der zweite Sohn des großen Haller stand damals bei der „ Armée d' Italie " unter dem Befehl des „ Citoyen Général Bonaparte ", und wenn er Baggesen wirklich das „ Landgut Frasimalga in der Nähe von Mendrisio geschenkt " und nicht bloß, wie wir vermuten, dem Verwandten als Wohnsitz angewiesen hat, so geschah dies auf Kosten Italiens, dem der Tessin zugeschlagen worden war, und mit Genehmigen des Citoyen Reybaz in Paris, dessen Tochter er im gleichen Jahre als zweite Frau heimführte. Diese Wendung des Fürstenpensionärs Baggesen zum Sansculottismus ist entschieden pikant, aber sie gehört zu den „ Halleriana ". 1809 finden wir Baggesen wieder in Bern und Interlaken und im Gurnigelbad, und aus dieser Zeit stammen poetische Beiträge von ihm zu den „ Alpenrosen " von J. R. Wyß. Es mag wohl auch sein, daß dem Sänger der Parthenais die Entdeckung des „ Jung-fraublicks " vom Rügen bei Interlaken zuzuschreiben ist, und daß sein „ Sophiegrätli " die jetzige Heimwehfluh ist. Merkwürdig gering ist die Ausbeute an Alpensagen, die doch in den Kreisen der Haller und Wyß, mit denen Baggesen verkehrte, eine ziemlich lebhafte Sammlertätigkeit gefunden hatten. Wir können hier nur eine wenig glückliche Variierung der auf die Beatushöhle bezüglichen Legenden erwähnen, und die auf das Rottal weisende, aber von Baggesen an eine angebliche Eigerbesteigung seines Nordfrank angeknüpfte Sage von dem „ Gletschergestöhn ". Wir sind ziemlich überzeugt davon, daß Baggesen dafür keine andere Quelle hatte als Altmann, dessen 1757 erschienenen „ Versuch einer Historischen und Physischen Beschreibung der Helvetischen Eisberge " er gewiß in Bern zu lesen bekam. Daß Dr. Zürcher für die von Baggesen als „ altheilige Sage " bezeichnete Mähr von einem hoch oben am Eiger die Höhle des Schicksals bewachenden Drachen Hurnigel keinen Beleg fand, ist selbstverständlich, aber um eine befriedigende Erklärung des Wortes Hurnigel, das in der Parthenais mehrmals wiederkehrt, hätte er sich keine Sorge zu machen brauchen. Es ist gut schweizerisch resp. bernisch, und wenn wir mehr von den Idiotiken wüßten, welche die Berner Schmid, Nötinger und G. S. Studer anlegten, würden wir es in diesen Listen finden. Dr. Zürcher frägt sich, ob Baggesens Vergleich des Staubbachs mit einem Schiffswimpel, der, ein Spiel des scherzenden Ze-phyrs, bald in die Länge gestreckt, bald eingeschlürft wird, nicht eine Erweiterung sei des in einem französischen Manuskript der Berner Stadtbibliothek von 1757, unterzeichnet von Rud. Wyß, vorkommenden Vergleichs: „ ce qui ressemble à une longue pièce de gaze, emportée par le vent ", und stößt sich nur daran, daß „ Baggesen Wyß'Manuskript schwerlich gekannt habe ". Ich wüßte nicht, warum dies nicht möglich sein sollte. Das Manuskript war einst im Besitz von Gottlieb Emanuel Haller, dem Onkel von Baggesens Sophie, und Rud. Wyß muß in irgendeiner verwandtschaftlichen Beziehung stehen zu A. v. Hallers erster Frau, Marianne Wyß. Also auch da wieder Halleriana.Redaktion.

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