Porträt eines Fotografen. Das Abenteuer der Kontemplation
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Porträt eines Fotografen. Das Abenteuer der Kontemplation

Porträt eines Fotografen

Fotografieren in den Bergen – das bedeutet, in eine faszinierende Welt mit ihren eigenen Gesetzen einzudringen. Pierre-Alain Treyvaud lässt uns an seiner Passion teilnehmen und mit Hilfe seiner Bilder in sein poetisches Universum eintauchen.

Jeder hat seine eigene Art und Weise, die Natur zu erfassen und sich davon ein Bild zu machen. So trifft auch ein Fotograf auf Motivsuche in den Bergen seine Wahl, um etwas in sein richtiges Licht zu rücken. Er muss nicht nur die Technik seines Handwerks beherrschen, sondern auch komponieren können. Aber was muss er tun, um seine Gefühle und Emotionen in das Bild einfliessen zu lassen? Das versucht uns Alain Treyvaud, ein junger Fotograf, zu erklären. Indem wir seine Innenwelt, seine Beziehung zur Natur entdecken, stellen wir vielleicht fest, dass auch wir schon einmal gefühlt haben, was er uns in seinem Text beschreibt.

Den richtigen Moment abwarten Das Biwak will kein Ende nehmen. Die Nacht ist eiskalt, von unbeschreiblicher Magie erfüllt. Nebelbänke ziehen an den zahlreichen, entrückt wirkenden Gipfeln vorbei, die rund um den Gletscherkessel stehen, in den ich hinunterblicken kann. Eine mondbeschienene Klarheit breitet sich über die Berge aus. Mitten in dieser unvollkommenen Dunkelheit wirkt jede Gruppe, jeder Gipfel wie eine opaleszie-rende Form, die aus dem Nichts auftaucht. Der safrangelbe Halbmond versinkt gerade hinter dem gezackten Horizont.

In ganz kurzer Zeit wird die Beleuchtung bläulich, metallisch. In diesem gespenstischen Licht, das den Tag ankündigt, erscheinen die Berge klarer denn je. Der Purpur der ersten Sonnenstrahlen, die hinter der Bergkante emporschiessen, verliert sich im dunklen Himmel der fliehenden Nacht. Dieses Leuchten nimmt ständig an Intensität zu, färbt die kristallklaren Wände und zerrissenen Grate immer röter und goldener. Es sieht aus, als ob auf einmal tausend Funken sprühten.

Verzaubert von dieser Welt, die den Geist verwirrt, verlasse ich meinen Rucksacküberzug aus Gore-Tex, die ein-

Die Wahl des Bildausschnitts spielt in der Fotografie eine entscheidende Rolle. Simples Geäst mitten im Wald und Kieselsteine können ein interessantes Sujet abgeben, sofern man ein paar Regeln befolgt. Herbst im Saastal.

Bei einem Zoomobjektiv stehen verschiedene Brennweiten zur Verfügung, sodass man präzis auswählen kann, was einen in der Landschaft fasziniert. Chaos im Glacier des Bossons, Montblanc-Massiv.

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zige Hülle, die ich bei meinem improvisierten Biwak dabei habe. Fast instinktiv habe ich den Fotoapparat aus der Tasche befreit und aufs Stativ montiert. Jetzt erinnert die in bunt schillerndes Licht getauchte Landschaft an ein surrealisti-sches Bild. Wie ich durch den Sucher blicke, kommt es mir vor, als ob ich in eine verzauberte Welt eintauchen würde. Doch halt, ich muss meine Emotionen kontrollieren, um keinen technischen Fehler zu machen: Ausschnitt, Blende, Verschlusszeit. Endlich kann ich auf den Auslöser drücken!

Die Suche nach dem Magischen Für einige Momente laufen alle Elemente noch in einer subtilen Harmonie zusammen. Plötzlich verschwindet das Licht. Grosse Wolken verdecken die Sonne. Das perfekte Gleichgewicht dieses Augenblicks hat nur knapp zwei Minuten gedauert. Es sind diese magischen Momente, die ich in den Bergen immer wieder suche. Das Ungewöhnliche und Un-aussprechliche zu fotografieren, ist im Laufe der Zeit zu einer Leidenschaft geworden. Die emotionale Suche führt mich dazu, die Natur in ihren schönsten Augenblicken festzuhalten. Aber gleichzeitig habe ich den ausprägten Wunsch, auf meinem Bild meine Träume wieder-

Eindruck von grosser Tiefe dank dem Einsatz eines kurzen Objektivs. Wilde Schlucht in der Region Mauvoisin, Wallis. Die Arbeit mit dem Licht ist wahrscheinlich das spannendste Element bei der fotografischen Arbeit. Goldfarbene Stimmung am Ende eines Herbsttages. Im Hintergrund die Aiguille de l'M, 2844 m, im Montblanc-Massiv.

Der Gebrauch von Objektiven mit extrem kurzen Brennweiten ermöglicht besonders spektakuläre Bilder. Dass der Vordergrund die gleiche Bedeutung hat wie die weit entfernten Berge, bringt eine zusätzliche Dimension ins Bild. Nordend ( l. ), 4610 m, und Dufourspitze, 4634 m, im Licht der untergehenden Sonne. Monte Rosa, Wallis.

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zufinden: das Abbild einer faszinierenden und geheimnisvollen Welt.

Mit der Fotoausrüstung auf dem Rücken – manchmal mehr als 10 Kilo Gewicht – bin ich mehrere Jahre lang durchs Montblanc-Massiv und die Walliser Alpen gestreift. Alpinist war ich schon lange, bevor ich als Fotograf in die Berge ging, aber heute ist es die Leidenschaft für die Fotografie, die meine Schritte lenkt.

Geduld und das Licht verstehen Im Feld geschieht die Wahl dieses oder jenes Objektivs praktisch intuitiv, oft schon, bevor ich die Kamera aus dem Rucksack nehme. Das Licht verstehen und wissen, wie der Film – oder der Di-gitalspeicher – reagiert, ist unverzichtbar für gute Fotoaufnahmen. Das Stativ verwende ich eigentlich immer, denn es verbessert die Grundqualität eines Bildes ( Schärfe ), erlaubt eine präzise Bildein-stellung, ermöglicht Nachtaufnahmen sowie eine Reihe von Einstellungen, deren Effekte manchmal überraschend sind. Bereit zu sein, am richtigen Ort und im richtigen Moment auf den Auslöser zu drücken, ist ebenfalls ein Schlüsselele-ment für gute Aufnahmen. Aber in den Bergen kommen diese Forderungen oft mit jenen nach Sicherheit in Konflikt. Um dieser Schwierigkeit zu entgehen, muss man oft ganz speziell auf einen Ort zugehen. Das bedeutet manchmal, nachts zu marschieren, lange in der Kälte oder im Sturm zu warten oder das Teleobjektiv einzusetzen, statt sich in Gefahr zu begeben. Biwakieren ist ebenfalls eine gute Strategie, um eine einmalige und nicht wiederkehrende Situation auf den Film zu bannen. Manchmal ist eine Übernachtung in den Bergen auch nötig, um der Lawinengefahr zu entgehen. Innige Beziehung zur Natur Der Grund, warum ich so viel Zeit und Energie für jede Aufnahme aufwende, ist die Liebe und die Leidenschaft zum Fotografieren. Mir ist vor allem wichtig, meinen inneren Blick möglichst treu wiederzugeben. Die Fotografie ist mehr als ein Ziel an sich, sie ist ein Mittel, um auszudrücken, was ich dort oben empfinde. Obschon diese Arbeit, die ich als Kunstbetätigung betrachte, für mich heute teilweise der Broterwerb ist, sehe ich mich nicht als Fotografen im engeren Sinn. Als Herumstreuner in der Höhe und den grossen Räumen bereitet es mir vor allem Freude, mich in einer Welt zu bewegen, die geistvolle Offenheit atmet. Und die bewegendsten Momente dieser Welt zu erfassen, bedeutet für mich die Fortsetzung einer innigen Beziehung, die der Mensch mit der wilden Natur eingehen kann. a

Pierre-Alain Treyvaud, La Tour-de-Peilz ( ü ) Kurz nach Sonnenaufgang – oder kurz vor Sonnenuntergang – ist die beste Zeit, um Berge zu fotografieren. Blick aufs Matterhorn, 4478 m, von der Schönbielhütte aus: ( v. l. ) Matterhorn Nordwand, Zmuttnase ( im Schatten ) und im Vordergrund der Zmuttgrat.

Zum Fotografieren wird die Mittagszeit meistens gemieden. Aber das scharfe Licht jenes Oktobertages liess alle Details und die Wucht der Drus so deutlich zu Tage treten, dass der Berg auf Zelluloid gebannt wurde.

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