Ruhende Fahnen und flatternde Wegweiser. «Wanderziel Kunst: Ein- und Aussichten»
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Ruhende Fahnen und flatternde Wegweiser. «Wanderziel Kunst: Ein- und Aussichten»

« Wanderziel Kunst: Ein- und Aussichten »

Ruhende Fahnen und flatternde Wegweiser

Zeitgenössische Kunst mitten in der Bergwelt – der SAC betrat mit seiner 24. Kunstausstellung Neuland und verwirklichte ein ebenso ungewöhnliches wie ambitioniertes Projekt. Ein Rückblick.

Irgendwann ist es beim Hüttenaufstieg meist so weit: Die Luft wird langsam dünn, der Schweiss tropft von der Stirne, und der Blick sucht im Grau des Gerölls oder im Grünbraun der Hänge das Ziel, die Hütte. Und mit etwas Glück leuchtet einem dann das bewegte Rot-Weiss der Fahne entgegen. Im vergangenen Sommer mochte manche Wanderin und mancher Wanderer in diesem Moment überrascht innehalten und die Buchstaben zu entziffern versuchen, die da im Wind flatterten. Statt der traditionellen Schweizer Fahne wehte in fünf Hütten eine gelbe mit rot-weiss gestreifter Spitze und schwarzem Text, die der Künstler Yves Netzhammer in Analogie zu den Wanderwegweisern entworfen hatte. « Windlandschaften » war wohl das erste Werk der SAC-Kunst-ausstellung, das Wanderinnen und Wanderer jeweils entdeckten. « Il passà » ( die Vergangenheit ) lag, je nachdem woher der Wind blies, in einer anderen Richtung, und Worte wie « Sprachfetzen » oder « Wolkenfriedhof » regten freie Assoziationen in alle Himmelsrichtungen an.

Die 24. SAC-Kunstausstellung ging « hoch hinaus », so der Titel ihrer Vorgängerin 2005 im Kunstmuseum Thun, und stellte sich mit dem Aufstieg in die Hütten auch einem Publikum, das den Umgang mit zeitgenössischer Kunst nicht gesucht hatte. Da fragt sich natürlich, wie die Hüttenbesucherinnen und -besucher die Kunst wahrgenommen haben. Haben sie die Kunstwerke über- Judith Albert: « San Carlo di Monte Grande ». Er ist der Schutzpatron für die Berge und das ewige Eis. Albert bestückte 5000 Zündholzschachteln mit einem kleinen Markus Schwander: « untitled: chewed # 27 ». Die drei künstlichen Steine waren in der unmittelbaren Umgebung der Etzli- und Wildstrubelhütte zu sehen.

Fotos: Mar co Volken Stein, diese zu Stein gewordenen Tränen des heiligen sollen Wunder vollbringen können. Die Zündholzschachteln waren zum Mitnehmen gedacht. Das Angebot wurde rege genutzt.

Prix Meuly für Gramsma und Netzhammer Die Jury des achten Prix Meuly hat gleich zwei Preisträger für deren besonders überzeugende Werke im Rahmen der Ausstellung « Wanderziel Kunst » bestimmt: Bob Gramsma für sein Werk « wandering mind » und Yves Netzhammer für seine « Windlandschaften ». Bob Gramsma setzte ein nicht mehr gebrauchtes, frisch in Weiss gestrichenes, schmiedeisernes Balkongeländer an eine kleine Felswand neben einen bescheidenen Wasserfall. « Die Schlichtheit dieses Werks ist bedrückend schön », sagte Kul-turkommissionsmitglied Christian Schmid in seiner Laudatio zum Werk, das wenig unterhalb der Basòdinohütte im Valle Bavona angebracht war. Yves Netz-hammers Beitrag war in allen fünf SAC-Hütten zu finden, die an der Kunstausstellung beteiligt waren. Wo üblicherweise die Fahne mit dem Schweizerkreuz weht, fand sich eine gelb-rot-weisse in Form der bekannten Wanderwegweiser. Doch statt der üblichen Ortsnamen wählte Netzhammer Begriffe wie « Vergangenheit », « Sprachfetzen », « Hautpartikel », « Bakterien », « Wolkenfriedhof », und dies in der Sprachen des jeweiligen Hüttenstandortes. « Die Fahnen stellen die gewohnten Orientierungspunkte infrage », begründete Christian Schmid die Preisvergabe. Die beiden Künstler erhielten ein Preisgeld von je 5000 Franken. Diese übergab SAC-Zentralpräsidenten Frank-Urs Müller am 16. September im Schweizerischen Alpinen Museum in Bern. Mit dem Prix Meuly zeichnet die Kulturkommission des SAC jeweils den herausragendsten Beitrag der Kunstausstellung aus.

haupt als solche bemerkt? Und liessen sie sich von ihnen, wie sich der Kurator, Andreas Fiedler, wünschte, zu Diskussion beim Zvieri auf der Terrasse und beim Nachtessen in der Hütte anregen?

Kunst, die gefällt

Es erstaunt nicht, dass Arno Hasslers Fotografien grossen Anklang fanden, wie der Hüttenwart der Chamanna d' Es-cha erzählte. Hassler spielte subtil mit der Erwartungshaltung gegenüber der Fotografie, auf der man zu ( er)kennen glaubt, was man sieht. So schienen diejenigen Hasslers wie Aussichtstafeln inszenierte Panoramen die Aussicht von der Hüttenterrasse zu zeigen, umfassten aber mit ihrer 360º-Rundsicht wesentlich mehr, und auch die Hütte selbst war darauf zu sehen. Diese suchte und fand vermutlich erst, wer den entsprechenden Hinweis in der Infobroschüre gelesen hatte.

Das Konzept von Andreas Fiedler strebte Werke an, die sich mit dem Kontext der Hütten und der Bergwelt auseinandersetzen. Dafür lud er Schweizer Künstlerinnen und Künstler über mehr als zwei Generationen hinweg ein, die in den verschiedensten Medien und mit den verschiedensten Materialien arbeiten, darunter auch international bekannte Namen wie Roman Signer oder Fischli/ Weiss. Besonders interessant waren jene Arbeiten, die speziell für die Präsentation in den Hütten entwickelt wurden. Wie Arno Hassler thematisierten viele der 17 Künstlerinnen und Künstler Motive und Aspekte, die typisch für Hütten und Bergausflüge sind. Neben Yves Netzhammer griff auch Roman Signer die Fahne auf: Der Künstler, der eher für laute und von Explosionen begleitete Installationen bekannt ist, nahm den Wind aus der Fahne, indem er sie in einen Turm packte, und sorgte so ausnahmsweise für Stille und Ruhe. Georg Steinmann schuf ein Dreierset Postkarten, Monica Studer/ Christoph van den Berg eine Livecam, die die virtuelle Aussicht vom ebensolchen « Gleissenhorn » in die Wildstrubelhütte übertrug, und Ariane Epars entwarf einen neuen Hüttenstempel. Die Plastiken von Markus Schwander, aus Beton gegossene Konglomerate aus Steinen und vergrösserten Kaugummis, traten in Zwiesprache mit Steinmännchen und Geröll. Reto Rigassi übertrug die Felsstruktur hämmernd auf Japanpapier und schuf so fragile, sich auflösende Gebilde.

Kunst, die nicht auffällt

Vorstellungen und Erwartungen machen die menschliche Wahrnehmung effizient. Erst wenn die Abweichung gross genug ist, wird die volle Aufmerksamkeit aktiviert. So haben einige Hüttenbesucher aus lauter Gewohnheit statt des wehenden Wegweisers die traditionelle Schweizer Fahne gesehen, andere wussten mit der Neuerung nicht viel anzufangen und konzentrierten sich wieder auf den Weg. Die Werke wurden bewusst zurückhaltend inszeniert, um die Hüttenatmosphäre nicht zu stören. Und vielleicht haben sich die Künstlerinnen und Künstler teilweise auch von der beeindruckenden Kulisse einschüchtern lassen. Ariane Epars'Stempel blieb wohl vielen verborgen. Sehr diskret und meist in der Schublade beim ordentlichen Hüttenstempel verstaut, trat er kaum in Erscheinung. Ähnlich unauffällig präsentierte sich die Büchersammlung « Rund um die Berge », die Peter Fischli und David Weiss zusammengetragen und wie selbstverständlich auf dem Regal der Chamanna d' Es-cha platziert haben: Sie schien gar nicht erst als Kunst in Erscheinung treten zu wollen. Vor allem die Installationen in der Capanna Basòdino waren auffälliger: Das Balkongeländer von Bob Gramsma leuchtete als ebenso irritierender wie poetischer Fremdkörper am Felsen, und der hölzerne Turm von Roman Signer ragte markant vor der Hütte auf. Bob Gramsma: « Wandering Mind ». Ein Balkongeländer am Felsen nahe der Capanna Basòdino. Weil dem Balkon der Boden fehlt, ist er genau so irritierend wie die Landschaft im oberen Val Bavona, wo künst liche Stauseen die Gegend prägen.

Fotos: Mar co Volken In den Hütten lag eine Broschüre auf, die die jeweiligen Werke kurz und verständlich erläuterte. Auch sie hielt sich allerdings eher zurück, sodass oft erst die Fragen der Journalistin die Neugierde und den Entdeckergeist anderer Besucherinnen und Besucher weckten. Dann kamen aber auch interessante Gespräche und Diskussionen in Gang.

Was man mitnimmt

Der SAC will gemäss Statuten die Auseinandersetzung mit gebirgsbezogener Kunst fördern. Insofern ist es fast überraschend, dass die SAC-Kunstausstellung dieses Jahr zum ersten Mal in Hütten gastierte. Die Zusammenarbeit mit dem Schweizer Kunstverein und einem professionellen Kurator ermöglichte eine Schau auf hohem künstlerischem Niveau. Das mutige Experiment zeigt, dass zeitgenössische Kunst in den Bergen ein anregendes Erlebnis sein kann. Auch wenn Kunst und Hüttenalltag sehr unterschiedliche Anforderungen stellen, hätten wohl mit einer augenfälligeren, offensiveren Vermittlung mehr Menschen davon profitiert, aber sich even tuell auch darüber geärgert. Und die Besucherinnen und Besucher der fünf Hütten und somit der SAC-Kunstausstellung konnten auch ganz real etwas mitnehmen. Nicht nur am Postkartenständer von Georg Steinmann auf der Wildstrubelhütte konnte man sich bedienen. Judith Albert hatte unter dem Eindruck der Kraftwerkver-bauungen auf Robiei einen « Schutzpatron für die Berge und das ewige Eis » erfunden. Die 5000 liebevoll gestalteten Schächtelchen mit je einer versteinerten Träne wurden rege eingesteckt. Und vielleicht legten ein paar Wanderinnen und Wanderer den Stein, wie von der Künstlerin beschrieben, zum Schutz eines Gletschers oder Berges aus, damit er seine magische Kraft entfalten und « Wunder geschehen » konnten. a Eveline Suter, Zürich Yves Netzhammer: « Windlandschaften ». Die Fahnen, welche an die bekannten Wegweiser erinnern, zeigten keine – oder alle – Richtungen an. Einen Wolkenfriedhof findet der Betrachter wohl überall am Himmel, genau so wie Bakterien wohl überall zu finden sind.

D

ie Strasse führt dem dunkelgrünen Wasser des Lago di Vogorno entlang. Welke Blätter bedecken seine Ufer. Der Winter rückt näher. Plötzlich taucht, nach einer Kurve, ein kleiner Weiler auf. Er wirkt unzugänglich, wie er so auf der anderen Talseite am Hang klebt. Die Harmonie seiner auf kluge Art aneinanderge-bauten Häuser bezaubert mich sofort, und ich halte am Strassenrand an. Es ist eines jener Zeichen, gegen die man sich nicht wehren kann, und ich muss ein Mittel fi nden, um zu diesem Nest zu gelangen. Ein wenig enttäuscht entdecke ich dann – man möchte ja, dass solche Paradiese völlig geheim sind und es auch bleiben – eine Strasse, die zum Dörfchen führt. Wenige Minuten später befi nden wir uns auf dem Hauptplatz. Das Licht wird immer milder, und ich möchte die schönen Stunden fürs Fotografi e-

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